DIE FURCHE · 35 20 29. August 2024 Illu: RM Foto: APA / Tobias Steinmaurer Offene Fragen Der studierte Chemiker Jiří Friml setzt sich für die Grundlagenforschung ein. Der 51-Jährige hat etliche Wissenschaftspreise erhalten. Von Manuela Tomic Loch MOZAIK „In meiner Wand gibt es jetzt ein Loch.“ Gebannt lese ich die Zeilen in Paul Brodowskys Prosaband „Milch Holz Katzen“. Gelegentlich fällt er hinaus in diesen Zwischenraum, in dem Fichtenkeimlinge sprießen, in dem es nach Klopfmörtel riecht. Auch in meiner Wand lebt ein Loch. Es ist kleiner als jenes von Brodowsky. Ich stecke meinen Finger hinein und suche vergeblich nach einem Widerstand. Nachts leuchtet das Loch manchmal kurz wie mein Modem auf. Wenn ich die Augen schließe, verströmt es nicht selten verlockende Gerüche. So dringt aus ihm der Duft von Großvaters knusprigem Spanferkel, das er in seinem Gasthaus für uns Kinder auf Pappteller verteilte. Dann duftet es wieder süßlich nach Großmutters Baklava und dickem Zuckerwasser, das am Gaumen klebt. Oma und Opa schimpfen gelegentlich aus ihrem Zwischenraum heraus: „Eine Frau muss wissen, wie man Pita macht!“ „Kannst du noch immer nicht kochen?“ Ich beruhige die Ahnen mit falschen Versprechungen und gehe schlafen. Nachts träume ich auf Serbokroatisch. Am nächsten Morgen brummt mir der Schädel. Ich gebe „Klopfmörtel“ bei Google ein. Kein Suchergebnis. Das Loch riecht nach Wort. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Der Pflanzenforscher Jiří Friml wurde diesen Sommer mit dem renommierten Wittgenstein-Preis ausgezeichnet. Wie er davon erfuhr und warum er so fasziniert von Pflanzen ist. Ein Porträt. „Das Auto hat geschaukelt“ Von Manuela Tomic Der tschechische Biochemiker Jiří Friml saß mit seiner Familie im Auto, als der Anruf kam. „Ich fuhr gerade durch Tschechien und habe gesehen, dass mich eine österreichische Nummer anklingelt“, erinnert sich Friml, „sofort dachte ich, dass es im Labor einen Unfall gab.“ Als er ans Telefon ging, teilte ihm der Chef des FWF, Christof Gattringer, mit, dass er dieses Jahr mit dem mit 1,7 Millionen Euro dotierten Wittgenstein-Preis ausgezeichnet wird. „Die ganze Familie hat angefangen zu feiern, das Auto hat geschaukelt, „ Es gibt Forschungsfragen, da weiß man nicht, ob man am Ende überhaupt ein Ergebnis hat. “ und ich saß am Steuer“, erzählt Friml und lacht. Mit dem „Austro-Nobelpreis“ hat der Pflanzenforscher vieles vor. Friml wurde am 24. Juni 1973 in Uherské Hradiště im Südosten Tschechiens (Südmähren) ge - boren. Er schloss 1997 sein Diplomstudium in Biochemie an der Masaryk-Universität in Brünn unweit seiner Geburtsstadt ab. Im Jahr 2000 folgten ein PhD in Biologie an der Universität Köln sowie ein zweites Doktorat für Biochemie 2002 an der Masaryk-Universität. Im gleichen Jahr wurde Friml Gruppenleiter am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen in Tübingen, 2006 erhielt er eine Professur an der Uni Göttingen und wechselte 2007 an das Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB) in Gent (Belgien). Es ist eine steile Karriere, die Friml zurückgelegt hat. Ein guter Schüler Aufgewachsen ist der Biochemiker auf einem Hof mit einem Acker und Tieren. „Als Kind wollte ich lieber mit Freunden spielen, aber ich musste auf dem Acker mithelfen“, sagt Friml und schmunzelt. Mit dem Großvater hat er Obstbäume veredelt und seine Faszination für Pflanzen entdeckt. Friml war ein guter Schüler. Besonders zog es ihn zu den Naturwissenschaften hin. Nach der Schule entschied er sich, Chemie zu studieren. Ein ungewöhnlicher Weg für einen Bub vom Land? „Meine Eltern hatten keine großen Erwartungen, aber waren einfach froh, dass ich gut in der Schule und im Studium war“, sagt Friml. „Wie ich hatten sie keine Ahnung, was es bedeutet, zu studieren oder eine akademische Karriere zu beginnen.“ Als er mit dem Studium begann, habe er selbst nicht gewusst, dass er einmal Forscher werden wird. „Bei uns im Dorf gab es für Studierte nur drei Berufe: Lehrer, Arzt oder Pfarrer.“ Friml lacht, als er davon erzählt. Heute ist er einer der bedeutendsten und meistzitierten Pflanzenforscher weltweit. Und das nicht zuletzt wegen seines großen Durchbruchs vor zwei Jahren. Ein Hormon wandert als Substanz zwischen den Zellen und signalisiert ihnen, was sie machen sollen. Damit die Zelle aber weiß, was sie tun soll, bilden sich bei Menschen und Tieren Moleküle, die abgekürzt als cAMP bekannt sind. Sie sind quasi die Messenger zwischen dem Hormon, das von außen kommt, und den Prozessen im Zellinneren. Mehr als 25 Jahre lang hat man geglaubt, dass dieser sogenannte sekundäre Bote bei Pflanzen nicht vorkommt. Doch Friml konnte mit seinem Team am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg nachweisen, dass auch Pflanzenzellen dieses intrazelluläre Signal erfassen, nachdem die Zelle das Hormon Auxin wahrnimmt. „Das war eine unerwartete Entdeckung, welche die gesamte Pflanzenhormonforschung revolutionieren kann“, sagt Friml. Das Geld des Wittgenstein-Preises soll daher auch weiterhin in diese Grundlagenforschung fließen, erklärt der Biologe. „Die Wissenschafter sind Nomaden“, sagt er. Es sei wichtig, in verschiedenen Ländern Erfahrungen zu sammeln, doch das sei schwierig mit dem Familienleben zu harmonisieren. Friml hat zwei Töchter, von denen eine Physik an der renommierten ETH Zürich studiert. Seine Frau ist ebenfalls Naturwissenschafterin und arbeitet am ISTA. „Das Institut ist sehr attraktiv, weil man hier viel Grundlagenforschung machen kann“, sagt Friml. Das sei keine Selbstverständlichkeit mehr. Vielen jungen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen gehe es darum, eine möglichst risikoarme Forschung zu betreiben, um dann möglichst viele Ergebnisse und Paper veröffentlichen zu können. Das sei wichtig für die Karriere. „Es ist aber schade, da die risikoreiche Grundlagenforschung in den Hintergrund rückt“, sagt Friml, „es gibt Forschungsfragen, da weiß man nicht, ob man am Ende überhaupt ein Ergebnis hat oder ob man drei Jahre umsonst geforscht hat.“ „Kulturelle Ähnlichkeit“ Frimls Grundlagenforschung wurde mit dem Wittgenstein-Preis nun gewürdigt. Doch es ist nicht der einzige Preis, den der Pflanzenbiologe erhalten hat. 2010 wurde Friml mit dem renommierten „Körber European Science Award“ ausgezeichnet und ist Mitglied der „European Molecular Biology Organisation“ (EMBO) geworden. 2011 erhielt er einen „Starting Grant“ des ERC. Im Jahr darauf wechselte er als einer der ersten Professoren an das kurz zuvor neu gegründete ISTA. Die Möglichkeit, an ein Institut zu wechseln, das sich ganz klar zur „fundamentalen Forschung“ bekennt, sei damals sehr verlockend gewesen, sagte der Wissenschafter, dem 2012 auch die EMBO- „Gold Medal“ zuerkannt wurde. Auch die „kulturelle Ähnlichkeit von Österreich und Tschechien oder Mähren“ habe bei seiner Entscheidung mitgespielt. Friml spricht ruhig und bedacht. Wenn er erzählt, wie sich Pflanzen vom Wasser überhaupt auf dem Land verbreiten konnten, blickt er während dem Reden konzentriert auf den Tisch. Gerne hätte er ein Blatt in der Hand, um alles genau zu erklären. Pflanzen seien die Könige der Anpassung. Friml kann Faszination für seine Forschung wecken, wenn er erklärt, wie Pflanzen ihre Wunden heilen oder woher sie wissen, in welche Richtung sie wachsen sollen. „Wenn da plötzlich ein Stein im Weg ist, dann sorgt das Auxin dafür, dass die Pflanze weiß, dass sie über den Stein wachsen muss.“ In seiner Freizeit ist Friml häufig in Tschechien, wie eben diesen Sommer, als er vom Preis erfahren hat. Danach gab er unzählige Interviews. „Ich weiß gar nicht mehr, was ich alles gesagt habe“, erzählt Friml und lacht. „Vielleicht sollte ich nicht mehr so viel Kaffee trinken“, sagt er und nimmt noch einen letzten Schluck, bevor er zu einem Termin ins Bildungsministerium eilt.
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