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DIE FURCHE 30.04.2024

DIE

DIE FURCHE · 18 14 Diskurs 2. Mai 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Der Fortschritt überrollt viele von uns Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast „ Wäre es für Junge nicht eine Win-Win- Sache, älteren Menschen Nachhilfe beim Orientieren im Netz zu geben, statt über eigene Orientierungslosigkeit zu klagen? “ Bei Ihrer Erzählung von den Odysseen Ihrer Mobiltelefone fällt mir das Märchen vom „Standhaften Zinnsoldaten“ von Hans Christian Andersen ein. Können Sie sich erinnern? Nach vielen Abenteuern schmilzt der Soldat dahin, weil er von einem Knaben mutwillig ins Feuer geworfen wurde. Dem stehen Ihre Schilderungen nicht sehr viel nach; ich meine, was die Abenteuerlichkeit betrifft. Geben Sie acht bei offenem Feuer: Explosionsgefahr! Sie schreiben von drohenden Entzugserscheinungen bei Handyverlust. Ich hingegen hege Sympathie für den schlimmen Knaben und wünsche mir klammheimlich, dass mein Handy eines Tages – wie weiland der Zinnsoldat – schmilzt, wenn ich es etwa – nichtachtend des sich verändernden Sonnenstandes – auf der Gartenbank liegen gelassen habe. Stumm geschaltet natürlich. Ja, ich kenne viele Erwachsene, die meisten sogar jünger als ich, die mit dem Mobiltelefon nicht auf bestem Fuße stehen. So wie der Zinnsoldat, der ja auch nur ein Bein hatte. Wehe, wenn das mühsam eingelernte Prozedere durch ein mutwilliges Update aus der einmal eingeprägten Ordnung gebracht wird! Natürlich entfährt auch mir oft der erlösende Seufzer: Was täten wir jetzt, wenn es kein Handy gäbe! Ich möchte trotzdem nicht von Segen sprechen, denn allzu oft kann es zum Fluch werden. Moralisiernd? Ja, und wenn schon. Dann diese Fotografiersucht! Entsetzlich! Da halte ich es – wieder einmal – mit dem geliebten Thomas Bernhard, der in seinem letzten Roman „Die Auslöschung“ geschrieben hat: „Ich habe noch auf keiner Fotografie einen natürlichen und das heißt, einen wahren und wirklichen Menschen gesehen, wie ich noch auf keiner Fotografie eine wahre und wirkliche Natur gesehen habe. Die Fotografie ist das größte Unglück des 20. Jahrhunderts.“ Dabei hat es 1986 noch gar keine Handys gegeben – was würde Bernhard also heute zu der Unzahl lästiger Selfies sagen? Manchmal denke ich mir: Der Fortschritt überrollt uns – zumindest viele von uns Älteren. Deshalb finde ich es sinn- und wertvoll, wenn es Initiativen gibt, die gerade uns Ältere motivieren, mit Internet und Mobiltelefonie eine kenntnisreiche und in der Folge freundschaftliche Beziehung einzugehen. Das beginnt wirklich für viele beim richtigen Kennenlernen! Mit Freude habe ich – dank Facebook! – kürzlich erfahren, dass sich in dem Ort meiner Kindheit ein reger Seniorenclub einen regelrechten „Smartphone Kompass“ mit einem Fachmann verordnet hat. Sie schauen ganz stolz und zufrieden aus dem Foto – und vermutlich in das iPhone des Trainers. Ich glaube sogar, dass ich mit der einen oder anderen weiland in die Volksschule gegangen bin! Übrigens: Es sind elf Frauen und zwei Männer! Ja, ich behaupte, dass es unter uns „digitale Analphabeten“ gibt. Und ich spüre Ausgrenzung, wenn bald alles z.B. nur mehr über den hässlichen QR-Code zu erledigen sein wird. Mein Vorschlag: Wäre es für sinnsuchende Junge (angeblich gibt es die) nicht eine schöne Win-Win-Sache, sich als Coach anzubieten und ein oder zwei Stunden in der Woche älteren Menschen Nachhilfe beim Orientieren im Netz zu geben, anstatt über die eigene Orientierungslosigkeit zu klagen? Ich jedenfalls war dankbar, als mir eine meiner Enkelinnen endlich den Umgang mit dem schiachen QR-Code erklärt hatte. Ich grüße Sie herzlich! Von Otto Friedrich In seinem ersten Text für DIE FURCHE macht der In FURCHE Nr. 16 damalige Programmdirektor des Bildungshauses 3800 18. April 1996 Wien-Lainz, Otto Friedrich, auf sich aufmerksam. „Spiritualität und Widerstand“: So lautet der Übertitel des allerersten Textes von Otto Friedrich für DIE FURCHE. Der damalige Programmdirektor des Bildungshauses Wien- Lainz (später Kardinal-König-Haus) beschreibt darin die bleibende Aktualität Dietrich Bonhoeffers. Ab März 1997 FURCHE-Redakteur, wird Friedrich oftmals auf den Theologen und Widerstandskämpfer Bezug nehmen. Der Glaube als letzter Maßstab Neunzig wäre er am 4. Februar geworden, am Dienstag nach Ostern jährte sich seine Hinrichtung im KZ Flossenbürg zum 51. Mal: Dietrich Bonhoeffer gehört zu den bekanntesten aus der kleinen Schar bekennender Christen, die für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus stehen. [...] Wer war Dietrich Bonhoeffer, was macht seine Aktualität aus? Dank zahlreicher Forschungen, nicht zuletzt durch das unermüdliche Werk seines Freundes, Schülers und Biographen Eberhard Bethge, sind Leben und Werk ausführlich dokumentiert; trotz der wenigen Lebensjahre, die Bonhoeffer vergönnt waren, schillern Facetten seines Wirkens in vielen Farben: Seelsorger. Jugendseelsorger. Theologe. [...] Mystiker: 1935, im Predigerseminar Finkenwalde bei Stettin, das er leitet, versucht Bonhoeffer mit einigen Studenten, eine Kommunität mit gemeinschaftlicher Lebensform zu bilden – unerhört im damaligen Protestantismus, mit Elementen von Meditation, Schriftbetrachtung und Exerzitien. „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“: Dieser Bonhoeffer zugeschriebene Satz fällt wahrscheinlich in diese Zeit. Doch ist [...] Kontemplation im Sinne Bonhoeffers nur gleichzeitig auch in der Umkehrung „Wer für die Juden schreit, der sollte auch gregorianisch singen“ zu verstehen. Dichter: Bethge stellt in einer Interpretation des wohl bekanntesten Bonhoeffer- Gedichtes „Von guten Mächten“ fest, dass Bonhoeffer nie die Absicht hatte, Dichter zu sein. Dennoch entstehen 1944 in der Haft zehn lyrische Texte, die zum Dichtesten und Eindrücklichsten deutsch- sprachiger Literatur gehören [...]. Widerstandskämpfer: Dietrich Bonhoeffer, sein Leben und sein Werk sind jedenfalls von seinem Ende her zu lesen. Anfang der 30er-Jahre setzt sich Bonhoeffer in den USA mit dem dortigen Protestantismus auseinander; damals entdeckt er Sympathien für den Pazifismus. Politische Realität in Deutschland bringt ihn wenige Jahre später jedoch auf den Weg der Konspiration, dessen Abgründe ihm wohl bewusst sind: „... wir sind mit allen Wassern gewaschen, wir haben die Kunst der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch die Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden und mussten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben“, schreibt er – kurz vor seiner Verhaftung zum Jahreswechsel. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1987-074-16 (cc-by-sa 3.0) Wer Bonhoeffer war und wofür er stand, stellt sich angesichts [...] des ausgehenden Jahrhunderts neu: „Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist...“, schreibt Bonhoeffer. AUSGABEN DIGITALISIERT VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin Digital: Ana Wetherall-Grujić MA Redaktion: Philipp Axmann, MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens- Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: +43 1 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. 