DIE FURCHE · 18 8 International/Geschichte 2. Mai 2024 Das Gespräch führte Dennis Miskić A lbanien will in die EU und ringt weiterhin mit seiner grausamen kommunistischen Vergangenheit. Südosteuropakenner Konrad Clewing spricht im Interview über eines der brutalsten Regime der Welt, weshalb man sich in Albanien trotzdem (oder gerade deshalb?) über die eigene Vergangenheit ausschweigt und inwiefern die Aufarbeitung der Vergangheit wird die Zukunft prägen müssen. DIE FURCHE: In der öffentlichen (Polit)-Debatte wird der Staat Albanien häufig mit dem gesamten ex-jugoslawischen Raum zusammen gedacht und eher undifferenziert beleuchtet. Wird man damit dem Land gerecht? Konrad Clewing: Das „Zusammendenken“ mit dem früher jugoslawischen Bereich, hat in erster Linie mit Unwissen zu tun. Das Albanische ist beispielsweise eine vollkommen andere Sprache und stellt in sich selbst eine ganz eigene Sprachfamilie des Indogermanischen dar. Überdies hat es mit seiner antiken Vorgeschichte eine viel ältere Präsenz auf dem Balkan als die slawischen Sprachen. Auch historisch hat Albanien eigentlich keinen näheren Bezug zum ex-jugoslawischen Raum, außer dass es gemeinsam mit dessen Süden früher auch einmal osmanisch war. Heute wird aber in der Tat die gesamte Region oft als einheitlich betrachtet und das hat seine zentrale Wurzel in der Westbalkan-Politik der EU. Die jeweiligen Entscheidungsträger scheinen nicht genau zu wissen, was sie mit den dort noch nicht beigetretenen Staaten machen sollen, und begreifen sie von diesem Problem hergedacht als homogene Region. Umbruch, Aufbruch Eine historische Aufnahme vom Sturz des Enver- Hoxha-Denkmals in Tirana (Hauptstadt Albaniens) im März 1991. „ Mir war bis 1991 die Einreise verwehrt worden, weil ich beim ‚falschen‘ Professor, der dem Regime also ideologisch nicht nahestand, Albanisch gelernt hatte. “ DIE FURCHE: Woher kommt dieses Unwissen in Mitteleuropa über Albanien? Clewing: Zum einen hat die Isolation zur kommunistischen Zeit natürlich Kontakte verhindert und abgebrochen. Man wusste auch deshalb lange wenig von Albanien, weil zum Beispiel kaum jemand dort hinfahren konnte. Die Einreisekontingente wurden klein gehalten, und bis zuletzt gab es auch konkrete Ablehnungsgründe für unliebsame Personen. Ich beispielsweise habe 1987 angefangen, Albanisch zu lernen, und konnte erst 1993 zum ersten Mal KLARTEXT Deutschland zuerst? Am Wochenende hat die AfD ihren Europawahlkampf gestartet. Dabei präsentierte sich die in Teilen rechtsextreme Partei als „Alternative für Deutschland“, die sich unbestechlich für „unser Land zuerst“ einsetze. Der EU-Spitzenkandidat war beim Wahlkampfauftakt aber nicht zugegen. Die Parteiführung vermied es, den Namen Maximilian Krah auch nur zu nennen. Das tun dafür seit Tagen nicht nur deutsche, sondern auch internationale Medien bis hin zur New York Times. Denn gegen einen von Krahs Mitarbeitern ist Haftbefehl wegen Verdachts auf Spionage für China erlassen worden. Gegen Krah selbst laufen Vorermittlungen bezüglich möglicher chinesischer Einflussnahme. Da die Unschuldsvermutung greift, gehen wir vorerst davon aus, dass Krahs auffallend china-freundliches Engagement seiner selbstlosen Überzeugung entspricht. Für seine Russland- Nähe gilt das Gleiche. Krah erklärte, dass auch an den gegen ihn laufenden Vorermittlungen nichts dran sei, wonach er Geld aus kremlnahen Quellen erhalten habe. Nachdem sich die AfD Die Verschmelzung von nationalistischen und marxistischen Elementen wurde von Albaniens Hoxha-Diktatur auf die Spitze getrieben, sagt Südosteuropakenner