DIE FURCHE · 35 8 Chancen 31. August 2023 DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: „ Es gibt auch viele dienstleistungsorientierte Beschäftigungen, die jetzt schon klimafreundlich, zukunftsorientiert und vor allem auch gesellschaftlich notwendig sind, wie zum Beispiel die Pflege. “ FORTSETZUNG VON SEITE 7 Der Westen Nr. 37 • 14. September 2023 Er ist nicht nur eine Himmelsrichtung, sondern steht für eine – angeschlagene – Weltmacht: der Westen. Wo beginnt und endet er? Was ist darunter zu verstehen? Beginn einer Reihe – gefolgt vom Süden, Osten und Norden. Die große Synode Nr. 39 • 28. September 2023 Das Arbeitspapier (Instrumentum laboris) zur römischen Weltsynode von 4. bis 29. Oktober hat Hoffnung auf mehr Gemeinsamkeit und Teilhabe in der katholischen Kirche geweckt. Wird sie erfüllt werden können? Slowenien Nr. 41 • 12. Oktober 2023 Von 18. bis 22. Oktober 2023 präsentiert sich Slowenien als Ehrengast auf der alljährlichen Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Anlass blicken wir ins Nachbarland: Was tut sich politisch? Was tut sich literarisch? Erinnern anno 2023 Nr. 43 • 26. Oktober 2023 Vor 85 Jahren bildeten in Wien die Novemberpogrome 1938 den end gültigen Auftakt zur Schoa. In Wien wütete der staatliche Mob besonders arg. Wie kann Gedenken stattfinden, wenn die meisten Zeitzeug(inn)en tot sind? Schätze der Natur Nr. 45 • 9. November 2023 Ökosysteme erbringen auch aus wirtschaftlicher Sicht gigantische „Leistungen“. Welche Ansätze gibt es gegen den Verlust der biologischen Vielfalt? Ein Fokus zu den „Tagen der Biodiversität“ an der BOKU Wien. *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Wird alles gut? Nr. 38 • 21. September 2023 Das 26. Philosophicum Lech widmet sich der Dialektik der Hoffnung – und fragt, ob Immanuel Kants berühmte Frage „Was dürfen wir hoffen?“ nicht längst umformuliert werden müsste: „Dürfen wir überhaupt noch hoffen?“ Mädchen Nr. 40 • 5. Oktober 2023 Mädchen müssen einerseits viele gesellschaftliche Erwartungen erfüllen, andererseits sind sie in Teilen der Welt immer noch von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Ein Fokus zum Weltmädchentag am 11. Oktober. Der Süden Nr. 42 • 19. Oktober 2023 Die FURCHE nimmt die nächste Himmelsrichtung in den Fokus: Vom „globalen Süden“ über die Südhemisphäre bis hin zum Südpol gilt es, politisch, geografisch oder geschichtlich unterschiedliche Aspekte zu beleuchten. Häfen-Elegie Nr. 44 • 2. November 2023 Kein Ende der Klagen über den Strafvollzug: zu viel Wegsperren, zu wenig Resozialisierung. Während Radikalisierung, Gewalt- und Drogenprobleme wachsen, schrumpft der Jugendvollzug. Was ist zu tun? Der Osten Nr. 46 • 16. November 2023 Kitsch, Korruption, Kommunismus: Der Osten ist mit unzähligen Narrativen versehen. Noch heute gilt er als Gegenstück zu Kapitalismus und Konsum. Aber was steckt hinter den Klischees? Und was macht den Osten heute aus? ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. DIE FURCHE: Welche Herausforderungen und Hindernisse bestehen möglicherweise für die Schaffung und den Ausbau von Green Jobs in Österreich? Neumann: Es fehlt noch immer eine bundesweite Klimastrategie für die Arbeitsmarktpolitik in Österreich, die ja bei uns eher auf Landesebene oder regional organisiert wird. Wir haben natürlich ein großes Potenzial an Menschen in Österreich, die gerne arbeiten würden. Das sind einerseits ältere Menschen, denen wir natürlich altersgerechte Arbeitsplätze anbieten müssen. Andererseits arbeiten ganz viele Frauen in Teilzeit, auch weil eine entsprechende Infrastruktur der Kinderbetreuung fehlt. Für all diese bräuchte es mehr Weiterbildungsprogramme und eben eine bessere Infrastruktur. DIE FURCHE: Gibt es Länder, von denen sich Österreich in Sachen Green Jobs etwas abschauen kann? Neumann: Ja, absolut. In den USA wurde im Zuge der Biden-Regierung etwa festgelegt, dass Fördergelder nur dann an Unternehmen gehen können, wenn sie auch darlegen, wie sie Beschäftigte ausund weiterbilden und eben auch in Green Jobs bringen. In Deutschland gibt es vermehrt Transformationsräte, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammenkommen und den Umbau von Unternehmen gemeinsam gestalten, damit die Expertise der Arbeitnehmer auch miteinfließt. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie es auch gehen kann. „ Es fehlt noch immer eine bundesweite Klimastrategie für die Arbeitsmarktpolitik in Österreich, die ja bei uns eher auf Landesebene oder regional organisiert wird. “ DIE FURCHE: Würden Sie sagen, es gibt im Sektor der Green Jobs auch Mangelberufe? Neumann: Wir haben eine große Nachfrage nach Arbeitskräften im Gebäudesektor, im Energiebereich, im Verkehrssektor, aber eben auch in der Pflege. All das können Green Jobs sein, wenn sie in einem Unternehmen sind, das sich zum Ziel setzt, eine positive Auswirkung auf den Klimaschutz zu haben. Was ich damit sagen will: Eine Elektrotechnikerin kann einen ganz relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten, oder sie kann SUVs reparieren und damit dann keinen Green Job ausführen. Erstere Sparte muss attraktiver gemacht werden. Foto: Erwin Schuh Michaela Neumann ist Referentin in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK in Wien. DIE FURCHE: Haben Sie das Gefühl, dass sich in Sachen Geschlechtergerechtigkeit im Bereich des grünen Sektors etwas ändert? Neumann: Ich hoffe es. Wie in allen wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft gibt es natürlich auch hier noch Aufholbedarf, gerade was Positionen auf Führungs- oder Leitungsebene angeht. Frauenpolitisch haben wir natürlich noch viel zu tun. Die Sorgearbeit müsste geschlechtergerechter aufgeteilt werden, damit Frauen überhaupt die Möglichkeit haben, höher qualifizierte Berufe mit mehr Verantwortung zu übernehmen. Und das gilt für alle Bereiche, da ist der Sektor Green Jobs keine Ausnahme. DIE FURCHE: Können Migrantinnen und Migranten einen wichtigen Beitrag zur grünen Transformation leisten? Neumann: Absolut. Wenn der politische Wille da ist, können sie das. Es gibt irrsinnig viele Personen in Österreich, die in einer Warteschleife hängen aufgrund von ewig dauernden Anerkennungsverfahren, sei das jetzt von Abschlüssen, aber auch vom Aufenthaltsstatus, nicht arbeiten können, obwohl sie gerne möchten. Natürlich könnte das politische Bestreben darin bestehen, Menschen, die eingewandert sind, vermehrt für Berufe auszubilden, die auch für den Klimaschutz relevant sind. DIE FURCHE: Wie kann die Wirtschaft in Zukunft von Green Jobs profitieren? Neumann: Unternehmen, die auf Green Jobs im engeren Sinne, also zum Beispiel auf erneuerbare Energien setzen, haben eine hohe Nachfrage, aber auch höhere Kosten in der Bereitstellung ihrer Leistungen und sind somit kaum eine Konkurrenz für jene Unternehmen, die Services nicht nachhaltig und billiger anbieten. Nichtsdestotrotz gibt es derzeit eine hohe Nachfrage nach PV-Anlagen oder Wärmepumpen. Es gibt also schon vereinzelt Unternehmen, die gerade ein ordentliches Geschäft machen. Firmen, die sich abseits von diesen Kerngebieten für ein klimafreundlicheres Wirtschaften im größeren Sinne entscheiden, haben hingegen Schwierigkeiten, mit nichtnachhaltigen transnationalen Konzernen mitzuhalten. Damit die Wirtschaft also von Green Jobs profitiert, braucht es eine Klimaschutzpolitik, die klimafreundliches Wirtschaften belohnt. Das Potenzial in Österreich haben wir definitiv – und Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich progressiv für den Klimaschutz einsetzen möchten, auch.
