DIE FURCHE · 514 Diskurs30. Jänner 2025ERKLÄRMIR DEINEWELTMeine gerettetenOrchideenDen gesamten Briefwechselzwischen Hubert Gaisbauerund Johanna Hirzberger könnenSie auf furche.at bzw. unterdiesem QR-Code nachlesen.Hubert Gaisbauerist Publizist. Er leitete dieAbteilungen Gesellschaft-Jugend-Familie sowieReligion im ORF-Radio.Wenn ich Ihren jüngsten Brief recht verstandenhabe, dann führen Sie gewisse Rückzugstendenzenauf eine Art Heimsuchung „von vielenZeitgeistern“ zurück. Ich habe ja viel über „den Zeitgeist“gelesen, gehört und wahrscheinlich auch selber geredet,aber in der Vielzahl ist er mir noch nie erschienen. Jetztmerke ich erst, wie recht Sie haben. So viel Unsinniges,das da in allen möglichen Medien gespenstisch umherflattert,vor allem in den sogenannten sozial-medialen,angetan mit den krankbleichen Tüchern von Verschwörungstheorienaller Art, das schafftein einzelner Zeitgeist nicht. Die„ Ich antworte, dasswir, meine Generation,manche Zeichen derZeit nicht früh genugerkannt oder falschgedeutet haben. “bildliche Vorstellung von einer ganzenLegion von Zeitgeistern wäre jazum Lachen, wenn dahinter nichtauch ein berechtigter Zukunftspessimismusstecken würde. Ichverweigere mich allerdings längstallem, was sich auf ein nicht greifbares„Man“ bezieht und womit sogerne eigene (Fehl-)Haltungen entschuldigtwerden. „Man“, „wie manhört“ oder „wie wir aus Untersuchungen wissen“: Dassind die Drohnen, mit denen die Zeitgeister ihr Gift transportierenund mit Lust über uns abwerfen.Mit dem Biedermeier-Bild in meinem letzten Brief wollteich keinesfalls, dass sie sich „angegriffen“ fühlen. Siekennen ja sicher eines der Schlüsselbilder der Kunst desBiedermeier, den „Kaktusliebhaber“ von Carl Spitzweg.Ich verstehe, dass auch Sie sich lieber mit Ihren Kakteenbeschäftigen als mit verfehlten Klimazielen, Bodenvergiftungund Renaturierung, die zur Zeit Spitzwegs keinProblem waren. Auch bei mir sind es im Augenblick diegeretteten Orchideen, die gerade auf dem kühlen Fensterbrettblühen. Ich kenne nicht einmal ihre Namen, weil sieja namenlose Ausgebürgerte sind – wegen längerer Blühverweigerung.Damit will ich nicht Ihrem Vorwurf an die„ältere Generation“ begegnen, sie genieße ihre Früchte lieberselbst, anstatt sich um die Zukunft der Böden zu kümmern.Vielleicht täusche ich mich, aber ich spüre das Umweltengagementder „Jungen“ nicht mehr! Da sind docheinmal die Alten – Omas und Opas, ich auch – gemeinsammit den Jungen für die Zukunft auf die Straße gegangen,bevor ihnen leider Corona, Klimakleber und eine entzauberteGreta Thunberg den Nipf genommen haben.Laut, kompliziert, gierigEine sehr passable Ausrede dafür,jetzt überhaupt nichts mehr zutun. Denn großmäulige Regierungsplänevon „Drüben“ und kleinkrämerischePendants hierzulandeignorieren ja ohnehin gültige Umweltkonzepte.Also was sollen wirtun. Ich werfe ja nicht allein IhnenMutlosigkeit und mangelndenKampfgeist vor, sondern uns allen.Sie fragen, welche Verantwortung ich übernehme. Ichantworte, dass wir, meine Generation, manche Zeichender Zeit (die Good Cops zu Ihren Zeitgeistern) nicht frühgenug erkannt oder falsch gedeutet haben. Ja, wir Älterenhatten Privilegien, da haben Sie schon recht, das lageinfach daran, dass die Welt viel weniger laut, kompliziert,gierig und gewinnsüchtig war. Ob wir jetzt nochPrivilegien haben, bleibe dahingestellt, es