DIE FURCHE · 13 18 Theater & Literatur 30. März 2023 LITERATUR Von Syrakus bis Rungstedlund Von Maria Renhardt Wie hat Walter Benjamin im September 1940 in Banyuls, einem französischen Dorf an der Grenze zu Spanien, wo sich einst so viele Flüchtende und zugleich unerschrockene, großzügige Menschen zusammengefunden haben, wohl seine letzten Tage verbracht, bevor er von dort aufgebrochen ist, um nie zurückzukehren? Es sind Orte, die einst eine Schlüsselfunktion im Leben der hier porträtierten zwölf Persönlichkeiten hatten, die die frühere ORF-Mitarbeiterin und Schriftstellerin Brita Steinwendtner in ihren „Dichterlandschaften“ interessieren. Steinwendtner, die von 1990 bis 2012 die Rauriser Literaturtage leitete, hat sich – mit literarischen Werken und Sekundärliteratur im Gepäck – quer durch Europa zu speziellen Gegenden aufgemacht, um die Stimmung und den Geist von früher einzufangen. Stifter, dem großen Naturliebhaber und minutiösen Darsteller des Kleinen und der „Magie des Schönen“, nähert sie sich am Sturmgut, einem Berghof in Hinterstoder, der ihr bereits seit Kindheitstagen vertraut ist. Hier begegnet sie dem Nachthimmel mit der Milchstraße und der wilden Berglandschaft mit Stifters Augen, mit seinen Zeilen, manchmal sogar in seiner Sprache. „In den Verwerfungen seines Lebens bleibt die Natur zwar seine Lehrmeisterin und haltversprechende Konstante – aber auch sie kennt Gewalt und Katastrophen.“ Für Ilse Aichinger reist Steinwendtner nach Niendorf an die Ostsee, wo sich einst die Gruppe 47 zu ihren Dichterlesungen getroffen hat. Im Frühjahr 1952 hat Aichinger für ihre berühmte „Spiegelgeschichte“ den Siegerpreis erhalten und damit den literarischen Durchbruch geschafft. Niendorf mit dem beißenden Ostseewind wird, was die Auseinandersetzung mit Aichingers Leben und Schreiben betrifft, auch zum Impuls für den Blick auf andere Orte wie etwa Wien. Herzstück dieser Annäherung bildet Aichingers Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann. Am Salzburger Kapuzinerberg steht die Beziehung zwischen Friderike und Stefan Zweig im Zentrum. In der „Welt von Gestern“ sieht Zweig die Zeit in Salzburg, in der er auf Europa hofft, rückblickend als „Weltaugenblick“. Während seiner Reisen besorgt seine Frau weiter den Haushalt, agiert als Gastgeberin, nimmt seine Liebschaften hin, unterstützt ihn und steht zu ihm, bis es zum endgültigen Bruch kommt. Bei der Beschreibung der Beziehungsprobleme wird vor allem auch Friderikes Perspektive mit hineingenommen. Ein besonders sensibles Porträt gestaltet sie für H.C. Artmann, mit dem sie befreundet war und den sie südlich von Salzburg am Schwarzgrabenweg im Moos oft besucht hat. Es ist quasi eine „Geschichte der Erinnerung“ an den „Transgressor von Räumen und Kulturen“. Für all diese Reiseaufzeichnungen, in denen sie Orte, Viten und Werke neu arrangiert, wählt Steinwendtner einen sehr persönlichen Zugang. Sie integriert behutsam Leseerfahrungen, Zitate, persönliche Erlebnisse oder Erinnerungen. Bewegende Details hebt sie wie Schätze aus der Vergangenheit. All dies verleiht den Porträts dieser Dichter(innen) einen lockeren und trotzdem profunden Charakter. Eine sehr anregende literarische Spurensuche, die zum Nachreisen einlädt! In ihrem aktuellen Buch folgt Brita Steinwendtner Viten, Orten und Werken europäischer Dichterinnen und Literaten. Foto: IMAGO / Manfred Siebinger An den Gestaden des Wortes Dichterlandschaften von Brita Steinwendtner Otto Müller 2022, 384 S., geb., € 28,– Foto: Moritz Schell Entscheiden über Leben oder Tod? Das kann eigentlich nur Gott. So auch der Titel des jüngsten Stücks von Ferdinand von Schirach, das in den Kammerspielen zu sehen ist. Positionen, Ideologien Von Julia Danielczyk In den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt wurde bereits 2017 Schirachs „Terror – Ihr Urteil“ aufgeführt; nun, sechs Jahre später, bedient sich Regisseur Julian Pölsler wieder des Formates des Gerichtsdramas. Ein Fall wird etabliert. Bei „Gott“ handelt es sich um den 78-jährigen Richard Gärtner, der nach dem Tod seiner Frau des Lebens überdrüssig ist und – ohne Hand an sich zu legen – sterben möchte. Theoretisch könnte der Lebensmüde Suizid begehen, aber er bezweckt Pionierarbeit für assistierten Freitod, um mögliche Risiken (sprich: doch zu überleben, möglicherweise aber mit Beeinträchtigungen) auszuschließen. Auch die Option, in die Schweiz zu fahren, wo Organisationen, wie EXIT oder DIGNI- TAS für teures Geld „fachlich kompetente Hilfeleistung bei der Selbsttötung“ leisten, nimmt er nicht wahr, sondern er möchte ein Exempel statuieren bzw. diese Frage auch für andere klären. Primat des Regelwerks Ferdinand von Schirach, selbst Strafverteidiger, verhandelt in seinen Stücken vorwiegend rechtsphilosophische Fragen. Bei „Terror“ ging es um den Fall eines Piloten, der ein von Terroristen entführtes Passagier-Flugzeug abschoss, um damit 70.000 Menschen im Fußball-Stadion (das angesteuert wurde) zu retten. Der Flugabsturz wird nicht gezeigt, sondern als Bericht wiedergegeben. Schauplatz des Dramas, das auch mit Lars Eidinger und Martina Gedeck verfilmt wurde, ist der Gerichtssaal. Hier verdichten sich Positionen, Emotionen, Werte. Vor Gericht hat jeder seine klar definierte Rolle und Kleidungsrichtlinien ‒ man denke an Talar und Hermelinkragen als Zeichen der richterlichen Würde. In „Gott“ tagt ein Ethikrat, eine nüchtern-graue Halbarena (Walter Vogelweider) bedient die Theatralität des Vorgangs. Auf einer Tribüne sitzen die verschiedenen Interessensvertreter, rechts die Gegner der Sterbehilfe, links die Fürsprecher. Sind sie am Wort, werden sie als Zeugen in die Mitte der Bühne gerufen, um dort dem Anwalt von Reinhold Gärtner (bei der Premiere spielte Herbert Föttinger in Vertretung des vor der Premiere verletzten Johannes Seilern) Rede und Antwort zu stehen. Raphael von Bargen gibt den smarten, rhetorisch geschliffenen Rechtsvertreter Biegler. Perfekt auf die Argumente seiner Gegenüber vorbereitet, zitiert er sowohl die Bibel als auch das Verfassungsrecht aus dem Effeff. Das wirkt teilweise überzogen. Gärtners Arzt wird von Martin Niedermair gespielt, in biederem Beige ist er als einfühlsamer Mediziner zu sehen, der besondere Empathie für seinen Patienten empfindet. „ Schirach zeigt, wie sich Orientierungshilfen zu Normen verselbständigen, wenn sie nicht immer wieder neu hinterfragt werden. “ Die gegnerischen Parteien nehmen drei Sachverständige ein. Zu Beginn tritt der Verfassungsjurist Litten (Paul Matić) auf, der sich auf das Gesetz beruft, dann ein Mediziner und Präsidiumsmitglied der Ärztekammer, der sich – von Alexander Strömer herrlich blasiert und mit Einstecktuch sowie Siegelringen gespielt – auf den Hippokratischen Eid beruft, ohne diesen selbst je ausdrücklich geleistet zu haben. Als Letzter tritt der katholische Theologe Thiel auf, von Robert Meyer als betulich-selbstzufriedener Vertreter Gottes dargestellt. Sie alle „verstecken“ sich hinter Regelwerken, geläufigen Interpretationen, verteidigen ihr Berufsethos, ohne auf den individuellen Fall einzugehen. Regeln werden als absolut Gott spielen? Eine Phalanx an Männern diskutiert über die Autonomie des Menschen und seine Entscheidungen, mit Raphael von Bargen, Alexander Strömer, André Pohl, Robert Meyer (Mitte vorne), Michael König, Paul Matić, Martin Niedermair und Johannes Seilern. gültig erklärt, der Einzelne wird ausgeblendet. Damit stellt Schirach die Frage nach der Menschlichkeit innerhalb der Systeme Recht, Medizin und Religion, die eigentlich den Blick auf den Menschen als Kernaufgabe definieren. Schirach zeigt also, wie sich Orientierungshilfen zu Normen verselbständigen, wenn sie nicht immer wieder neu hinterfragt werden. Dialektik der Argumente Der Autor baut sein „well-done-Drama“ dialektisch auf. Einerseits braucht es allgemein verbindliche Regeln, die Gleichbehandlung garantieren, andererseits muss stets der Einzelne mit seinem Schicksal und seiner Biografie speziell betrachtet werden. Er fächert zwar einen ethisch-gesellschaftspolitischen Diskurs von verschiedenen Seiten auf, die Figuren aber bleiben konstruiert, ohne Fleisch und Blut. Schirach bleibt zu sehr an Positionen und Ideologien haften, trotz des genauen Spiels der Darsteller, die den Charakteren Leben verleihen, hört man das Papier rascheln. Auch fragt man sich, warum nur Männer auf der Bühne stehen. (Schirach sieht „vier Damen, vier Herren“ vor.) Hat man „Terror“ an den Kammerspielen gesehen, dann weiß man, dass Pölslers damalige Inszenierung ausschließlich mit Frauen besetzt war, aber resultiert daraus die Logik des Gegenteils? Oder leistet der Regisseur der Vorstellung Folge, dass „Gott“ nur ein alter, weiser Mann sein kann? Gerecht, souverän und gelassen, wie Michael König den Vorsitzenden des Ethikrates spielt? Doch nicht er entscheidet, ob es zur legalen Sterbehilfe kommt, sondern – wie damals bei „Terror“ – stimmt in der Pause das Publikum ab. So werden auch die Zuschauer zu Akteuren, die bei der Premiere ein mehrheitliches „Ja“ abgaben. Viel Applaus für eine brisante Frage, trocken dennoch die Bühnenumsetzung. Gott Kammerspiele der Josefstadt,30., 31.3, 24.4.
DIE FURCHE · 13 30. März 2023 Theater & Literatur 19 Mit einer hervorragenden Ensembleleistung und stimmig inszeniert zeigt das Burgtheater in der Neuinszenierung von „Kasimir und Karoline“ den brutalen Kampf zwischen den Geschlechtern sowie den Konflikt von Gesellschaftsschichten. Stimmungsvoller Horváth-Sound Von Christine Ehardt Parallelen zwischen den frühen 1930er-Jahren und heute sind schnell gezogen, wenn es um apokalyptische Prognosen zur Weltsituation geht. Schließlich sind sich die Hoffnung auf Aufbruch und die Angst vor dem Abgrund hier besonders nahegekommen. Einer, der das Zeitgeschehen mit seismografischer Beobachtungsgabe verfolgte, war zweifelsohne Ödön von Horváth, dessen Stücke momentan zu den Dauerbrennern auf Österreichs Bühnen zählen. Mit „Kasimir und Karoline“ feiert das Burgtheater unter der Regie von Mateja Koležnik eine bejubelte Premiere, die mühelos die Aktualität des Stücks offenlegt. Die tragisch-komische Geschichte über den Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und sozialem Aufstieg in Zeiten von Inflation, Faschismus und Radikalisierung, die Horváth am Oktoberfest verortet, hat Koležnik gemeinsam mit Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt, mit dem sie 2017 auch die preisgekrönte Josefstadt-Produktion von Henrik Ibsens „Die Wildente“ realisierte, in ein geniales Raumkonzept überführt. Für die Inszenierung von Horváths Erfolgsstück teilen sie die Bühne des Burgtheaters in zwei Ebenen auf. Im oberen Stockwerk steht ein flotter Sportwagen, eine Zapfsäule ist zu sehen, ein Schild verweist auf die nahe Notfallambulanz. Gleich zu Beginn sind hier Einsatzkräfte dabei, Unglücksfälle zu versorgen. Ebenerdig sind Toiletten für die Festgäste aufgebaut, vor denen sich allerlei Menschen tummeln. Eine Blasmusikkapelle spielt immer wieder auf und eine Junggesellinnenparty gerät zusehends aus den Fugen. Original-Dialoge, Notruf-Durchsagen, Lieder, Kostüme und Sounds vermischen sich zu einer dichten Collage, die spielerisch zwischen Vergangenheit und Gegenwart changiert. Notfallambulanz der Unglücksfälle Im Zentrum des im Original mit 117 Szenen ausgestatteten Stücks (von denen Koležnik in knapp 90 Minuten Aufführungsdauer mehrere Dutzend zeigt) steht das Scheitern der Liebesbeziehung von Kasimir (Felix Rech) und Karoline (Marie-Luise Stockinger). Er hat gerade seinen Job als Chauffeur verloren, sie möchte endlich wieder etwas Leichtigkeit und Spaß erleben. Nach einem Beziehungsstreit beginnt Foto: © Matthias Horn Karoline einen Flirt mit dem Zuschneider Schürzinger (Jonas Hackmann), während Kasimir sich dem Kleinkriminellen Franz Merkel (Christoph Luser) und dessen Frau Erna (Mavie Hörbiger) anschließt. Karoline erhofft sich von Schürzinger nicht nur ein wenig Abwechslung, sondern auch die Chance auf berufliche Besserstellung. Beflügelt vom Alkohol, reckt sie ihm im Waschraum keck den nackten Hintern entgegen und muss sich wenig später von dessen Vorgesetzten Kommerzienrat Rauch (Markus Meyer) und dem Richter Speer (Markus Hering) betätscheln lassen. Die sexualisierte Gewalt, in der Körper schnell zu Waren werden, die es zu besitzen gilt, wird noch in vielen weiteren Facetten, wie etwa der Vergewaltigung Ernas durch ihren Mann, gezeigt. Hörbigers beeindruckende Schauspielkunst hinterlässt nicht nur in dieser erschreckenden Szene einen starken Eindruck, der aus der insgesamt hervorragenden Ensembleleistung noch hervorsticht. Oben und unten Auf zwei Ebenen, die es erlauben, Szenen parallel zu führen, inszeniert Regisseurin Mateja Koležnik das Stück über sozialen Aufstieg und gesellschaftliche Anerkennung. „ Es entsteht eine Art Horváth’sche Soundscape der allerbesten Art, die dem Stück treu bleibt und gleichzeitig den Blick auf aktuelle Gesellschaftsthemen freilegt. “ Der Uraufführung des Stücks im Jahr 1932 ging eine lange Entstehungsgeschichte voraus. Horváth hat sein Werk in einem aufwendigen Cut-and-Paste-Verfahren aus seinen Vorarbeiten zu versatzstückhaften Episoden zusammengesetzt – das stieß bei der zeitgenössischen Kritik auf viel Unverständnis. Koležnik greift diese an den Film orientierte Montagetechnik auch formal auf. Durch die Aufteilung des Bühnenraums ist ein schneller Wechsel zwischen den oft nur wenigen Minuten kurzen Szenen möglich. Die filmische Ästhetik wird durch das minimalistische Spiel der Schauspieler und ein ausgeklügeltes Sounddesign noch verstärkt. Filmreif ist auch der Beginn des Schlussteils. Mit viel Getöse setzt Meyer das schicke Cabrio in Richtung Publikum zurück, die Hinterräder des Autos baumeln ab nun gefährlich in der Luft. Weniger lautstark, aber ebenso katastrophal verläuft der zaghafte Annäherungsversuch zwischen Karoline und Kasimir, der mit Stockingers Zusammenbruch im Waschraum endet. Es ist vor allem die Stimmung, die in dieser Inszenierung den Ton angibt, und weniger die Konzentration auf den Handlungsverlauf. Die Dialoge und Durchsagen sind akustisch oft nur schwer verständlich, viele Szenen laufen parallel ab und doch schafft es Koležnik den brutalen Kampf zwischen den Geschlechtern und den sozialen Schichten klar und konzentriert herauszuarbeiten. Es entsteht eine Art Horváth’sche Soundscape der allerbesten Art, die dem Stück treu bleibt und gleichzeitig den Blick auf aktuelle Gesellschaftsthemen freilegt. Kasimir und Karoline Burgtheater, 4., 6., 15., 30.4. WIEDERGELESEN Sensationeller Aufstieg, spektakulärer Fall und Ruin Von Anton Thuswaldner Der Schweizer Schriftsteller Blaise Cendrars (1887–1961) war ein Abenteurer und auch literarisch angezogen von Abenteurern. Er führte ein unstetes Leben, ging gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs zur Französischen Fremdenlegion, wo er 1915 bei einem Angriff in der Champagne einen Arm verlor. Sein Werk umfasst an die 40 Bücher, sein Debüt, der Roman „Gold“, jetzt neu aufgelegt, erschien 1925. Als Tuchhändler hat Johann August Suter in Basel keinen Erfolg, nichts als Schulden, die ihn plagen. Er bricht 1834 auf nach Amerika, wo er sein Glück zu machen hofft. Tatsächlich baut er in kürzester Zeit ein Imperium auf, das er Neu-Helvetien nennt. Man muss ihn als einen rücksichtslosen Profiteur sehen, der für seinen Erfolg die dortigen Bewohner vertreiben lässt. An ihm lässt sich tatsächlich die Geschichte des Tellerwäschers, der es zum Millionär bringt, nachvollziehen. Auch dass sich solch ein Aufstieg auf Kosten von anderen vollzieht, wird nicht verschwiegen. Schattenseite des Goldrauschs Wenn Suter am Ende tief fällt, sieht das wie die Bestrafung der Hybris aus. In Lumpen stirbt er völlig verarmt und gedemütigt auf der Straße. Wie hat es so weit kommen können? Als Folge des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges fällt Kalifornien – und damit Neu-Helvetien – an die USA. Als auch noch ein Goldklumpen auf Suters Besitz gefunden wird, bricht die Rechtlosigkeit aus, zumal der Ansturm von Glücksrittern jeden Versuch, Ordnung zu wahren, zunichtemacht. Das Imperium bricht zusammen, Schadensersatz erhält der so plötzlich Verarmte nicht. Erfinden musste Cendrars nicht viel, der Roman basiert auf einem realen Fall. Dass daraus Literatur entstanden ist, die noch hundert Jahre nach ihrem Erscheinen Kraft entfaltet, ist der raffinierten Gestaltung zu verdanken. Der Verfasser ist mit allen Wassern der Moderne gewaschen, und wenn einem Parallelen zur filmischen Dramaturgie der raschen Schnitte auffallen, ist das der Liebe Cendrars zum Kino geschuldet. Von behäbigem Erzählen keine Spur. Der Roman setzt auf Tempo, was dem damaligen Zeitgeist entspricht, der der Hektik des Menschen des 20. Jahrhunderts ästhetisch gerecht werden wollte. Als Warnung vor dem Zusammenbruch kapitalistischen Wirtschaftens liest sich das Buch erschreckend aktuell. Gold Die fabelhafte Geschichte des Amerika-Pioniers Johann August Suter von Blaise Cendrars Aus dem Französischen von Yvan Goll Mit einem Nachwort von Alex Capus Atlantis 2022 160 S., geb., € 22,60
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