DIE FURCHE · 35 31. August 2023 Gesellschaft/International 9 Der Krieg stellt die Menschen in der Ukraine in allen Bereichen vor existenzielle Fragen. Doch nicht alle haben beschlossen, ihre Lebensplanung bis auf Weiteres auf Eis zu legen. Zu Besuch in einer Geburtenklinik in Kiew. Kriegswehen Die Geburtenrate in der Ukraine ist um 28 Prozent eingebrochen. Aber es gibt auch jene, die beschlossen haben, sich den Umständen nicht zu beugen und ihr Leben weiterzuleben. Von Stefan Schocher Draußen zwitschern die Vögel, die Sonne scheint. Und drinnen, da reckt sich ein Baby in seinem Strampler, eine dicke Spuckeblase vor dem Mund, einen zaghaften Blick in die Welt riskierend. Vier Stunden ist der kleine Bub gerade einmal alt, hat noch nicht einmal einen Namen. Sie wisse noch nicht, wie sie ihn nennen solle, sagt Lilla, die Mutter, streichelt den kleinen Kopf. Sie liegt auf einem Bett. Sichtlich müde ist sie, sichtlich glücklich. Eine harte Nacht hat sie hinter sich. Denn zu den Presswehen haben sich Luftalarme gesellt – gleich drei hinterei nander. Da heißt es in der Geburtsklinik Nummer drei in Kiew dann: Alles ab in den Keller. Und zwar rasch. Fünf Minuten dauert das. Dann wieder rauf, dann aber doch wieder runter, dann wieder rauf, dann noch einmal runter. Letztlich aber hat der kleine Junge dann doch oben das Licht der Welt erblickt. Um 6.20 Uhr an einem Donnerstag. Lebensplanung auf Eis Man hat sich eingestellt auf die Umstände hier. Im Keller sei alles vorhanden, was eine Geburtsklinik brauche, sagt Ljubow Mochalowa. Sie ist Geburtsärztin in der Klinik. Aber da ist dann doch immer dieses mulmige Gefühl: Geburtskliniken stehen auch auf der Liste der Ziele Russlands in diesem Krieg. Die Klinik in Cherson hat die russische Artillerie nach der Rückeroberung der Stadt im November gleich mehrmals hintereinander beschossen. Auch in Saporischschja wurde eine Geburtsklinik getroffen, in Toretsk ebenfalls. Auch so in Kiew, als die Stadt noch belagert war. Und der massive Angriff auf die Geburtsklinik von Mariupol am 9. März 2022 war wohl einer der einprägsamsten Wegpunkte in diesem Krieg. „Ja, wir haben Angst“, sagt Ljubow Mochalowa. Und deswegen wird ausnahmslos in den Keller gegangen, wenn die Sirenen heulen. Lilla sagt dazu: Es sei gar nicht so schlecht gewesen, sich zu bewegen, etwas zu gehen. Aber in ihrem vollen Umfang lassen sich die Folgen dieses Krieges nicht leugnen : „Natürlich, der Stress wirkt sich aus“, sagt Gynäkologe Ruslan Dowgalow, der ebenfalls in der Geburtsklinik Nummer drei tätig ist. Er zählt die Komplikationen auf, Foto: Stefan Schocher „Auf dass er nie in seinem Leben Krieg sieht“ die ständige Luftalarme, Flugabwehrfeuer und Explosionen auch im einigermaßen sicheren Kiew nach sich ziehen: vorzeitige Blasensprünge, Kontraktionen, Blutungen. „Es gibt sehr viel mehr Frühgeburten“, sagt Dowgalow. Valeria im Zimmer neben Lilla erzählt, wie sie sich die letzten Wochen bei Alarmen in den Keller geschleppt habe. „Bei fast allen Alarmen“, sagt sie. Sie wiegt den Kopf, lässt ein „pff“ durch die Zähne zischen. Mitunter habe sie es aber einfach nicht mehr geschafft. Sie hebt ihre Tochter vorsichtig aus dem Bettchen, sieht sie an, sagt fragend: „Arina? Maria?