Konrad Clewing. Über ein Land, das sich als ersten atheistischen Staat der Welt begreift und gen Moderne strebt. „Antiklerikaler Touch allerorts“ ins Land. Bis 1991 war mir die Einreise verwehrt worden, weil ich beim „falschen“ Professor Albanisch gelernt hatte. Die genehmigten Kontakte wurden vom Regime möglichst auf solche Personen beschränkt, die das Regime als ideologisch nahestehend empfunden hat. Von Susanne Glass entschlossen hat, ihren Spitzenkandidaten vorerst lieber zu verstecken, hätte sie beim Wahlkampfauftakt auf die Nummer zwei der Liste zurückgreifen können. Aber Petr Bystron musste ebenfalls zu Hause bleiben. Auch er steht wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken unter Korruptionsverdacht. Auch er bestreitet dies. Es soll aber Tonbandmitschnitte geben, auf denen sich Bystron darüber beschwert, dass ihn die Russen mit 200-Euro- Scheinen honoriert hätten. Dabei würden diese Scheine bei Barzahlung in Deutschland oft nicht akzeptiert. Sollte das stimmen, dann hätte der AfD-Politiker zumindest an Deutschland gedacht, als er sich fragte, wo die ausländischen Gelder unters Volk zu bringen sind. Das immerhin wäre ganz im Sinne von „unser Land zuerst!“ Die Autorin ist Redaktionsleiterin Ausland und politischer Hintergrund beim Bayerischen Rundfunk. Foto: Anna Perezolova Konrad Clewing ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg DIE FURCHE: Auch die Brutalität der Enver Hoxha-Diktatur wird selten thematisiert. Wie muss man sich das Regime vorstellen? Clewing: Es war zunächst ein in Anführungsstrichen normales, aus dem Partisanenkampf hervorgegangenes kommunistisches Regime. Durch den Streit Titos mit der Sowjetunion, in dem sich Albanien auf die Seite der Sowjetunion stellte, hat sich zunächst ein relativ gewöhnliches Regime sowjetischen Typs entwickelt. Es hat sich dann aber verselbstständigt und ist am Ende in die eigene Isolation gegangen. Insofern war es schon besonders. Die Herrschaftsform war ein von starken nationalkommunistischen Elementen geprägtes, aber explizit marxistisches Regime. Man geht in die Irre, wenn man diese Kernkomponente übersieht und es nur als nationalistisch betrachtet. Hoxha-Albanien hat sich selbst als das Land verstanden, das nach der Entstalinisierung in der Sowjetunion den Kommunismus in der reinsten Form in Europa und vielleicht auf der Welt vorgelebt hat. Es gab keinerlei Autonomie neben der Partei. Durch die zunehmend gegen alles „Fremde“ verbreiteten Bedrohungsängste und die auch zur Herrschaftsstabilisierung dienenden Elemente, die diese Isolation an sich hatte, war es ab den 1970ern ein sehr eigenes und von der Welt großteils abgeschottetes Regime. Aber es ist nicht so, dass es innersozialistisch total aus dem Rahmen fallen würde. Man kann jenseits Jugoslawiens viele Parallelen in Ost- und Südosteuropa finden. DIE FURCHE: Zum Beispiel? Clewing: Albanien hat sich am krassesten verselbstständigt, aber sich gegenüber der Sowjetunion zu verselbstständigen ist ja nun etwas, was auch in Jugoslawien stattgefunden hat, innerhalb der sozialistischen Staatenwelt. Rumänien konnte zwar nie mit der Sowjetunion brechen, zeigt aber in der außenpolitischen Praxis viele Gemeinsamkeiten mit Albanien auf. Der Marxismus war in der Wahrnehmung seiner südosteuropäischen Propagandisten die reinste Verkörperung der Nationalidee. Diese Verschmelzung von nationalistischen und marxistischen Elementen eint alle Regime in Südosteuropa. Albanien hat dies allerdings auf die Spitze getrieben, Foto: Getty Images / Sovfoto / Kontributor was sich auch im Verhältnis