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DIE FURCHE 31.10.2024

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DIE FURCHE · 44 4 Das Thema der Woche Kampf um die USA 31. Oktober 2024 Von Cornelia Klecker Alle vier Jahre, immer am Dienstag nach dem ersten Montag im November, entscheiden die USA, wer für die nächste Amtszeit ins Weiße Haus ziehen – bzw. dort bleiben – darf. Dieses Jahr fällt dieser Tag auf den 5. November, der in vielen Bundesstaaten allerdings eher als Deadline und nicht als alleiniger Wahltermin zu verstehen ist. Denn das early in-person voting (sprich: Wahllokale sind mehrere Tage oder gar Wochen geöffnet) wird immer beliebter. 31 Millionen haben über eine Woche vor dem eigentlichen Wahltag bereits ihre Stimme abgegeben. Entweder persönlich oder mit einer Wahlkarte. Dies ist verständlich, da ein Wochentag als Wahltag für die mehrheitlich arbeitstätige Wählerschaft ungünstig ist, und zwar ganz besonders, wenn man bedenkt, dass man in den USA, je nach Wahllokal, oft mehrere Stunden anstehen muss, bevor man die Stimme abgeben kann. Schwer vorstellbar in Österreich. Bis zu 28 gültige Kreuzchen Gründe für die oft langen Wartezeiten sind vielfältig: schlechte Organisation, zu wenige Wahllokale, nicht genug Wahlbeauftragte und auch strategische Unterdrückung der Wahlbeteiligung. Was man angesichts der hohen Aufmerksamkeit für die Präsidentschaft allerdings gerne vergisst, ist die Tatsache, dass diese nicht die einzige Wahlentscheidung ist, die getroffen wird. Gleichzeitig wird auch das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt. Je nachdem, wo man wohnt oder wo man für die Wahl registriert ist, gilt es, seine Stimme zusätzlich für den Senat, etwaige Referenda sowie zahlreiche Ämter auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene abzugeben. Die Liste der Entscheidungen, und somit auch der Wahlzettel, ist üblicherweise mehrere Seiten lang. Wer (um ein willkürliches, aber konkretes Beispiel zu nennen) in Watauga County, North Carolina, registriert ist, kann dieses Jahr bis zu 28 gültige Kreuzchen machen – 26 Ämter und zwei Referenda. Selbstverständlich ist niemand KLARTEXT Lesen Sie die soziologische Glosse von Manfred Prisching: „Amerika, deine Wahlvölker“ (11.3. 2020) auf furche.at. Illustration: iStock/Hein Nouwens (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Die Stimme der Einwanderer Der Wahltag in den USA ist für die meisten Wähler ein denkbar schlechter Zeitpunkt und die Wahl an sich ein Zeitfresser. Über Umstandsmeierei. Der Dienstag geht auf Bauern und Christen zurück Von Julia Mourão Permoser Kurz vor dem US-Urnengang hat Donald Trump erneut behauptet, dass die Demokraten Nichtstaatsbürger zu den Präsidentschaftswahlen zuließen, um betrügerisch zu gewinnen. Diese Vorwürfe sind völlig haltlos, es gibt keinerlei Beweise für entsprechende Gesetzesverstöße. Dennoch sind Äußerungen wie diese für die Demokratie brandgefährlich: Erstens untergräbt Trumps Rhetorik das grundsätzliche Vertrauen in demokratische Verfahren und Institutionen. Zweitens weckt der Vorabvorwurf des Betrugs unbegründete Zweifel an der Gültigkeit des Wahlergebnisses. Und drittens schüren diese Anschuldigungen Feindseligkeit und Misstrauen gegenüber eingebürgerten Einwanderern sowie generell gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. Darüber hinaus wirft diese Panikmache auch einen Schatten auf die mögliche Erweiterung des Wahlrechts auf legal ansässige Nichtstaatsbürger. Diese dürfen bereits in etwa 50 Ländern weltweit auf verschiedenen Ebenen wählen. In der EU dürfen Staatsangehörige eines anderen EU-Landes etwa an Kommunalwahlen teilnehmen – und auch Drittstaatsangehörige können in mindestens 15 EU-Mitgliedstaaten kommunal mitvotieren. In Neuseeland dürfen