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DIE FURCHE 30.03.2023

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DIE FURCHE · 13 12 Religion 30. März 2023 Christus vor Pilatus Ölgemälde von Benedetto Caliari (1538–1598) in der Kirche S. Nicolò della Lattuga, Venedig. Von Hans Förster Lesen Sie auch Hans Förster über die judenfeindliche Karfreitagsfürbitte, siehe „Katholische Verblendung“ (6.4.2022) auf furche.at. 30 Jahre VOSÖ Die Vereinigung von Ordensschulen Österreichs feiert ihr 30-jähriges Bestehen und DIE FURCHE feiert mit! NOCH KEIN ABO? Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie DIE FURCHE 4 Wochen kostenlos gedruckt und digital! Nicht Juden waren „Christusmörder“, wie antijüdische Rede Jahrtausende behauptet hat. Tatsächlich verurteilte ihn Pontius Pilatus wider besseres Wissen. Die gängigen Bibelübersetzungen verschleiern dies bis heute. Der Tod Jesu war ein Justizmord Der Prozess Jesu gehört zu den umstrittensten historischen Ereignissen der Weltgeschichte. Zahlreiche Fragen werden höchst unterschiedlich beantwortet. Die mit diesem Prozess verbundene Verurteilung Jesu zum Tod am Kreuz hat wie kein anderes Urteil – oder auch Fehlurteil? – die Weltgeschichte geprägt. Der Glaube an Jesu Auferstehung ist Kern der christlichen Botschaft. Das Christentum ist eine Religion, bei der die tätige Nächstenliebe Teil der Kernbotschaft ist. Die Parabel vom „barmherzigen Samariter“ (Lk 10,25–37) steht für den Vorrang dieser Nächstenliebe. Trotzdem hat die Vorstellung, dass die Juden durch die Kreuzigung Jesu einen „Gottesmord“ begangen hätten, eine blutige Spur durch die Geschichte gezogen. Juden wurden von Christen misshandelt und sogar getötet, weil „die Juden“ als Christusmörder wahrgenommen wurden. Dabei lohnt es sich, einen Blick auf die Berichte in den Evangelien zu werfen. Dies hat der katholische Theologe Michael Theobald getan und eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht. Überraschend ist, dass er dabei der zentralen juristischen Frage fast keinen Raum gibt. Grundsätzlich gilt im Römischen Recht der damaligen Zeit, dass ein Angeklagter, der seine Schuld gesteht, durch ein Geständnis als verurteilt gilt. In den herkömmlichen Übersetzungen liest sich das Verhör vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus folgendermaßen (Einheitsübersetzung 2016; Mt 27,11): „Als Jesus vor dem Statthalter stand, fragte ihn dieser: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Du sagst es.“ Mit einem einzigen Vers aus dem Matthäusevangelium ist eigentlich, so scheint es, aus juristischer Sicht bereits alles gesagt. Jesus bestätigt mit seiner Antwort den Kernpunkt der Anklage. Deswegen scheint es auch folgerichtig, wenn dann später im Matthäusevangelium festgehalten wird (Mt 27,37): „Über seinem Kopf hatten sie eine Aufschrift angebracht, die seine Schuld angab: Das ist Jesus, der König der Juden.“ „ Die mit diesem Prozess verbundene Verurteilung Jesu zum Tod am Kreuz hat wie kein anderes Urteil – oder auch Fehlurteil? – die Weltgeschichte geprägt. “ Was den Tatbestand anbetrifft, so ist die Anklage eindeutig. Indem sich Jesus zum „König der Juden“ gemacht hat, ist er ein Rebell und Rädelsführer eines Aufstands. Einen Aufstand anzuzetteln und dem Kaiser und seinem Statthalter Konkurrenz zu machen, wird im Römischen Recht als seditio bezeichnet. Darauf steht die Todesstrafe. Jesus starb am Kreuz. Der Theologe löst das Problem, indem er einen konstruierten Bericht zu erkennen glaubt: „Wenn Pilatus in der Antwort Jesu ‚keinen strafwürdigen Tatbestand‘ erkennt, ‚obwohl verschiedene Überlieferungen darauf hinweisen, dass es jüdische Führer mit einem solchen Anspruch gegeben hat, die von den Römern blutig verfolgt worden sind‘, bestätigt sich die Annahme eines grundsätzlich religiösen Verständnisses des Königs-Titels als Vorzeichen für Frage und Antwort. Die Szene ist theologisches Konstrukt, kein historischer Bericht.