zur Religion zeigt. Diese Zuspitzung hat sich ausgedrückt im Verbot aller Religionen und in der Erklärung zum ersten und einzigen atheistischen Staat der Welt. DIE FURCHE: Wie hat sich die Diktatur konkret auf die Bürger ausgewirkt? Clewing: Jede Opposition war lebensgefährlich. Als erstes wurden zunächst einmal die politischen Gegner aus dem Zweiten Weltkrieg eliminiert. Fast aller Besitz wurde enteignet und die Verbotskultur gegenüber den Religionen war enorm. Im Zuge der Isolation wurden dann nicht nur Kontakte nach außen eingeschränkt, sondern auch innerhalb des Landes selbst. Nur wer es aus der Sicht des Regimes verdiente oder wer Kontakte hatte, konnte sich im Land einigermaßen frei bewegen. Wenn jemand aber beispielsweise Familienmitglieder in Amerika hatte, dann hatte man in der Regel 40 Jahre lang keinen Kontakt. DIE FURCHE: Trotzdem blieb es religiös tolerant. Wie passt das zusammen? Clewing: Religiös tolerant war die Gesellschaft. Das Regime war intolerant gegenüber allen Religionen. Ab 1967 waren alle Religionen verboten. Und das ist in dem Sinne auch kein Widerspruch dazu, dass das Land religiös tolerant geblieben ist. Es wurde nicht differenziert. Die muslimische Mehrheit wurde in religionspolitischen Fragen genauso unterdrückt wie alle anderen auch. Und das ist auch einer der Gründe, warum die Rückkehr zu gelebter religiöser Toleranz nach der Wende relativ einfach war. Der andere Grund ist, dass die albanische Nationswerdung ab dem 19. Jahrhundert per se religionsübergreifend ausgerichtet war. Die dezidierten Nationalaktivisten des späten 19. Jahrhunderts hatten fast alle einen antiklerikalen Touch, egal von welchem religiösen Hintergrund sie kamen. In Albanien hat man versucht, die religiösen Verschiedenheiten zu einen oder zu überbrücken und tut es im Wesentlichen auch heute noch. DIE FURCHE: Wie wird heute mit der kommunistischen Geschichte umgegangen? Clewing: Der Umgang ist auf jeden Fall sehr problematisch. Der Staat war nach dem Regimewechsel abgewirtschaftet und unheimlich arm. Auch deshalb konnte sich die Elite über den Wechsel hinweg halten. Das ist zugleich einer der Gründe, warum die vorherige Unterdrückung so lange stark tabuisiert war. DIE FURCHE: Vor kurzem wurde in Albanien eine Ausstellung eröffnet, die an politische Gefangene im Gefängnis Spaç erinnern soll. Sehen Sie das als einen ersten Schritt in Richtung Vergangenheitsaufarbeitung? Clewing: Spaç war eines der brutalsten Straflager im kommunistischen Regime. Ja, es gibt nun erstmals ernsthaft einen Anlauf der Regierung, einen Gedenkort daraus zu machen. Hier wird aktiv daran gearbeitet, die Tabuisierung zu durchbrechen. Die von der Sozialistischen Partei angeführte Regierung, die sehr erratisch ist in ihrem Verhalten, aber tendenziell das kommunistische Regime schönredet in ihrer Geschichtspolitik, kann das nun nicht mehr so uneingeschränkt machen DIE FURCHE: Wie bewerten sie die heutige politische Lage in Albanien? Clewing: Eine Diktatur ist es längst nicht mehr. Andererseits ist die politische Szene stark polarisiert und eine gut funktionierende Demokratie ist Albanien nicht. Es hat sich jedoch im Vergleich zum Ausgangspunkt weit in Richtung Demokratisierung und Rechtsstaat entwickelt. Heute ist es NATO-Mitglied, was zur Zeit der Diktatur höchstens individuelles Wunschdenken und/oder ein Albtraum für das Regime gewesen wäre. Noch heute gibt es viel Korruption und Machtmissbrauch. Das würde ich aber nicht als prägendstes Element darstellen. Das Gesamtbild zum Stand von heute ist ein Positives.
