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DIE FURCHE 31.10.2024

DIE

DIE FURCHE · 44 20 31. Oktober 2024 Illustration: Rainer Messerklinger Von Manuela Tomic MOZAIK Hexenschuss Ich habe schon lange einen Schuss, aber erst seit Kurzem weiß ich, was ein Hexenschuss ist. Samstagmorgen schlürfte ich gemütlich meinen Frühstückskaffee, als der Blitzschmerz in mich fuhr. Wie ein angeschossener Gaul galoppierte ich mit starrem Oberkörper wiehernd in mein Bett. Mit allen vieren krallte ich mich in meine Matratze und traute mich weder zu zucken noch zu mucken. „Eine Skulptur von Gironcoli“, scherzte mein erblassender Freund, der mir eine goldene, nussgroße Tablette aus dem Bad brachte. Die Schmerztablette lachte, und mir wurde schlecht. Nach mehreren Stunden löste ich mich aus meiner Schockstarre. Nun liege ich im Bett und lese Herzmanovsky-Orlandos „Gaulschreck im Rosennetz“, während mein Freund Bratwürstchen in der Küche brutzelt. Ich verfolge gespannt, wie sich Herr Eynhuf für den Kaiser auf eine aberwitzige Suche nach einem jungfräulichen Milchzahn macht. Ich lache, und mein Rücken entspannt sich. Die Hexe hat sich wohl an der Schmerztablette ihren letzten Milchzahn ausgebissen. Ich habe noch immer keinen Besen, und der Schuss ging nach hinten los. Manuela Tomic, Autorin und ehemals FURCHE-Redakteurin, ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Der Erfinder des 3D-Puzzles, Ernő Rubik, hat vor 50 Jahren seinen gleichnamigen „Cube“ kreiert. Ein Welterfolg, der dem Ungarn nicht zu Kopf gestiegen ist. Pinocchio und der Würfel Von Otmar Lahodynsky Neugier ist das Wichtigste, ohne sie gibt es keinen Fortschritt“, sagt Ernő Rubik mit leiser Stimme. „Und „Die es geht bei meinem Würfel um Wissen, da ist kein Zauber oder Schwindel dabei.“ DIE FURCHE sitzt ihm im ungarischen Kulturinstitut Collegium Hungaricum in Wien gegenüber, das zum 80. Geburtstag des Erfinders und zum 50. Geburtstag seines „Zauberwürfels“ vergangene Woche eine Popup-Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst (MAK) organisierte. Dort, in den Vitrinen der Eingangshalle, lagen Rubiks Werke: erste Puzzles, wie die „Schlangenbilder“, die dem chinesischen Geduldspiel „Tangram“ nachempfunden sind, dann Prototypen in der dritten Dimension und die Entwürfe zu dem Werk, das noch heute seinen Namen trägt: 27 kleine, mehrfärbige Würfel in einem Quader, die so zusammengesetzt werden sollen, dass an jeder der sechs Seiten jeweils dieselbe Farbe erscheint. Für Generationen von Käufern eine schier unlösbare Aufgabe. 600 Millionen „Rubik’s Cubes“ wurden seit der Erfindung im Jahr 1974 weltweit verkauft. Damit hätte sich jeder siebte Mensch auf der Welt mit dem „Cube“ beschäftigt. Zählt man die Raubprodukte dazu, sind es schon einige Milliarden Stück. Rubik, der sechs Kinder und sechs Enkel hat, arbeitete bis zu seinem Welterfolg als Professor für Architektur und Design an der Universität für industrielle Kunst in Budapest. In seinem Heim tüftelte er immer wieder an geometrischen Mustern und dreidimensionalen Formen. Den „Zauberwürfel“ meldete er 1975 in Budapest zum Patent an, aber es dauerte fast sechs Jahre, bis dieses auch erteilt wurde. „Es gab damals bei uns ein kommunistisches Regime, das nicht so interessiert war an meinen Erfindungen“, sagt Rubik dazu lapidar. Die ersten Prototypen mit Gummibändern wurden ab 1980 verbessert, dann begann die industrielle Produktion in Ungarn. Und der Plastikwürfel zeigte sofort sein Suchtpotenzial. In nur drei Jahren kauften ihn 300.000 Ungarn. Foto: Attila Kovács / CH Wien Vermarktung im großen Stil Nun begann die Suche nach weltweiten Vermarktern. Rubik fuhr zur Spielzeugmesse nach Nürnberg und traf auf einen Israeli mit ungarischen Wurzeln, der in den USA die Firma Ideal Toy überredete, den Würfel in großem Stil zu vermarkten. Der erste Auftrag betrug immerhin eine Million Würfel. Der Welterfolg des „Rubik’s Cube“ war nicht mehr aufzuhalten. Rubik trat 1983 seine erste Reise zur New Yorker Spielzeugmesse an. Seine Rolle war jene, als Erfinder vorzuführen, dass man die Farben des Würfels tatsächlich gleichmäßig auf die sechs Flächen verteilen konnte. „Der Cube lügt nie. Und sämtliche Informationen, die wir in seinem Fall benötigen, sind unmittelbar vorhanden“, schrieb Rubik in seinem Buch „Cubed. Der Zauberwürfel und die großen Rätsel dieser Welt“ (2020). Und er gab darin Tipps, ohne allzu viel zu verraten. „Nach und nach fand ich eine Folge von Drehungen, mit denen ich die Position zweier Ecksteine verändern konnte, während die anderen sechs stabil blieben.