“ Sprachtypisches missachtet Im Deutschen macht es einen großen Unterschied, ob man „sich auf den Weg macht“ oder ob man „auf den Weg macht“. Ein einziges persönliches Fürwort entscheidet darüber, ob die Wiener Magistratsabteilung 48 eine Strafe für Verschmutzung des öffentlichen Raumes verhängt oder ob man einfach nur eine Reise antritt. Die MA 48 spielt selbst in ihrer Öffentlichkeitsarbeit damit, dass man es „in der Hand habe“, ob man für das „Hundstrümmerl“ auf der Straße eine Strafe zahlt, weil man es liegen lässt, oder eben nicht, weil man es in die Hand nimmt und wegräumt. Auch hier ist „etwas in der Hand haben“ eindeutig zweideutig. Derartige Phänomene gibt es in allen Sprachen, deswegen ist es oftmals auch so schwer, eine sprachtypische Wendung richtig zu verstehen und treffend zu übersetzen. Wenn man nun die Bibel aufschlägt, stellt man fest, dass Jesu Antwort eine geprägte Foto: picturedesk.com / akg-images / Cameraphoto Wendung darstellt, der man in Gerichtsverfahren öfter begegnet. Einer der bekanntesten biblischen Prozesse ist das sogenannte „salomonische Urteil“ (1 Kön 3,16–28). Zwei Frauen haben jeweils ein neugeborenes Kind, ein Kind ist tot, eines lebt. Beide Frauen behaupten, dass sie die Mutter des lebenden Kindes seien. Heute wäre eine Antwort auf diese Frage einfach. Eine DNA-Analyse gibt eine eindeutige Antwort auf die Frage, von wem das Kind stammt. Derartige Untersuchungen standen dem weisen Salomo nicht zur Verfügung. Und so muss er eine richterliche Untersuchung durchführen. Im Rahmen dieser Untersuchung verwendet er in der griechischen Version des Textes eben die Verbindung aus persönlichem Fürwort und Verb, die sich auch im Prozess Jesu findet. Allerdings ist es die Frage des untersuchenden Richters: „Du behauptest also, dass es dein Kind ist.“ Damit wird jedoch deutlich, dass der Prozess Jesu aus rechtlicher Sicht fundamental falsch übersetzt ist. Jesus stimmt dem römischen Verwalter der Provinz Judäa gerade nicht zu. Er weist in vielmehr schroff zurück. Auch die Frage des Pilatus ist wohl nicht wirklich den Umständen entsprechend übersetzt. Es ist die Frage des Untersuchungsrichters. Damit wird man hier folgendermaßen übersetzen müssen (Mt 27,11): „Als Jesus vor dem Statthalter stand, fragte ihn dieser: Du bist also der König der Juden? Jesus antwortete: Das behauptest du!“ Ein korrupter Machthaber Damit fällt die Behauptung des Theologen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Der historische Bericht ist hier keinesfalls nur ein Konstrukt, das mit den Ereignissen nichts zu tun hat. Natürlich muss Pilatus Jesus erst einmal für unschuldig halten, schließlich hat er sich ja gerade nicht für schuldig erklärt, sondern behauptet seine Unschuld. Es ist nun eine Aufgabe jedes römischen Verwalters, Recht zu sprechen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Pilatus bringt wider besseres Wissen auf Jesu Kreuz ein Schild an. Er erklärt ihn des Aufstands für schuldig, obwohl er Jesus aus römisch-rechtlicher Sicht für unschuldig halten muss. Wenn man sich vor Augen hält, dass aus Sicht der jüdischen Religion die „Gerechtigkeit“ vor Gott das zentrale Merkmal eines frommen Juden und einer gottesfürchtigen Jüdin ist, dann wird Pilatus hier als Frevler dargestellt. Wider besseres Wissen fällt er ein Todesurteil und gibt als Grund für dieses Urteil eine Tat an, von der er selbst weiß, dass Jesus sie nicht begangen hat. Mit diesen juristischen Elementen, die der Evangelist in den Text eingebaut hat, wird Pilatus zu einem korrupten Machthaber, dem ein Menschenleben nichts gilt. Warum, so muss man fragen, wird hier der Text erst sprachwissenschaftlich falsch übersetzt und dann als ahistorisch abgetan? Die sachlich dem griechischen Text entsprechende Übersetzung legt eine schwere Schuld auf Pilatus: Er hat einen Justizmord begangen. Hier wäre eine Revision der Übersetzungen heilsam. Der Autor lehrt als Privatdozent an der Universität Wien und leitet ein Forschungsprojekt des FWF an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems.

DIE FURCHE · 13 30. März 2023 Religion 13 Ordensschulen haben sich zu Orten des multikulturellen Lernens entwickelt. Ordensleute wirken hingegen kaum noch an ihnen. 30 Jahre nach der Gründung der „Vereinigung von Ordensschulen“ soll der Geist der Orden aber mehr denn je als Antwort auf die Gegenwart dienen. Schulen, die im Wandel bestehen Von Victoria Schwendenwein Ein Film läuft im Unterricht. Jugendliche sind gefesselt. Sie verfolgen gespannt die Reise einer jungen österreichischen Klimaaktivistin in „Generation Change – Wer rettet die Welt“. Danach folgt eine Reflexion mit Experten von „Südwind Niederösterreich“ über die eigene Rolle im Kampf für das Klima. Ein paar Meter außerhalb der Schule engagiert sich zur selben Zeit eine weitere Klasse bei der Flurreinigung der Gemeinde. Unter dem Motto „Mein Beitrag zum Klima“ laufen an diesem Schultag Mitte März im Gymnasium Katzelsdorf ganztags Workshops. Anlass ist das „Klemensfest“, der Gedenktag des Schulpatrons Klemens Maria Hofbauer am 15. März. Das 1887 gegründete Gymnasium Katzelsdorf ist eine ehemalige Redemptoristen-Schule und wurde 1997 als eine der ersten Bildungseinrichtungen von der „Vereinigung von Ordensschulen Österreichs“ (VOSÖ) übernommen. Ordensleute wirken hier im Schulalltag heute nicht mehr, dem Geist der Gründer will man dennoch treu bleiben. Das Gymnasium am Fuße des Rosaliengebirges im südlichen Niederösterreich ist bei weitem kein Einzelfall. Vor 30 Jahren stand auf der einen Seite ein öffentliches Schulwesen, das um die geburtenschwachen Jahrgänge buhlte, den sinkenden Mitgliederzahlen bei den Ordensgemeinschaften gegenüber. Der Wettbewerb machte es den Orden zunehmend schwerer, ihre Schulen zu erhalten und gleichzeitig modern zu gestalten. Ordensfrau Cäcilia Kotzenmacher erinnerte sich im Rahmen einer Pressekonferenz an die schwierigen Anfänge mit langer und intensiver Überzeugungsarbeit und vielen Gesprächen – bis endlich das Jahr 1993 geschrieben wurde und der Startschuss für die VOSÖ fiel. Die Bildungseinrichtungen loszulassen, sei für viele Gemeinschaften ein Prozess gewesen. Der Auftrag an die VOSÖ wurde daher von Beginn an klar definiert: Das Ordens-Charisma sollte in den Schulen weiter spürbar bleiben, christliche Werte wesentlicher Bestandteil des Alltages sein und innovative Bildungskonzepte angeboten werden. Insgesamt 70 Schulen, Kindergärten, Tagesinternate und Horte an 20 Standorten von 14 Ordensgemeinschaften werden heute in der VOSÖ zusammengehalten und machen die Vereinigung zum größten privaten Schulerhalter in Österreich. Verantwortlich ist er für rund 14.000 Kinder und Jugendliche. „ Im Alltag verlangt der eigene Anspruch den Spagat zwischen Tradition und Moderne, denn die Probleme der Gegenwart machen auch vor Ordensschulen nicht Halt. “ Unverhandelbare Schulpastoral Fragt man die Schülerinnen und Schüler nach dem „Ordens-Charisma“, muss am Klemens Maria Hofbauer Gymnasium in Katzelsdorf die Antwort nicht lange überlegt werden. „Es ist vorhanden“, erklärt ein Maturant. Das „Klemensfest“ etwa beschreibt er als einen „traditionsbehafteten Tag, der mit aktuellen Themen aufgefrischt wird“. Die Fest- und Feierkultur habe wesentlichen Anteil am Charakter – aber auch das Einlassen auf individuelle Bedürfnisse von Schüler(inn)n mit höherem Förderbedarf. Das ist ganz im Sinne der VOSÖ-Verantwortlichen. Die klassische Klosterschule, wie sie in vielen Köpfen noch in Erinnerung sein mag, hat in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Wandel vollzogen. In die Gegenwart mitgenommen hat sie ihre Identität, die sich am Menschenbild der Bibel orientiert. Sie zu bewahren, gestaltet sich in Zeiten vielfältiger Krisen durchaus als Herausforderung. „Den Rotstift müssen natürlich auch wir ansetzen“, räumt Vorstandsvorsitzende Maria Habersack etwa mit Blick auf die Teuerung ein. Sparen will man aber nicht bei Personal oder Angebot, sondern vorrangig im infrastrukturellen Bereich. Unberührt bleibt damit auch das Angebot der Schulpastoral. Für die VOSÖ ist es weit mehr als ein Alleinstellungsmerkmal. Rudolf Luftensteiner ist seit mehr als 20 Jahren in der Entwicklung der Vereinigung tätig. Als Laie hat er den Ordensleuten bewiesen, wie ihr Geist in Form von Pastoralteams und Dialog weitergelebt wird. Das habe sich vor allem in Foto: VOSÖ Lesen Sie zur Entwicklung der Ordensschulen auch „Den ,Spirit‘ in die Zukunft mitnehmen“ von Otto Friedrich (19.10.2006) auf furche.at. Die Entwicklung der Vereinigung von Ordensschulen Österreichs ist für Rudolf Luftensteiner, Martha Mikulka, Maria Habersack und Cäcilia Kotzenmacher (v.l.nr.) „eine Erfolgsgeschichte“. der Pandemie bewährt. Die Schulpastoral sei dabei eine wichtige Anlaufstelle für Sorgen und Anliegen gewesen. Dabei spielt das Religionsbekenntnis einzelner kaum noch eine Rolle. Die Schulen sind längst mutltireligiös und -kulturell, die Förderung der Vielfalt ist den Verantwortlichen rund um Geschäftsführerin Martha Mikulka wichtig. Sie selbst hat zehn Jahre lang eine Ordensvolksschule in Wien geleitet. Dort habe man sich dafür entschieden, die Klassen gut zu durchmischen. „Die christliche Wertehaltung zeichnet sich schon in den Aufnahmekriterien aus“, zeigt sie sich überzeugt. Neben der Interreligiosität und der Interkulturalität ihrer Schülerinnen und Schüler habe man sich beispielsweise auch dafür eingesetzt, Kinder mit Diabetes betreuen zu können. „An öffentlichen Schulen kann die notwendige Unterstützung oft nicht gewährleistet werden“, erklärt sie. Als privater Schulerhalter habe man generell die Möglichkeiten, Dinge zu leisten, für die dem Staat die Mittel fehlten, geht Mikulka noch einen Schritt weiter. Als Beispiel nennt sie die Lehrer(innen)bildung. „Jungen Pädagog(inn)en fehlt in vielen Fällen wertvolle Praxisausbildung“, zeigt sie sich überzeugt. Deshalb wird die VOSÖ in Zukunft eine Akademie einrichten, mithilfe derer in einem „Buddy-System“ Junglehrer(innen) von erfahrenen Personen betreut werden und selbst Erfahrung sammeln können. Ein politisches Statement wolle man damit nicht setzen. Junge Pädagog(inn)en zu unterstützen, stehe in der Tradition der Orden. Es sind aktuelle gesellschaftspolitische Herausforderungen wie diese, die auch Vorstandsvorsitzende Maria Habersack in den Fokus rückt, wenn es um die Relevanz von Ordensschulen in der Gegenwart geht. Die 20 Bildungsstandorte der VOSÖ sieht sie als Gegenpol zu einer ökonomisierten Bildung, Entsolidarisierung und Polarisierung. Sie hält fest: „Wir wollen junge Menschen dazu befähigen, nicht nur sich selbst im Blick zu haben, sondern Verantwortung für andere zu übernehmen.“ Auf die Bedürfnisse der Zeit reagieren Im Alltag verlangt der eigene Anspruch den Spagat zwischen Tradition und Moderne, denn die Probleme der Gegenwart machen auch vor Schülerinnen und Schülern an den Ordensschulen nicht halt. „Da machen wir uns auch nichts vor“, sagt Mikulka. Das oberste Ziel müsse aber sein, an den Schulstandorten gemäß dem Motto „Beständigkeit im Wandel“ auf die jeweiligen Bedürfnisse der Zeit zu reagieren. Die jüngsten Klimaworkshops am Gymnasium Katzelsdorf sind nur ein Beispiel dafür, wie Ordensschulen ihren Auftrag in der Gegenwart verstehen. Direktor Armin Rožaj nennt es den Anspruch, „gemeinsames Lernen weiterzubringen“. Wie sich seine Schule aber von Mitbewerbern unterscheidet, könne er kaum in Worte fassen. Menschen, die ihn danach fragen, lädt er deshalb gerne auf einen Besuch ein. Denn: „Es ist spürbar.“ Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreichs. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der FURCHE. Foto: StefanLeitner.com Traditionell modern Die klassische Klosterschule hat in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Wandel durchgemacht – angepasst an die Zeit, aber im Geist der Orden.

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