legale Einwanderer sogar bei nationalen Wahlen teilnehmen. Dieses Erweitern des Wahlrechts soll Demokratien repräsentativer machen, insbesondere in politischen Systemen, in denen die Einwandererbevölkerung sehr groß und die Möglichkeit zur Einbürgerung eingeschränkt ist – oder die Anreize dazu gering sind. Derzeit machen eingebürgerte Einwanderer etwa zehn Prozent der US-Bevölkerung aus – und sie konzentrieren sich in wichtigen Swing-States. Lösungsorientierte Kandidaten würden überlegen, wann und wo das Wählen durch Nichtstaatsbürger die Demokratie beleben könnte. Doch der Dämonisierer Trump will ganz offenkundig das Gegenteil. Die Autorin ist Professorin für Migration und Integration an der Donau Universität Krems. staaten, die früher zum Gang zur Wahlurne aufforderten, die darauffolgenden beeinflussen können. Spezifisch der Dienstag wurde gewählt, um den Bedenken und Bedürfnissen von zwei (sich weitgehend überschneidenden) Bevölkerungsgrup pen Genüge zu tun: Bauern und Christen. Die USA waren zu jener Zeit noch ein überwiegend agrarisches Land, und viele mussten einen Tag oder sogar länger reisen, um das nächstgelegene Wahl lokal zu erreichen. Sonntag kam somit nicht infrage. Die weite Mehrheit der Wählerschaft war christlich und wollverpflichtet, den Stimmzettel vollständig auszufüllen, aber wer dies möchte, benötigt dann doch etwas länger. Angesichts der Zeit, die das Wählen in den USA in Anspruch nehmen kann, fragt man sich umso mehr, warum in diesem Land der Wahltag immer auf einen Dienstag fällt. Die Antwort führt uns zurück ins Jahr 1845, als der Kongress zum ersten Mal ein Gesetz verabschiedete, um einen einheitlichen Wahltag in allen Bundesstaaten festzulegen. Damit sollte verhindern werden, dass die Wahlergebnisse jener Bundeste sonntags zu Hause sein, um den Gottesdienst zu besuchen. Mittwoch war ebenfalls ungeeignet, da dieser typischerweise der Markttag war. Aufgrund der potenziell langen An- und Abreisen waren somit auch Montag und Donnerstag keine Option. Deshalb wurde der Dienstag als der beste Wahltag angesehen. Die kompliziertere Regel „Dienstag nach dem ersten Montag im November“ anstelle der einfacheren „erster Dienstag im November“ wurde ausgesucht, um zu vermeiden, dass der Wahltag jemals auf den Allerheiligentag fällt, einen wichtigen christlichen Feiertag. Seitdem hat sich natürlich viel geändert, und keine dieser Überlegungen sind heutzutage besonders relevant – trotz der Tatsache, dass die Mehrheit der US-Amerikaner und -Amerikanerinnen nach wie vor christlich ist. Das Gesetz wurde trotzdem nicht geändert. Einige Bundesstaaten wie New York und Illinois haben den Wahltag zu einem öffentlichen Feiertag erklärt, um das Wählen zu erleichtern. In sehr vielen Bundesstaaten ist dies allerdings nicht der Fall. Darum wird immer wieder die Forderung erhoben, den Wahltag zum bundesweiten Feiertag zu erklären, bisher jedoch ohne Erfolg. Somit werden am 5. November Millionen von US-Bürgern nicht „ Sollten weder Harris noch Trump 270 Wahlleute ergattern, bestimmt das Repräsentantenhaus die nächste Präsidentin oder den Präsidenten. “ nur zur Wahl, sondern auch zur Arbeit gehen, um dann abends mit Spannung der Medienberichterstattung zu folgen. Einige Hochrechnungen werden meist bereits kurz nach Schließung der Wahllokale im jeweiligen Bundesstaat präsentiert. Somit also zwischen 18 und 20 Uhr lokaler Zeit. Aufgrund der Zeitdifferenz und der sechs Zeitzonen, über die sich die USA erstrecken, schließen die letzten Wahllokale (in Alaska und Hawaii) aber erst um sechs Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit. Wer eine Wahlparty in Österreich plant, muss also Durchhaltevermögen haben. In den US-amerikanischen Medien ist es auch sehr üblich, nicht repräsentative Teilresultate (von einer