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DIE FURCHE 30.04.2024

DIE

DIE FURCHE · 18 20 Film & Medien 2. Mai 2024 DOKUMENTARFILM Der durch und durch bibliophile Signor Eco Schon die Bezeichnung seiner Profession, die Semiotik, umgibt eine Aura des Geheimnisvollen. Und natürlich war der 2016 verstorbene Umberto Eco viel mehr: Zeitdiagnostiker, Kulturphilosoph, Polyhistor, Romancier, scharfzüngiger und humorvoller Kommentator der Gesellschaft und noch viel mehr. Aber vor allem war der Autor des „Namens der Rose“ ein Mann des Buches, genauer: der Mann der Bücher. 30.000 Bände umfasst seine Bibliothek bei seinem Tod, dazu kommen noch 1500 bibliophile Raritäten von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Mittlerweile hat Ecos Familie seinen Bücherschatz an den italienischen Staat übergeben – das Gros der Bibliothek kommt an die Uni Bologna, nur die 1500 Raritäten sind für die Biblioteca Braidense in Mailand bestimmt. Ein filmisches Zeitzeugnis dazu ist Regisseur Davide Ferrario gelungen. Ausgangspunkt dabei war ein Interview, das Ferrario 2015 anlässlich der Biennale in Venedig machte, und in dem Eco durch seine Bibliothek ging. Ausführliches Archivmaterial mit dem Protagonisten, der, so der Eindruck des Films, eigentlich immer und überall über das Buch oder über Bücher geredet hat, bildet das Rückgrat der spannenden Reise zu den Büchern. Ecos Witwe kommt ebenso zu Wort wie sein Sohn, seine Tochter, sein Enkel oder Weggefährten. Eine Labsal von einem Film über das Kulturgut Buch, das in der digitalen Welt unter die Räder zu kommen scheint. Und eine Erinnerung an einen unnachahmlichen Zeitgenossen über dessen Tod hinaus: Umberto Eco, das beweist dieses Kleinod von einem Film, ist lebendig wie eh und je. (Otto Friedrich) Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt (Umberto Eco: La biblioteca del mondo) I 2022. Regie: Davide Ferrario. Filmladen. 80 Min. Umberto Eco vermittelt eine Liebe zu Büchern wie es kaum sonst jemand könnte. FEDERSPIEL Die Versäumnistäter Im Fragebogen von „Reporter ohne Grenzen“ für die Weltrangliste der Pressefreiheit sind Radio-, TV- und Online-Information mitgemeint. Der vor 30 Jahren etablierte Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai gilt unzensurierter Medienarbeit insgesamt bzw. Journalismus in allen Verbreitungsformen. Es ist keine risikoreiche Wette, dass das Ranking hierzulande vom weiteren Vielfaltsverlust bei Print (Wiener Zeitung , OÖ Volksblatt eingestellt) und der mangelnden Gesetzesreparatur für den ORF geprägt sein wird. Der Gedenktag – zu feiern gibt es wenig – dient überdies dem Blick über die Grenzen. Nur in Slowenien hat sich die Lage nach Ablöse des Victor Orbán-nahen Rechtspopulisten Janez Janša durch den grünliberalen Robert Golob als Ministerpräsident etwas gebessert. Ansonsten gerät die Rundschau bei den acht Nachbarn zunehmend düsterer. Im Schatten von Orbáns Ungarn beschloss die slowakische Regierung von Robert Fico die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Unterdessen streiken in Italien am 6. Mai die Journalisten der RAI gegen Versuche Von Matthias Greuling Im Luxushotel an der bretonischen Küste lässt es sich eigentlich perfekt entspannen. Aber nicht, wenn man wie der bekannte Pariser Schauspieler Mathieu (Guillaume Canet) in einer Lebenskrise steckt. Da kann es schon ausreichen, wenn sich die Kaffeemaschine in der Suite, die berührungslos funktionieren soll, zuerst nicht ein- und dann gar nicht mehr ausschalten lässt. Für die Zuschauer