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DIE FURCHE 30.01.2025

DIE FURCHE · 510

DIE FURCHE · 510 Religion/Politik30. Jänner 2025Quo vadis?In der ÖVP regtsich Widerstandgegen die angepeilteKoalitionals Juniorpartnerunter KanzlerKickl. Parteigrandengehen zunehmendauf Abstandzur Volkspartei.,Von Markus SchlagnitweitDie Katholische Soziallehre istmehr als ein theoretischesKonstrukt; sie ist ein Kompassfür gutes gesellschaftlichesZusammenleben, basierendauf Konzepten universaler Gerechtigkeit.In Zeiten zunehmender politischer Radikalisierungund Ausgrenzungsrhetorikbietet sie einen Orientierungsrahmen, derdie Würde jedes Menschen klar in den Mittelpunktstellt. Ihre Prinzipien und Wertebeanspruchen Bedeutung für alle gesellschaftlichenAkteure – von Einzelpersonenüber zivilgesellschaftliche Organisationen,Wirtschaftsunternehmen bis hinzu Politikerinnen und Politikern und ihrenParteien. Es ist eine Lehre, die nicht doktrinärvorgibt, sondern zum Dialog einlädt,die nicht verurteilt, sondern reflektiert unddie grundlegende Frage stellt: Wie könnenwir als Einzelne und als Gesellschaft gutund friedvoll zusammenleben?Das Erstarken der FPÖ und die damit verbundeneZunahme systematischer Angriffeauf die Grundwerte unserer menschenrechtsbasierten,rechtsstaatlichen Demokratiesowie offenen und solidarischenGLAUBENSFRAGEWo bleibt das Entsetzen?Aus seinem amerikanischen Exil an seineHeimatstadt Wien denkend, schrieb derkatholisch getaufte, jedoch als Jude vertriebeneHermann Broch eine „Soziologie derfröhlichen Apokalypsen“. Dem „flüchtigstenLebensgenuss“ zugetrieben, getragen von einer„Leichtsinnsatmosphäre“, amüsiert von „nacktemHedonismus“ glitten die Wiener ins zwanzigsteJahrhundert. Darin lag die geheime Anmutdieser Stadt, ihr fröhliches Kokettieren mitdem Untergang. Als neulich eine amerikanischeZeitung die Frage stellte, ob wir nicht wie„Schlafwandler“ in ein neues Zeitalter der Apokalypsewandelten, musste ich an diese Stellewieder denken. Broch, den seine Heimat unsäglichbetrogen hatte, gab sich keinen Illusionenhin über die Festigkeit der Demokratien undam wenigsten der Illusion, dass die Freude amkapitalistischen Konsum den demokratischenGeist fraglos erhalten würde. „Der Mensch istein erbarmungsloses Viech“, schrieb er im Feber1945. Seine „Selbstsucht und Dummheit“machen selbst die Freiheit des Marktes zumDie systematischen Angriffe der FPÖ auf die Demokratie sindnicht nur besorgniserregend, sie stehen auch im Gegensatzzur Katholischen Soziallehre. Ein Gastkommentar.Der verloreneKompassGesellschaft sind nicht nur besorgniserregend,sie stehen auch im klaren Gegensatzzu den Prinzipien und Werten derKatholischen Soziallehre.So entlarvt sich etwa das Konzept der„Remigration“ bei näherer Betrachtung alseuphemistische Umschreibung für Vertreibungund ethnische Säuberung. Es reduziertMenschen auf ihre Herkunft, negiertihre Leistungen für unseren gesellschaftlichenWohlstand und differenziert sie inVon Asher D. Biemann„Versklavungswerk“. Dassauch die wohlhabendstenDemokratien die Freiheitdes Menschen verachtenund sich durch „Kleinpropagandaim Alltagsleben“ außer Kraft setzen,überraschte Broch nicht, so wenig wie es unsheute, 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz,überrascht. Nichts überrascht, doch manchesentsetzt. Aber wo bleibt das Entsetzen? Woist die Scham, ein Mensch zu sein, von der HannahArendt 1945 sprach? Broch forderte ein „irdischAbsolutes“, eine „Diktatur der Humanität“,worin der Mensch nicht nur juristischePerson, sondern zuerst und zuletzt lebendigerMensch war. Er forderte eine „totale Demokratie“der Menschenpflichten, eine Menschzuerst-Politik,denn, so schrieb er: „Der Menschmag die Existenz Gottes leugnen, aber niemals,dass seine eigene deren Ebenbild ist.