sehr geringen Prozentzahl der ausgezählten Stimmen und/ oder einzelner Bezirke) zu veröffentlichen, die selbstverständlich auf keinen Fall mit aussagekräftigen Hochrechnungen verwechselt werden dürfen. Vertrauenswürdige Nachrichtenorganisationen kontextualisieren solche Zahlen darum entsprechend. Manche Medien (sowie auch Politiker und deren Sprachrohre) verwenden sie allerdings manipulativ und verfälschend für ihre eigenen Zwecke. Solche Teilresultate sollten also mit Vorsicht genossen oder am besten überhaupt einfach ignoriert werden. Die Krux der Umfragen Wann das endgültige Wahlergebnis verkündet wird, ist schwer vorauszusagen – außer dass es vermutlich kaum am 5. November passieren wird. Die letzten beiden Male konnte der Sieger auch nicht bereits am Wahltag bekanntgegeben werden. 2016 war es zwar lediglich ein paar Stunden später, aber 2020, viele erinnern sich bestimmt, musste man bis auf den darauffolgenden Samstag warten. Viel hängt natürlich davon ab, wie knapp das Resultat wirklich sein wird – in zweierlei Hinsicht: Es dauert länger, wenn man auf die Ergebnisse (fast) aller 50 Bundesstaaten sowie des District of Columbia (sprich Washington, D.C.) warten muss, bevor entweder Kamala Harris (und Tim Walz) oder Donald Trump (und J. D. Vance) die entscheidenden 270 Wahlleute für sich verbuchen kann und somit die Wahl gewonnen hat. Und wenn die Ergebnisse einzelner Bundesstaaten auch noch so knapp sind, dass per Gesetz eine zweite Auszählung erfolgen muss, kann sich das sehr lange hinziehen. In den letzten Jahren waren Umfragen zu US-amerikanischen Wahlen allerdings nicht besonders akkurat, was die Medien bisher aber nicht davon abgehalten hat, sich weiter darauf zu fokussieren. Sollten übrigens weder Kamala Harris noch Donald Trump 270 Wahlleute ergattern (was zwar unwahrscheinlich, aber bei einer Gesamtanzahl von 538 rechnerisch möglich ist), fällt die Entscheidung, wer die nächste Präsidentschaft übernimmt, auf das Repräsentantenhaus. Und der Senat wählt separat den Vizepräsidenten. Rein theoretisch könnte es also auch eine Harris/ Vance- oder eine Trump/Walz- Administration geben. God bless das Wahlsystem der Vereinigten Staaten von Amerika ... Der Autorin forscht am Institut für Amerikastudien an der Universität in Innsbruck.

DIE FURCHE · 44 31. Oktober 2024 Das Thema der Woche Kampf um die USA 5 Von Philipp Axmann Treffen sich ein Amerikaner, ein Franzose, ein Deutscher und ein Österreicher in einer Bar ... Das ist nicht der Anfang eines Schenkelklopfers, sondern der Beginn einer persönlichen Begegnung, die Einblick in die amerikanische Seele gibt – genauer gesagt in eine der hundert Millionen amerikanischen Seelen, die nächste Woche ein neues Staatsoberhaupt wählen. Der Nichtwitz spielt im Juli 2024, vor wenigen Tagen wurde Donald Trump bei einem Attentat am Ohr verwundet. Die Bar ist die eines Hostels in Kopenhagen. Das Quartett besteht aus vier solo durch Europa Reisenden. Sie treffen gerade zum ersten Mal aufeinander. Der Franzose (28) entwickelt iPhone-Apps, der Deutsche (23) arbeitet für eine Luxusautomarke, der Österreicher ist der Autor dieser Zeilen. Um den Amerikaner soll es in dieser Geschichte gehen. Er heißt Spencer Burns, ist 26 Jahre alt, lebt in New York City und arbeitet als Lehrer. Worüber sprechen vier junge Leute aus aller Welt, die sich gerade kennengelernt haben? Über Politik. Der Deutsche spricht über seine Branche, die Automobilindustrie, über die Standortpolitik der Ampelregierung. Der Franzose erzählt von den gerade geschlagenen Parlamentswahlen in seiner Heimat. Davon, wie Linke und Liberale durch taktische Rücktritte eine Mehrheit für die Rechtspopulisten verhinderten. Schnell sind wir beim Trump-Attentat. „Fandest du es nicht schade, dass er überlebt hat?