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DIE FURCHE · 18 2. Mai 2024 Diskurs 15 Repräsentative Umfragen in Österreich und weltweit zeigen, dass verordnete „Anpassungen“ an eine „Leitkultur“ wenig sinnvoll, die Integrations-Hausaufgaben aber umso größer sind. Ein Gastkommentar. Austro-Light-Kultur – und was es wirklich braucht Wer den Begriff „Leitkultur“ verwendet, muss sich zunächst darüber im Klaren sein, dass nicht etwa CDU- Politiker wie Friedrich Merz vor 20 Jahren, sondern der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi, liberaler Muslim und ein profunder Kenner des Nahen Ostens, diesen Begriff in seinem Buch „Europa ohne Identität“ (1998) als Erster geprägt hat. Wie die Neue Zürcher Zeitung jüngst richtig feststellte, meinte Tibi mit seiner Idee einer „Leitkultur“ eine inklusive staatsbürgerliche Identität, die sich über gemeinsame Werte definiert. Eine solche Leitkultur sollte auf den Prinzipien der Aufklärung – also Demokratie, Säkularismus, Menschenrechte und Zivilgesellschaft – basieren und im öffentlichen Raum Vorrang vor religiösen Normen haben. Dass sein Konzept später oft auf die Verteidigung von Brauchtum und Folklore reduziert wurde, hat Tibi selbst als Missbrauch seiner Idee scharf kritisiert. In völliger Umkehr von dem, was Bassam Tibi sagte, meinte die ÖVP: „Wir brauchen einen völlig neuen Zugang, nämlich: Integration heißt Anpassung.“ Doch an welche hiesigen Werte sollten sich ankommende Menschen anpassen? Tatsächlich hat Österreich die entsprechende Expertise für die Forschung zu Themen der internationalen Werte. Der Wiener Politikwissenschaftler Christian Haerpfer ist Präsident der World Values Survey Association, die auch ihr Sekretariat in Wien hat. Er, aber auch andere Expertinnen und Experten wie Paul Michael Zulehner und Regina Polak, sind freilich seitens der Bundesregierung in den jüngsten Leitkultur-Vorstoß nicht eingebunden worden. Für welche Werte steht Österreich? Der seit 1981 bestehende „World Values Survey“ (worldvaluessurvey.org) organisiert national repräsentative Erhebungen in fast hundert Ländern, die fast 90 Prozent der Weltbevölkerung umfassen und mit einem gemeinsamen Fragebogen arbeiten. Derzeit umfasst er Interviews mit fast 400.000 repräsentativen Befragten der Welt, natürlich auch aus Österreich – und seine Daten sind frei zugänglich. Wenn Integration Anpassung heißt, müssten sich laut ÖVP die Zugewanderten in Öster- reich also unter anderem an folgende Wertemuster halten (die Zahl gibt die Zustimmung unter allen Befragten in Österreich an): • „Euthanasie“ tolerierbar: 84,1 Prozent • Gelegenheitssex tolerierbar: 73,7 Prozent • Kein oder wenig Vertrauen in politische Parteien: 73,3 Prozent • Kein/wenig Vertrauen in Kirchen und Religionsgemeinschaften: 61,2 Prozent • Kein/wenig Vertrauen in die EU: 59,5 Prozent • Kein/wenig Vertrauen ins Parlament: 56,2 Prozent • Nicht bereit, für Österreich zu kämpfen: 52,89 Prozent Foto: privat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Arno Tausch „ 49 Prozent der Muslime weisen in Westeuropa antisemitische Tendenzen auf. Hier darf es keine Toleranz geben. “ Dazu kommen folgende Positionen, die – wenn auch noch ohne elektorale Mehrheiten – im Parlament noch immer besser vertreten sind als manche der politischen Parteien: • Schwarzfahren tolerierbar: 47,4 Prozent • Sozialbetrug tolerierbar: 35,7 Prozent • Steuerhinterziehung tolerierbar: 31,1 Prozent • Bestechungsgeld einstecken tolerierbar: 23,4 Prozent • Politische Gewalt tolerierbar: 18,4 Prozent Zugleich – und um auf die Perspektive Bassam Tibis zurückzukommen – ist die derzeitige Austro-Light-Kultur-Debatte wenig hilfreich, um etwa das Problem der Trittbrettfahrer islamistischen Terrors in Österreich zu lösen. Zum Hintergrund: Unseren Daten zufolge sind zwischen 1979 und 2019 weltweit mehr als 160.000 Menschen bei islamistischen Terroranschlägen ums Leben gekommen. Die frei zugänglichen Daten aus globalen PEW-Umfragen deuten darauf hin, dass die durchschnittlichen bevölkerungsgewichteten Terrorunterstützungsraten (Pew Research Global Attitudes Project Spring 2013) zur Befürwortung von Hamas, Hisbollah, Taliban, Al-Kaida und Selbstmordattentaten bei 17,38 Prozent aller Muslime weltweit liegen. Unsere Daten beruhen auf repräsentativen Stichproben der muslimischen Bevölkerung in 23 Ländern, die mindestens 56,6 Prozent der muslimischen Weltbevölkerung ausmachen. Restriktive Geschlechternormen als Problem Wie erklärt sich die Unterstützung solcher Taten durch Musliminnen und Muslime auf der ganzen Welt? Auf der Grundlage einer Analyse des umfangreichen PEW 2012-Pew-Religion-Worlds-Muslims-Datensatzes kamen wir zum Schluss, dass restriktive Geschlechternormen der entscheidende Faktor für die Unterstützung terroristischer Aktivitäten sind. Hier, und nicht bei einer von oben verordneten „Anpassung“, wären die echten Hausaufgaben für die Integrationspolitik in Österreich. Dazu kommen noch Daten zum Thema Antisemitismus. Die verlässlichste Studie dazu stammt von der amerikanischen Anti Defamations League ADL von 2014. Ihr Resultat: 24 Prozent der Christen, 49 Prozent der Muslime, 19 Prozent der Hindus, 17 Prozent der Buddhisten und 21 Prozent der Menschen ohne religiöses Bekenntnis weisen in Westeuropa starke antisemitische Tendenzen auf. Bei Antisemitismus darf die Politik in Österreich freilich keinerlei Toleranz zeigen – weder bei „traditionellem“ noch bei „importiertem“. Der Autor ist Universitätsdozent für Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck und an der University of the Free State in Südafrika. Im Juni erscheint sein Buch: „Antisemitismus, Terrorismus und politischer Islam. Erkenntnisse aus internationalen Meinungsumfragen“ (Springer). QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Hexe als Gamechanger In meiner Heimat wird viel über Fußball gesprochen. Also noch mehr als sonst. Aufgrund der EM. Da reden auch die mit, die mit Fußball nichts am Hut haben. Und oft geht es um das letzte Event vergleichbarer Art in Deutschland: die WM 2006. Das sogenannte Sommermärchen. Der Ausdruck scheint verwirrend zu sein. Super viele glauben, Deutschland wäre 2006 Weltmeister geworden. Wenn ich dann meine, wir wären im Halbfinale gegen Italien ausgeschieden, kommt in der Sekunde die Frage: „Wieso heißt es dann Sommermärchen?“ Kristin Wardetzky, eine Märchenforscherin von der Uni in Berlin meint, dass ein Märchen die einzige poetische Form sei, in der das Böse am Ende verschwunden ist. Und zwar für immer, ohne Wiederkehr. Das anschaulichste Bildnis dafür dürfte wohl die Hexe sein, die im Ofen verbrennt. Der Grimmsche Gamechanger aus „Hänsel und Gretel“. Während der deutschen Nachkriegszeit gab es eine hitzige Debatte über die Frage, ob die Märchen der Brüder Grimm Schuld waren an den Gräueltaten der Nazis. 