sei denn, dasswir es als Privileg erachten, wenn wir in einer horriblenZukunft, wie sie sich zu gestalten scheint, nicht mehr lebenwerden. Aber damit will ich nicht schließen: Ich werdeeinmal schauen, ob meine blühenden Orchideen ausreichendFeuchtigkeit haben. Ich grüße Sie herzlich,Von Otto Friedrich9.März 2000Der ORF steht aktuell im Mittelpunkt medienpolitischerDebatten. Die FPÖ will ihn künftigaus dem Budget finanzieren und massiv umbauen,der ORF-Redaktionsrat warnt vor einer„finanziellen Aushungerung“ des Senders.Bereits unter Schwarz-Blau I im Jahr 2000stand ein neues ORF-Gesetz im Regierungsprogramm,einige der Beteiligten sind auchheute wichtige Akteure: So ist der damaligeFPÖ-Klubobmann Peter Westenthalerheute Stiftungsrat im ORF.Wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ohnepolitischen Einfluss aussehen könnte, war bereitsunter vergangenen Regierungen Thema.Was braucht derORF?Nicht füttern, nicht in den Käfiggehen, nicht reizen: Diese Parolegab Generalintendant GerhardWeis seinen ORFlern gegen die ständigenFP-Attacken mit auf den Weg. Praktischtäglich fand die blaue Regierungsparteietwas, und Klubobmann Peter Westenthalergebärdete sich wild, wenn es darumging, dem ORF etwas am Zeug zuflicken. Mittlerweile sind auf dem Küniglbergruhigere Zeiten angesagt: Die Hysterieder letzten Wochen ebbt ab. Mancheerregte die Aufregung um den ORFsowieso nicht. Caritas-Präsident undORF-Kurator Franz Küberl etwa ist mitder ORF-Performance in Sachen Staatsturbulenzen„grosso modo“ zufrieden.Und: „Solange sich eine Regierung beklagt,daß sie nicht gut wegkommt, istder ORF nicht auf dem falschen Weg.“Hauptproblem für Küberl bleibt jedochder Parteieneinfluß im ORF: „Wenn diehalbe Präsidiale des Parlaments im ORF-Kuratorium sitzt, ist das schlecht.“Dilemma des ORF sei, daß die zentralenVerantwortlichen des Staates auchdie zentralen Kontrollore des ORF sind.Daher plädiert Küberl für eine - von derPolitik weitgehend unabhängige - Rechtsformfür den ORF, etwa eine Stiftung odereine Aktiengesellschaft. Aber, so merktKüberl an, im Regierungsprogramm fändensich derartige Überlegungen nicht:„Es ist schon interessant, daß Politiker,die noch vor einem Jahr für die Entpolitisierungdes ORF eingetreten sind, jetztdort im Kuratorium sitzen.“Am 17. März wird das ORF-Kuratoriumin neuer Besetzung zusammentreten:Schwarzblau hat jetzt die Majorität, wennauch nicht die Zweidrittelmehrheit. Fürden früheren Chef der Kleinen Zeitung,Fritz Csoklich, steht auch dieses Kuratoriumunter „permanenter Gefährdungdurch Parteisekretariate“. Csoklich war1964 einer der Initiatoren des Rundfunkvolksbegehrens,das sich gegen denParteienproporz im Rundfunk wandte.Die damaligen Anliegen waren in derORF-Reform 1966 auch verwirklicht. 1974wurden sie jedoch, so Csoklich, durchBruno Kreiskys „Gegenreform“ ent-wertet,auch das ORF-Kuratorium erhielt dieheutige Form.Neue Fakten schaffenJetzt will die VP-FP-Koalition bis Jahresendeneue Medienfakten schaffen: einORF-Gesetz; eine Medienanstalt als Aufsichtsorganfür elektronische Medien;Foto: APA/Herbert Neubauerprivate TV-Sendungen im ORF; österreichweitesPrivatradio und -fernsehen.Ein stolzes Programm, dessen Vorstellungenaber vage bleiben. Bahnt sich fürdie heimische Medienpolitk eine Umkehrungder bisherigen Verhältnisse an?Bewegte sich bislang nichts, so soll nunalles rasant bewegt werden. Solche Vorgangsweiseführt aber ebenfalls kaumzum Ziel. [...]ÜBER175.000ARTIKELSEMANTISCHVERLINKTVON 1945BIS HEUTEDEN VOLLSTÄNDIGENTEXT LESEN SIE AUFfurche.atMedieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklRedaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. AstridGöttche, Viktoria Kapp BA, Dipl.-Soz. (Univ.)Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc,Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder,Dr. Martin Tauss, Astrid Wenz-Theriault MAArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. 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DIE FURCHE · 530. Jänner 2025Diskurs15Auch wenn Österreich rechtlich noch immer aus dem europäischen Luftabwehrsystem aussteigenkönnte: Sicherheitspolitisch und aus Kostensicht wäre es kontraproduktiv. Ein Gastkommentar.Warum ein Austritt ausSky Shield falsch wäreDie aktuellen Koalitionsverhandlungenvon FPÖ und ÖVP stehenvor einer entscheidendenWeichenstellung hinsichtlich derBeteiligung Österreichs an derEuropean Sky Shield Initiative (ESSI). VerteidigungsministerinKlaudia Tanner (ÖVP)gilt als große Verfechterin eines Beitritts,betontezuletzt aber auch, dass Blau-Schwarz„nicht an Sky Shield scheitern“ werde. DieFPÖ lehnt ihrerseits eine Beteiligung nachwie vor mit Verweis auf die Neutralität Österreichsab. In der dieswöchigen Vorstellung des„Risikobildes 2025“ des Verteidigungsministeriumsstand ESSI nicht direkt auf der Agenda –Brigadier Ronald Vartok, Leiter der DirektionVerteidigungspolitik und internationale Beziehungen,warnte freilich vor Luftangriffenals Sicherheitsrisiko. Kann man angesichtsdessen jedoch auf Sky Shield verzichten? Dazueinige Einordnungen.Was ist ESSI? Ihr Ziel ist es, bestehendeFähigkeitslücken in der österreichischen Luftraumverteidigungzu schließen und vorhandeneFähigkeiten auszubauen. Die Modernisierungder bodengebundenen Luftabwehrtruppesoll durch Beschaffung und Einsatz verschiedenerSysteme erfolgen, die in drei komplementärenWirkungsbereichen operieren. Diesewerden militärisch als Abfangschichten bezeichnetund unterscheiden sich durch ihreReichweiten hinsichtlich Entfernung und Höhe.Warum sollte Österreich ESSI beitreten?Für alle drei Abfangschichten verfügt dasBundesheer über keine bodengebundene Luftabwehr.Die derzeitige hat eine Reichweite vonbis zu sechs Kilometern Entfernung und dreiKilometern Höhe, ist zur Abwehr von Kampfflugzeugenund Hubschraubern konzipiertund technisch überaltert. ESSI soll die Fähigkeitzur Abwehr von Drohnen, Hubschraubern,Kampfflugzeugen, strategischen Bombernund Artillerielenkwaffen bis zu einerEntfernung von 50 Kilometern gewährleistenund somit eine mittlere Reichweite abdecken.Wie steht die immerwährende Neutralitätzur ESSI? Österreich darf keine Kriegsparteienmilitärisch unterstützen, sich an keinen Militärbündnissenbeteiligen und muss fremdemilitärische Stützpunkte auf eigenem GebietFoto: Privatverhindern. Es kann nicht oft genug festgehaltenwerden, dass sich ESSI auf schnelleund kostenbewusste Beschaffung von LuftundRaketenabwehrsystemen, gemeinsameSchulungen, Übungen, Wartungsvorhaben sowieInformationsaustausch richtet und somitmit den soeben genannten Kernelementender Neutralität in Einklang steht. Auf heiklemTerrain befänden wir uns, sobald Entscheidungen,wie auf Verletzungen österreichischenLuftraums reagiert wird, auf übergeordneteKommandostrukturen – etwa der NATO –ausgelagert werden. Jedoch sieht die momentaneAusgestaltung vor, dass derlei Entschei-DIESSEITSVON GUTUND BÖSEVon FelicitasBirkner„ Österreich fehlt es anKnowhow, um dieseAbwehrsysteme alleinbeschaffen, bedienenund warten zu können.“dungen bei Österreich als souveränem, neutralemStaat verbleiben. Die Neutralität stehtsomit keinesfalls im Widerspruch zur ESSI.Vielmehr wäre gerade aufgrund des neutralenStatus Österreichs eine Teilnahme geboten,da Österreich per Neutralitätsgesetz seineNeutralität „mit allen ihm zu Gebote stehendenMitteln“ aufrechtzuerhalten und zuverteidigen hat. Seit Jahrzehnten kommt Österreichdieser Verpflichtung nicht nach.Dürfen hinsichtlich ESSI in den KoalitionsverhandlungenKompromisse gemachtwerden? Ja. Sowohl der Letter of Intent alsauch das Memorandum of Understanding, diebeide von Verteidigungsministerin Tanner inder letzten Legislaturperiode unterzeichnetwurden, sind rechtlich unverbindliche Instrumentarien.Das heißt, diese Schritte dürfendurchaus zurückgenommen werden. Ob diesjedoch sicherheitspolitisch und insbesonderebudgetär sinnvoll wäre, ist eine andere Frage.Was wäre die Konsequenz eines Austrittes?Die Konsequenz wäre, dass sich einneuer Bundeskanzler die Frage nach einersinnvollen Alternative stellen müsste. Beantworteter diese Frage mit dem Argument, dasses keine Bedrohungen aus der Luft gäbe, wäredies angesichts der außenpolitischen Entwicklungender letzten Jahre, die Europa starkbetreffen (Russland-Ukraine-Konflikt sowieNahostkonflikt), aber wenig glaubwürdig.Eine weitere Alternative wäre, dass Österreichim Alleingang Abwehrsysteme zur Verteidigungdes Luftraums beschafft: „AustrianSky Shield Initiative (ASSI)“. Doch wäre dieszum einen eine weitaus kostspieligere Angelegenheit.Österreich könnte dann nicht an denPreisvorteilen, die durch eine gemeinsameBeschaffung mit anderen Teilnehmerstaatenentstehen, partizipieren. Auch die Lieferzeitder Systeme wäre wohl um einiges länger unddie Lieferungen an Österreich würden hinterESSI nachpriorisiert werden. Zum anderenfehlt es Österreich am notwendigen Knowhow,um diese Abwehrsysteme allein beschaffen,bedienen und warten zu können. Mit derBeschaffung von Abwehrsystemen mittlererund weiter Reichweite betritt Österreich Neuland,da es Systeme in dieser Form in Österreichnoch nie gegeben hat.Das bedeutet: Rechtlich ist es durchaus möglich,dass die nächste Regierung die bereitsgetätigten Schritte hinsichtlich einer TeilnahmeÖsterreichs bei ESSI zurücknimmt.Aus sicherheitspolitischer Sicht ebenso wieaus Kostensicht wäre einem zukünftigen Bundeskanzleraber dringend davon abzuraten.Die Autorin hat im Vorjahr ihr Jus-Studium ander Sigmund Freud Universität Wien mit einer(von Ralph Janik betreuten) Masterarbeit zumThema ESSI und Neutralität Österreichs abgeschlossen.Derzeit absolviert sie ein Traineeshipbeim Europäischen Parlament in Brüssel.ZUGESPITZTWillkommenin Disruptistan!Für viele ist Donald Trump nichtnur ein intellektueller Hoffnungsträger,sondern eine Galionsfigur:Er kämpft für die lang ersehnte„Disruption“. Tatsächlich fackelteder neue US-Präsident nicht lange,um die Klimakrise voranzutreibenund die nächste Pandemie nochgefährlicher zu machen. Der Ausstiegaus der WHO und dem PariserKlimaabkommen macht’s möglich.Unterhaltung ist dabei garantiert:Das Aufheizen des Planeten wirdzur volkstümlichen Belustigung,vermarktet durch griffige Sloganszum Grillen, pardon „Drillen“.Eine Säule der Disruption ist auchdie „große Umbenennung“. So hatTrump angeordnet, den Golf vonMexiko und den Berg Denali in„Golf von Amerika“ und „MountMcKinley“ umzutaufen. Gut möglich,dass solch FriedensnobelpreisverdächtigeSprachspiele weltweitNachahmer finden. Auch im kleinenÖsterreich hört man von disruptivenPlänen. Ein pferdenärrischer„Volkskanzler“ hegt die Absicht, dieSpanische Hofreitschule in „Belle-Hutschistan“ umzubenennen; Wienwird womöglich zu „Wladimirostok“.Ansonsten arbeitet man unermüdlichdaran, die Sprache zu„homogenisieren“ und Fremdwörtergnadenlos auszumerzen. JüngstesBeispiel: Das „Klima“-Ticket wirdnun endlich umbenannt.Martin TaussPORTRÄTIERT„Aber immerhin.“Sie wurde 1962 bei Krasnojarsk in Sibirien geborenund wuchs in Leningrad auf, studierte russischeSprache und Literatur. 1991 übersiedelte sie mitihrem Mann, dem Schriftsteller Oleg Jurjew, und ihremSohn Daniel nach Deutschland. Sie publizierte Gedichteauf Russisch und 2010 erschien ihr auf Deutsch verfasstesRomandebüt im Droschl Verlag. Seither schrieb sieLyrik auf Russisch und Essays und Prosa auf Deutsch,2012 wurde sie für ein Kapitel aus dem Roman „MörikesSchlüsselbein“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preisausgezeichnet.2018 starb Oleg Jurjew – und seit diesem Jahr veröffentlichteOlga Martynova ausschließlich auf Deutsch.Vier Jahre lang arbeitete sie an dem Essay „Gesprächüber die Trauer“, der 2023 erschien. Parallel entstandder erste auf Deutsch verfasste Gedichtband „Such nachdem Namen des Windes“, für den sie am 3. April, demGeburtstag des Dichters Peter Huchel, in Staufen imBreisgau mit dem renommierten Peter-Huchel-Preisfür deutschsprachige Lyrik ausgezeichnet werdenwird. Seit 1984 wird dieser Preis jährlich verliehen.Der Titel ihres Gedichtbandes ist Programm: zu lesenist eine fragende und tastende Suche, ebenso intellektuellwie existenziell, ein Versuch, zu benennen und inSprache zu bringen, was sich letztlich dann doch jederSprache entzieht. Aber manches scheint doch geradeder Poesie möglich zu sein, eine Art Vergegenwärtigungund eine Art Halt, der zwar flüchtig wie der Windoder eine Elster ist, aber – wie Olga Martynova selbstschreibt –: „Aber immerhin.“Aber immerhin. Immerhin gibt es Literaturen, ausunterschiedlichen Zeiten und Traditionen, die Geländerreichen für diesen Weg der Trauer, und Olga Martynovagreift hin, tastet sich entlang, durchschreitet damitsowohl kollektive Gedächtnisräume als auch Orte undWorte des gemeinsamen (Literatur)Lebens mit ihremMann. Uns von der siebenköpfigen Jury kam es vor,dass um ihre Gedichte „eine kleine Wolke schwingtwie um einen sprechenden Mund in der Kälte“, umOlga Martynovas eigene Worte zu verwenden. Berührendund anregend, besinnlich und sezierend, präziseund von einem feinen Humor durchzogen suchen dieGedichte in diesem Band nach Möglichkeiten derSprache und zeigen sie zugleich. Hier ist sie, die Kraftder Literatur. „Beim Lesen lebt er wieder. Nicht immer.Manchmal. Selten.“ (Brigitte Schwens-Harrant)Foto: IMAGO / Sven SimonAm 3.4.2025 wirdOlga Martynovamit dem Peter-Huchel-Preisfür deutschsprachigeLyrik ausgezeichnetwerden.
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