“, fragt einer. „Ganz im Gegenteil“, antwortet Spencer, der Amerikaner. „Man kann die Szene ja kaum ohne Gottes Willen erklären.“ Die Patrone, die durch das Ohr schoss. Nicht ganz vorbei, nicht durch das Hirn. Das Bild mit der Faust in der Luft, es sei jetzt schon ikonisch. „Ist er ein Trump- Fan?“, fragen sich die Europäer verwundert. Spencer ist jung, gebildet, er lebt im tiefdemokratischen New York, er ist katholisch, und er ist schwul – kann so jemand Trump wählen? An Spencer scheitern die üblichen Vereinfachungen und Gruppenzuschreibungen. USA: „Imperium, nicht Demokratie“ Das Quartett bestellt zur Happy Hour des Hostels Freibier an der Bar. Da vibrieren plötzlich die Handys. Nachrichten von Freunden mit Twitter-Bildschirmfotos. Joe Biden hat gerade bekanntgegeben, dass er sich aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurückzieht. Und zwar auf X, vormals Twitter. „Biden hätte sowieso verloren“, sagt der Franzose. „Vielleicht wird Kamala Harris die Nachfolgerin, sie könnte noch gewinnen“, mutmaßt der Deutsche. Spencer will sie nicht wählen: „Sie hat als Vizepräsidentin versagt, vor allem, was die Migration betrifft.“ Warum? Die Grenze nach Mexiko sei praktisch offen, meint er. „Wir wissen nicht einmal, wie viele Menschen illegal im Land sind.“ Doch hat nicht genau die Migration die USA groß gemacht? Spencer stimmt zu, fügt aber an: „Das jetzt ist aber nicht dieselbe Art von Migration, die uns groß gemacht hat.“ Der Unterschied? Früher seien die Leute nach Amerika gegangen, weil sie arbeiten wollten, etwas erreichen. Jetzt sei das Sozialsystem so attraktiv, dass die Leute in dieses flüchten wollten. Am nächsten Tag spazieren Spencer und ich durch die Freistadt Christiania, ein Stadtviertel von Kopenhagen, dass sich vor Jahrzehnten selbstständig gemacht hat – vom Staat toleriert. Die Einwohner leben quasi anarchisch zusammen, es gibt Banden, Drogen, Hippies und bunt besprayte Häuser. Halb gentrifiziert ist die Freistadt heute auch Touristenattraktion. Spencer trägt eine hellbeige Stoffhose und ein schwarzes T-Shirt. Die schwarzen, luftigen Haare hat er in der Mitte ungenau gescheitelt. Wir sprechen über die USA. Spencer hält sie eher für ein „Imperium als eine Demokratie“. Die älteste Demokratie der Welt – ist keine? Im Föderalismus, so Spencer, sollte so viel Macht wie möglich so nah wie möglich bei den Menschen angesiedelt sein, auf den unteren Verwaltungsebenen. Über die letzten Jahrzehnte habe aber die Illustration: iStock/pictore (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Spencer Burns ist 26, schwul, katholisch und Lehrer in New York. Aller Statistik nach müsste er Kamala Harris wählen. Doch er ist für Trump, gegen illegale Migration und gegen Pride-Flaggen. Eine Begegnung. Darf er das? nationale Regierung immer mehr Macht angehäuft. Eine nationale Regierung für 340 Millionen Menschen könnte kaum auf sinnvolle Art demokratisch sein. Spencer wünscht sich mehr Verantwortung für Gemeinden und Bundesstaaten, man könne ja mit dem Bildungsbereich anfangen, schlägt der Lehrer vor. Wir sind im Stadtzentrum von Kopenhagen angekommen, gehen über saubere Straßen, Spencer blickt auf einen zwei Meter breiten Radweg und fragt: „Soll ich hierher auswandern oder versuchen, mein Land besser zu machen?“ Die Infrastruktur in Nord- und Mitteleuropa ist der amerikanischen weit überlegen. Spencer bringt das auf die Formel: „Ihr Europäer dürft euch die USA nicht als schlecht funktionierendes europäisches Land vorstellen, sondern als gut funktionierendes südamerikanisches.