DIE FURCHE · 13 10 Gesellschaft 30. März 2023 Kisten gepackt Viele Studierende können sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten. Von Jana Reininger Werner Müller-Veith legt im Hof seines Grazer Hauses einen Holzvorrat an. Dann greift er zu seinem Smartphone. „Sollte es zu Gasausfällen kommen, heizt bitte mit Holz“, tippt er in die Whats- App-Gruppe, die er mit den Mieter(inne)n seines Eigentumshauses teilt. Im Jahr 1996, so erzählt Werner Müller-Veith im Gespräch mit der FURCHE, hat er eine Hälfte eines alten Hauses in der steirischen Hauptstadt geerbt. Die zweite Hälfte hat er selbst dazugekauft. Das Haus sei in einem schlechten Zustand gewesen. Er selbst habe es hergerichtet – „mit diesen hier“, sagt er und streckt seine beiden Fäuste in die Luft. Seitdem vermietet er neun Wohnungen an Studierende. Wohnen wird für immer weniger Menschen leistbar, zeigte das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) im vergangenen Herbst auf. Nachdem die übliche Anpassung der Mietpreise an die Inflation im Jahr 2021 wegen der Pandemie ausgelassen worden war, fand sie im vergangenen Jahr gleich drei Mal statt: im April, im Juni und im November. Insgesamt zahlten viele Mieter(innen) Ende 2022 für ihre Wohnung rund 17,5 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Dennoch ist kein Ende in Sicht: Im Jänner 2023 erreichte die österreichische Inflation 11,2 Prozent – den vorläufigen Höchststand der letzten 70 Jahre. Im April sollte daher der Mietzins um 8,6 Prozent angehoben werden. Am 21.12.2022 schrieb Sandra Lobnig in „Am Ende doch gemeinsam“ über Wohngemeinschaften als Folge steigender Mietkosten, auf furche.at. Im April werden die Mieten für viele Menschen empfindlich teurer. Muss das sein? Ein Vermieter sieht das anders – und verweigert die Erhöhungen. Wohnkrise? Nicht mit mir Mietpreisbremse abgesagt In den vergangenen Monaten diskutierte die Regierung daher über eine Mietpreisbremse. Die Grünen drängten darauf, die ÖVP lehnte sie ab. Im März 2023 wurde ein Kompromiss angekündigt. Statt der Mietpreisbremse würde die Wohnkostenhilfe aufgestockt: 250 Millionen Euro sollen dabei investiert werden, 25 Millionen davon in die Prävention von Delogierungen. Doch die Entscheidung stößt auf Kritik – seitens der Opposition genauso wie unter Expertinnen und Experten. Von erhöhten Mieten betroffen sind – laut Angaben der Arbeiterkammer – rund 776.000 Mieter(innen) in Österreich – und „ In Krisenzeiten ist Solidarität gefragt und tatsächlich: Alle halten zusammen. “ zwar jene, die in einem vor 1945 errichteten privaten Altbau nach dem 1. März 1994 einen Mietvertrag unterschrieben haben. Während etwa in Wien für eine 90 Quadratmeter Wohnung rund 620 Euro mehr pro Jahr gezahlt werden sollen, liegt der Betrag in Vorarlberg bei etwa 960 Euro. Vor allem einkommensschwache Gruppen stellt die erhöhte finanzielle Belastung vor ein Problem. Das betrifft auch die Studierenden, die in Müller-Veiths Grazer Haus wohnen. Doch ist die Mietpreiserhöhung überhaupt notwendig? Foto: iStock / Alex Potemkin Nein, findet der gebürtige Grazer. Er entscheidet sich gegen die Erhöhung. Werner Müller-Veith hat im Laufe seines Lebens in den USA, in Deutschland und in Österreich gearbeitet. Heute leitet er als Geschäftsführer ein Unternehmen mit 300 Mitarbeitenden in Bratislava. „Ich weiß, wie wichtig Profite sind“, sagt er. Alle 18 Monate erhöht der Vermieter für gewöhnlich die Mieten – wie es der Verbraucherpreisindex vorgibt. Auch ihn betrifft die Inflation, die die Instandhaltung seines Hauses teurer macht. Im vergangenen Sommer erhöhte Müller-Veith daher die Mieten seines Hauses um acht Prozent. Damit sollen Heiz- und Stromkosten besser abgedeckt werden, die seine Mieter(innen) pauschal pro Monat bezahlen. Müller-Veith spricht von einem All Inclusive-Mietmodell: Miete, Strom, Heizung, Betriebskosten, Internet und eine Waschmaschine im Keller stehen pauschal zur Verfügung. „Studierende müssen mit wenig Geld auskommen und können mit finanziellen Überraschungen schlecht umgehen.“ Gewinne auf Kosten jener zu machen, die in aktuellen Krisenzeiten ohnehin schon belastet sind, könne er mit seinen christlichen Werten nicht vereinbaren. Geteilte Verantwortung Mit seinen Mieter(inne)n teilt Werner Müller-Veith eine WhatsApp-Gruppe. Darin stellt er Neuankömmlinge vor, mahnt, wenn Fahrräder im Stiegenhaus stehen oder wenn Müll neben dem Mistkübel abgestellt wird, statt darin. Als die Inflation kommt und der Familienvater ahnt, dass die sommerliche Erhöhung der Mietpreise alleine nicht alle Mehrkosten abdecken wird, bittet er die Studierenden, Gas und Strom zu sparen – und sich im Notfall am Brennholz im Hof zu bedienen. In Krisenzeiten ist Solidarität gefragt und tatsächlich: Alle halten zusammen. Das Holz verwenden sie nicht, doch die eingesparte Energie hilft, die Miete im Haus niedrig zu halten, während sie in vielen anderen Häusern ansteigt. „Es war absehbar, dass es so kommen wird“, sagt die Architektin und Professorin für Bauwirtschaft Gabu Heindl, als die Mietpreisbremse abgesagt wird. Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 warnte sie in einem offenen Brief gemeinsam mit vielen Wissenschafterinnen und Stadtplanern vor einer zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheit beim Wohnen. Die Mietpreisbremse, so erklärt sie im Gespräch mit der FURCHE drei Jahre später, sei ein faires Werkzeug, um auch Ver- Alternsgerechtes Arbeiten Die Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt: Und die Demografie-Schere klafft immer weiter auseinander. Das wirft viele Fragen auf: Etwa: Wer zahlt künftig die Pensionen? Und wer füllt die Lücken auf dem Arbeitsmarkt? Der Demografie-Experte Heinrich Geissler spricht mit Chancen-Redakteurin Manuela Tomic über alternsgerechtes Arbeiten, die Wünsche der „Generation Z“ und die Frage der Altersteilzeit. furche.at/chancen
DIE FURCHE · 13 30. März 2023 Gesellschaft 11 „ Immer öfter müssen jüngere und ältere Menschen mit und ohne Kinder ihre Wohnungen verlassen und sich auf die Suche nach neuen, günstigeren Unterkünften machen. “ mietende, die zum großen Teilen der Immobilienwirtschaft angehören, an den Kosten der Krise zu beteiligen. Die Investition in die Wohnkostenhilfe hingegen wirke als direkte Förderung aus öffentlicher Hand an Vermieterinnen und Vermieter. Indes haben andere europäische Länder die Mietpreise gedeckelt, statt mit Millionenbeträgen auszugleichen, was für Mieter(innen) nicht möglich ist. „Für einzelne Personen mag der Zuschuss im Moment aufs Gleiche kommen“, sagt Heindl. Vermieter Werner Müller-Veith möchte keinen Profit auf Kosten seiner Mieter(innen) machen. Foto: Verena Kielnhofer „Gesamtgesellschaftlich und langfristig aber treiben wir damit die Preisexplosion der Mieten voran.“ Immer öfter müssen jüngere und ältere Menschen mit und ohne Kindern ihre Wohnungen verlassen und sich auf die Suche nach neuen, günstigeren Unterkünften machen. Viele Jahrzehnte lang galt Österreich – und allen voran Wien – im internationalen Diskurs als Vorzeigebeispiel für leistbares Wohnen. Doch nicht erst seit der Pandemie werden die Wohnungsmieten schneller erhöht als die Einkommen der Menschen, wie das IFES in seiner Studie aufzeigt. Auf die zunehmende Privatisierung des Wohnungsmarktes folgt bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts eine steigende Deregulierung. Höhere Mieten als Konsequenz werden seit der Jahrtausendwende beobachtet. Wohin dieser Trend führen kann, sieht man in Städten wie Amsterdam oder London, wo sich nicht nur Studierende, sondern auch Menschen aus dem Mittelstand keine eigene Wohnungen leisten können. Dabei ist Wohnen ein Menschenrecht. „Wir brauchen leistbaren, sicheren und unbefristeten Wohnraum für alle“, betont die Architektin Gabu Heindl. Das sieht auch Müller-Veith so. „Ich habe es mir durchgerechnet und es ist einfach nicht nötig, jetzt die Mieten zu erhöhen. Ich setze diesmal aus, ganz egal, was die Regierung da macht“, so Müller-Veith. Würden Modelle wie sein All Inclusive-System im Mietrechtsgesetz verankert, so würden sich vielleicht mehr Vermieter(innen) für ein solches Modell entscheiden, sagt er. Bis dahin lasse er sich nicht von seinem Weg abbringen. Mit seinem Mietmodell geht Müller-Veith einen ungewöhnlichen Weg. Würde er mit einem Bewohner ernsthafte Probleme bekommen und ihn dieser vor die Schlichtungsstelle bestellen, könnte er mangels gesetzlicher Grundlage ernsthafte Probleme bekommen. Doch bisher ist das nicht passiert. „Ich bin mit diesem Modell seit über 20 Jahren erfolgreich“, betont er. „Es ist partnerschaftlich.“ Alleine ist Müller-Veith mit seinen Bestrebungen nicht. Er kennt so manche andere Wohnungsund Hausbesitzer, die es ihm diesen Frühling gleich tun werden. Und dafür zitiert er auch Mahatma Gandhi: „Sei die Veränderung, die du in der Welt gerne sehen möchtest.“ GLAUBENSFRAGE Ist Fasten noch in? Von Mouhanad Khorchide Vor wenigen Tagen haderte ein Freund mit mir, warum ich faste. Fasten sei eine veraltete Tradition, die wir zeitgemäß interpretieren müssten. Heute wäre es eher angesagt, zumindest temporär auf die Nutzung elektronischer Medien zu verzichten. Ein Verzicht auf Essen und Trinken von Beginn der Morgendämmerung an bis zur Abenddämmerung mache heute keinen Sinn mehr. Keine Frage, es macht sicher viel Sinn, sich gerade während des Ramadan vorzunehmen, den Konsum von sozialen Medien zu reduzieren, aber ich sehe dennoch im traditionellen islamischen Fasten eine Quelle für Kraft und Disziplin. Dieses Fasten ist eine große Herausforderung und daher auch mit Leiden verbunden. Gott hat nichts davon, wenn Menschen leiden. Dennoch ist Leiden stark mit Demut, Bescheidenheit, Geduld, aber auch Hoffnung und Willenskraft verbunden. Leiden erinnert an die Vergänglichkeit des Lebens, aber zugleich an die Schöpferkraft in uns, mit der man das eigene Leben in die Hand nehmen und verändern kann. Leiden darf aber nicht pauschal als Weg zum Heil glorifiziert werden. Das Aufwerten vom Leiden hilft vor allem Betroffenen, die in der Rede vom Leid als Weg zu Gottesnähe etwas Trost finden könnten. Die Gerechtigkeit Gottes wird dafür sorgen, so der muslimische Glaube, dass uns jede Form des Leidens wiedergutgemacht wird, spätestens im Jenseits, am Tage des Gerichts. Dieser Glaube erleichtert Menschen in schwierigen Situationen, diese erst einmal zu akzeptieren, aber auch, darauf zu hoffen, dass es irgendwo irgendwann einen Ausweg geben wird. Dass man, während man fastet, die Gewissheit hat, bald kommt der Sonnenuntergang, bald darf ich wieder essen und trinken, dieser tröstende Gedanke ist es, der es ermöglicht, dass Fastende verborgene Kräfte in sich zur Entfaltung bringen, denn Hoffnung spendet Überlebenskraft. Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. Ohne ein paar Mäuse gibt’s nur Enten. Vielen Dank für Ihren Abo-Beitrag! Wer für qualitativen Journalismus zahlt, unterstützt die professionelle Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. Statt Zeitungsenten bekommen wir alle dafür verlässlich recherchierte Inhalte, tiefgehend beleuchtete Hintergründe und unabhängige Informationen. dubistwasduliest.at DU BIST, WAS DU LIEST.
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