“Der Autor ist Professor für moderne jüdischePhilosophie an der University of Virginia, USA.einer Rangordnung angeblich autochthonkultureller,in Wahrheit aber willkürlicherWertigkeiten zwischen erwünscht und unerwünscht,zugehörig und fremd. Ebensooffenbart die Rhetorik gegenüber Geflüchteten,die in jüngster Vergangenheit von FPÖ-Politikern und Politikerinnen pauschal als„Gesindel“ diffamiert wurden, ein zutiefstmenschenverachtendes Weltbild. Es ist eineSprache der Entmenschlichung, die Menschenzu abstrakten Bedrohungen oder zuSündenböcken für ungelöste Probleme undGesellschaftsversagen macht. Das erzeugtpolarisierende Angst und untergräbt dasuniversale Prinzip der Menschenwürde, wiees sowohl in der Katholischen Soziallehre alsauch in der österreichischen Verfassung verankertist. Menschenrechte sind keine Verhandlungsmassepolitischer Klientelpolitik,sondern universelle Grundnorm des Zusammenlebens.Sie schützen die Schwächstenunserer Gesellschaft und bilden das Fundamenteiner humanen Rechtsordnung.„ Die kirchliche Sozialverkündigungerinnert daran, dass menschlicheGröße nicht in der Abwertung vonanderen liegt, sondern in derFähigkeit zu Empathie undSolidarität. “Auch der Umgang mit Pressefreiheit undunabhängigen Medien offenbart eine zutiefstantidemokratische Agenda der FPÖ.Die Diffamierung von qualitätsjournalistischenMedien als „Lügenpresse“ oder gar„Scheißblatt“ – wie zuletzt der Wiener FPÖ-Chef die Tageszeitung Der Standard nannte–ist mehr als nur verbale Entgleisung,es ist der systematische Versuch, kritischeBerichterstattung zu delegitimieren undMedien einzuschüchtern. Freie MedienFoto: APA / AFP / Alex Haladaund kritischer Journalismus sind jedoch eineVoraussetzung für eine funktionierendeDemokratie. Ihre Aufgabe ist es, zu berichten,Missstände aufzudecken und unterschiedlichepolitische Perspektiven zu beleuchten.Bürgerinnen und Bürger müssendarauf vertrauen können, dass Regierungenund Parteien kritisch hinterfragt werdenund Journalistinnen und Journalistenunabhängig arbeiten und kommentierenkönnen. Jeder Angriff auf Qualitätsmedienist ein Angriff auf die demokratischenGrundstrukturen unserer Gesellschaft. Indiesen Zusammenhang ist auch die Verbreitungvon Hate Speech, Fake News, populistischenParolen ohne Fakten-Check unddie Abwertung wissenschaftlicher Erkenntnissezu stellen. Es gefährdet eine Gemeinwohl-basierteZukunft und offenbart eineVerkennung komplexer gesellschaftlicherund politischer Herausforderungen wie etwaden Klimawandel.Die Nähe der FPÖ zum völkerrechtlichenAggressor Russland bei gleichzeitiger Bedienungeiner oberflächlichen NeutralitätsundFriedensrhetorik, die Abwertunginternationaler Institutionen und die Orientierungan Ländern wie Ungarn, die demokratischeInstitutionen systematischaushöhlen, zeigen ein Weltbild, das nationalenEgoismus über internationaleSolidarität stellt und gleichzeitig autoritäreZiele verfolgt. Letztlich dient es dazu, sichder demokratischen Kontrolle zu entziehenund legitime Gegeninteressen zum Schweigenzu bringen.Gegen das Ausspielen von MenschenDie kirchliche Sozialverkündigung erinnertdaran, dass menschliche Größe nicht inder Abgrenzung und Abwertung von anderenliegt, sondern in der Fähigkeit zu Empathieund Solidarität. Eine Politik, die Menschengegeneinander ausspielt und Ängsteschürt, mag kurzfristig Wahlerfolge erzielen.Langfristig untergräbt sie jedoch dengesellschaftlichen Zusammenhalt und dieGrundlagen nachhaltigen sozialen Friedens.Es geht also um nichts weniger als umdie Zukunft unserer Gesellschaft. WennMenschen ständig benachteiligt, abgewertetund ausgegrenzt werden, nimmt die Gesellschaftimmer mehr Angst und Hass auf.Diese aber wirken zerstörerisch sowohl aufsoziale Strukturen als auch auf unsere unmittelbarenBeziehungen: Dorfgemeinschaftenzerbrechen, lokale Vereine verlierenihre Stabilität, und Beziehungen zuNachbarn, Arbeitskolleginnen und -kollegenund Freunden und Freundinnen werdendurch Misstrauen und Vorurteile belastet.Österreich kann nur dann wirklich „zuerst“sein, wenn es seiner humanitärenTradition treu bleibt und Verantwortungübernimmt – für alle Menschen, die seitvielen Generationen hier leben und für alle,die in Zukunft hier leben werden oder aucheinfach nur Schutz suchen. Die Stärke einerGesellschaft misst sich nicht an ihrer Härte,sondern an ihrer Fähigkeit, Solidaritätund Gerechtigkeit zu praktizieren. Esgeht also um mehr als politische Rhetorik– es geht um die grundlegende Frage,wie wir als Gesellschaft leben wollen. DieWahrung echter Menschlichkeit erfordertwachsame Aufmerksamkeit gegenüber politischenEntwicklungen und die Respektierungroter Linien der Menschlichkeit,für die auch die christlichen Kirchen mitihrer Sozialverkündigung und -praxis stehen.Sie ermahnen auch dazu, politischeGleichgültigkeit zu überwinden und jederForm von Inhumanität aktiv entgegenzutreten– ganz im Sinne des eindringlichen Bekenntnissesdes deutschen Pastors MartinNiemöller nach dem Ende der Nazi-Diktatur:„Als die Nazis die Kommunisten holten,habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.Als sie die Gewerkschaftler holten,habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.Als sie die Juden holten, habeich geschwiegen, ich war ja kein Jude.Als sie mich holten, gab es keinen mehr, derdagegen protestieren konnte.“Der Autor ist Theologe und Direktor derKatholischen Sozialakademie Österreichs.

DIE FURCHE · 530. Jänner 2025Religion11In seiner Autobiographie spart der Papst das heikle Thema Nahostkonflikt nicht aus. „Hoffe“ wird damit zum Lehrstück über die Fallstricke,die sich am pontifikalen Grenzverkehr von religiöser Autorität und politischer Verantwortung ergeben. Ein Gastkommentar.Franziskus’ begrenzte HaftungVon Gregor Maria HoffEs gibt einen Marktbedarf anautobiographischer Literatur.Der Selbstvergewisserungslustprominenter Autoren entsprichtdie Neugier eines Publikums,das Anteil an den Prominenten dieser Weltnimmt. Außergewöhnliches Leben im gewöhnlichen:Kaum jemand scheint dainteressanter als der Stellvertreter Christi.Medienwirksamkeit ist dem Papst gewiss.Und so nutzt Franziskus seine Lebensgeschichte,um sein Evangelium zu predigen.Stellte die deutsche Ex-KanzlerinAngela Merkel ihr Leben unter das Kennwort„Freiheit“, greift Papst Franziskus aufdie theologische Tugend der Hoffnung zurück,die er in einen Imperativ verwandelt:Hoffe. Beide verbindet das politische Drehmomentihrer Selbstautorschaft, dennauch Franziskus übersetzt seinen biographischbestimmten Glauben an Gott in diepolitische Bedeutung des Evangeliums. Esgilt den marginalisierten Menschen dieserWelt, die ihm Kardinal Hummes nach derPapstwahl ans Herz legte: „Vergiss die Armennicht!“ (Lesen Sie dazu Andreas BatloggsBuchbesprechung in Augabe 4)Entschlossen kämpft der Papst seitdemfür wirtschaftlich gerechte Lebensbedingungen, für den Erhalt der Schöpfung.Streitbar tritt der Argentinier gegendie Kriege des 21. Jahrhunderts auf. Aus seinerFamiliengeschichte belehrt, weiß Franziskusum die verheerenden Folgen der beidenWeltkriege. Militärisch entfesselteGewalt kennt keine Grenzen als eine Vernichtung,die alles und jeden erreicht. Friedensappelleund Vermittlungsinitiativenspielen deshalb eine wichtige Rolle in seinemPontifikat, und seine Autobiographiebelegt, dass er dafür auch den Einsatz seinesLebens nicht scheut.Pontifikale DoppelagendaDas ist Hintergrund und Maßstab derunnachgiebigen Kritik, mit der sich Franziskusder Logik des Hasses und derÖkonomie des Krieges widersetzt. Vonbesonderem Interesse sind seine Interventionen,wenn sie sich an den Schnittstellenseiner religiösen Mission und seinerpolitischen Appelle konkretisieren.Der Papst ist eben beides: als Bischof vonRom das Oberhaupt der katholischen Kircheund zugleich Chef des Vatikanstaates.Diese Konstellation erlaubt es einerseits,den Zusammenhang von Politik und Religionzur Geltung zu bringen, steht andererseitsin der Gefahr, einen der beidenZuständigkeitsbereiche zu überdehnen.Dieses Risiko scheut Franziskus nicht.Das zeigt sich am heikelsten Punkt seinerDoppelagenda als Pontifex maximus: beiseiner Haltung zur Situation im Nahen Ostennach dem genozidalen Angriff der Hamasauf Israel am 7. Oktober 2023. Für denPapst stehen die Opfer auf beiden Seitenim Fokus.Dabei haben seine Äußerungen für Irritationennicht nur auf jüdischer Seite gesorgt.Zuletzt hat Franziskus eine völkerrechtlicheUntersuchung des Genozid-Vorwurfsan Israel für angebracht erklärt. Immerwieder schienen Hamas und Israel in seinenStellungnahmen handlungsverantwortlichauf derselben Ebene zu stehen. DieKritik aus dem Judentum weltweit: Brauchtes nicht die unmissverständliche Benennungder Täterschaft der Hamas? Stellt diemilitärische Intervention im Gazastreifenfür Franziskus keinen Verteidigungskriegdar? Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzilhat sich die katholische Kirche auf dieunauflösliche Bindung an das JudentumDie israelischeHistorikerinKarma Ben-Johanan überdie zerrüttetenchristlich-jüdischenBeziehungen(9.7.2024)auf furche.at.„ Braucht es nicht die unmissverständlicheBennennung derTäterschaft der Hamas? Darf manvon einem Papst nicht eine andereSensibilität für den ExistenzkampfIsraels erwarten? “verpflichtet. Darf man von einem Papstnicht eine andere Sensibilität für den ExistenzkampfIsraels erwarten?Der 7. Oktober spielt auch in „Hoffe“ einewichtige Rolle. Diesmal benennt Franziskusunmissverständlich, von wem derTerror ausging – von den „Schergen derHamas“. „Teuflisch“ nennt der Papst ihrMassaker, um auf dieser Basis „die GegenwehrIsraels“ anzusprechen. Gewalt gegenUnschuldige – „auch das ist Terrorismus“,so Franziskus. Also doch wieder eine Parallelisierungvon Hamas und Israel? In seinerAutobiographie herrscht ein Ton persönlicherBetroffenheit. Immer wieder sprichtFranziskus seine Beziehungen zu jüdischenMenschen an. Freundschaften. Aberwas bedeutet dies für die politische Einschätzungdes Papstes in einem Krieg, indem Israel von allen Seiten bedroht ist? SeineAutobiographie lässt Fragen offen. Derpäpstliche Einsatz für den Frieden weistauf die Probleme hin, die sich am pontifikalenGrenzverkehr von religiöser Autoritätund politischer Verantwortung ergeben.Als Testament angelegt, tritt Franziskus in„Hoffe“ als prophetischer Moralist auf underweist sich als politischer Theologe mitbegrenzter Haftung.Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologiean der Universität Salzburg.Zum200. Jubiläumdas exklusiveSonder-MagazinJetzterhältlich zumStrauss-Jahr2025MAGAZIN2025 feiert die Welt den 200. Geburtstag von Johann Strauss – dem Meister des Walzers und der Operette,dessen Werke die österreichische Kultur nachhaltig geprägt haben. Tauchen Sie ein in sein Leben, seine Familieund seine unvergessliche Musik. Erleben Sie im Magazin eine faszinierende Zeitreise: Vom Biedermeier bis zurWiener Moderne, mit spannenden Geschichten und historischen Einblicken.Jetzt um nur 14,99 € bestellen:diepresse.com/strauss

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