“ „Getarnte Ideologie“ Ein paar Tage später reist das Quartett spontan gemeinsam weiter nach Berlin. Wir stehen vor dem Brandenburger Tor. Gleich daneben liegt das Europä ische Haus, die EU-Repräsentanz. Wir werfen einen Blick hinein. Im Foyer steht eine einzige Flagge. Doch sie ist wider Erwarten nicht in EU-Königsblau, sondern in den Regenbogenfarben gehalten. Spencer, der selbst schwul ist, gefällt das nicht: Die Regenbogenflagge sei spaltend. Es gehe dabei doch um Vielfalt, erwidere ich. Spencer antwortet, Städte, Länder und die EU hätten Flaggen, um die Einwohner zu repräsentieren. Nicht jeder in Berlin sei queer, eine Regenbogenflagge repräsentiere daher genauso wenig Berlin, wie das eine Flagge für arabische Deutsche, Müllmänner oder Pflegerinnen tun würde. Das Haus der EU solle nicht die „Ideologie einer Minderheit“ repräsentieren, sondern die ganze Union. Der Stolz auf das Friedensprojekt solle immer Vorrang haben. Am nächsten Tag steigt in der Stadt die „Christopher Street Day“-Parade, die Pride von Berlin. Wir sehen sie uns an. Überall steht auf Plakaten der diesjährige Slogan: „Für Demokratie und Vielfalt“. Spencer nennt die Pride eine „als Party getarnte Ideologie“. Mit dem Unterschied, dass er sich „auf jeder anderen Party wohler fühlt“. Die Pride sei heute ein Teil der Massenkonsumkultur. Er kritisiert, Organisatoren von derartigen Veranstaltungen täten so, „ Ihr Europäer dürft euch die USA nicht als schlecht funktionierendes europäisches Land vorstellen, sondern als gut funktionierendes südamerikanisches. “ Spencer Burns als sprächen sie für alle queeren Menschen. Spencer widerspricht vielen ihrer Ansichten. Er erklärt, er habe sogar eine gewisse Sympathie für katholische Argumente gegen die Homoehe. Man könne durchaus argumentieren, eine Ehe sei eben eine ganz bestimmte Form von Partnerschaft – und nicht dasselbe wie eine homosexuelle Beziehung. Unsere Reise geht weiter nach Amsterdam. An einem heißen Nachmittag sitzen wir im Schatten eines Baumes im großen Vondelpark. Ein paar Meter vor uns spielt ein junger Mann allein mit einem Fußball. Er trägt ein Trikot von Ajax Amsterdam mit der Nummer sieben und dem Namen Ali auf dem Rücken. Ihm gegenüber liegt eine mittelalte Frau auf einer Picknickdecke. Der Kicker spricht die Frau auf das arabische Wort auf ihrem T-Shirt an. Es entwickelt sich ein Gespräch. Ali ist sein Nachname, er kommt aus dem Libanon. Die Frau kommt aus London und war öfter im Libanon. Eine junge Niederländerin gesellt sich dazu. Das Gespräch kommt auf Vorurteile gegenüber Arabern, die Frauen beklagen, dass Männern wie Ali nicht immer mit Wohlwollen begegnet wird. Die zwei Pride, aber anders Spencer lebt in einer homosexuellen Beziehung, doch Teile der „Queer-Culture“ sieht er kritisch. Die Pride-Parade sei vor allem konsumorientiertes Marketing und getarnte Ideologie. Foto: Privat Lesen Sie auch „Amerikaner erzählen, warum sie Trump wählen“ von Mareike Boysen und Nina Strasser (3.1.2024) auf furche.at. jungen Leute flirten miteinander, fahren auf Alis Moped Eis kaufen. Irgendwann kommen sie wieder. Spencer und ich beobachten belustigt, wie sie miteinander turteln. Da sagt Ali: „Erinnerst du dich, als hetero sein noch cool war, vor fünf Jahren? Jetzt sind alle homo, heute sind Männer schwach.“ Die Niederländerin schaut verwundert. Spencer dreht sich zu mir: „Na, wie läuft das mit der Migration für euch?“ Ich antworte, es gehe bei der Aufnahme von Flüchtlingen ja um Menschenrechte. Spencer erwidert: Wer Schutz suche, müsse nicht durch zehn Länder gehen. Wer hingegen aus wirtschaftlichen Gründen migriere, habe „nach unseren Regeln zu spielen und seinen Beitrag zu leisten“. Europa habe keine moralische Verpflichtung, „die alle aufzunehmen“. Immer wieder denkt der zuhörende Europäer: Darf er das denn so sehen? Treffen sich ein Amerikaner, ein Franzose, ein Deutscher und ein Österreicher in einer Bar … Dann lernt jeder, wie anders man Politik noch sehen kann.

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