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DIE FURCHE 30.01.2025

DIE FURCHE · 524

DIE FURCHE · 524 Ausstellung30. Jänner 2025Von Walter DobnerMisst man mit heutigenMaßstäben,war der vor 200Jahren geboreneJohann StraussSohn der erste musikalische Pop-Star. Diese Popularität hat sichder „Walzerkönig“, wie er bald genanntwurde, bis heute gewahrt.Man kann es an den jährlich steigendenEinschaltquoten des viaFernsehen und Radio längst weltweitübertragenen Neujahrskonzertsder Wiener Philharmonikermessen. Hochgeschätzt, und dasim doppelten Wortsinn, wurde JohannStrauss schon zu Lebzeiten:Seine Konzerttournee 1872 in Bostonwar den Veranstaltern 100.000Dollar wert. Umgerechnet entsprächedas heute 2,5 Millionen Dollar.Auch das erfährt man in derim Theatermuseum im WienerPalais Lobkowitz ausgerichtetenAusstellung, die, anschaulich gegliedert,den Lebensweg, das Werkund das Nachleben des „Walzerkönigs“nachzeichnet. Wissenschaftlichakribisch kuratiert undgestützt auf einen Fundus, densonst niemand hat: die in der Wienbibliothekaufbewahrte, weltweitgrößte wie bedeutendste Strauss-Sammlung.Prunkstück „Fledermaus“Wie so vieles in der Nazi-Diktaturwurde sie – damals im Besitzder Tochter von Strauss’ dritterEhefrau, Alice, und deren Schwester,Louise Simon – arisiert undden städtischen Sammlungen derStadt Wien, aus der die Wienbibliothekhervorgegangen ist, einverleibt.Nach dem Krieg bekamen diein den Staaten lebenden Erben diesesKulturgut erst einmal zurück,ehe es die Stadt Wien zurückkaufte.Der prominente New YorkerKunsthändler Otto Kallir fungierteerfolgreich als Mittelsmann.Das Prunkstück der Sammlungfindet sich gleich im ersten Raumder Schau, die Originalpartitur der„Fledermaus“, der berühmtestender 15 Strauss-Operetten. Sie beweist,dass sich Richard Genéenicht auf das Libretto beschränkte,sondern auch Einfluss auf dieMusik nahm. Dass sich das Werkauch als Schauspiel gut macht,demonstrierte niemand Geringererals Max Reinhardt, der esin dieser Form 1929 in Berlin imDeutschen Theater aufführte; inFEDERSPIELTu, was du willstFoto: © KHM-Museumsverband, TheatermuseumDas Theatermuseum und die Wienbibliothek haben dieanspruchsvollste Johann-Strauss-Ausstellung diesesJahres kuratiert, empfehlenswertes Begleitbuch inklusive.„Ich lade gernmir Gäste ein“Wenn ich als Kind eine Verfilmung von „Der Grafvon Monte Christo“ sah, faszinierten mich die Gefängnisjahrevon Edmond Dantès am meisten –so sehr, dass ich auch in ein Gefängnis wollte. Ich dachte,dass Gefangene die meiste Freiheit haben. Da sie nichtstun können, können sie alles tun, so meine Überzeugung.Diese Verkehrung sehe ich heute wieder verkehrt: Diemeisten Menschen, die sich über Stress und Zwänge beklagen,erklären mir, dass die Freizeit für sie die schlimmsteZeit ist. Das ist in unserer Gesellschaft auch kein Wunder.Fährt man irgendwohin auf Urlaub, muss man Reiseticketsund Hotel zehn bis vierzehn Monate vorher reservieren,sonst ist alles ausgebucht. Besucht man Sehenswürdigkeiten,muss man zuvor einen Time slot buchen und dann auchzur exakten Zeit erscheinen. Spaß ist das keiner.Aber auch das Herumlungern zu Hause ist voller Zwänge.Will man ein paar Socken weglegen, braucht man einenRatgeber oder einen Podcast, der einem das Aufräumenbeibringt. Will man als Messie leben oder Unordnung erzeugen,muss man sich auch hier entsprechendschulen lassen.Will man sich einen Drink mixen,braucht man Rezepte für angesagteCocktails. Trinkt man dieser Tage nichts, mussman wissen, dass das, was man tut (oder eher: nicht tut),dry january heißt und dass man nach zwei Wochen Abstinenzin der pink cloud landet, einem Euphoriezustand,in dem man noch mehr Energie für noch mehr Freizeitaktivitätenhaben wird.Unsere Gesellschaft ist nicht unfrei geworden, sondernmutlos und verkrampft. Sie fürchtet sich vor allem.Heute würde man die Gurus von früher zum Teufel jagen,vor allem, wenn sie einst coole Parolen wie Tu, was duwillst ausgeben. Was für eine Schreckensvorstellung fürdie Post-Millenials: Tu, was du willst. Dazu müsste manja zuerst etwas wollen.Der Autor ist Schriftsteller.Von Daniel Wissereiner musikalischen Neufassungvon Erich Wolfgang Korngold.Fotografien, Theaterzettel undFigurinen erinnern an prägendeDarstellerinnen und Darstellerdieses Welterfolgs. Man trifftdabei auf Namen wie Selma Kurz,Edita Gruberova, Hans Moser, undkann nachlesen, wer noch außerihm den berühmten Frosch an derStaatsoper gegeben hat.Auch die anderen Operettenkommen nicht zu kurz, illustriertdurch Bilddokumente, Tonbeispieleoder Kostümentwürfe.Wiederentdeckt hat man beidiesen Forschungen die längstverloren geglaubten Vorentwürfezur „Ritter Pázmán“-Figurinevon Franz Gaul – für Fachkreiseeine Sensation. AlexanderGirardi hatte seinen später nachihm benannten Hut auf, als er bei„ Vergessen hat man inder über 300 Exponateumfassenden Ausstellungnicht auf Strauss-Vaterund die Brüder Josefund Eduard. “der Uraufführung von „FürstinNinetta“ den Cassim Paschamimte. Aber auch, dass sich einTheaterzettel ideal für einen Fächereignet, erfährt man in dieserSchau, die sämtliche Johann-Strauss-Werke auflistet, seinenZylinder, seine Frackweste, seineGlacé-Handschuhe zeigt undmit Ausschnitten aus seinemBriefwechsel mit der russischenSchau an HighlightsFigurine zum Kostüm des Dr. Falke,„Die Fledermaus“ von Johann Strauss.Entwurf: Stella Junker-Weißenberg, 1937.Amateurkomponistin Olga Smirnitskajaaufwartet. Strauss hatdiese Beziehung in seinem Walzer„Reiseabenteuer“ verewigt. Es wareine offensichtlich leidenschaftlicheLiebe, man muss nur genau indieses Werk hineinhören.Was wäre Strauss ohne die Frauen– alleine ohne seine drei angetrauten,Jetty, Lili und Adele, dieihn, jede auf ihre Weise, managten?Vergessen hat man in derüber 300 Exponate umfassendenAusstellung nicht auf Strauss-Vater,die komponierenden BrüderJosef und Eduard. Und ebensonicht darauf, dass die Nazis allesunternahmen, um jeden Hinweisauf Strauss’ jüdische Abstammungaus der Welt zu schaffen.Man kann es im erstmals öffentlichausgestellten Taufbuch derPfarre St. Stephan erkennen, inwelchem der Eintrag von Strauss’Großvater kurzerhand entferntwurde, denn er war getaufter Jude.Ein beklemmendes Zeitdokument.Glück, Glamour und ProblemeIhren Aufstieg haben die „Walzer-Sträusse“mit ihren Auftrittenan der Spitze ihrer Kapellenin mehreren Vergnügungsetablissementsgenommen: inDommayer’s Casino, im Zögernitz,Odeon, Dianabad-Saal. Allesklingende Namen einer vergangenenÄra, die in dieser Schau wiederlebendig werden. Übrigens:Ballspenden waren schon damalsbeliebt, einige davon hat man ausgestellt,heute wertvolle Kleinode.Ein Raum erzählt vom Glück, Glamour,aber auch den Problemender Reisen, die Strauss durch Europaund bis in die USA geführthaben, denn nicht immer wurdendie Gagen bezahlt. Und die Strapazen,um zu den jeweiligen Zielenzu gelangen, waren groß, auchfür den „Walzerkönig“.Das bis heute vor allem Werkender Strauss-Dynastie gewidmeteNeujahrskonzert der WienerPhilharmoniker – JohannStrauss dirigierte sie erstmals1873 – kommt gleichfalls nicht zukurz. Es bildet das prägnante Finaledieser Ausstellung: mit einerAuflistung aller Neujahrkonzert-Dirigenten, Fotos, Programmenund Taktstöcken von Boskovsky,Karajan und Thielemann sowieFernsehausschnitten.Wem alle diese vielfältigen,sorgfältig ausgesuchten Bilder,Handschriften, Fotos, Figurinen,Bühnenmodelle, Kritiken, Kostüm-und Ton-Beispiele nicht genugsind, der kann sein Wissen ineinem umfänglichen Katalog vertiefen,sich darin eingehender überdas Phänomen Johann Strauss inseiner Zeit, als Person, als Komponistund seine Rezeption informieren.Thomas Aigner, langjährigerLeiter der Musiksammlungder Stadt Wien und Strauss-Experte, zählt zu den prominentenAutoren und ist zusammenmit Karin Neuwirth vom Theatermuseumauch wissenschaftlicherSpiritus Rector dieses ebensoarchitektonisch (Stefanie Muther)gelungenen Strauss-Parcours(Thomas Aigner, Stefan Engl, KyraWaldner: Johann Strauss. Ein Lebenfür die Musik, 288 S.).Johann Strauss. Die AusstellungTheatermuseum, bis 23.6.

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