“ Sie könne sich nicht entscheiden. Lacht müde. Auch sie hat eine lange Nacht hinter sich. Auch sie musste mehrmals in den Keller. Und das kleine Mädchen hat wenig geschlafen. Aber jetzt wartet sie auf ihren Mann und die Schwiegermutter. Es geht ab nach Hause. Vor allem aber hat dieser Krieg eine markante Folge, die sich statistisch bereits niederschlägt: Es kommen sehr viel weniger Kinder zur Welt. Laut jüngsten Zahlen ist die Geburtenrate in der Ukraine im ersten Halbjahr 2023 um satte 28 Prozent eingebrochen. Und die demografischen Aussichten sind eher düster: Laut dem „Ptoukha Institut für demografische Studien“ könnte die Bevölkerung der Ukraine bis 2030 auf 35 Millionen sinken. Aktuell sind es 43 Millionen. Die Geburtenrate ist dabei nur ein Faktor. Andere sind die Abwanderung überwiegend junger Leute und daraus resultierend Überalterung sowie nicht zuletzt auch die Gesamtlage des Gesundheitssystems, die sich verschlechtert hat. 873 Spitäler, Polikliniken oder medizinische Einrichtungen wurden seit Beginn der offenen Invasion Russlands im Februar 2022 beschädigt oder zerstört. Und landesinterne Migrationsbewegungen in Richtung des Westens des Landes haben zur „ Vor allem ist die Nachfrage nach Verhütungsmethoden gestiegen, während es die Nachfrage nach Abtreibungen nicht ist. “ Folge, dass die medizinische Infra struktur in von Kriegshandlungen weniger betroffenen Landesteilen an ihre Grenzen gerät. Für die Geburtsklinik Nummer drei in Kiew bedeutet das konkret, wie Ljubow Mochalowa sagt: „Anstatt früher rund zehn Geburten pro Tag sind es heute um die sechs.“ Aber auch die Gewichtung der Fragen, mit denen sie als Medizinerin konfrontiert werde, sei eine ganz andere in diesen Zeiten: „Vor allem ist die Nachfrage nach Verhütungsmethoden stark gestiegen“, sagt sie – während die Nachfrage an Abtreibungen nicht Lesen Sie zu den Hintergründen die multimediale Aufbereitung „Ein Jahr Krieg in der Ukraine“ (17.2.2023) auf furche.at. gestiegen sei. Sie sagt das, als hätte sie anderes erwartet. Nach eineinhalb Jahren offenem Krieg mit Russland fasst sie die Lage nun so zusammen: „Es gibt Paare, die beschlossen haben, ihr Leben auf Eis zu legen, und alle Lebensplanung bis auf Weiteres aufgegeben haben. Es gibt aber auch Paare, die haben beschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, weiterzumachen, und die ihren Stress mit Sex lindern. Und es gibt Leute, die sind ins Ausland gegangen.“ Letzteres sind vor allem Frauen. Und da sagt Mochalowa: Man wisse ja nicht, ob diese Frauen nicht im Ausland auch wieder Kinder bekämen, mit denen sie dann eines Tages wieder zurückkommen würden. Das Leben leben Lillas Sohn war jedenfalls nicht geplant. Lilla lacht. Sie hat bereits zwei Kinder. Der Knirps neben ihr ist ihr drittes. Auch sie sitzt auf gepackten Koffern, wartet darauf, abgeholt zu werden. Über den Korridor rennt Pavel mit langen Schritten, einen riesigen Blumenstrauß in der Hand, reißt die Tür auf, wirft den Strauß dann aber sofort in eine Ecke, wo er liegen bleibt und keine Beachtung mehr findet. Er umarmt seine Frau Lilla, beugt sich über seinen Sohn. Ein Stefan. Aus der Region Luhansk kommen die beiden Anfang-20-Jährigen. Aus der Stadt Sjewjerodonezk. Doch Sjewjerodonezk gibt es nicht mehr. Lange hätten sie gezögert, erzählt Lilla. Lange hätten sie beide überlegt, ob es denn der geeignete Zeitpunkt sei, um zu heiraten, vielleicht ein Kind zu haben irgendwann einmal. Und dann hat der Krieg begonnen. „Da haben wir damit aufgehört“, sagt Lilla. Sich vom Hass anderer am eigenen Leben hindern zu lassen, sei keine Option gewesen. Sie sagt: „Wir haben beschlossen, unser Leben zu leben. Wir haben geheiratet.“ Sie macht eine Pause, sieht Pavel an und sagt: „Und jetzt haben wir einen Sohn.“ Klein-Stefan reckt ein Händchen. Der Name, der solle ihren Sohn beschützen, sagt Pavel. Stefan leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet Krone oder der Gekrönte, wird aber auch als Sieger oder der Weise interpretiert. Pavel sagt: „Auf dass er nie in seinem Leben Krieg sieht.“ Und immerhin: Seine ersten Luftalarme hat Klein-Stefan verschlafen.
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