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DIE FURCHE 29.12.2024

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DIE FURCHE · 922

DIE FURCHE · 922 Wissen29. Februar 2024Keine KinderkrankheitMasern-Viren können bei Kindern undErwachsenen zu lebensbedrohlichenKomplikationen führen. Zudemschwächen sie das Immunsystem,was weitere Infektionen begünstigt.Von Martin TaussWie Corona werdenauch dieMasern vor allemdurch eineTröpfcheninfektionübertragen: Es sind winzigePartikel in der Luft, die zur Ansteckungführen. Wenn erkrankteMenschen husten oder niesen,werden infektiöse Tröpfchen ausgeschieden,die oft über Stundenin der Luft bleiben. Auch durchdirekten Kontakt mit kontaminiertenOberflächen, Nasen- oderRachensekreten können Infektionenauftreten. Bis die erstenSymptome sichtbar werden, dauertes meist ein bis zwei Wochen.Doch bereits circa vier Tage, bevorsich der typische Hautausschlagzeigt, kann eine infiziertePerson andere anstecken. Masernist somit ähnlich heimtückischwie Covid-19: Betroffene könnenden Krankheitserreger noch vordem Beginn von Symptomen, also„gefühlt gesund“ übertragen.Zugleich ist das Virus hochgradiginfektiös: Eine betroffene Personsteckt im Schnitt zwölf bis 18 Gesundean – das ist z.B. mehr als beider Omikron-Variante von Corona.Was passiert, wenn sich dieMasern ungebremst ausbreiten,zeigt ein Blick die Geschichte. MichaelPammer hat zu Epidemienvor der Jahrhundertwende geforscht.„Egal, wohin man blickt:Als es noch keine Impfung gab,war der Verlauf unkontrollierbar“,sagt der Wirtschafts- und Sozialhistorikervon der Johannes Kepler-UniversitätLinz zur FURCHE.„In ganz Cisleithanien (Anm.: dernördliche und westliche Teil vonÖsterreich-Ungarn) waren es biszu 1,5 Prozent Masernsterbefällepro Jahr, bezogen auf die Geburtenzahldesselben Jahres. Bei denEpidemien in Linz waren es mehr,sieben Prozent 1894 und knappsechs Prozent 1897. Hier erkranktenbesonders viele Kinder, die inden vorherigen Jahren den Masernentwischt waren – entsprechendschlimm war das Ergebnis.“Hohe DunkelzifferStark steigende Masern-Infektionszahlensind für die Weltgesundheitsorganisation(WHO)derzeit wieder ein Grund, umAlarm zu schlagen. Im Jänner undFebruar wurden heuer bereitssieben vom Masernvirus verursachtenTodesfälle in der EU gemeldet– sechs in Rumänien undeiner in Irland. Weltweit ist dieZahl der Erkrankungen 2023 imVergleich zum Vorjahr um 79 Prozentin die Höhe geschnellt. Fachleuteseien angesichts dieser Entwicklung„äußerst besorgt“, heißtes aus der WHO-Zentrale in Genf;das laufende Jahr werde zur „großenHerausforderung“. Zudem gehenExperten von einer wesentlichhöheren Dunkelziffer aus, dabei weitem nicht alle Infektionengemeldet werden.Eine Hauptursache für die neuerlicheAusbreitung der gefährlichenViruserkrankung ist lautWHO eine rückläufige Impfquote.Auch in Österreich ist die Durch-„Impfen: Ewigalter Elternzwist“(12.3.2015):Veronika Dolnaüber die erstenExperimente imKampf gegendie Pocken,auf furche.at.Rückkehreiner Geißel„ In der ursprünglichen Masern-Therapie ist manin mehr als tausend Jahren kaum weiter gekommen.Alles, was wir haben, ist eine hoch effektive und gutverträgliche Impfung.“Medizinhistoriker Robert JütteIllustration: iStock/ZU_09Die WHO schlägt aufgrund stark steigender Masernfälle Alarm.Bei der Impfquote zählt Österreich zu den Schlusslichtern in der EU.Kann man aus der Geschichte lernen?impfungsrate deutlich gesunken;neben Rumänien und Liechtensteinzählt das Land zu denSchlusslichtern in der EU. Um dieAusbreitung von Masern zu verhindern,müssten im Sinne einer„Herdenimmunität“ mindestens95 Prozent der Bevölkerung vollständiggeimpft sein. Kinder solltenbereits im ersten Lebensjahr,jedenfalls aber vor Eintritt in dieKinderkrippe oder den Kindergartenzweimal geimpft werden,so die Empfehlung des Gesundheitsministeriums.Ab den 1960er Jahren wurdedie Masernimpfung sehr effektiveingesetzt. Die Folge: In Europagab es lange Zeit fast gar keineMasernfälle mehr. „Die Hoffnung,dass man die Masern ähnlich wiedie Pocken ausrotten kann, istheute jedoch weiter entfernt dennje“, sagt der deutsche MedizinhistorikerRobert Jütte im Gesprächmit der FURCHE. „Experten habenschon länger vor der aktuellenSituation gewarnt – und leiderrecht behalten. Die Unterschätzungdieser potenziell tödlichenVirusinfektion, die fälschlicherweiseals ‚Kinderkrankheit‘ bezeichnetwird, ist historisch zuverstehen.“Da sind zunächst die jüngstzurückliegenden Corona-Jahre:Aufgrund von Lockdowns, Maskentragenund anderen gesundheitspolitischenMaßnahmenwurden während der Pandemieauch die Masernfälle eingedämmt.Zugleich ist die weltweite Impfquoteauf 83 Prozent gesunken,etwa durch vernachlässigte Impfungenwährend der Corona-Zeit.Einerseits lag das Augenmerkfast nur noch auf Covid-19. „Andererseitswaren viele Menschendurch die rasch eingeführte Corona-Impfungverunsichert“, so Jütte.„Ebenso wie die lange Dauer derPandemie hat das der ImpfgegnerschaftAufwind gegeben, die bisins 19. Jahrhundert zurückreicht.“Als Reichskanzler Otto von Bismarcknach den großen Pockenepidemien1870 und 1873 inDeutschland eine Impfpflicht einführte,formierte sich der Widerstandin Form von ersten Impfgegner-Organisationen.„Wenn mansich in den vergangenen Jahrenauf Corona-Demonstrationen umgesehenhat, waren aus historischerSicht viele ‚alte Bekannte‘zu erkennen, zum Beispiel Vertreterder Naturheilkunde oder derHomöopathie“, sagt Robert Jütte,der von 1990 bis 2020 das renommierteInstitut für Geschichteder Medizin der Robert BoschStiftung in Stuttgart geleitet hat.„Auch die Methoden der Impfgegnerhaben sich seit damals kaumgeändert. Da werden offizielle Statistikenangezweifelt oder Einzelfällevon Impfschäden groß aufgeblasen.“Sind es in den westlichen Industrienationenvor allem Impfskepsisund Impfmüdigkeit, die für lokaleAusbrüche sorgen, kämpfenmanche Länder des Globale Südensweiterhin mit der unzureichendenVerfügbarkeit von Impfstoffen.„Und Impfgegnerschaftgibt es auch aus kulturellen oderreligiösen Gründen“, ergänzt Jütte.„Verschwörungstheorien, wonachein Impfstoff aus dem WestenSchaden bringt, haben Anti-Masernkampagnenin Asien oder Afrikastark beeinträchtigt.“Aufklärung im JosephinismusIm Europa des 19. Jahrhundertsspielte die Religion ebenfalls nocheine bedeutende Rolle bei Gesundheitsfragen:So fürchtete der TirolerFreiheitskämpfer AndreasHofer, durch die Pockenimpfungwürde einem der Protestantismus„eingeimpft“. Viele seiner Zeitgenossenmeinten, die Seuche seigottgewollt beziehungsweise eineStrafe Gottes. „Im Spätjosephinismusbemühte man sich hierum Aufklärung“, erzählt SozialhistorikerPammer. „Die Regierungwar damals sehr stolz aufdie Impfung. Nicht nur Ärzte undHebammen, auch die Priesterwurden verpflichtet, von der Kanzelaus über diese medizinische Errungenschaftzu predigen. Bei derTaufe hat man den Eltern einen eigenenTraktat überreicht, um diePockenimpfung zu empfehlen.“Die Bekämpfung der Pocken wurdeletztlich zur Erfolgsgeschichte:Seit 1980 ist die Erkrankung ausgerottet.Die Geschichte der Masern hingegenbleibt problematisch. Sie begannvor circa 2500 Jahren, alsein Virus vom Rind auf den Menschenübergesprungen sein dürfte.Damals, in der Frühphase dermenschlichen Zivilisation, entwickeltensich erste Großsiedlungenmit über 250.000 Einwohnern – diekritische Schwelle, ab der sich dasMasernvirus in Gemeinschaftenhalten kann. Der erste größere Berichtüber die Erkrankung stammtvon Rhazes, einem persischen Arztaus dem 10. Jahrhundert, der eineBehandlung mit kalten Umschlägenempfahl. „In der Therapieder ursprünglichen Infektionist man in mehr als tausend Jahrenkaum einen Millimeter weiter gekommen“,resümiert Robert Jütte.„Alles, was wir haben, ist eine hocheffektive und gut verträglicheImpfung.“

DIE FURCHE · 929. Februar 2024Wissen23Der Weltraumsektor boomt, doch Österreich kämpft mit Hürden. Talent undKapital dürfen nicht weiter abwandern. Ein Gastkommentar.Industriepolitik inder ErdumlaufbahnLesen Siedazu auch dasInterview mitGernot Grömervom 27.10.2022(„Wir spielenCSI Orbit“), zufinden auffurche.at.Bild: OeWF/Spire/GRASP SAS EuropeIllustration: Rainer MesserklingerVon Gernot GrömerRaumfahrt ist längst integralerTeil unserer Infrastruktur geworden:Von der Wetterprognosein den Abendnachrichten,Satellitenflotten für globale Internetanbindungbis hin zur bevorstehendenRückkehr zum Mond im Rahmen desArtemis-Programms. Europa hat etwa imBereich Klimamonitoring eine Vorreiterrolle,um die uns selbst die Kolleginnenund Kollegen bei der NASA beneiden. UndÖsterreich? Als Teil der Europäischen WeltraumorganisationESA liefert die nationaleForschungslandschaft und Industrie Beiträge,die in manchen Nischen größer sind,als unsere Landesgröße vermuten ließe –etwa im Bereich Erdbeobachtung, Simulationsforschungoder Leichtbaustrukturen.Mit rund tausend High-Tech-Arbeitsplätzesetzen etwa hundert österreichische Firmenjährlich ungefähr 230 Millionen Euroum – eine Verdoppelung zur vorangehendenDekade. Noch.BMK: Starrer VerwaltungsapparatNeben dem Außen-, Verteidigungs- undForschungsministerium zeichnet vor allemdas Klimaministerium von BundesministerinLeonore Gewessler federführend in derGestaltung der nationalen Raumfahrtagenden.Die Branche boomt weltweit rasant: Alleineletztes Jahr wurden knapp 3000 (!)Satelliten gestartet, der globale Weltraumsektorhat ein Volumen von etwa 600 MilliardenEuro. Über das Klimaministeriumträgt Österreich mit 77 Millionen Euro bescheidene1,3 Prozent zum Budget der EuropäischenWeltraumorganisation ESA jährlichbei: Pro Kopf entspricht das 8,50 Euro.Zum Vergleich: Die Schweiz liegt bei 18 Euro,Belgien bei 20 Euro je Einwohner.Aber in der österreichischen Industrierumort es – obwohl das BMK 2021 die nichtgänzlich unumstrittene österreichischeWeltraumstrategie publizierte, deren Zielesich nur bedingt mit den Plänen der ESAoder dem Verteidigungsministerium decken.Leonore Gewesslers Klimaministeriumhat enorm viele Agenden, von den Bundesbahnenund vom Verkehrswesen bishin zu vielen kleineren Bereichen wie denSeilbahnen. Da kann es schon mal passieren,dass Details der Strategiefindung aufMinisterin-Ebene scheinbar „keine Priorität“haben.So unterhält die ESA etwa Innovations-Partnerschaften in zahlreichen Mitgliedsländernin Form von „ESA_Labs“, wo einInformationsaustausch auf Expertenebeneohne Geldmittel vorgesehen ist. Das ÖsterreichischeWeltraum Forum (ÖWF) peilteeine solche Partnerschaft 2019 an: Die Vorgesprächeverliefen bestens, bis das BMKsich dazwischenschaltete. In den darauffolgendendrei Jahren folgten zwei parlamentarischeAnfragen und Schreiben ausden Wissenschaftsressorts der Bundesländer,wie es nun um das „ESA_Lab“ stünde,und warum gegen bilaterale Gesprächezwischen der ESA und dem ÖWF vorgegangenwürde. Daraufhinentschied sich dasBMK kurzerhand, einenationale Ausschreibungfür das „ESA_Lab“durchzuführen. Durchdie gewählte Form derAusschreibungs-Rahmenbedingungensindaber manche Organisationenschon von vornhereinvon einer Bewerbungausgeschlossen.Wenn in einem Ministerium,das unteranderem auch für Innovationenzuständig ist, der Wert eineraufstrebenden Branche nicht erkannt wirdund zu einer reinen Verwaltungseinheit fürBeamte und Beamtinnen degradiert wird,hat Österreich künftig schlechte Karten.Ein starrer Verwaltungsapparat mindertdie Chancen des Landes, international eineRolle zu spielen und schwächt den Standortenorm. Warum das BMK hier nicht mehrGewichtung darauf legt, ist unverständlich.Gerade auch, weil die Weltraum-Forschungenorm viel zum Thema Umwelt- und Klimaschutzbeitragen könnte. Da verwundertes nicht, dass österreichische Firmen den„ Allein in Bayernerzielen 450 RaumfahrtfirmeneinenUmsatz von elfMilliarden Euro.In Österreich ist vondieser Aufbruchsstimmungwenigzu spüren. “Weg in andere Länder suchen. Alleine dieTatsache, dass heimische Unternehmen einEmpfehlungsschreiben von der staatlichenForschungsförderungsgesellschaft beziehungsweisedem Klimaministerium benötigen,um an manchem ESA-Programmteilzunehmen, ist hinterfragenswert. DieESA hat ein exzellent aufgestelltes expertenbasierendesAuswahlverfahren für Industrieaufträge,wozu also eine zusätzlicheHürde? Zudem kommt, dass ohnedie offizielle Unterschrift, die relativ einfachverweigert werden kann, die ESAkeine Aufträge vergeben darf. Da wundertes auch nicht, dass – obwohl es in der Brancheordentlich rumort – kein Unternehmenoffiziell Kritik übt. Hinter vorgehaltenerHand wird allerdings gemunkelt, dass dieBeamten den Bereich weiterhin fest in ihrerHand behalten wollen. Warum, das werdenwir wohl nicht erfahren.Der Weltraumsektorboomt, alleine in Bayernerzielen 450 Raumfahrtfirmeneinen Umsatzvon elf Milliarden Euro.In Österreich ist vondieser Aufbruchsstimmungwenig zu spüren –manche österreichischeFirmen errichten inzwischenSitze im Ausland,inklusive dem Abwandernvon Talent undKapital.Es geht nicht um denRuf nach mehr staatlichenFördermitteln, sondern dem Entfernenvon Hürden für den Standort, wenigerindustriepolitischer Nabelbeschau undweniger Ränkespiele. Das Beispiel Bayernzeigt das vor: Das könnten wir auch, denndie österreichische Raumfahrtindustriehat Talent und Potential. Es braucht nur etwasOptimismus – und politische Weitsicht.Der Autor ist Direktor am ÖsterreichischenWeltraum Forum (ÖWF). Er unterrichtetRaumfahrtthemen an verschiedenenUniversitäten und ist u.a. in europäischenExpertengremien aktiv.Von Manuela TomicPromajaMOZAIKMein Onkel ist auf dem linken Augeblind, auf dem linken Ohr taub.Schuld daran ist die Promaja, dieZugluft. „Sie hätte mich fast umgebracht“,erzählt er gerne in großen Familienrunden.Eines Sommertags in den 80ernging Onkel direkt nach dem Friseur indie Bar. „Die Haare waren halbnass unddie Klimaanlage blies mir den Kopf weg.“Mit weggeblasenem Kopf legte sich OnkelStunden später schlafen. Als er am nächstenTag aufwachte, sah und hörte er auf derlinken Seite nichts mehr. Seit ich denkenkann, warnt mich Mutter vor der Promaja,dem Lüftchentod, um den sich balkanischeFamilienlegenden ranken. Die Furchtvor der Promaja ist so groß, dass mein Vatersie häufig herbeiredet. „Ist irgendwo einFenster offen?“, fragt er nervös, als würdenböse Geister mit der frischen Zugluft eindringen.Doch sein Bruder, der hagere Zugluftveteran,kennt keine Furcht. Im Gasthausmimt er gerne Leute nach, erzähltFrauen- und Kriegsgeschichten. SeinenHumor hat er nicht verloren. „Ich höre undsehe doch nichts“, schmunzelte er, „was fürein Glück.“ Mein Onkel, mein Vater und Ichhaben alle die gleichen abstehenden Ohren.Wir sind ganz Ohr für die Promaja, derenfeinsten Hauch wir ständig verspüren undverorten. Bei der kleinsten Änderung derWindrichtung schlägt Humor in Furcht,Furcht in Humor um.FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist inSarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen.In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur,Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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