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DIE FURCHE 30.11.2023

DIE FURCHE · 4824

DIE FURCHE · 4824 Ausstellung30. November 2023Die Albertina zeigt in „Michelangelo und dieFolgen“, wie das Wirken des Renaissancemalerszum Maßstab für Künstler der folgendenJahrhunderte wurde.Meister desMuskelspielsLesen Sie dazuauf furche.atauch „Der göttlicheKünstler“(14. September2022) desmittlerweileverstorbenenNikolaus Halmer.Von Theresa SteiningerDie Muskeln sind angespannt,der ganzeKörper wirkt wie einBogen kurz vor demAbschuss des Pfeilsoder ein Tiger vor dem Sprung,die Anstrengung zeichnet sich ab,die Anatomie ist auf das Genauestewiedergeben: Die ZeichnungenMichelangelo Buonarrotissind nicht nur besonders eindrucksvollfür heutige Betrachter,sie waren es auch für nachfolgendeKünstler über Jahrhunderte.Welchen Einfluss er auf vieleGenerationen hatte, zeigt derzeiteine Ausstellung in der Albertina.„Michelangelo und die Folgen“baut auf Blättern auf, die dasStrotzendvor KraftGut gebauteHeroenkörperstanden im FokusMichelangeloBuonarrotis. ImBild ein sitzenderJünglingsakt undzwei Armstudienum 1510/11 (Rötel,weiß gehöht).„ Michelangelos Figuren wirkenin jeder Faser ihres Körpersangespannt – und gerade dadurchauch innerlich zerrissen. “Foto: ALBERTINA, WienHaus von diesem Renaissancemeisterbesitzt – und präsentiert,wie seine Arbeit, vor allemwas männliche Akte betraf, zumvorbildhaften Kanon wurde, ja,zum „unübertroffenen Maßstab“,wie Albertina-Direktor Klaus A.Schröder dies formuliert.Studien von muskulösen Männernstehen gleich am Beginn derSchau, wenn man einen Einblickbekommen soll, wie Michelangelo„Die Schlacht von Cascina“ geplanthatte. Zwar wurde das Gemäldenie fertiggestellt und sinddie Kartons verloren, doch Kopienzeigen, wie er die Wiedergabeder Körper der Florentiner,die im Arno baden und raschzu ihren Waffen greifen, minutiösvorbereitete. Generell wardas Studium der Muskulatur inseinen gut gebauten Heroenkörpernfür ihn nie Selbstzweck,sondern Mittel zum Ausdruckvon Dynamik. Seine Figuren wirkenin jeder Faser ihres Körpersangespannt – und gerade dadurchauch innerlich zerrissen.In der Albertina wird auch aufdie Vorbildwirkung der zu seinerZeit wiederentdeckten Laokoongruppefür Michelangelo verwiesen,in der der Priester im Todeskampfin Verrenkungen derVerzweiflung und der äußerstenAnspannung zu sehen ist.Wie stark seine Strahlkraft ihrerseitsauf Zeitgenossen undNachwelt war, kann man dannin den nächsten Räumen umfassendstudieren: Zu sehen sindWerke von sechzig Künstlern ausvier Jahrhunderten. Aufgegriffenwurden seine präzise Arbeitsweiseund seine künstlerischeFormensprache beispielsweisevon Raffael, Baccio Bandinelliund Domenico Beccafumi. EinGipsabdruck von Michelangelosberühmter Pietà ist – als eineder wenigen Skulpturen inder ansonsten auf Zeichnungenund Druckgrafik konzentriertenSchau – etwa mit einer Jesusdarstellungvon Rosso Fiorentino gegenübergestellt,der den Oberkörperin Todesqualen hochgewölbtzeigt, während Giovanni BattistaFranco in seiner mehr Ruheeinbringt, beide aber die genauenAnatomiestudien Michelangelosfortsetzen. Nicht von ungefährkam das Gerücht auf, Michelangelomüsse einen Menschen getötethaben, um die menschlicheAnatomie so genau zu kennen.Zur Unkenntlichkeit gesteigertDas Streben nach dem Arbeitennach der Natur führten dann HendrickGoltzius oder Tintoretto als„Sacco di nocce“ ad absurdum, diedas Ideal des kraftvollen Körpersbis zur Unkenntlichkeit steigerten.Ein anderes Extrem hängt inder Albertina gegenüber: Darstellungenfreigelegter Muskeln undSehnen, „Écorché“ genannt. ZurÜbersteigerung des Schönheitsidealsentwickelten sich auch einigeBilder des Herkules Farnese,nun mit extrem übertriebenenMuskelpartien.Als Konterpart zu Michelangelosheroischen Idealfigurenwerden