1947 prüfte der britische Leutnant T. J. Leonard die Schulbücher der wilhelminischen Zeit und kam zu dem Schluss, die Grimmschen Märchen hätten einen verheerenden Einfluss auf deutsche Kinder gehabt und in ihnen eine unbewusste Neigung zur Grausamkeit erzeugt. Bis der Ruf der Brüder Grimm rehabilitiert war, dauerte es bis in die 1970er-Jahre hinein. Auch danach galten die Deutschen weiter als eiskalte, fremdenfeindliche, berechnende und humorbefreite Zeitgenossen. Sie standen für eine kollektive Miesepetrigkeit. Die „German Angst“ hat es sogar ins Englische geschafft. Bis zum Sommermärchen 2006. Da wurden diese Vorurteile wie die Hexe im Ofen verbrannt. Das wird uns Deutschen zumindest weisgemacht. Ich dachte immer Märchen beflügeln die Phantasie. Aber bei einigen meiner Landsleute beflügelt die Phantasie das Märchen. Das Böse, das im Märchen verschwindet, verzaubert die Niederlage in einen Sieg. Sonst wäre es kein Märchen. Für einige. Wissen Sie, was ich glaube? Hätten die Deutschen gewonnen, hätte die Hexe überlebt. Hat sie aber nicht. Weil wir glücklich gescheitert sind. PORTRÄTIERT Otto Friedrich: Die bleibende FURCHE-Instanz Pathos ist seine Sache nicht. Von einer „Ära“ zu sprechen, würde er sich verbitten. Und doch ist es eine Zäsur, wenn Otto Friedrich, langjähriger Redakteur für Religion, Film und Medien sowie stellvertretender Chefredakteur, nach 27 FURCHE-Jahren und nunmehr 65-jährig in den Ruhestand tritt. Dies verstört umso mehr, als kaum ein anderer Kollege so produktiv „unruhig“ und prägend war und ist wie er. Sein Output ist einzigartig, ebenso seine Professionalität, Intellektualität und Streitbarkeit. Ob Kirchenpolitik, Medienpolitik, Demokratiepolitik oder Filmkritik: Otto Friedrichs Wort hat Gewicht. Wie breit gelagert seine Expertise und sein Interesse sind, zeigt ein Blick in den FURCHE-Navigator. Der erste Text von Otto Friedrich stammt aus dem Jahr 1996, als der promovierte Chemiker – damals noch Programmdirektor des Bildungshauses Wien-Lainz, heute Kardinal-König-Haus – über den lutherischen Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer schreibt (vgl. Text links). Ein knappes Jahr später, im März 1997, holt der damalige Chefredakteur, Heiner Boberski, den pointierten Schreiber und intellektuellen Feuerkopf als neuen Religions-Redakteur in die FURCHE-Redaktion. Friedrichs Einstands-Text wird eine Glosse zur Rechtschreibreform: „Schreibung im Gerede“, lautet ihr Titel. Über die Jahre wird er dieses journalistische Genre in der FURCHE mit großer Leidenschaft und sprachlicher Raffinesse bespielen. Nichts weniger als eine Instanz wird der Religionsjournalist Otto Friedrich mit seinen Analysen und Leitartikeln zu den Missständen innerhalb der katholischen Kirche. ofri regt auf – und das ist gut so. „Schön- oder kleinreden geht bei Otto Friedrich nicht“, beschreibt ihn der langjährige FURCHE-Autor Andreas R. Batlogg. „Beliebt macht man sich damit nicht. Man wird damit aber zu dem, was man ,Gewissen‘ nennt.“ Zugleich stets die demokratiepolitischen Zeitläufte mitzudenken und mit der Welt der Medien und des Films in Verbindung zu bringen, das macht den besonderen journalistischen Zugang Otto Friedrichs aus. Dass er künftig mehr Zeit als bisher haben möge, seiner cineastischen Leidenschaft zu frönen, das ist ihm zu wünschen. Dass er der FURCHE weiterhin als Filmkritiker, Autor und Kolumnist der 14-tägig erscheinenden Rubrik „Zeit- Weise“ erhalten bleibt, ist ein Glück. Danke für alles, lieber Kollege – und ad multos annos! (Doris Helmberger) Foto: Bildnachweis Verabschiedet sich in den (Un-)Ruhestand – und bleibt der FURCHE weiter als Kolumnist und Autor erhalten: Otto Friedrich (65), stv. Chefredakteur.

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