eine komisch-launige Szene, für Mathieu eine Katastrophe, die ihn in einen Weinkrampf treibt. Stéphane Brizé, dieser leidenschaftliche Filmemacher, der gerne auch soziale Themen anpackt, streift diesmal in der menschenleeren Bretagne umher und stellt vielerlei solcher Szenen zu seinem Film „Zwischen uns das Leben“ zusammen, dessen Originaltitel „Hors-saison“ (Nebensaison) natürlich viel besser zu seinem Sujet passt. Der Schauspieler in der Krise, er flüchtet vor sich selbst und in feinen Nuancen sieht man dabei zu, wie ihm die Kontrolle über sein Leben entgleitet. Wenn bei der „ Das Aufwühlen von Emotionen ist Stéphane Brizé offenkundig das Wichtigste. Er nimmt sich alle Zeit, um Gefühle zu erforschen, die diese wunderbar besetzten Figuren füreinander hegen. “ Von Peter Plaikner der Koalition unter Giorgia Meloni, das Medienhaus in ihr Sprachrohr zu verwandeln. Und in der Schweiz ist SRG-Chef Gilles Marchand wegen einer Halbierungsinitiative zur Haushaltsabgabe auf 205 Euro zurückgetreten. Der Kampf gegen die hierzulande schon 20 Euro geringere ORF-Gebühr wird ein Hauptthema im Wahlkampf der FPÖ. Dahinter verbirgt sich das Zurechtstutzen auf einen „Grundfunk“. Wie die „Fratelli d’Italia“ einen Regierungssender kann die FPÖ kaum wollen, solange sie nicht regiert. Doch die türkisgrüne Koalition versäumt Vorbeugung gegen Vereinnahmung. Die von den Verfassungsrichtern aufgetragene Gesetzesnovelle für einen regierungsferneren ORF- Stiftungsrat wäre eine Chance dazu – bzw. für Demokratie und Pressefreiheit. Sie bleibt ungenutzt, um die eigene Parteimacht nicht zu beschneiden. Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst. „Zwischen uns das Leben“: Stéphane Brizé taucht ein in eine Beziehungsgeschichte voller Melancholie. Französische Gefühle Behandlung sein Handy nicht mehr aufhört zu läuten, oder wenn er mit Atemtechniken versuchen soll, abzuschalten, wenn ihm sein Regisseur via Mobilbox ein schlechtes Gewissen macht, weil er ins Burnout geschlittert ist, wenn ihm die Hotelgäste allesamt mit ihren Handys auflauern, um ein Selfie zu ergattern. Es ist schon eine Bürde, so ein Leben im Rampenlicht. Brizé fängt all das mit einer großen Komik ein, der eine ebenso große Tragik innewohnt. Und an manchen Stellen wähnt man sich in einem Film von Claude Lelouch, allein durch das Setting in einem ruhigen Küstenort außerhalb der Saison. Dann passiert aber natürlich noch etwas, das so unvorhersehbar nicht ist: Mathieu trifft Alice (Alba Rohrwacher) wieder, mit der er vor 15 Jahren zusammen war – noch bevor Mathieu zu Ruhm gelangte. Von jetzt an beginnt ein romantischer Diskurs zwischen den beiden, die sich einerseits zurückversetzt in eine andere Zeit fühlen, andererseits aber auch ihre Lebensentscheidungen seit ihrer Trennung aufarbeiten. Klassischer kann ein französischer Film eigentlich nicht sein. ACTIONKOMÖDIE Daumen hoch! Mathieu und Alice Guillaume Canet spielt grandios den bekannten Schauspieler Mathieu, Alba Rohrwacher steht ihm als Alice um nichts nach – große Gefühle à la francaise. Beide wecken ineinander die Sehnsucht, ihr Leben begreifbarer zu machen und einander zu versichern, dass die getroffenen Entscheidungen die richtigen waren. Dieses Konstrukt von Wahrheit bekommt aber schnell Risse. Alice hat sich von Mathieu getrennt, weil er sie kaputt gemacht hat, wie sie sagt; ihre damaligen Versuche, eine Karriere als Pianistin zu beginnen, verliefen ohne seine Unterstützung im Sand. Heute liebt sie den Arzt, der ihr damals wegen Mathieu