dann Arbeiten von Rembrandtpräsentiert. Er studierteebenfalls die Natur, doch ginger schonungslos vor und suchtenicht nach Schönheit, sondernmachte „vor keiner Hässlichkeithalt“, wie Schröder es ausdrückt.Bei Rembrandt gibt es faltige Hautund hängende Bäuche und Brüste.Apropos: Der Darstellung derFrau widmet man in dieser Ausstellungein eigenes Kapitel, vielmehrdem Faktum, dass sichKünstler viel seltener mit derrein ästhetischen Darstellung desFrauenkörpers befassten. Meistwurden sie, so der Sukkus, alsEva, Hexe, Helena oder als Prostituierteporträtiert. Auch Michelangelobetrachtete die Darstellungvon Frauenkörpern alsnachrangig, er fügte seinen wohlproportioniertenKörpern einfachweibliche Attribute hinzu.Die Untersuchung, wie stark MichelangelosVorbildwirkung aufKünstler vieler Jahrhunderte war,schließt in der Albertina mit Werkenvon Egon Schiele und GustavKlimt. Diese sollen für eine Zeitstehen, in der das Körperideal, dasder Renaissancekünstler einsteingeführt hatte, nicht zuletztdurch die Weltkriege an Bedeutungverlor, ja, in der das Bild dervor Kraft strotzenden Körper vonHeroen endgültig überholt war.Michelangelo und die FolgenBis 14. Jänner, Albertina Wienwww.albertina.atIN KÜRZEKUNST■ ParthenonfriesLITERATUR■ Booker-Preis 2023WISSEN■ Miniherzen im ReagenzglasMEDIEN■ Concordia zu ORF-GremienDer Streit über die griechische Forderungnach Rückgabe des im Britischen Museumausgestellten Parthenonfrieses führte zu einemdiplomatischen Eklat: Der britische PremierministerRishi Sunak sagte Stunden voreiner Begegnung mit seinem griechischenKollegen Kyriakos Mitsotakis den Termin ab.Sunaks Sprecher erklärte, Athen habe zugesichert,die Forderungen nicht öffentlich zudiskutieren. Diese Absprache sei gebrochenworden – daher habe der Premier nicht mehrdas Gefühl gehabt, dass ein Treffen produktivwäre. Athen will die Anfang des 19. Jahrhundertsnach London verbrachten Kunstschätzeins Athener Akropolis-Museum überführen. Der irische Schriftsteller Paul Lynch hatfür seinen aktuellen Roman „Prophet Song“den britischen Booker-Literaturpreis 2023erhalten. Darin erzählt er die Geschichte einerFamilie, die unter einer tyrannischenirischen Regierung leidet, vor dem Hintergrundder Verwerfungen und zunehmendautoritären Tendenzen in den westlichenDemokratien. Mit seinem Werk fange er diesozialen und politischen Ängste unsererZeit ein, so die Begründung der Jury. Es handeltsich um den fünften Roman des 46-jährigenehemaligen Filmkritikers, der in Dublinlebt. Der Booker-Preis ist mit 50.000Pfund (rund 57.500 Euro) dotiert. Miniaturherzen (Herzorganoide) mit linkerund rechter Pumpkammer sowie Vorhofwachsen aus menschlichen Stammzellenin Reagenzgefäßen: Die Befunde ausdiesem Experiment einer Forschungsgruppeum den Biologen Sasha Mendjan vom Institutfür Molekulare Biotechnologie (IMBA)der ÖAW wurden nun in der FachzeitschriftCell vorgestellt. Die Miniherzen entwickelnsich wie echte Herzen bei der Embryo-Entstehungund beginnen rhythmischzu schlagen. Diese „Mehrkammer-Kardioide“ermöglichen etwa Medizinern, Entwicklungsstörungenund Krankheiten derlebenswichtigen Blutpumpe zu erforschen.Der Presseclub Concordia hat nach dem imOktober getroffenen VfGH-Entscheid zur Zusammensetzungdes ORF-Stiftungs- und -Publikumsratesein Positionspapier veröffentlicht.Zu den Forderungen des Presseclubszählt u. a. eine gesetzliche Verankerung desGrundsatzes der Interessenwahrung der Allgemeinheit,an den Gremien und Managementgebunden sind. Unternehmensbeteiligungensollen „auf ihre Vereinbarkeit mitder öffentlichen Aufgabe geprüft werden“.Zudem fordert der Presseklub eine „transparente,begründete und überprüfbare“ Bestellungder Stiftungs- und Publikumsräte sowiedes Managements.

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