DIE FURCHE · 18 2. Mai 2024 Philosophie/Religion 9 Konrad Paul Liessmann gibt im Interview zu, „kein großer Hoffer“ zu sein und philosophiert über die (Klima-)Hölle, das Bildungssystem und den Sinn des Lebens. „Hoffnung ist ein illegitimes Kind der Freiheit“ Das Gespräch führte Philipp Axmann Immanuel Kant hat mit vier Fragen die Philosophie zusammengefasst: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und: Was ist der Mensch? DIE FURCHE sucht in einer Serie Antworten. Ausgehend von der Frage „Was darf ich hoffen?“ erklärt der Philosoph Konrad Paul Liessmann im Podcast-Gespräch, was Hoffnung mit Feigheit zu tun hat, warum auch moderne Prognosen nicht ohne Hoffnung auskommen, und beantwortet die Frage, ob alles gut wird. DIE FURCHE: Was darf ich hoffen? Konrad Paul Liessmann: Das Interessante an dieser kantischen Frage liegt genau in ihrer Formulierung. Er schreibt nicht: „Was kann ich hoffen?“ oder „Was soll ich hoffen?“ Im „Dürfen“ steckt eine Vorüberlegung: Der Akt des Hoffens ist bei Kant nicht etwas, das man beanspruchen kann. Es gibt bei ihm kein Recht auf Hoffnung. DIE FURCHE: Gibt es also nicht für jeden eine Hoffnung? Liessmann: Man muss laut Kant bestimmte Vorleistungen bringen, damit Hoffen erlaubt ist. Da geht es vor allem um Lebensführung. Wer sich sittlich verhält, bei Kant also nach dem kategorischen Imperativ handelt, der darf vielleicht hoffen, dass ihm das eine Form von innerer Glückseligkeit verschafft, die nicht mit materiellen Glücksgütern gleichgesetzt werden darf. Doch es geht auch über das irdische Leben hinaus. Auch bei Kant ist diese Hoffnung bis zu einem gewissen Grad mit der alten, religiösen Vorstellung kontaminiert, dass gute Werke die Chance auf eine ewige Seligkeit eröffnen. Einen Rechtsanspruch hat man trotzdem nicht, und schon gar nicht kann man sich die Seligkeit erkaufen, wie manche gefinkelte Theologen den Menschen weismachen konnten. DIE FURCHE: Ist die Frage nach der Hoffnung bei Kant religiös zu verstehen? Liessmann: Nicht ausschließlich, aber auch. Bei Kant ist Hoffnung mehr als säkularer Optimismus. Es ging ihm nicht um alltägliche Hoffnungen, die eher Wünsche sind, oder um die Hoffnung auf ein besseres Leben, sondern um Hoffnung, die in der Er- füllung des Sittengesetzes liegt und über das irdische Dasein hinausgeht. Hoffnung also auf die Unsterblichkeit der Seele, auf Auferstehung oder die göttliche Gerechtigkeit. Es gibt keine wirklich vernünftigen Gründe, diese Dinge anzunehmen, wir können sie nur hoffen. DIE FURCHE: Kann Hoffnung auch eine Verpflichtung sein? Sollen wir hoffen, wenn wir dürfen? Liessmann: Nein, dann hätte Kant die Frage anders formuliert. Um die Pflichten geht es in seiner Frage: Was soll ich tun? Man kann aber argumentieren, dass eine gewisse hoffnungsfrohe Einstellung die Pflichtforderung, ein moralisches Leben zu führen, erleichtert. Wenn ständig hoffnungslose, griesgrämige Menschen um uns wären, die ohnehin nicht daran glauben, dass sich irgendwas bessern wird, dann werden die wahrscheinlich auch keine besondere Intention haben, moralisch qualifiziert zu handeln. Hoffnung selbst kann aber keine moralische Pflicht sein, weil es keine zwingenden Vernunftgründe gibt, die uns darlegen, was wir zu hoffen hätten. DIE FURCHE: Sie haben jetzt schon den Optimismus von der Hoffnung getrennt. Was unterscheidet sie vom Glauben? Konrad Paul Liessmann zählt zu Österreichs bekanntesten Philosophen. Er ist Co-Intendant des „Philosophicum Lech“. Foto: Philosophicum Lech „ Zuerst sparen Unis und Schulen immer bei den musischen Fächern, denn sie haben angeblich keinen Zweck. Das ist ein großer Irrtum. “ Liessmann: Im Christentum ist der Glaube ein unbedingtes Einlassen auf Gott und der Glaube, dass Gott in Christus Mensch geworden ist. Die damit verbundenen Erwartungen an Heil, Erlösung, Unsterblichkeit und Gerechtigkeit können wir Hoffnung nennen. Der Glaube allein rechtfertigt sie noch nicht, er ist die Voraussetzung der Hoffnung. In einem anderen Kontext ist die Hoffnung als Zukunftserwartung recht gut trennbar vom Glauben: Ich kann etwas glauben, erwarten oder befürchten und dennoch das Gegenteil erhoffen. Die Hoffnung enthält immer ein großes „Trotzdem“. Ich weiß, was alles schiefzugehen droht, aber trotzdem hoffe ich, dass es nicht eintreten wird. Theologisch gesprochen können wir auch sagen: Der Glaube schützt uns nicht davor zu wissen, dass wir alle Sünder sind und keinen Erlösungsanspruch haben. Darauf können wir nur hoffen. Illustration: Rainer Messerklinger DIE FURCHE: Der Philosoph Günther Anders sagte, Hoffnung sei nur ein anderes Wort für Feigheit. Sören Kierkegaard schrieb: „Wer nichts als hoffen will, ist feige.“ Stimmen Sie zu? Liessmann: Das ist eine bedenkenswerte Position. Günther Anders bezieht sich vor allem auf die politischen Perspektiven der Hoffnung. Er übernimmt die kritische Position, dass in der Hoffnung der Keim der Untätigkeit angelegt ist. Sinngemäß: Mir fehlt der Mut, mir fehlt die Risikofreudigkeit, etwas zu tun. Aber ich hoffe, dass sich die Dinge doch noch gut entwickeln. Damit nehme ich mich aus der Verantwortung, selbst zu handeln. Wer glaubt zu wissen, was getan werden muss, der macht Pläne zur Umsetzung und braucht eigentlich keine Hoffnung. In der Hoffnung steckt schon ein utopisches Moment, dass sich um die Realität der Dinge nicht kümmert. Anders’ Formulierung zielt gegen seinen Freund Ernst Bloch, der das „Prinzip Hoffnung“ formulierte und als utopische Kraft des Menschen beschrieb. Anders kritisiert, dass, wer den Blick nur auf die Utopie richtet, auf den Nichtort, wie sie übersetzt heißt, auf das vergisst, was Hier und Jetzt getan werden muss. DIE FURCHE: Brauchen wir im Zeitalter von Prognosen und Zukunftsforschung überhaupt noch Hoffnung? Liessmann: Oh ja! Nämlich die Hoffnung, dass diese Prognostiker und Zukunftsforscher sich nicht irren. Da haben wir wieder den Zusammenhang von Glaube und Hoffnung: Die ganze Prognostik unserer Tage lebt von dem Glauben an die Möglichkeit, zumindest einen Teil der Zukunft vorwegzunehmen. Wenn man ehrlich wäre, müsste man zugeben, dass die empirische Erfahrung zeigt, dass das nicht der Fall ist. Wenn wir im Nachhinein überprüfen würden, ob all die Prognosen von Zukunftsforschern eingetreten sind, wir würden feststellen: 90 Prozent waren Fehlprognosen. Wir haben zwar unzählige Male die Erfahrung gemacht, dass Prognostiker sich irren, aber wir hoffen nach wie vor, dass der, der heute eine Prognose stellt, vielleicht derjenige ist, der sich gerade nicht irrt. Eine schwache Hoffnung. DIE FURCHE: Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber sie stirbt? Liessmann: Es gibt Situationen, in denen man auch die allerletzte Hoffnung aufgibt. Das Sprichwort deutet an, dass man unter bestimmten Umständen immer noch hoffen kann, auch wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Hoffnung steht am Beginn all unserer Handlungen: Wir hoffen, dass etwas gelingen wird. Und sie steht am Ende unserer Erfahrungen: Wenn wir nur noch hoffen können. Und irgendwann gibt es, zumindest für den Nichtgläubigen, nichts mehr zu hoffen. FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE