DIE FURCHE · 13 14 Diskurs 30. März 2023 NACHRUF Einer, der sich nicht unterkriegen ließ ALSO SPRACH „ Einen Zauberstab, der uns Unabhängigkeit beschert, gibt es nicht. “ Der 37-jährige Politologe Humza Yousaf, der zum neuen Vorsitzenden der schottischen Nationalpartei (SNP) und damit zum Nachfolger von Parteiund Regierungschefin Nicola Surgeon gewählt wurde, warnt vor Illusionen. Ziel des liberalen Muslim bleibt aber die Unabhängigkeit Schottlands, das er wieder in der EU sehen will. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von Anton Pelinka Nr. 42/15. Oktober 1966 SPÖ in der Sackgasse Nach der verlorenen Nationalratswahl vom März 1966, bei der die ÖVP unter Josef Klaus eine Mandatsmehrheit erringen kann und in der Folge eine Alleinregierung bildet, ringt die SPÖ unter Bruno Pittermann um ihre Linie. Dieser hat parteiinterne Kritiker als „Wirrköpfe“ bezeichnet. 1967 muss Pittermann Bruno Kreisky weichen. Man könnte in Versuchung kommen, die Vorgänge in der SPÖ als eine Tragikomödie zu sehen. Die Spitzenfunktionäre, von denen die SPÖ auf einen Kurs der Kurslosigkeit gebracht wurde, die zwischen der Zusammenarbeit mit der FPÖ und der kommentarlosen Annahme der kommunistischen Wahlempfehlung richtungslos hin- und herschwankten, die durch ständiges Taktieren jede Strategie verloren, diese sozialistischen Politiker entdecken plötzlich ihre „sozialistische Ideologie“, in der es – man höre und staune –„keine Kompromisse“ geben könnte. In dieser Partei, die einmal stolz behauptete, sie habe die Hand am Puls des Volkes, die sich einmal ihres demokratischen Aufbaues rühmte, die einmal – wie lange ist das schon her? – ein Protest der Unterdrückten gegen eine selbstherrlich regierende Minderheit sein wollte, in dieser Partei kann es geschehen, daß Kritiker „Wirrköpfe“ genannt werden können, weil sie nicht in allen Fällen mit ihrer Parteiführung einer Meinung sind [...]. Wie gesagt, das alles könnte tragikomisch sein. Man könnte ruhig zusehen, wie eine noch immer große und noch immer mächtige demokratische Partei in eine Sackgasse läuft. Aber man kann eben nicht ruhig zusehen, denn von der Zukunft des österreichischen Sozialismus hängt zuviel ab. In einer Demokratie, in der zwei Großparteien bestehen, ist mit dem Zustand der einen Partei sowohl der Zustand der anderen als auch der unserer ganzen Demokratie eng verknüpft. Lesen Sie hier den ganzen Text: Wenn Herr Groll sich anschickte, einen neuen Fall zu lösen, war er im Auftrag seines Verfassers unterwegs. Er hatte den Blick von unten gleich im doppelten Sinn: als Rollstuhlfahrer und als einer, der sich mit den Benachteiligten solidarisierte. Sieben Fälle löste der ausgesprochen unstete Ermittler, der sich in ständiger Bewegung befand, in Krimis, die das gängige Genre nutzten, um vorzuführen, wie arg es um die Lage der Gesellschaft bestimmt war. Für Verbitterung hätte Erwin Riess allen Grund gehabt, nichts davon war in seinen Romanen zu spüren. Stets war zu beobachten, dass es diesem Verfasser um etwas ging. Ein Verbrechen, gut und schön, aber es ereignet sich nicht deshalb, weil ein mieser Charakter seine Triebe nicht unter Kontrolle hat, es erwächst aus der Gesellschaft. Deshalb diese leicht bebende Wut im Untergrund, die überhaupt das Schreiben dieses Unruhegeistes auszeichnete. Dazu kam ein Witz, der einiges an Härte abzufangen hatte. Intelligenter als die Konfektionsware Krimi waren die Bücher von Erwin Riess sowieso. „Es gibt unter Ermittlern eine Faustregel“, heißt es in „Herr Groll und die Donaupiraten“. „Wenn man nicht weiterweiß, bleibt man dort, wo einem die Ratlosigkeit bewusst wird.“ Das klingt gerade so, als hätte Riess der Politik, die eben Ratlosigkeit nie eingesteht, einen Wink geben wollen. Die hatte nämlich allen Grund, die Einmischungen dieses kritischen Beobachters der österreichischen Politik zu fürchten. Nicht nur als Kämpfer für die Sache der Behinderten klagte er an, dass Fortschritte ausblieben. In seiner letzten Schrift „Vom Glück auf dem Feldherrnhügel“, in dem optisch der Fackel nachempfundenen Heft Die Sichel, greift Riess auf die Charles Sealfield’sche Methode der Radikalanalyse zurück, um den Weg Österreichs in eine „rechtsradikale Hegemonie“ mit der Wut eines empfindsamen Aufklärers zu verhindern. Selbst war Riess zwischen 1984 und 1994 politisch als wissenschaftlicher Referent für behindertengerechtes Bauen im Wirtschaftsministerium tätig. In der Nacht auf Samstag ist Erwin Riess unerwartet im Alter von 66 Jahren in Wien verstorben. (Anton Thuswaldner) Ich zehre von jenem Morgenlicht ERKLÄR MIR DEINE WELT Liebe Frau Hirzberger! Hubert Gaisbauer Publizist Unsere Korrespondenz erfreut mich. Viele Ihrer Sätze regen mich zum Denken an. Jetzt zum Beispiel, beim Äpfelschälen. Da mischt sich ja der Apfelduft auch noch ein. Ein Satz in Ihrem letzten Brief lässt mich nicht mehr los: „Ich will den Halt nicht verlieren.“ Sie haben damit etwas getroffen, das auch für mich gilt. Je älter ich werde, umso mehr. Wo suche, wo finde ich Halt? Dort, denke ich, wo ich mich selber zuwenden kann, wo ich berührbar, vielleicht sogar verletzbar bin. Dann spüre ich, dass ich nicht zu den „Unerreichbaren“ gehöre. Das hat mir Peter Handke bewusst gemacht, wenn er in „Die Obstdiebin“ beklagt, dass den Unerreichbaren – oft schuldlos – die Freude „am Gottschönen“ versagt ist. Noch ein Wort zu Papst und Kirche: Es gibt gewiss tausend Gründe, ihnen den Rücken zu kehren. Und tausend und einen Grund, ihnen zugewandt zu bleiben. Aber da betonieren die Bewahrer ihre Trutzburg und dort mühen sich die Erneuerer – siehe Synodaler Weg in Deutschland –, aus einem Trümmerhaufen ein neues Haus zu bauen. Dazwischen der Papst, der ja auch nur ein Kind seiner Sozialisation ist – und dahinter die träge Flaute der Gleichgültigen. Die Morgenröte eines Konzils Was mich wirklich berührt: dass Sie spüren, wie Ihnen „diese Institution das Licht zum Sehen nimmt“! Denn eigentlich sollte ja das Gegenteil der Fall sein: Ich mache dich zu einem Licht für die Völker! Heißt es. Manchmal wär‘ ich froh, wenn „diese Institution“ für viele, die in der Kälte stehen, wenigstens eine warme Lampe bereit hätte! Wir Alten haben es schon einmal anders erlebt: Licht! Vor sechzig Jahren haben wir die Morgenröte eines Konzils gesehen. Und auch erlebt, was davon wieder verspielt worden ist. Aber glauben Sie mir, dass ich noch immer von jenem Morgenlicht zehre – geduldig und oft unter trüben Schatten. Auch das erklärt meine Welt und die mancher meiner Altersgenossen. Ist das nur retro? „ Wo suche, wo finde ich Halt? Dort, denke ich, wo ich mich selber zuwenden kann, wo ich berührbar, vielleicht sogar verletzbar bin. Dann spüre ich, dass ich nicht zu den ,Unerreichbaren‘ gehöre. “ Foto: Wikipedia/ C.Stadler/Bwag (cc by-sa 4.0) Mit Humor und Tiefgang überzeugte der Autor Erwin Riess (1957‒2023) seine Leserschaft, ebenso als Behindertenaktivist und kritischer Geist. Dass wir Alten auch in der Geschlechterdebatte zurückgeblieben erscheinen, hat seinen Grund in der radikalen Tabuisierung in unseren frühen Jahren. Wir haben später versucht, das Eingeprägte mit Vernunft zu überschreiben, aber als Palimpsest taucht es immer wieder auf. Daher die Zögerlichkeit in Fragen von Gendern etc. Übrigens: FLINTA finde ich sympathischer als die unsägliche Konsonantenabfolge LGBTQIA+. Was mich an Ihrem Text noch angerührt hat: Dass Sie Tagebuch schreiben. Dazu werde ich mich wohl nicht mehr aufraffen können. Aber ich verdanke dem Lesen von Tagebüchern sehr viel. Jenen der Etty Hillesum zum Beispiel, der 1943 in Auschwitz ermordeten jungen Jüdin aus Amsterdam. Vor Kurzem sind endlich ihre Tagebücher und Briefe in einer umfassenden Ausgabe auf Deutsch erschienen. Vor dreißig Jahren konnten wir nur Auszüge daraus lesen und in ihr eine „moderne Mystikerin“ entdecken. Es war ein Kultbuch. Beim „Hineinhorchen in sich“ konnte Etty Hillesum 1941/43 Sätze schreiben wie: „Ich werde dir helfen, Gott, dass du in mir nicht zugrunde gehst.“ Bitte, lesen! Damit will ich heute schließen und Ihnen recht frohe Ostern wünschen. Ihr Hubert Gaisbauer Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. 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DIE FURCHE · 13 30. März 2023 Diskurs 15 Ob in Wien oder St. Pölten: Die Regierenden gewinnen mit dem Kursschwenk in puncto Coronapolitik kein Vertrauen zurück, sondern setzen den letzten Rest davon aufs Spiel. Ein Gastkommentar. Corona und andere Schadensmeldungen Solide Politik ist ein Handwerk, das eine gehörige Portion Pragmatismus und Kompromissbereitschaft erfordert. Voraussetzung ist aber auch der Wille zur Macht, auch in der Demokratie. Gute, dem Gemeinwohl verpflichtete Politik kennt freilich auch den Unterschied zwischen Pragmatismus und Prinzipienlosigkeit, was man von der ÖVP in Niederösterreich, nachdem sie mit der rechtsextremen FPÖ eine Koalition eingegangen ist, leider nicht mehr sagen kann. Welchen Schaden sie damit angerichtet hat, zeigt sich unter anderem auf dem Feld der Corona-Politik. Die ÖVP ist auf die Forderungen des neuen Regierungspartners nach einem mit 30 Millionen ausgestatteten Corona-Fonds zur „Wiedergutmachung“ für „Corona-Opfer“ eingegangen. Damit nicht genug, soll jegliche Werbung für Corona-Impfungen eingestellt werden. Das ist nicht nur ein gesundheitspolitischer Schwenk auf Landesebene. Mit ihm wird gleich die ganze bisherige Corona-Politik der Bundesregierung abgeräumt. Dass Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner damit dem Bundeskanzler in den Rücken fällt, wird man allerdings nicht behaupten können. Er will zwar im Bund keinen Corona-Fonds nach St. Pöltener Vorbild, verteidigt aber Mikl-Leitners Koalition mit der FPÖ. Für den angekündigten Prozess der Versöhnung zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Politik verheißt das nichts Gutes. Auch die Begleitumstände rund um die Auflösung des Expertengremiums „Gecko“ (Gesamtstaatliche Covid- Krisenkoordination) sind kein gutes Signal. PORTRÄTIERT Polit-Quereinsteiger als neuer Favorit Foto: Privat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Ulrich H.J. Körtner „ ,Gräben zuschütten‘ bedeutet für die ÖVP, auf die Linie wissenschaftsfeindlicher Schwurbler einzuschwenken. “ griff „Wiedergutmachung“ ist unsäglich, so als seien die Gegner der Corona-Maßnahmen Opfer politischer Verfolgung. Die Bioethikkommission kritisiert die Entscheidung, nicht mehr für die Corona-Impfung zu werben, zu Recht als Verletzung der Schutzpflicht des Staates. Der Verzicht auf öffentliche Information könnte insbesondere für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen „indirekt eine vermeidbare Gesundheitsgefährdung bewirken“. Rückblickend ist festzuhalten, dass die rasche Entwicklung von Impfstoffen gegen Corona der Game Changer überhaupt im Kampf gegen das Virus war. Wer jetzt Impfgegner als politische Opfer darstellt, sei an die mehr als 22.000 Toten erinnert, welche die Pandemie allein in Österreich gefordert hat. Schon im Vorfeld der niederösterreichischen Regierungsbildung ließ der Bundeskanzler mit der Bemerkung aufhorchen, man habe während der Pandemie zu viel auf die Wissenschaft gehört, namentlich als es um die in mehrfacher Hinsicht verunglückte Einführung der Corona-Impfpflicht ging. Nehammers nachträglicher Versuch, seine Aussage abzuschwächen, macht die Sache nicht besser. Auch Landeshauptfrau Mikl-Leitner schiebt den Experten, die zur Impfpflicht geraten haben, verklausu- Foto: APA / AFP / Savo Prelevic Was ist mit den Opfern von Ivermectin? Gräben zuschütten bedeutet für die ÖVP, auf die Linie der notorischen Corona-Leugner, Maßnahmengegner und wissenschaftsfeindlichen Schwurbler einzuschwenken, an deren Spitze sich FP-Bundesparteiobmann Herbert Kickl durch die Bewerbung des Anti-Wurm- Mittel Ivermectin als Mittel gegen das Corona- Virus hervorgetan hat. Nachdem Menschen die für Pferde empfohlene Dosis eingenommen hatten, kam es zu Vergiftungen. Ob auch solche Personen mit Entschädigung durch den geplanten Wiedergutmachungsfonds rechnen dürfen, ist nicht bekannt. Allein schon der Beliert den schwarzen Peter zu. Wissenschaftsskeptische Töne sind politisch salonfähig geworden. Man erinnere sich nur an den Sager des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Hauslauer im November 2021, Virologen würden die Menschen aus Schutz vor einer Infektion wohl am liebsten einsperren. Politik ohne Wissenschaftsexpertise? Nun kann man über die Impflicht und die konkrete Vorgangsweise der Bundesregierung rückblickend durchaus geteilter Meinung sein. Es soll auch nicht darum gehen, politische Entscheidungen an die Wissenschaft zu delegieren. Gesundheitspolitik ohne wissenschaftliche Expertise ist aber grob fahrlässig. Und der politische Schaden, der im Land angerichtet wurde, bestand nicht in der Impfpflicht also solcher, sondern in der Inkonsistenz der Corona-Politik, die noch dazu zwischen die Mühlsteine von Bund und Ländern geriet. Im Sommer 2021 zu verkünden, die Pandemie sei vorbei (Sebastian Kurz), dann wieder einen Lockdown verhängen; eine Impflicht kategorisch auszuschließen, noch bevor es überhaupt Impfstoffe gab, um sie dann in einer Situation, die man getrost als Staatsversagen bezeichnen kann, plötzlich einzuführen: All das hat zum massiven Vertrauensverlust der Regierung und der Politik insgesamt geführt. Die von den Grünen gestellten Gesundheitsminister, aber auch die SPÖ, haben das Ihre dazu beigetragen. Zu Recht befürchtet die Bioethikkommission, es könnten durch den Kursschwenk „die Drohungen und Vorwürfe gegen diejenigen wieder aufflammen, die sich für die Überwindung der Pandemie eingesetzt haben“. So schüttet man keine Gräben zu, sondern reißt neue auf. Die Regierenden gewinnen so kein Vertrauen zurück, sondern setzen auch noch den letzten Rest von Vertrauen aufs Spiel. Der angerichtete Schaden ist nicht nur ein gesundheitspolitischer. Gefördert wird auch die in Österreich ohnehin bestehende Wissenschaftsfeindlichkeit. Schaden nimmt letztlich auch die Demokratie. Der Autor ist Prof. für Systemat. Theologie an der Evang.-Theol. Fakultät der Uni Wien. Er war Leiter des Inst. für Ethik und Recht in der Medizin sowie Mitglied der Bioethikkommission. Der 36-jährige Jakov Milatović gilt als Favorit bei der kommenden Präsidentschaftswahl in Montenegro. Bürger Montenegros wünschen sich Normalität und eine neue Generation an Politikern“, sagte Jakov Milatović „Die jüngst dem serbischen öffentlich-rechtlichen Sender RTS. Der europafreundliche Volkswirt steht kommenden Sonntag in einer Stichwahl um die Präsidentschaft Montenegros. Er ist der Quereinsteiger und gefährlichste Herausforderer des amtierenden Präsidenten Milo Ðukanović. Letzterer ist der Vorsitzende der führenden Oppositionspartei DPS (Demokratische Partei der Sozialisten). Im ersten Wahlgang erreichte er 35,2 Prozent der Stimmen, Milatović von der Bewegung „Europa jetzt“ kam auf 29,2 Prozent. Beide gelten als klar europa-freundlich, Beobachtern zufolge gilt aber Milatović als Favorit. Der 36-jährige Volkswirt wird am Sonntag nämlich nicht nur mit Stimmen europafreundlicher Wähler aus seiner Bewegung rechnen können, sondern auch mit jenen von Anhängern der pro-serbischen Parteien. Von letzteren erhält er deshalb die Zustimmung, da diese die Macht der DPS nachhaltig schmälern möchten. Milatović ist praktisch ein Neuling in der Politik. Nach dem Studium in Podgorica und Oxford war er zuerst in der Deutschen Bank und danach in der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung tätig. Nach dem Wahlsieg des damaligen Oppositionsbündnisses „Für die Zukunft Montenegros“ im August 2020 kehrte der dreifache Vater nach Montenegro zurück, um in der Regierung von Premier Zdravko Krivokapić das Wirtschaftsressort zu übernehmen. Seine Entscheidung, die Mindestpensionen auf 270 Euro und den Mindestlohn auf 450 Euro anzuheben, gilt in Expertenkreisen wegen der Staatsverschuldung weiterhin als umstritten. Bei den Wählerinnen und Wählern hat er sich mit dieser Maßnahme aber äußerst beliebt gemacht. Bei den Kommunalwahlen in Podgorica im vergangenen Oktober hatte sich die erst einige Monate zuvor gebildete Bewegung „Europa jetzt“ ganze 21 Prozent der Stimmen gesichert. Nachdem der ursprüngliche Vorsitzende der Partei sowohl den serbischen als auch den montenegrinischen Pass hatte, wurde er als Bürgermeister abgewiesen und Milatović übernahm dessen Amt – nun möchte er sich bei der Präsidentenwahl beweisen. (Manuela Tomic) Zum Teil Zeit ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint In meinem Bekanntenkreis reduzieren immer mehr Menschen ihre Arbeitsstunden. Von Vollzeit auf eine 30-Stunden-Woche. Meistens legen sie ihre Stunden dann so, dass der Freitag als Arbeitstag wegfällt und ein langes Wochenende rausspringt. Ich bin hin- und hergerissen, ob ich neidisch sein soll. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht so einfach reduzieren. Und wenn ich es könnte, würde ich eher pro Tag weniger Stunden arbeiten und mein Kind früher abholen. Wir gingen dann mindestens einmal unter der Woche mit unserer Jahreskarte in den Schönbrunner Tiergarten. Wenn es leer und ruhig ist. Jetzt ist dafür nur am Wochenende Zeit. Das bedeutet Gedränge – Ende nie. Oder ich würde in Ruhe zu kochen. Gott bewahre, ich hasse kochen. Aber dieses Gehetze, vor dem Zubettgehen noch irgendetwas auf den Tisch zu kriegen, im Zweifel noch im Eilverfahren (inklusive quengeligem Kind) einkaufen zu müssen, nervt. Jene Bekannten, die jetzt Teilzeit arbeiten, sind (freiwillig) kinderlos. Ein Großteil auch ohne Partner. Mütter in meinem Umfeld arbeiten so gut wie alle Vollzeit. Schon klar, das ist auf meine Akademiker-Großstadtbubble zurückzuführen. Jedenfalls wollen die, die ihre Stunden reduzieren, nun mehr Klettern gehen, übers Wochenende verreisen – oder länger im Kaffeehaus lesen. Oft sagen sie mir, sie sähen keinen Sinn darin, ihre Lebenszeit in einen Job zu investieren. Es gäbe niemanden, der am Ende Nutznießer davon sei. Ohne Frage. Das ist ein Punkt. Doch bedeutete das im Umkehrschluss, mein Kind wäre Nutznießer meiner Vollzeitstelle? Das bezweifle ich. Die Debatte „Mütter in der Teilzeitfalle“ verstört mich daher regelmäßig. Es hat durchaus familiäre Vorteile, weniger zu arbeiten. Bei uns übernimmt übrigens mein Mann mindestens die Hälfte der Care-Arbeit. Anders ginge es nicht. Nur für den Fall, dass mich jetzt jemand als Anti-Feministin bezichtigen wollen würde. Anleihen bei Hitler Nun gibt er den „Volkskanzler“. Natürlich nur dann, wenn ihn das Volk auch wählt. Mittlerweile hält man dieses ja für tumb genug, dass es Herbert Kickl tatsächlich zum Chef der größten Parlamentspartei im Lande machen könnte. Warum wir so pessimistisch sind? „Volkskanzler“, so ließ sich Adolf Hitler nennen. Dass es keinen Aufschrei gab, als Kickl sich einmal mehr am Vokabular des Nationalsozialismus vergriff, spricht Bände. Oder es ist eh schon alles wurscht. Ob „Lügenpresse“, „Systemparteien“ und Ähnliches: Kickl ist um die Anwendung von Diktionen der Nazis in der aktuellen politischen Debatte nie verlegen. Wir erinnern uns auch, dass er hierzulande Flüchtlinge in Lagern „konzentrieren“ wollte. Dass er sich nun mit Adolf Hitlers Attribut schmückt, ist somit folgerichtig wie bestürzend, weil es keine Folgen hat. Wie wird er sich künftig noch titulieren? Größter Führer aller Zeiten? Auch wenn das wirklich lächerlich klingt: Herbert Kickl ist noch mit jeder Dämlichkeit politisch weitergekommen (Stichwort: Ivermectin, das Pferdewurmmittel). Er wird weitertun, so lange wir ihn lassen. Also lange. Otto Friedrich
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