DIE FURCHE · 13 24 Musik 30. März 2023 Schwungvoll-seichte Zeitsatire Erst seit dieser Saison amtiert Omer Meir Wellber als Musikdirektor der Volksoper. Und schon muss er sich um seine künftige Aufgabe als Musikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, die er ab Herbst 2025 antritt, kümmern. Ob auch die Intendantin Netze nach anderen Herausforderungen ausgeworfen hat? Zieht sie es, wie Gerüchte wissen wollen, in Amsterdams Opernhaus? Vorerst einmal inszenierte Lotte de Beer in ihrem gegenwärtigen Haus am Währinger Gürtel eine Uraufführung: „Die letzte Verschwörung“ von dem hier auch als Librettisten agierenden Moritz Eggert. „Eine Mythos-Operette in zwei Akten“, so der Untertitel der Novität. Im Mittelpunkt steht ein Moderator. Normalerweise führt er die Gäste in seinen Sendungen vor. Diesmal ist es umgekehrt. Plötzlich wird er von allem eingeholt, was die Welt gerade bewegt, kommt rasch aus seinem Gleichgewicht. Das etwas gequält zeitgeistige Libretto bringt Verschwörungstheoretiker, Menschen, die sich als Reptilien entpuppen, die uns alle längst beherrschende technische Innovation, Aliens, Men-in-Black, Illuminati bis zu FBI-Agenten, die doch keine sein wollen, auf die Bühne, es thematisiert Ehekrisen und Verliebtheit. Jeder kann sich aus diesem allzu bunten Mix herauspicken, was er will. Mehr Substanz hätte nicht geschadet. Diese Mannigfaltigkeit, zugleich ein Bild der Zerrissenheit der Gegenwart, spiegelt sich auch in der mit vielen Stilen geschickt changierenden, sich allerdings kaum zu einer individuellen Note emanzipierenden, eingängigen Musik von Moritz Eggert wider. Steven Sloane realisierte sie am Pult des engagiert aufspielenden Volksopernorchesters schwungvoll und effektsicher. Mehr schauspielerisch als sängerisch überzeugten die von Timothy Fallon als Moderator Quant angeführten Protagonisten. Das eigentliche Atout des Abends war Lotte de Beers vor allem im zweiten Teil auf Tempo, Witz und Ironie setzende Regie. Cristof Hetzer steuerte die Bühnenarchitektur bei, die die skurrile Atmosphäre des Stücks betont. Allerdings: Mit Operette hat dieses Vexierspiel über heutige Befindlichkeiten wenig am Hut. Von Walter Dobner schafft Neues!“ – Das forderte schon Richard Wagner. „Kinder, Warum nicht Carl Maria von Webers „Freischütz“, dessen geglückte Realisierungen sich an den Fingern einer Hand ablesen lassen, ein anderes Kleid verpassen, weg von allem Bisherigen? Das dachte man sich am Musiktheater an der Wien und verpflichtete den Filmdesigner David Marton für die Inszenierung und als Bühnenbildner für eine Neuproduktion dieser „Romantischen Oper in drei Akten“. Marton macht seinem Ruf alle Ehre, funktioniert den Bühnenraum des Wiener Museumquartiers in ein Kino um. Nur mit filmischen Mitteln, ist er überzeugt, kann man Seelenlandschaft bloßlegen. Allerdings sind die durch die Live-Videos erzielten Bilder meist verwaschen, die Gesichter der Personen erscheinen unklar. Vor allem führt eine kaum fassbare Bilderflut bald vom eigentlichen Anliegen des Stücks weg, nämlich der Musik. Immerhin ist erkennbar, dass diese Oper im Wald Schöne neue Welt? Der Moderator Friedrich Quant (Timothy Fallon) findet sich in der Mythos-Operette „Die letzte Verschwörung“ in einem Netz von Verschwörungsidiotien wieder. Ein völlig missglückter „Freischütz“ im MuseumsQuartier, eine nette, aber wenig substanzvolle Uraufführung an der Volksoper Wien. Leiden und Freuden des Musiktheaters spielt. Was allerdings das hier erdachte Finale mit Webers Oper zu tun hat? Hier sieht man sich mit sehr zufälligen Impressionen aus der Wiener Innenstadt konfrontiert, mit Taxis, Würstelstand, Straßenbahnen. Ist es eine Notlösung, weil der Regisseur mit seiner Arbeit nicht fertig geworden ist? Warum hat er seinen Ansatz, das Geschehen als Traumerzählung der Agathe zu schildern, sie als Alter Ego Ännchens, als gespaltene Person zu zeichnen, nicht konsequenter verfolgt? Kaspar den Habitus eines windigen Kameramanns überzustülpen, ist bestenfalls ein Bummelwitz, demonstriert aber, wie es Marton mit der Personencharakteristik hält. Webers „Freischütz“ ist für den sichtlich Opern-unerfahrenen Regisseur offensichtlich kaum mehr als eine Folie für wenig reflektierte Spielchen. Dass er die Protagonisten ihre Texte in den Sprachen ihrer Herkunft ausführen lässt, man raten darf, ob sie gerade finnisch, italienisch, russisch, ukrainisch, ungarisch, deutsch oder englisch gegeneinander reden, Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien ist ein weiteres Beispiel für Martons seltsam-eigenwilligen Umgang mit diesem Stoff. Aber auch musikalisch lag man heftig daneben. Am ehesten kam bei der Premiere Jacquelyn Wagner mit den Anforderungen ihrer Rolle, der Agathe, zurecht. Auch sie hatte gegen Tremolieren und Unsicherheiten in der Höhe anzukämpfen. Schlechter als diesmal hat man die unter der uninspirierten Leitung von Patrick Lange spielenden Symphoniker nie im Operngraben gehört. Selbst der Arnold Schoenberg Chor blieb unter seinen Möglichkeiten. Das sagt alles. AUS DEM RAHMEN So lautet das diesjährige Thema der Rauriser Literaturtage und auch DIE FURCHE ist mit dabei. NOCH KEIN ABO? Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie DIE FURCHE 4 Wochen kostenlos gedruckt und digital! „ Das eigentliche Atout des Abends war Lotte de Beers vor allem im zweiten Teil auf Tempo, Witz und Ironie setzende Regie. “ KULTUR IN KÜRZE ■ Staatspreis für Literaturkritik Der 1963 in Gmunden geborene Germanist, Professor für neuere deutschsprachige Literatur am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz und Leiter des Literaturhauses Graz, Klaus Kastberger, erhält den Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik 2023. Ihm gelinge es, „profundes Wissen mit niederschwelliger Vermittlung zu verknüpfen“, so die Jury, der neben Angelika Reitzer und Andreas Unterweger auch FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant angehörte, die ihrerseits 2015 den Staatspreis für Literaturkritik erhalten hat. FILM ■ Diagonale-Preise Der Freischütz MusikTheater an der Wien MQ, 1., 3.4. Die letzte Verschwörung Volksoper Wien, 30.3., 4., 8., 12.4. Zum Abschluss der Diagonale – und der Intendanz von Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger – wurden die diesjährigen Diagonale-Preise vergeben. „Vera“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel wurde als bester Spielfilm ausgezeichnet, als bester Dokumentarfilm reüssierte „Souls Of A River“ von Christ Krikellis. Die Schauspielpreise gingen an Pia Hierzegger („Family Dinner“) und Gerhard Liebmann („Eismayer“). Die Jugendjury des Landes Steiermark zeichnete „Land der Berge“ von Olga Kosanović als besten Nachwuchsfilm aus. Der Publikumspreis ging an „Feminism WTF“ von Katharina Mückstein.
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