“ Denn auch der Erfinder tat sich anfangs schwer beim dreidimensionalen Denksport. Auf die Frage, wie viel Zeit er für die Würfelaufgabe benötige, antwortet er nur ausweichend, er habe die Zeit nie gestoppt. Doch der aktuelle Weltrekord eines „Speedcubers“ in den USA liegt bei unglaublichen 3,14 Sekunden. Es sind vor allem junge Leute, die oft sogar blind die Aufgabe blitzschnell lösen. Erwachsene hinterfragen zu sehr ihre Drehungen. „Sogar Kinder brauchen dafür manchmal nur wenige Minuten“, sagt Rubik. „Dahinter steckt eben eine besondere Begabung.“ „ In der digitalen Welt ist mein Würfel ein Zwischending zum analogen Umfeld. Die jungen Leute wechseln gern vom Computer zum Würfel, den man angreifen kann. “ Ein wenig fühle er sich wie der Holzschnitzer Geppetto, dessen Figur Pinocchio zum Leben erwacht. Auch sein Würfel habe sich verselbstständigt und stehe im Gegensatz zu seinem Schöpfer gern im Rampenlicht. Auch seine Kinder und jetzt die Enkel hätten sich mit seinem Würfel beschäftigt. Sein einziger Sohn ist Musiker, die fünf Töchter hätten auch allesamt künstlerische Berufe gewählt. Schon sein Vater war ein Tüftler, erzählt Rubik. Der Ingenieur beschäftigte sich mit dem Entwurf und der Produktion von Segelflugzeugen. „Von ihm habe ich wohl die Genauigkeit geerbt“, meint er verschmitzt. „Mitgeflogen bin ich leider nie. Das hat meine Mutter nicht erlaubt.“ Als Volksschüler habe er in einem Chor mit gewirkt. Später habe er sich mit den Erfindungen von Leonardo da Vinci, der für ihn bis heute Vorbild ist, beschäftigt. Seit vielen Jahren lebt Rubik mit seiner zweiten Frau in einem großen, aber nicht protzigen Haus im Bauhaus-Stil in Buda am Rande eines Waldes. Die Frage, warum er Ungarn nie verlassen und in ein Steuerparadies ziehen wollte, beantwortet er mit einem Lächeln und auf fehlerfreiem Englisch: „Ich kann eigentlich nur eine Sprache wirklich gut, und das ist Ungarisch. Ich liebe mein Land und meine Landsleute. Warum soll ich von hier wegziehen?“ Reich werden durch eine Erfindung? Die Frage nach der Höhe seines Gewinnanteils während nunmehr 50 Jahren lässt Rubik unbeantwortet. „Es ist weit weniger, als Sie glauben.“ Hundert Millionen sollen es laut Schätzungen sein. Natürlich gebe es rund um ein erfolgreiches Produkt immer einen ganzen Schwarm von Menschen, die mit seiner Erfindung mehr Geld verdient hätten als er, erklärt er. Aber er freut sich, dass nach der Jahrtausendwende eine neue Generation herangewachsen sei, die weiterhin Spaß an seiner Erfindung habe. „In der digitalen Welt ist mein Würfel irgendwie ein Zwischending zum analogen Umfeld.“ Heute fänden im Internet über hunderttausend Onlineturniere im „Speedcubing“ statt, alle zwei Jahre eine WM. „Aber die jungen Leute wechseln gerne vom Computer zum Würfel, den man angreifen kann“, so Rubik. Zur aktuellen Politik von Ungarns rechtsnationalem Regierungschef Viktor Orbán will er lieber nichts sagen, aber Ungarn habe sich im Laufe seiner Geschichte oft für die falschen Verbündeten entschieden, meint er. Daher sieht er auch die Nähe Orbáns zu Wladimir Putin kritisch. „Die Russen sind ein intelligentes Volk, das Schriftsteller wie Puschkin oder Komponisten wie Tschaikowski hervorgebracht hat. Leider folgen aber vor allem die Menschen auf dem Lande immer noch gerne dem Zaren, auch wenn er sie unterdrückt. Und immer wollen diese Zaren ein Imperium auf Kosten anderer schaffen.“ Der Vater des „Cube“ Ernő Rubik, am 13. Juli 1944 in Budapest geboren, ist ein ungarischer Bildhauer und Designer. Sein Würfel wurde 600 Millionen Mal verkauft.

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