Antidepressiva verschreiben musste. Das Aufwühlen von Emotionen ist Stéphane Brizé in seinem Film offenkundig das Wichtigste. Er nimmt sich alle Zeit, um auf der Leinwand Gefühle zu erforschen, die diese wunderbar besetzten Figuren füreinander hegen. Am Ende naht ein Abschied – und auch der ist so französisch, wie es eben geht. Ein Film, der nahe geht, weil er zulässt, freizulegen, was längst verschüttet geglaubt war. Zwischen uns das Leben (Hors-saison) F 2023. Regie: Stéphane Brizé. Mit Guillaume Canet, Alba Rohrwacher, Léa Drucker. Alamode/Polyfilm, 115 Min. Wenn am Filmset der Stuntman eine Szene überstanden hat, zeigt er mit einem Daumen nach oben traditionsgemäß an, dass alles „Ok“ ist. Das bedeutet aber in der Regel nur, dass er noch lebt – Verletzungen hat er meistens trotzdem davongetragen. So geht es auch Colt Seavers (Ryan Gosling), der in „The Fall Guy“ – einer Ode an diese Profession – alle Stunts von Schauspielstar Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson) übernimmt. Am Set flirtet er gerne mit Kamerafrau Jody (Emily Blunt), bevor ein folgenschwerer Unfall ihn außer Gefecht setzt. Als er nach langer Pause wieder an ein Set kommt, sieht er sich ausgerechnet Jody gegenüber, die mittlerweile zur Regisseurin aufgestiegen ist. Regisseur und Ex-Stuntman David Leitch, der bisher durch reduktionistische Actionglanzstücke („John Wick“, „Bullet Train“) aufgefallen ist, vollbringt mit „The Fall Guy“ ein kleines Wunder. Anstatt, wie heute üblich, die Produktion romantischer Actionkomödien zur Gänze den Streamingdiensten zu überlassen, führt er vor, wie solche Filme ausgesehen haben, bevor Algorithmen das Schreiben der Dialoge übernommen haben. Die Chemie zwischen Gosling und Blunt ist perfekt, sie überstrahlen mit ihrem Charisma einen Film, dessen Highlights sonst die spektakulären Actionszenen darstellten. Hier gibt ein schon abgeschriebenes Genre ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Daumen hoch. (Philip Waldner) The Fall Guy USA 2024. Regie: David Leitch. Mit Ryan Gosling, Emily Blunt, Aaron Taylor-Johnson, Hannah Waddingham, Teresa Palmer. Universal. 126 Min.

DIE FURCHE · 18 2. Mai 2024 Film 21 In ihrem zweiten Spielfilm „Amsel im Brombeerstrauch“ erzählt die georgische Filmemacherin Elene Naveriani berührend vom Pflänzchen Liebe in reiferem Alter. KINDERFILM Spätes Erwachen Von Walter Gasperi Eka Chavleishvili entdeckt als Endvierzigerin Etero die Liebe (re.: Temiko Chichinadze). In ihrem zweiten Spielfilm „Amsel im Brombeerstrauch“ erzählt die Georgierin Elene Naveriani von einer alleinstehenden Endvierzigerin, Etero (Eka Chavleishvili), die die Liebe entdeckt und langsam aufblüht. Die Einstellungen sind nicht mehr so lang wie in Naverianis an der Schwarzmeerküste spielendem Debüt „Wet Sand“, aber immer noch lässt Kamerafrau Agnesh Pakozdi jeder Szene die Zeit, die sie benötigt, und jeder Schnitt ist wohlüberlegt gesetzt. Wieder wirken die einzelnen Einstellungen durch Lichtsetzung und Intensität der Farben teilweise wie Gemälde, doch die Kunstfertigkeit, mit der hier auch die alternden und übergewichtigen Körper ins Bild gerückt werden, ist frei von jeder Selbstgefälligkeit und steht ganz im Dienst der Handlung. Die Erzählweise ist leise und in Details verdichtet sich nicht nur das Porträt der Protagonistin, sondern auch das ihres Dorfes. Immer mehr grenzt sie sich nämlich von ihren „Freundinnen“ ab, will nichts mit deren Dorfklatsch zu tun haben, sucht dagegen Rat bei einem lesbischen Paar, das einen modernen Supermarkt führt, oder bei ihrer Teenager-Nichte, die sich schon mit ihren blauen Haaren dem konservativen Dorfleben widersetzt. Mit viel Feingefühl und Einfühlungsvermögen ist das inszeniert, aber getragen wird diese berührende Tragikomödie von der großartigen Eka Chavleishvili. Sie spielt diese einfache Ladenbesitzerin, die in jeder Szene präsent ist, zurückhaltend, aber mit so viel Wärme, dass ihr Aufblühen ebenso bewegend erfahrbar wird wie ihre sich bald ausbreitenden Ängste. Mag man auch nicht gleich Zugang zu dieser wortkargen und ernsten Figur finden, so wächst doch aufgrund von Chavleishvilis Spiel und des von Empathie getragenen, warmherzigen Blicks Naverianis zunehmend die Sympathie, bis man diese Frau für ihren Kampf um ein unabhängiges Leben einfach bewundern und ins Herz schließen muss. Amsel im Brombeerstrauch (Blackbird Blackbird Blackberry) D/CH 2023. Regie: Elene Naveriani. Mit Eka Chavleishvili, Temiko Chichinadze, Lia Abuladze. Stadtkino. 110 Min. Max in Wokistan Herzog (li.) spielt den Schüler Max in „Max und die Wilde 7: Die Geister-Oma“ Wenn man über diesen einen – arg konstruierten – Wokismus hinwegsieht, ist dieser Kinderfilm ganz nett; die zentrale Botschaft: „Es gibt immer ein nächstes Spiel“, wie Horst (Thomas Thieme), Trainer der Fußballmannschaft der „Alten Säcke“, seinen jungen Freund Max (Lucas Herzog) motiviert, der in der Gunst um Laura (Klara Nölle) vom Rivalen Ole (Giuseppe Bonvissuto) gemobbt wird. Zum Kreis der pensionierten Detektive gehören weiters Professor Hohenburg (Günther Maria Halmer) und Uschi Glas, die als „berühmte Schauspielerin“ Vera Hasselberg vorgestellt wird. Sie zeigt Max stolz einen Videoausschnitt ihres frühen – tatsächlichen – filmischen Werks „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“, was Max aber abtut mit „Halbblut sagt man nicht!“ Uschi Glas: „Warum?“, „Weil es rassistisch ist.“ Was will man aber sonst mehr von einem Kinderfilm? Es wird ein Schlossgeist gejagt und es wird Fußball gespielt – die Schulmannschaft gegen die Alten Knacker –; und die Guten gewinnen am Schluss: eine hoffnungslos optimistische Verirrung. Max: „Gewinner sind die, die es immer wieder versuchen.“ Ob das der deutschen Fußballnationalmannschaft als Motivationsschub für die Europameisterschaft dient? (Rudolf Preyer) Max und die wilde 7: Die Geister-Oma D 2024. Regie: Winfried Oelsner. Mit Lucas Herzog, Uschi Glas, Günther Maria Halmer. Lunafilm. 94 Min. Zusammenhänge entdecken Tag der Pressefreiheit Starten Sie mit einem FURCHE-Artikel und blättern Sie durch verknüpfte Beiträge – zurück bis 1945. Jetzt GRATIS lesen: 9 Jeden Donnerstag die frisch gedruckte Ausgabe in Ihrem Briefkasten 9 Zugang zu allen Inhalten auf furche.at zurück bis 1945 9 Mit dem interaktiven FURCHE-Navigator Schätze aus 78 Jahren FURCHE entdecken 9 In die Welt der Literatur eintauchen mit unserer Beilage „booklet“ 9 Newsletter mit Leseempfehlungen aus der Redaktion Starten Sie Ihre Zeitreise! Zwischen Eis und Feuer 14. Juni 1956 Arbeit und Leben des katholischen Publizisten. Friedrich Heer Die Selbstabwertung der Presse 13. Mai 1971 „Siegt der Boulevard vollständig?“ Hans Mageschab 2024 Tsunami für die Pressefreiheit 29. April 2020 Ein Gastkommentar des Medienwissenschaftlers Stephan Ruß-Mohl. u Losstarten: www.furche.at/abo/gratis aboservice@furche.at +43 1 512 52 61 52 1945 Rüstplatz des Geistes 8. Mai 1947 Gedanken zur Pressefreiheit und ihrer Förderung. F.W. Foerster.

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