DIE FURCHE 18 24 2. Mai 2024 Von Manuela Tomic Spuckende Regenten MOZAIK Nach der Schule übte Großmutter mit mir die Namen jugoslawischer Regenten. Mit stolzer Stimme trug sie deren Nachnamen vor und ich musste sie nachsprechen. Ich bemühte mich, sie singend zum Klingen zu bringen. Wegen meiner kleinen Milchzähne spuckte ich durch den Raum und die Geschichte Jugoslawiens verteilte sich auf dem Sofa. Die drei Monarchen waren nicht schwer. Petar I., Aleksandar I. und Petar II. waren alle Karađorđevićs. Ivan Ribar leitete schließlich die Föderative Republik ein. Ribar heißt „Fischer“, und so stellte ich mir vor, er habe Jugoslawien mit einer Angel aufgefischt, bevor es untergehen konnte. Sein Nachfolger war am einfachsten zu merken. Der Name Tito klang wie ein Superheld aus einer Anime-Serie. Den Rest, sagte Großmutter, müsse ich gar nicht mehr kennen. Diese Männer seien unbedeutend und zu kurz an der Macht gewesen. Als ich ins Gymnasium kam, zog Großmutter zurück nach Bosnien. An der Wand im Klassenzimmer erblickte ich nicht mehr das Porträt von Thomas Klestil, sondern jenes des frisch gebackenen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Sein Gesicht erinnerte mich an seinen Namensvetter Ribar. Beide waren stolze Sozialdemokraten, studierte Rechtswissenschaftler und haben Weltkriege erlebt. Ich stellte mir vor, wie sie auf Großmutters Sofa sitzen, sich blendend unterhalten und dabei aufs Sofa spucken. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Illustration: Rainer Messerklinger Foto: Christopher Glanzl (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Jungen Migranten will Ahmad Mitaev den richtigen Weg weisen. Die Polizei will er aufklären. Seine eigene Geschichte reicht vom ehemaligen IS-Sympathisanten zum künftigen Informatik-Studenten. Der Tschetschene Ahmad Mitaev kämpft für mehr Toleranz. Gemeinsam mit dem Polizisten Uwe Schaffer wurde er zum TikTok-Star. Sie wollen beweisen, dass es auch anders geht. „Ich weiß, dass ich benutzt werde“ Von Manuela Tomic es nicht für die Kinder wäre, würde ich es nicht machen“, sagt Ahmad und schüttelt den Kopf. Der „Wenn 24-Jährige erzählt immer und immer wieder seine Geschichte: Geboren in Tschetschenien, mit den Eltern unter widrigsten Umständen vor dem Krieg geflüchtet, als Jugendlicher zum IS-Sympathisanten mutiert und wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft. Ahmad Mitaev klärt Jugendliche mit „ Als Muslim kann ich ihnen sagen, wenn jemand ihre Religion beleidigt und sie zurückschlagen, dann sind sie nicht besser als dieser Jemand. “ Migrationshintergrund auf. „Als Muslim kann ich ihnen sagen, wenn jemand ihre Religion beleidigt und sie zurückschlagen, dann sind sie nicht besser als dieser Jemand“, erzählt er. Es geht um Ehre und Stolz junger Männer, die in einer Spirale der Gewalt gefangen sind, schlechte Erfahrungen mit der Polizei oder auch Lehrern in der Schule gemacht haben, schlichtweg um jene Burschen, die in österreichischen Medien nur dann vorkommen, wenn es wieder eine Messerstecherei am Wiener Praterstern gegeben hat. Ahmad kümmert sich um sie. „Ich verdiene als Sozialarbeiter sehr wenig, für Interviews bekomme ich kein Geld und was habe ich davon, wenn jeder da draußen meine Geschichte kennt?“ Ahmad hat rundliche Gesichtszüge und kurz rasierte Haare. Doch in seinen Augen wacht eine Ernsthaftigkeit, die man in seiner Altersgruppe selten zu Gesicht bekommt. Wenn er über das Leben spricht, über seine Einstellung zu Medien und Politik, wirkt er reif, fast schon abgeklärt. „Ich weiß, dass ich gerade benutzt werde, aber ich mache es, damit Jugendliche ein Vorbild haben“, erzählt Ahmad, der auf der Plattform TikTok bereits ein Star ist. Seine Videos, die er gemeinsam mit dem Polizisten Uwe Schaffer aufnimmt, wurden bereits 20 Millionen Mal angeklickt. Das Prinzip ihres Kanals namens „Cop und Che“ ist einfach: Jugendliche schicken Fragen wie „Darf man als Polizist seine Dienstwaffe nach Hause nehmen?“, „Was passiert, wenn man auf die Polizei Böller schmeißt“ oder „Wenn wir von der Polizei davonlaufen, haben sie das Recht, zu schießen?