DIE FURCHE · 35 2 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Freiheit 29. August 2024 AUS DER REDAKTION Worum geht es bei einer Nationalratswahl? Um rhetorische Finten und Finessen, wie die zahllosen „Duelle“ glauben machen? Oder darum, für welche Ideale die einzelnen Parteien stehen? Es wäre nicht DIE FURCHE, wenn wir nicht den Fokus auf Letzteres gelegt hätten. In unserer fünfteiligen Serie „Welche Werte wir wählen“ nehmen wir jene großen politischen Ideen in den Blick, die aus unserer Sicht von den fünf derzeit im Parlament vertretenen Parteien besonders hochgehalten werden: Freiheit (bei den Neos), Nachhaltigkeit (bei den Grünen), Sicherheit (bei der FPÖ), Gerechtigkeit (bei der SPÖ) und Leistung (ÖVP). Gut möglich, dass wir uns da und dort getäuscht haben und der eigentliche Schwerpunkt bei der einen oder anderen Partei längst anderswo liegt. Unter anderem das herauszuarbeiten und darüber hinaus Begriffe wie „Freiheit“ philosophisch abzuklopfen, war unser Ziel. Unterstützt hat uns dabei unser Trainee Maximilian Hatzl, der sowohl die Antworten der Parteien auf der Plattform Wahlkabine.at als auch die in der letzten Legislatur periode eingebrachten Initiativanträge datenanalytisch durchforstet hat. Dass es am Ende das Ziel sein muss, die Demokratie zu stärken, versteht sich von selbst. Was passiert, wenn sie kippt, zeigt der Blick zurück auf den 1. September 1939, als Hitler Polen überfiel; oder auf das heutige Russland, wo Putin ein ganzes Land samt Kultur in Geiselhaft hält. Nina Chruschtschowa macht es im Interview deutlich: Die Freiheit ist dort – Geschichte. (dh) Das Gespräch führte Doris Helmberger Freiheit ist ein großes Wort. Was sie bedeutet, begreift man oft erst, wenn sie verloren wurde. Lisa Herzog, nach Studien in München und Oxford seit 2019 Professorin am Centre for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen, hat einst in einem Buch einen „zeitgemäßen Liberalismus“ gefordert. Was braucht es heute, im freiheitsbedrohenden Schicksalswahljahr 2024? DIE FURCHE: Frau Herzog, was ist Freiheit? Lisa Herzog: In der Philosophie wird klassisch zwischen negativer und positiver Freiheit unterschieden. Negative Freiheit meint die Möglichkeit, selbst Dinge tun zu können, weil einen niemand daran hindert oder stört. Positive Freiheit meint, dass man die Befähigung und auch die Ressourcen dazu hat, so zu leben, wie man will – und sich selbst die Regeln dazu zu geben, also autonom zu sein. Im politischen Sinne bedeutet Freiheit natürlich auch, mitgestalten zu können, unter welchen Regeln man als Gesellschaft lebt. Demokratische Mitbestimmung ist also auch ein Ausdruck von Freiheit. Diese drei Dimensionen ergänzen und stützen sich gegenseitig. DIE FURCHE: Und was ist das größte Missverständnis über Freiheit? Herzog: Dass man Freiheit vor allem im Gegensatz zu staatlichen Institutionen denken sollte, dass also vor allem der Staat der Feind der Freiheit ist. Das kann er – in autoritären Regimen – natürlich sein. Aber es können auch die privaten Einrichtungen in der Gesellschaft, etwa die Eigentumsrechte anderer Menschen, die Freiheit einschränken. Deswegen muss man immer auch fragen, wie Freiheitshindernisse zwischen einzelnen Akteuren in der Gesellschaft entstehen können. DIE FURCHE: Der Liberalismus gilt als jene politische Idee, die Freiheit am höchsten hängt. Zu Recht? Herzog: „Liberalismus“ ist selbst ein schillernder Begriff. Im Sinne des Neoliberalismus reduziert man ihn sehr stark auf Markt und wirtschaftliche Freiheit. Hier wird es schwer, die Freiheit anderer, schwächerer Gesellschaftsmitglieder mitzudenken. Wenn man die liberale Tradition aber weiter versteht, dann umfasst diese auch zentristische und linke Denkerinnen und Denker – bis hin zum demokratischen Sozialismus, der eine ganz andere Vorstellung davon hat, wie das dafür ideale Wirtschaftssystem aussehen müsste. Wo man hier die Grenze der liberalen Tradition zieht, hängt wohl davon ab, wie man sich selbst positioniert. Unter „FURCHE- Wahlserie: Welche Werte wählen wir?“ finden Sie auf furche.at alle Artikel dieses Fokus und weitere digitale Inhalte. Lisa Herzog, in Groningen lehrende Philosophin und Sozialwissenschafterin, über Selbst- und Mitbestimmung, einen neuen, anderen Liberalismus, bevormundende Experten und die Grenzen der Toleranz. „Die Freiheit ist brüchig“ DIE FURCHE: Sie haben in Ihrem 2014 erschienenen Buch mit dem zugespitzten Titel „Freiheit gehört nicht nur den Reichen“ (Beck) für einen „zeitgemäßen Liberalismus“ plädiert, der auch den Blick auf Psychologie, Gerechtigkeit, soziale Strukturen und Verantwortung gegenüber der Umwelt einbeziehen müsse. Welcher Liberalismus wäre heute zeitgemäß? Herzog: Inhaltlich stehe ich noch hinter den zentralen Aussagen. Allerdings gibt es in der Philosophie Diskussionen darüber, ob es noch der Mühe wert ist, den Liberalismus als Konzept sozial liberal, also gegen einen rechtsliberalen Mainstream, interpretieren zu wollen – oder ob man auf andere Begriffe setzen sollte. Ich selbst setze mittlerweile auf den Begriff „Wirtschaftsdemokratie“, weil der zum Ausdruck bringt, das Prinzip demokratischer Gleichheit ins Wirtschaftssystem zu tragen. Zweitens ist inzwischen klarer geworden, wie brüchig das demokratische und rechtsstaatliche System selbst ist – und dass wir uns viel stärker damit beschäftigen müssen, wie wir dieses System stabilisieren können. Denn alles, was wir unter Freiheit verstehen, – bis hin zu unserer akademischen Freiheit als Forschende – kann unter die Räder kommen, wenn diese demokratischen Werte nicht mehr selbstverständlich sind. Das sieht man an Ländern wie Ungarn, Polen und natürlich auch in den USA, wo die nächsten Wahlen entscheidend sein werden. „ Alles, was wir unter Freiheit verstehen, kann unter die Räder kommen, wenn demokratische Werte nicht mehr selbstverständlich sind. “ Frei bis zum Horizont? Segelboote in leichter Brise, wie sie das Gemälde „Flussmündung“ des holländischen Malers Jan van Goyen von 1655 zeigt: Das ist für viele Freiheit. DIE FURCHE: Im Land der unbegrenzten Freiheiten gilt „liberal“ vielen heute als Schimpfwort – insbesondere „Libertären“ wie Elon Musk. Wie konnte es zu dieser verstörenden Frontstellung kommen? Herzog: Dem liegen komplexe Prozesse zugrunde. Zentral ist die extreme Polarisierung der Gesellschaft. Das hat schon lange vor Twitter oder X begonnen, wurde aber durch die sozialen Medien noch viel sichtbarer. Zugleich hat die Ungleichheit und Prekarisierung vieler Jobs enorm zugenommen. Und die Angst vor dem Abstieg treibt die Menschen in die Arme von Populisten. Was „liberal“ als Schimpfwort betrifft, so geht es hier weniger um Begrifflichkeiten als um die Ablehnung einer Partei, die als be Foto: Getty Images / Universal Images Group / Sepia Times vormundend, besserwisserisch, abgehoben und damit freiheitsfeindlich erlebt wird. Nicht der Staat, sondern das Individuum oder religiöse Gruppen sollen die Probleme lösen. Dieser Impuls spricht natürlich viele Menschen an und ist auch nicht per se verwerflich. Die Frage ist nur: Stimmt dieses Narrativ überhaupt? DIE FURCHE: Insbesondere in der Corona-Pandemie haben viele die Politik jedenfalls so empfunden. In Österreich bescherte das der FPÖ einen Höhenflug und führte zu Neugründungen wie „MFG“ oder aktuell „Liste Madeleine Petrovic“. Was ist da schiefgelaufen? Herzog: Hier sind zwei Dinge zusammengekommen. Zum einen gab es während der Pandemie sehr direkte Eingriffe ins Alltagsleben der Menschen. Diese Unmittelbarkeit hat die Tatsache in den Hintergrund gedrängt, dass unser ganzes Leben eigentlich durch Gebote und Verbote strukturiert ist. Zweitens wurde während der Pandemie verstärkt die Meinung von Expertinnen und Experten in die öffentliche Debatte eingebracht. Doch Demokratie steht grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis zur Expertise, weil diese immer hierarchisch ist: Es geht hier nicht um Gleichheit, sondern darum, welche Person wirklich zuverlässige Evidenz hat und die Methoden beherrscht. Das ist etwas anderes als das Ideal des deliberativen Austauschs, wo man auf Augenhöhe gleichberechtigt miteinander diskutiert. Diese Spannung gibt es auch in anderen Bereichen, etwa dem Klimawandel. Demokratien müssen lernen, damit besser umzugehen und klarzumachen, dass Expertise in der Politik nicht per se bevormundend sein muss – und Expertinnen und Experten haben ihrerseits die Verpflichtung, mit der Öffentlichkeit in Dialog zu treten. DIE FURCHE: Als Bevormundung, ja Schikane empfinden viele Liberale bzw. Unternehmerinnen und Unternehmer auch die Bürokratie. Beliebtestes Feindbild ist hier die EU – mit dem jüngsten Beispiel Lieferkettengesetz ... Herzog: Auch das hat wieder zwei Ebenen: In einem globalen Markt bestimmte Menschenrechtsstandards nicht unterlaufen und die Freiheiten von Menschen in anderen Erdteilen bzw. künftiger Generationen schützen zu wollen, ist nicht unvereinbar mit liberalen Kernideen, im Gegenteil. Die zweite Ebene ist aber, dass diese Bürokratien teilweise ein Maß an Komplexität erlangt haben, das für kleinere Betriebe oder individuelle Bürgerinnen und Bürger kaum noch zu bewältigen ist. Das kann man kritisieren, ohne in eine Anti-EU-Haltung zu verfallen. DIE FURCHE: Ein anderer Aufreger, die „Klimakleber“ der Letzten Generation, hat sich zumindest in Österreich aufgelöst. Was bleibt, ist die Herausforderung, Klimaschutz und individuelle Freiheit zusammenzubringen ...
DIE FURCHE · 35 29. August 2024 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Freiheit 3 „ Auch beim Thema Migration und Toleranz gilt: Die eigene Freiheit endet dort, wo ich die Freiheit anderer Menschen gefährde. “ Instrumente wie Wahlkabine.at versuchen, mehr Orientierung darüber zu geben, wie das Profil der neun wahlwerbenden Parteien mit den je eigenen Interessen zusammenpasst. Eine FURCHE-Datenanalyse mit Fokus „Freiheit“. Herzog: Historisch gesehen ist vieles von dem, was wir heute als selbstverständliche Freiheitsrechte betrachten, nicht durch brave Petitionen durchgesetzt worden. Aber zu massiven Veränderungen kam es meistens erst dann, wenn man eine kritische Masse erreicht hat. Insofern muss man sich tatsächlich fragen, ob man die Masse der Menschen durch die Taktik des Anklebens erreicht oder nicht eher befremdet. Aber die Klima- und Umweltfrage ist eminent – und wird künftig auch die Frage umfassen, inwieweit wir auch die Freiheit für nichtmenschliche Tiere mitdenken oder Flüsse bzw. Waldstücke mit einem Rechtsanspruch versehen müssen, um sie zu schützen. Da kommen noch große Fragen auf uns und den Liberalismus zu. DIE FURCHE: Kommen wir zu einem vielumkämpften Thema, bei dem es auch um die Grenzen der Freiheit geht: nämlich Migration. Dass es bei der Integration Probleme gibt, zeigen nicht nur Messer-attacken oder islamistische Terroranschläge, sondern auch schulische Überforderungen. Der Linken wird vorgeworfen, lange naiv oder auch heuchlerisch gewesen zu sein. Oft genannt wird die Zurückhaltung angesichts von Benachteiligungen von Frauen in muslimischen Communitys, während man dies sonst scharf kritisiert. Herzog: Es geht hier philosophisch um das Problem der Minderheit in der Minderheit. Das Beispiel zeigt, dass die Linke – vielleicht unbewusst, vielleicht auch aus politischem Kalkül heraus – eine bestimmte Form von Freiheit gegenüber anderen Formen privilegiert hat. Hier wird nicht zuletzt deutlich, wie wichtig es ist, intersektional zu denken, weil es eben verschiedene Dimensionen von Benachteiligungen und Privilegien gibt. Die Linke hat sich oft nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, was konkret möglich ist, um einerseits die kulturellen Freiheiten bestimmter Gruppen zu schützen und andererseits auch die Rechte dieser Minderheiten in den Minderheiten ernst zu nehmen. DIE FURCHE: Mittlerweile lautet das Motto fast aller Parteien: „Keine Toleranz der Intoleranz“. Herzog: Ja, die eigene Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer Menschen gefährdet. Hier Lisa Herzog (geb. 1983 in Nürnberg) promovierte 2011 in Oxford über Smith und Hegel. 2019 veröffentlichte sie einen Aufruf zur Rettung der Arbeit. Foto: Sylvia Germes sind wir auch wieder beim – ebenfalls naiven – libertären Freiheitsverständnis, das nur den einzelnen Menschen denkt und ausblendet, wie sehr wir immer schon in sozialen Zusammenhängen stehen. Die einzelne Freiheit kann immer nur im Verhältnis zur Freiheit anderer gedacht werden: Wir sind soziale Wesen, in konstitutiver Abhängigkeit von anderen. DIE FURCHE: Was bedeutet diese Abhängigkeit für die politische Forderung nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung im Bildungs- und Sozialbereich? Herzog: Es bedeutet etwa, dass man sich noch viel stärker für eine bessere Finanzierung der öffentlichen Schulen einsetzen müsste. Denn wenn man alle Individuen dazu befähigen will, individuell etwas aus sich zu machen, dann muss es auch die entsprechenden sozialen Strukturen geben, damit diese individuelle Bildung gelingen kann. Es liegt eben nicht nur an der eigenen Leistung und am eigenen Aufstiegswillen, wo man in der Gesellschaft landet. Das betrifft auch das Soziale. Wenn man über die Demokratisierung von Wirtschaft und Arbeit nachdenkt, dann fällt schnell auf, wie wesentlich die Frage nach unbezahlter Arbeit und die Genderdimension mit der Möglichkeit zusammenhängen, ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen – und sich auch demokratisch einzubringen. Stichwort Zeitpolitik. Gerade Parteien, die sich freiheitlich nennen, müsste das ein Anliegen sein. „ Das Blackbox- Phänomen, dass ich nicht mehr durchschaue, welche Techno logien wo eingesetzt werden und wie ich mit ihnen verbunden bin, bedroht auch unsere Freiheit. “ DIE FURCHE: Österreichs Freiheitliche setzen andere Prioritäten. Aber zurück zu Ihnen: Was wären zusammenfassend die wichtigsten Maßnahmen, um Menschen zur Freiheit zu befähigen? Herzog: Es braucht jedenfalls Sicherheit in Bezug auf die basalen Lebensbedürfnisse, also Ernährung, Bildung, Mobilität – im Einklang mit ökologischen Zielen. Dann braucht es den Kampf gegen Ungleichheit, um das demokratische System stabil zu halten. Und nicht zuletzt müssen wir darüber nachdenken, wie wir angesichts der digitalen Technologien unsere Freiheit bewahren. Sie führen schließlich dazu, dass wir immer weniger verstehen, wie wir selbst durch unser Tun zu gesellschaftlichen Prozessen beitragen, weil alles in irgendwelche Datenberge, Clouds und Interfaces eingeht. Dieses Blackbox-Phänomen – dass ich selbst nicht mehr durchschaue, welche Technologien wo eingesetzt werden und wie ich selbst mit ihnen verbunden bin – bedroht ebenfalls unsere Freiheit. Wie wichtig ist Autonomie? Der Begriff Freiheit ist schwer definierbar, auch und gerade in der Politik. Versteht man darunter persönliche, körperliche, unternehmerische Freiheit – oder einfach die Möglichkeit, jederzeit tun zu können, was einem gefällt? Entsprechend unschlüssig sind auch viele Wählerinnen und Wähler, bei welcher Partei sie am 29. September ihr Kreuz machen sollen. Doch es gibt zahlreiche Angebote zur besseren Orientierung. Die Katholische Sozialakademie (ksœ) hat etwa einen Fragenkatalog für die Parteien ausgearbeitet, der eine verantwortungsvolle christliche Wahlentscheidung ermöglichen soll (mehr dazu auf ksoe.at/ wahljahr2024). Onlinetools wie Wahlkabine.at wollen darüber hinaus anhand konkreter Fragen und Antworten den Wählerinnen und Wählern helfen, ihre persönlichen 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0 % 120 100 80 60 40 20 0 Wie wichtig den Parteien Freiheit ist DIE FURCHE hat von den 25 Fragen von Wahlkabine.at jene analysiert, die sich im umfassenden Sinn um Freiheit drehen. Wie relevant ist das Thema für die Parteien? 91 % ÖVP Pinker Fokus auf Freiheit Die liberale Gesellschaft als Ziel und Vision – die FURCHE- Schlagwortanalyse des Wahlprogramms ergibt: Kein anderes Thema findet bei den Neos so oft Erwähnung wie „Freiheit“ (Angaben in Anzahl der Schlagwörter). 114 Freiheit Neben Wahlkabine.at empfiehlt sich zur Einordnung der Parteien natürlich der klassische Blick ins Wahlprogramm. DIE FURCHE hat sich im Rahmen ihrer Serie „Welche Werte wir wählen“ die Pläne der Parteien angesehen und nach Schlagwörtern durchsucht. Wir wollten wissen, wie sehr sich die im Parlament vertretenen Parteien für Freiheit, Nachhaltigkeit, Sicherheit, Gerechtigkeit und Leistung einsetzen. Den Anfang machen die Neos, alle anderen Parteien folgen. Tatsächlich steht Freiheit als Ideal im Zentrum des pinken Wahlprogramms mit dem Titel „Reformen für Österreich“. Auf 47 Seiten dominiert kein anderes Thema so sehr. Inhaltlich zeigt sich das in der Neos-Forderung nach mehr direkter Demokratie, einem inklusiveren Arbeitsmarkt sowie mehr Steuer- und Schulautonomie. Obwohl die Neos auf Wahlkabine.at dezidiert ein höheres Pensionsantrittsalter fordern, findet sich dieses im Wahlprogramm nicht. Die Frage bleibt freilich, wie viel Freiheit die Neos in ihrer bisherigen Parlamentsarbeit tatsächlich umgesetzt haben. Als Oppositionspartei können sie hier Initiativanträge einbringen und damit der Regierung eigenständige Ideen vorschlagen. Seit Beginn der 27. Gesetzgebungsperiode am 23. Oktober 2019 wurden im Parlament insgesamt 895 solcher Initiativanträge eingebracht. 169 davon kamen von den Neos oder wurden von diesen unterstützt, wobei die Pinken bei 144 Anträgen als federführende Partei agierten. 67 % SPÖ 91 % FPÖ 98 61 % Grüne Nachhaltigkeit 67 % Neos 76 Sicherheit 70 % KPÖ 61 % Bier 62 Gerechtigkeit 76 % 73 % KEINE Petrovic Werte mit den Positionen der Parteien abzugleichen. Doch welche Methodik steckt hier dahinter? Im Vorfeld erhielten alle neun bundesweit antretenden Parteien von Wahlkabine.at dieselben 40 Fragen, die sie mit Ja oder Nein beantworten sowie hinsichtlich der inhaltlichen Relevanz gewichten sollten. Anschließend prüfte die Redaktion – in Kooperation mit österreichischen Medien, darunter DIE FURCHE, Presse und Profil – die Antworten auf Plausibilität und wählte die 25 relevantesten Fragen aus. DIE FURCHE wählte nun jene Fragen aus, bei denen Freiheit besonders im Zentrum steht, und analysierte die Positionen und Gewichtungen der Parteien. Um persönliche Freiheit geht es etwa bei der Frage, ob die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag erleichtert werden soll; um wirtschaftliche bei der Frage, ob die Lohnnebenkosten für Unternehmen gesenkt werden sollen. Aber auch die Frage, ob auf Österreichs Autobahnen ein Tempolimit von 100 eingeführt werden soll, rangiert hier. Wie antworteten die liberalen Neos? Sie unterstützen die Änderungsoption des eingetragenen Geschlechts, sind gegen Tempolimits, wollen die Lohnnebenkosten senken und das Pensionsantrittsalter heben – was übrigens im Wahlprogramm nicht dezidiert gefordert wird (s. unten und S. 4). Mit 22 von 33 verfügbaren Punkten (67 Prozent) landen sie am Ende bei Freiheitsthemen nur im Mittelfeld – hinter ÖVP und FPÖ. Was diese unter Freiheit verstehen, ist aber eine andere Frage. (Maximilian Hatzl) Initiativen und Pläne der Neos 70 Leistung Die Tendenz zu Freiheit: Von den 169 Anträgen beschäftigten sich zumindest 13 konkret mit diesem Thema. Dazu gehörten etwa das von den Neos geforderte Informationsfreiheitsgesetz und eine Änderung im Strafvollzugsgesetz, die mehr Transparenz über Haftentlassungen liefern sollte. Zumindest zwei dieser Anträge gelangten bereits ins Bundesgesetzblatt. Einer davon erleichtert die Anstellung ausländischer Arbeitnehmer, der zweite soll die Umsetzung des Wahlrechts von Menschen mit Behinderung stärken. (Maximilian Hatzl) Mehr zur FURCHE-Datenanalyse finden Sie online unter www.furche.at/dossier/die-furche-wahlserie-welchewerte-wir-waehlen sowie unter dem QR-Code auf Seite 2. Eigene Auswertung; Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: wahlkabine.at) Eigene Auswertung; Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: wahlkabine.at)
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE