DIE FURCHE · 94 Das Thema der Woche Zeitung im Fluss29. Februar 2024EigentümerDie vergleichsweisekleineWochenzeitungist als Genossenschaftorganisiert,alle Redakteureund RedakteurinnensindMiteigentümerihres Mediums.Das Gespräch führte Milena ÖsterreicherBis heute ist die Printzeitungdas Herzstück der SchweizerWochenzeitung WOZ. Die WOZbezeichnet sich selbst als „diegrößte linke und unabhängigeWochenzeitung in der Schweiz“. LautSchweizer MedienforschungsunternehmenWEMF erreicht sie an die 91.000 Leserinnenund Leser. Ihre Auflage liegt aktuell bei19.157 Stück.Die Wochenzeitung sticht auch durch ihreOrganisationsform in der Medienlandschafthervor, denn sie ist als Genossenschaftorganisiert. Eine Chefredaktion gibtes nicht, die Redaktionsleitung hat eine koordinierendeFunktion und wird vom Gesamtbetriebgewählt. Florian Keller ist seitzehn Jahren bei der WOZ und aktuell Mitgliedder dreiköpfigen Redaktionsleitung.DIE FURCHE: Die WOZ erscheint seit 1981.Bis heute ist die Zeitung in Printform dasHauptprodukt . Wie schafft es die WOZals Printzeitung zu bestehen?Florian Keller: Das hat sicherlich verschiedeneGründe. Generell halten sich gedruckteWochentitel bislang ja besser alsTageszeitungen. Der Wochenrhythmus bewahrtuns wohl auch davor, auf schnelleKlicks zu spekulieren. Zudem ist die WOZihrem Profil als klar linke Zeitung seit ihrerGründung 1981 immer treu geblieben.Damit steht sie heute, da viele größere Medienin der Schweiz nach rechts driften,fast alleine da. Es schadet sicher auch nicht,dass wir offenbar qualitativ hochstehendenJournalismus bieten: In dem Medienqualitätsrankingder Schweizer UniversitätenZürich und Freiburg rangiert dieWOZ unter den Wochentiteln auch als vergleichsweisekleine Zeitung jeweils ganzoben. 2023 hat uns zwar die NZZ am Sonntagüberflügelt, aber in den Kategorien „Relevanz“und „Einordnungsleistung“ hattenwir die besten Werte von allen.DIE FURCHE: Ist so eine wissenschaftliche Zertifizierunghilfreich für Qualitätsmedien?Keller: Es ist sicher gut fürs Renommee. Andererseitsfrage ich mich auch, warum wirtrotz offenbar so guter Qualität kein größeresPublikum haben. Daran versuchen wirzu arbeiten. Letzten Herbst haben wir etwagroße Verteilaktionen an Unis und Fachhochschulenin der Schweiz gemacht, auchim Bemühen, eine jüngere Generation anzusprechen.In Studien zur Mediennutzungheißt es ja oft, dass ein Großteil der jungenMenschen zu den „News-Deprivierten“ zähle,also mit Nachrichten unterversorgt seiund eher nebenbei über soziale Medien mitInformationen versorgt werde.DIE FURCHE: : Kann man denn junges Publikumnoch für Print begeistern?Keller: Aus persönlicher Überzeugung sageich: Ja, auf jeden Fall. Ob es zutrifft, werdenwir sehen. Von den Rückmeldungenunserer Leserinnen und Leser merken wiraber, dass viele zumindest die Auswahlzwischen Print und digitalen Angebotenhaben möchten. Vor allem bei längerenTexten möchten viele immer noch Papier inder Hand haben beim Lesen. Gerade wennman, wie ich selbst auch, sonst schon sehrviel Zeit am Display verbringt.„ Viele unserer Leserinnen und Lesermöchten zumindest die Auswahlzwischen Print und digitalen Angebotenhaben. Vor allem bei längeren Textenmöchten viele immer noch Papier inder Hand haben. “Lesen Sie zumThema auch dieAnmerkungenvon BernhardPörksen zu „DieZukunft derZeitung“ am27.9.2012,siehe furche.at.Blick in die Schweiz: Dort setzt die Wochenzeitung WOZweiterhin auf Print und gemeinsame Entscheide. EinGespräch mit Florian Keller aus der Redaktionsleitung.„Publikumfür Printbegeistern“DIE FURCHE: Auch ältere Generationen konsumierenheute zunehmend Nachrichtenonline. Gestiegene Papier- und Druckkostenmachen Printmedien zusätzlich zu schaffen.Wie sieht es hier bei der WOZ aus?Keller: Die steigenden Kosten machen uns natürlichauch zu schaffen. Aber dank den Jahrendavor geht es uns immer noch relativ gut.Zwischen 2013 und 2021 konnten wir uns von14.000 sukzessive auf 18.000 Abos steigern.Wobei es nun auch bei uns in den letzten beidenJahren erstmals wieder einen Knick in derAbokurve gibt und diese leicht zurückgeht.DIE FURCHE: Ist auch ein Rückgang der Werbeanzeigenspürbar?Keller: Kaum, bei denAnzeigen sind wir relativstabil. Zudem ist dieWOZ seit jeher nur zueinem sehr kleinen Teilvon Werbeeinnahmenabhängig. Wir sind zu80 Prozent über Abos finanziert,Inserate machenbei uns elf Prozentder Einnahmen aus undSpenden neun Prozent.Wir waren also nie sostark vom Inseratevolumenabhängig wie andere,größere Medien.Wichtig für uns ist auchunser Förderverein Pro-WOZ, der Spenden für unseren Recherchefondsverwaltet, über den wir aufwändige Recherchenund Reportagen mitfinanzieren.Foto: PrivatNächste Woche im Fokus:Foto: iStock / Michael Derrer Fuchs (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)DIE FURCHE: Beim Abo-Modell der WOZmacht es keinen Unterschied, ob man einreines Online-, ein Printabo oder beidesnimmt. Alle Angebote haben den gleichenPreis. Warum?Keller: Dieses Argument kommt öfters,dass wir uns ja Papier- und Druckkostensparen würden, wenn Leserinnen und Lesernur ein digitales Abo nehmen. UnsereHaltung dazu ist: Bei uns zahlt man für dasjournalistische Produkt, egal in welcherForm. Deshalb machen wir da keinen Preisunterschied.Aber wir bieten verschiedenePreisabschläge für Menschen mit geringemEinkommen an, etwa Studenten oderPensionistinnen.DIE FURCHE: In Österreich gab es bei großenwie kleinen Medien Einsparungen. Dieälteste Tageszeitung der Welt, die WienerZeitung, wurde in Print eingestellt und erscheintnur mehr online. Bei einigen Zeitungengab es Kündigungen und Umstrukturierungen.Musste die WOZ ähnlicheMaßnahmen treffen?Keller: Bis jetzt glücklicherweise nicht. ImGegenteil, wir konnten in den letzten Jahrenausbauen, personell wie auch publizistisch.2019 haben wir etwa unsere Heftbeilageneu konzipiert und von vier auf sechsAusgaben erweitert. Unter dem Namen Wobeierscheint sie nun als Hochglanz-Magazin,in der Regel monothematisch. So hattenwir etwa im November 2023 ein ganzesHeft über die Zentren der syrischen Diaspora:32 Seiten mit Menschen aus Syrienim Exil in Beirut, Istanbul und Berlin.Dank der lange gestiegenen Abokurvekonnten wir auch die Honorare für Freieund Festangestellte leicht anheben. Allerdingssind unsere Löhne immer noch vergleichsweisebescheiden, jedenfalls deutlichunter den von den Berufsverbändenin der Schweiz empfohlenen Mindestlöhnen.Wir müssen auch schauen, wo Einsparungenmöglich sind. Derzeit sind wir aberzum Glück in der Lage, nicht bei Personalund Löhnen ansetzen zu müssen.DIE FURCHE: Die WOZ wird von der GenossenschaftInfolink herausgegeben. Wer beider WOZ angestellt ist, kauft sich mit einemGenossenschaftsanteilin die Zeitung ein undist dann Miteigentümer.Was bedeutet das imjournalistischen Alltag?Keller: Abgesehen davon,dass es bei der WOZkeine Chefredaktiongibt, die Weisungen gebenkönnte, unterscheidetsich der journalistischeAlltag bei uns kaumvon dem bei anderen Redaktionen.Als Betriebsind wir basisdemokratischorganisiert: AlleFlorian Keller ist Mitglied der dreiköpfigenRedaktionsleitung der wichtigen EntscheideWochenzeitung WOZ.wie Budget oder WeiterentwicklungjournalistischerFormate werdenim Plenum gefällt, und alle verdienen gleichviel, egal, welchen Job sie haben – abhängigvom Pensum natürlich. Bei uns dauert esmanchmal ein bisschen länger, bis Entscheidegefällt werden können, etwa über publizistischeProjekte und Neuerungen – basisdemokratischeProzesse brauchen mehrZeit. Es führt aber auch zu einer größerenFreiheit, was die persönliche Arbeit betrifft.Zum Thema Mediennutzung siehe auch die Beiträgeüber Büchereien, S. 12-13 dieser FURCHE.Sie waren erfolgreiche Schriftstellerinnen und Journalistinnen – und trotzdemkennt kaum jemand ihren Namen, während ihre männlichen Kollegenlängst Klassiker sind. Dagegen gilt es, die Geschichte neu zu schreiben unddie Frauen ans Licht zu holen, das ihnen gebührt.
DIE FURCHE · 929. Februar 2024International5Von Tobias MüllerJeder Krieg hat seine Geografie.Bestimmte Ortsnamenrücken dabei in denFokus der Weltöffentlichkeit:bei der Auseinandersetzungzwischen Israel und der Hamaswaren das etwa Deir al-Balah,Khan Younes, derzeit Rafah an derägyptischen Grenze, zuvor Kibbuzimim Süden Israels wie Be’erioder Kfar Aza. Die niederländischeStadt Den Haag hat in dieserReihe eigentlich nichts zu suchen.Dennoch war sie in den ersten Wochendes Jahres 2024 ein zentralerOrt, was die Bildformung diesesKriegs betrifft – und des Konflikts,der ihm zugrunde liegt.Gänzlich überraschend ist dasnicht, denn die „Stadt von Friedenund Recht“ beherbergt nebenanderen Institutionen sowohlden Internationalen Gerichtshof(IGH) der Vereinten Nationen alsauch den Internationalen Strafgerichtshof(IStGH). Am ersten,1945 als Teil der UN-Charta insLeben gerufen, tragen Länder juristischeKonflikte aus. Der zweiteverfolgt seit inzwischen 20 JahrenAngeklagte, denen Verstößegegen das Römische Statut vorgeworfenwerden: Völkermord,Verbrechen gegen die Menschlichkeit,Kriegsverbrechen undAngriffskrieg.Nahost als ProjektionsflächeDer ambivalente Zustand des internationalen Rechts zeigt sich aktuell in den Gerichtshöfen in Den Haag.Dort prallen hehre Ideen unverblümt auf die Realität. Warum Israel hier eine unrühmliche Rolle einnimmt.Image-Krieg imFriedenspalastDamit stand Den Haag, wo auchdie Tribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien angesiedelt waren,im Laufe der Jahre oft im internationalenFokus. Kaum je aber nahmdie Aufmerksamkeit Formen anwie in diesem Winter. Fraglos liegtdas am enormen symbolischen Potentialund der Projektionsfläche,die der Nahost-Konflikt bietet, mitdem sich beide Gerichtshöfe derzeitbeschäftigen. Nicht alle Untersuchungenoder Prozesse habendabei direkt mit dem aktuellenKrieg zu tun. Nicht zuletzt, weilvor Gericht wie auch in der Außenwahrnehmungeiniges durcheinanderläuft,kann dieser Eindruckfreilich entstehen.Am prägnantesten war ohneFrage die südafrikanische Genozid-Anklagegegen Israel im Jänner,begleitet von großen Demonstrationenvor dem Tribunal. VusiMadonsela, Botschafter Südafrikasin den Niederlanden, fand, beiIsraels Vorgehen in Gaza sei „derBeweis für die genozidale Absichtüberwältigend“. Israel berief sichhingegen auf das Selbstverteidigungsrecht.In einem Diskurs, derdiesen Konflikt zunehmend alsrein kolonialen wahrnimmt, überwiegtbisweilen die moralischeund ideologische Empörung undweniger die Tatsache, dass justdie Intention – entscheidendesKriterium eines Völkermords –nicht vorliegt.Bis zu einem Urteil werden voraussichtlichJahre vergehen. Fürdie Bildformung dieses Kriegs istder Genozid-Vorwurf als kapitalerVerstoß gegen das Völkerrechtund die laufende Anklage unterdessenvon großer Bedeutung.Akut ging das Tribunal EndeJänner auf einen Eilantrag Südafrikasein: Israel muss demnachMaßnahmen ergreifen um die ZivilbevölkerungGazas zu schützen,die humanitäre Lage zu verbessernund einen Genozid zuverhindern.Mitte Februar dann erschienenAngehörige der von der Hamasaus Israel verschleppten Geiselnvor dem Internationalen Strafgerichtshof.Begleitet von Demonstrantenforderten sie ChefanklägerKarim Khan auf, die Führungder Terrororganisation zu verfolgen.Im Gepäck hatten sie Zeugenaussagenund weiteres belastendesMaterial für eine Anzeige wegenKriegsverbrechen, darunterEntführung, sexuelle Gewalt undFolter. Mit einem Haftbefehl gegendie Hamas-Spitze soll auchDruck für die Freilassung der Geiselnerzeugt werden.Ermittlung in beide RichtungenAuch am IStGH ist die Lage vielschichtig.Vor genau zwei Jahrenkündigte die damalige ChefanklägerinFatou Bensouda an, etwaigeKriegsverbrechen in denpalästinensischen Gebieten ab2014 zu untersuchen. Khan, ihrNachfolger, gibt sich in diesenMonaten fest entschlossen in beideRichtungen zu ermitteln unddem Recht zur Geltung zu verhelfen.Er erklärte „tief besorgt“zu sein über eine mögliche israelischeBodenoffensive in Rafah,zugleich forderte er die „sofortigeFreilassung aller Geiseln“.Khan hatte Anfang Dezember Israelund Palästina besucht undim Anschluss betont, der Schutzdes Rechts gelte für alle. Ende Februarrückte der auch als „Friedenspalast“bekannte IGH wiederin den Blickpunkt: die Anhörungenzur israelischen Besatzungund Siedlungspolitik im Westjordanlandzeigen, wie sich das Gesamtbilddes Konflikt im Zuge desKriegs formt und verdichtet. Hintergrundist ein Antrag der UN-Vollversammlung vom Dezember2022, der das Gericht um eineStellungnahme zu den „rechtlichenKonsequenzen der israelischenPolitik in den besetztenPalästinensischen Gebieten, inklusiveOst-Jerusalems“ ersuchte.Eine solche Stellungnahme istnicht verbindlich, hat aber großessymbolisches Gewicht.Für letzteres spricht, dass sichüber sechs Sitzungstage 52 Staatenund drei internationale Organisationen– die Arabische Liga(LAS), die Organisation für IslamischeZusammenarbeit (OIC) unddie Afrikanische Union (AU) – vordem Tribunal dazu äußerten, mehrals bei jedem anderen Fall in dessenGeschichte. Riyad al-Maliki,Außenminister der Autonomibehörde,nannte die palästinensischeBevölkerung des Westjordanlands„Zweite-Klasse-Bürger eines koloni-Illustration: Rainer Messerklinger„ In einem Diskurs,der diesen Konfliktzunehmend als reinkolonialen wahrnimmt,überwiegt die ideologischeEmpörung.“alen, rassistischen Systems“, denenseit über einem Jahrhundert ihrvon der UN-Charta garantiertesRecht auf Selbstbestimmung vorenthaltenwerde.Im Lauf seiner Rede wurdeal-Maliki zusehends emotional,zeigte Fotos von im Gazakrieg verletztenKindern und zerstörtenGebäuden und betonte, dort seiein Genozid in der Entstehung –ein Verweis auf einen anderenFall am gleichen Gericht, der mitdemjenigen, um den es ging, eigentlichnichts und zugleich, inder Wahrnehmung des Ministersebenso wie der palästinensischenSolidaritätsbewegung, alles zutun hatte.Es zeigt sich in diesem Kontextauch einmal mehr der ambiva-W. MachreichsReportage„Den HaagerGerichtepuzzlefür weltweiteGerechtigkeit“(31.1.2024)lesen Sie auffurche.at.KollektiveGültigkeitDer Schutz desinternationalenRechts sollte füralle Bewohnerauf der Erde gelten,so die Intentiondes Völkerrechtsgedanken.Dochwas, wenn dieseIdee nicht konsensfähigist?lente Zustand des InternationalenRechts. Die Idee einer solchen„Weltgerichtsbarkeit“, die im IdealfallKriege stoppen und Schuldigeverurteilen kann, nannte WolfgangMachreich zuletzt in einerFURCHE-Reportage noch „märchenhaftschön“. Als theoretischerFixpunkt leuchtet sie irgendwoüber Den Haag an einemfernen Horizont.Komplexes BeziehungsgefügeZugleich kann ihr aktueller Statusschwerlich mehr sein als dieSumme der Regierungen, die sichzur oft zitierten „internationalenGemeinschaft“ zusammenfügen.Deren komplexes Beziehungsgefügespiegelt sich unweigerlichin der Realität wider, auf welchedie hehren Ideen treffen. Diesebesagt etwa, dass Israel zu jenenLändern zählt, die den IStGHnicht anerkennen. Man befürchtet,dieser werde zum „Werkzeuganti-israelischer Propaganda“.Zugleich kassierte das Landzwischen 2006 und 2023 die mitAbstand meisten Verurteilungendes UN-Menschenrechtsrats:weitaus mehr als die Staaten Syrien,Nordkorea, Iran und Eritreazusammen.
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