“ Schon an den Fragen merkt man: die Realität dieser Jugendlichen ist eine andere. Ahmad stellt die Fragen, Uwe antwortet. Dass der Polizist oft in lässigem Ton mit Jugendlichen über Straftaten und ihre Folgen spricht, war manchen in der Behörde anfangs ein Dorn im Auge, erzählt Uwe im Buch „Cop und Che“ von der Journalistin Edith Meinhart, das gerade im Mandelbaum Verlag erschienen ist. Im Buch beschreibt die Journalistin Ahmads Lebensgeschichte und seine mittlerweile tiefe Freundschaft zu Uwe, den Ahmad als „Einhorn innerhalb der Polizei“ bezeichnet. Uwe, ein hagerer Mann mit grauen Haaren und einer rahmenlosen Brille ist ziemlich das Gegenteil des starken Ahmads. Doch Uwe ist ein Profi, ein erfahrener Polizist, der schon viele gefährliche Einsätze miterleben musste. Dennoch hat er sich seine Menschlichkeit bewahrt. Wenn seine Kollegen in Zwischentönen über die „aggressiven jungen Migranten“ sprechen, kann Uwe nicht viel damit anfangen. Für ihn sei es normal, „dass ein Jugendlicher auch mal Blödsinn macht.“ Er versucht, auf die Jugendlichen mit einer freundlichen Begrüßung zuzugehen. Und sein Engagement gemeinsam mit Ahmad, hat auch innerhalb der Polizei etwas bewirkt: Die Polizisten lernen, wie sie mit den Burschen sprechen. Sie können sie vor allem mit Charme packen, erklärt Ahmad. Und wenn sie einmal Blödsinn machen, dann müssen die Polizisten die Jungs nur fragen: „Was würde denn dein Vater und deine dazu Mutter sagen?“ In der tschetschenischen Kultur gehe es um einen starken Familienzusammenhalt, Respekt vor den Älteren und Anstand. Mit diesen Werten können sich Polizisten bei den Jugendlichen Gehör verschaffen, anstatt gleich loszubrüllen und zu schimpfen, so der Sozialarbeiter Ahmad. Und vieles davon werde mittlerweile auch umgesetzt. Ahmads Engagement zeigt Wirkung. Doch lange werde er das nicht mehr machen. Nächstes Jahr möchte er seine Matura nachholen und dann Informatik studieren, ein Unternehmen gründen. Ahmad hat große Pläne. „Meine Geschichte ist ja jetzt aufgeschrieben“, sagt er und lacht, „auch unsere Tipps für Behörden und Sozialarbeiter“. Ein wenig Genugtuung Noch gibt Ahmad wöchentlich Interviews. Von Journalisten habe er kein gutes Bild. „Leider schreiben die meisten reißerisch meine Verbrechen auf aber thematisieren nicht, was ich mit meiner Geschichte bezwecken will.“ Deshalb hat er bereits einem Chefredakteur ein zweites Interview verweigert. „Du wärst auf dem Cover gewesen“, sagte dieser. „Das habe ich doch gar nicht nötig“, winkt Ahmad ab und lacht. Journalisten, sagt er, seien sehr in ihrer eigenen Blase. Den Beruf würde er nie ergreifen wollen. Doch auch hier gebe es „Einhörner“ wie Edith Meinhart, die ehemalige Profil-Journalistin, die ihn und Uwe seit Jahren begleitet und ihre Geschichte erzählt. Mit vier Jahren ist Ahmad vor dem Krieg in Tschetschenien geflüchtet und in Österreich gelandet. In der Hauptschule wurde er von seiner Lehrerin gemobbt. Vor kurzem hat Ahmad im Internet gesehen, dass die Lehrerin noch immer in derselben Schule arbeitet. In wenigen Wochen wird er sie besuchen, sie konfrontieren. Es ist ein wenig Genugtuung in Ahmads Leben, das von Startschwierigkeiten geprägt ist, wie bei allen, die vor dem Krieg flüchten. Irgendwann begann Ahmad, die Schule zu schwänzen, sich in Banden und Clans zu tummeln, Mutproben zu absolvieren. Schlägereien gehörten zum Alltag, bis er im Gefängnis landet. Dort habe er sich radikalisiert, erzählt er. 2013 begannen Dschihadisten im Netz gezielt Jugendliche für den IS zu rekrutieren. Auch Ahmad springt auf. Er war ein Kind, als russische Soldaten seinen Onkel erschossen. Putin steht auf der Seite des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Mit 16 Jahren steht er am Busbahnhof in Graz und wartet mit anderen Burschen und Männern auf einen Bus. Sie alle haben ein Ziel: Syrien. Nun kann Ahmad auf der Seite des IS gegen Assad und damit auch gegen Putin kämpfen, denkt er sich. Wie ist er da rausgekommen? Und wie hat er Uwe kennengelernt? Ahmad, in weißem sportlichem Shirt, isst genüsslich seinen Topfenkuchen und spricht über Dinge, von denen die meisten Journalisten keine Ahnung haben. Es ist seine Geschichte und Ahmad erzählt sie wieder und wieder. Cop und Che Wie ein Tschetschene und ein Polizist zu Tiktok-Stars wurden Von Edith Meinhart, Mandelbaum 2024 200 S., kart., € 20,95
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