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DIE FURCHE 28.11.2024

DIE FURCHE · 482 Das

DIE FURCHE · 482 Das Thema der Woche Ich kann nicht mehr28. November 2024AUS DERREDAKTION„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, heißt es bei Plautus. Wenn mansich die Weltlage und die globalen Wahlergebnisse vergegenwärtigt, soscheint sich das mehr denn je zu bestätigen. Solidarität hat gerade keinenLauf, das Pochen auf eigene Interessen und starke Führerfiguren ist mehrdenn je in Mode. Woran liegt das? Und was wäre zu tun? Nicht zuletzt daspolitische Erdbeben in der Steiermark, das auch in Wien zu spüren ist,wirft diese Fragen auf. Philipp Axmann, Peter Strasser und Franz Prettenthalerhaben sie aus Grazer Perspektive zu beantworten versucht, BrigitteSchwens-Harrant beleuchtet das Phänomen anhand von George Saunders’Figur des „Phil“ feuilletonistisch. Ein kurzes Durchatmen gibt es in Nahostdurch eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah. Doch wirdsie halten? Und was bedeutet es, unter ständigem Beschuss zu leben? Die israelischeEx-Geheimdienstlerin Sarit Zehavi beschreibt das im Interview.Was man gegen (männliche) Gewalt gegen Frauen tun kann, behandelt derKompass. Ebenso lesen Sie hier einen Essay von Regina Polak über die Zeitenwendenin Politik und Kirchen – und widerständige Hoffnung. Vielenschwindet freilich zunehmend die Kraft dafür. Woher das rührt und wie Regenerationtrotzdem gelingt, beschreibt Martin Tauss im Fokus „Ich kannnicht mehr“. Winston Churchill, der sich das zumindest offiziell verbetenhat, beschließt diese Ausgabe. Und davor kommt noch der Wolf. (dh)Von Sonja BettelSechs Uhr, der Weckerläutet. Aufstehen, müde.Ein schneller Kaffee,Frühstück unterwegs.Im Zug Lärm, im Bürostapeln sich die Aufträge, Kundenanrufe,ein Bericht muss dringendfertig werden. Zehn E-Mailsbearbeitet, 20 neue kommen herein.Mittags ein schneller Imbiss,nachmittags Schokolade für dieStimmung und Kaffee gegen dieMüdigkeit. 18 Uhr Dienstschluss.Schon wieder Überstunden – undtrotzdem nicht alles geschafft!Auf dem Heimweg schnell einkaufen,im Supermarkt ratlos vor demzehn Meter langen Kühlregal, vorder Wohnungstür fällt der Schlüsselrunter. Das Gefühl, nicht mehrgenug Kraft zu haben, ihn aufzuheben.Zu viel, alles zu viel.„Eine steigende allgemeine Erschöpfungist zu bemerken“, sagtder Arbeits- und GesundheitspsychologeJohann Beran. Der Grunddafür liege in den Lebensumständender westlichen Welt: „Seitmindestens 15 Jahren gibt es RestrukturierungsprogrammeinUnternehmen mit dem Abbau vonMitarbeitern; das heißt, es gibtmehr Arbeit für die Bleibenden.“Zusätzlich sei die Arbeit durchdigitale Medien, mehr Bürokratieund Reporting angewachsen.Durch die Belastungen habe dieQualität der Beziehungen abgenommen,dadurch habe man auchkein Ventil mehr für den Druck.Gesteigerte GereiztheitZur vermeintlichen Erholungwenden sich die Menschen ihrendigitalen Geräten zu, doch das bedeutenoch mehr Dateninput, derverarbeitet werden müsse – oftbis in die Nacht hinein. „Arbeitsdruckwegschieben durch andereInhalte funktioniert nicht, auchComputerspiele oder ein Thrillerim Fernsehen sind eine Belastung“,so Beran. Die Anspannungmüsse im Schlaf abgebaut werden,was zu einem massiven Anstiegan Schlafstörungen führe.Für mangelnden Schlaf sorgtauch die Lichtverschmutzung inden Städten, also die übermäßigenächtliche Beleuchtung von Straßen,Gebäuden und Geschäften,die die Bildung des Hormons Melatoninunterdrückt. Das bringtden Tag-Nacht-Rhythmus durcheinanderund kann eine Reihevon negativen gesundheitlichenAuswirkungen haben. Zum Runterschaltenwürden Menschendann zu Alkohol und Drogen greifen,was den Körper noch mehrbelaste.Dass sich immer mehr Menschenchronisch erschöpft fühlen,wundert auch die Traumapädagoginund KörpertraumatherapeutinTatjana Nikitsch nicht: „GestiegeneAnforderungen, flexibleArbeitszeiten, immer wenigerPersonal, keine Ruhezeiten, Normierungund Optimierung vonBild: Lucinda Crimson („Housebound, Detail“)LeererAkkuChronischeErschöpfungbedeutet, dassdie inneren„Batterien“ fast leersind und mannicht mehr dieMöglichkeit hat,sie kurzfristigaufzuladen.Warum fühlen sich heute so viele Menschen überlastet?Ein aktueller Rundblick – und Wege zur Regeneration.Mehrfach müdeArbeitsabläufen: Das führt zu einemDauerstress, der den Körperund das Nervensystem permanentbelastet.“ Erschöpfungsei aus körpertherapeutischerSicht nicht einfach nur Müdigkeit,die man mit einem Nachmittagsschlafam Wochenende ausgleichenkönne. „Erschöpfungbedeutet, dass der Akku fast leergefahrenist und man nicht mehrdie Möglichkeit hat, zu regenerieren.“Dafür benötige der Körperechte Ruhe. Die meisten Menschenverbrächten ihren Alltagaber so, als ob sie ununterbrocheneinen Wettkampf laufen würden.„ Dauerhafter Stress beeinträchtigt die Wahrnehmung unddie Gehirnleistung. Langfristige Planungen, geschweige dennVisionen für die Zukunft sind nicht mehr möglich. “Das verbrauche sehr viel VitaminC und belaste das Immunsystem.Zum beruflichen Stress kommtnoch der private, beobachtet Nikitsch:„Dieses ständige Vergleichenmit anderen. Bin ich gut genug?Bin ich schön genug? Ich willdas haben, was die anderen haben!Das stresst enorm.“ Bei jungenMenschen beobachte sie einegroße Erschöpfung, weil dieAnforderungen an das, was manin jungen Jahren schon erreichtund gemacht haben soll, großsind. Dazu komme, dass man pausenlosEntscheidungen treffenmüsse: „Zum Beispiel diese ‚PokeBowls‘: Da muss ich aus hundertenZutaten auswählen, undes dauert ewig. Da geht die halbeMittagspause drauf, statt dass ichin Ruhe essen und mich mit einerFreundin auf der Parkbank unterhaltenkann.“Als Säugetiere seien wir dafürgemacht, Hochstress, also Trauma,bewältigen zu können. EineMaus, die von einer Katze gejagtwerde, reagiere mit Flucht,Kampf oder Erstarrung bei hohemEnergiepegel. Wenn die Lageausweglos werde, schalte derKörper alle Systeme ab, um nichtsmehr zu spüren. „Das haben wirauch“, sagt die Therapeutin. DieVerdauungstätigkeit wird eingestellt,Adrenalin und Cortisolwerden ausgeschüttet. „Das istaber nur für kurze Zeit gedacht.“Dauerhafter Stress beeinflussedie Wahrnehmung und die Gehirnleistung.Langfristige Planungen,Visionen für die Zukunft,das sei alles nicht mehr möglich.Die veränderte Wahrnehmungführt laut der Polyvagal-Theoriedes US-amerikanischen PsychologenStephen Porges auch dazu,dass wir andere Menschen als bedrohlichwahrnehmen. „Der Gradan Gereiztheit in der Gesellschaftsteigt“, beobachtet Johann Beran.Auch die Statistik deutet auf eineallgemeine Erschöpfung hin:Im Jahr 2009 gab es laut Dachverbandder Sozialversicherungsträgerin Österreich rund65.500 Krankenstandsfälle aufgrundder Diagnose „PsychischeErkrankungen und Verhaltensstörungen“;bis 2023 sind diesesukzessive auf knapp über155.000 Fälle gestiegen. PsychischeErkrankungen stehen nachAtemwegserkrankungen, Muskel-Skelett-ErkrankungenundVerletzungen bereits an vierterStelle der Krankenstandsgründe.Laut WHO ist Stress das größteGesundheitsrisiko des 21. Jahrhunderts.Schließlich hat eineStudie der Österreichischen Gesellschaftfür Arbeitsqualitätund Burnout gezeigt, dass rund40 Prozent der Erwachsenen hierzulandeAnzeichen von Burnouthaben.Raum für SelbstfürsorgeAuch der Psychiater GeraldGrundschober erlebt, wie anstrengendunser Leben heute ist:„In meiner Umgebung sperren vieleGeschäfte zu, Firmen gehen inKonkurs, dazu Kriege, Corona,die Politik …“ Und wir sollen ständigDetailentscheidungen treffen,die Generationen vor uns nichttreffen konnten oder mussten:„Über den Stromanbieter, die Artder Ernährung, die Ausbildung,die Berufswahl – überall habenwir eine extrem große Auswahl,sogar bei der Sexualität.“ Frühersei vieles im Leben vorgegebengewesen, die Freiheitsgrade geringer.Das entlaste aber auch.Grundschober ist ärztlicherLeiter der Privatklinik Hollenburgin Krems, wo Menschen mitErschöpfungszuständen, Burnoutund anderen FunktionsstörungenHilfe finden. In der Rehahaben die Patientinnen und Patientenoft zum ersten Mal die Möglichkeit,sich sechs Wochen langdurchgehend nur um sich selbstzu kümmern. Sie haben Gruppen-und Einzeltherapien, gehenspazieren, beschäftigen sich kreativ,ernähren sich gesund, machenAtemübungen und beratenmit den Therapeuten, was sie anihrem Lebensstil ändern können.Solche Veränderungen sind auchentscheidend für die Vorbeugung,so Grundschober: mehr Bewegung,eine zufriedenstellende Arbeit,soziale Kontakte, gesundeErnährung, keine Drogen, ausreichendSchlaf – kurzum schlichtSelbstfürsorge.

DIE FURCHE · 4828. November 2024Das Thema der Woche Ich kann nicht mehr3Überall verfügbare Endgeräte wie Smartphone, Tablet und Co entpuppen sich als chronische Energieräuber. Warum gibt es Suchtgefahr,was bringt „Digital Detox“, und wie wird der digitale Alltag weniger kräftezehrend? Psychologe Oliver Scheibenbogen im Gespräch.„Widerstand ist fast unmöglich“Das Gespräch führte Martin TaussIn seiner Habilitationsschrift siehtOliver Scheibenbogen den Menschenals „Phono sapiens“ (Parodos-Verlag, 2022): Wir sind anfällig fürdie psychoaktiven, also drogenähnlichenWirkungen neuer mobiler Endgerätewie Smartphone und Co – und könnensüchtig danach werden. Auch in seinemjüngsten Buch „Always On“ (gemeinsammit dem Psychiater Roland Mader, Facultas2023) kennzeichnete der Wiener Psychologedie digitalen Medien als „Verführungund Gefahr“. Wie sehr aber trägt dieDigitalisierung zur allgemeinen Erschöpfungbei? DIE FURCHE hat nachgefragt.DIE FURCHE: Ausufernde Bildschirmzeitkann uns die Energie rauben: In Studienstößt man etwa auf den Begriff der „digitalenMüdigkeit“. Vor allem jüngere Menschen,die rund um die Uhr digital unterwegssind, sollen davon betroffen sein.Wie sehen Sie dieses moderne Phänomen?Oliver Scheibenbogen: „Digitale Müdigkeit“,„Techno-Stress“, „Zoom-Fatigue“ sindallesamt Modebegriffe, die sich in denletzten Jahren in unseren Wortschatz eingeschlichenhaben und suggerieren, dasswir es mit einem völlig neuen Phänomenzu tun haben. In der Psychologie unterscheidenwir jedoch seit jeher zwischenemotionaler, kognitiver und körperlicherMüdigkeit. Alle drei Arten könnendurch exzessive Nutzung digitaler Endgeräteverursacht werden. Der eigentlicheGrund für die „digitale Müdigkeit“ ist derUmstand, dass wir mit vielen technologischenErrungenschaften nicht adäquatumgehen können.DIE FURCHE: Was meinen Sie zum Beispiel?Scheibenbogen: Der deutsche PsychologeChristian Montag hat Smartphone-User ineiner Studie gefragt, ob sie eine gewöhnlicheArmbanduhr tragen oder ob sie dieUhrzeit am eigenen Handy ablesen. Diezweite Gruppe hatte in der Woche einesechsfach erhöhte Nutzungsdauer beimSmartphone. Warum? Weil bei jedemBlick auf die Uhr auch automatisch festgestelltwurde: Ich habe neue Nachrichtenauf Facebook, Instagram, TikTok und Co.DIE FURCHE: Was passiert da im Gehirn?Scheibenbogen: Smartphone, Tablet undCo überfordern uns, indem sie uns unablässigmit Nachrichten bombardieren. Dadurchentsteht eine Reizüberflutung, dieuns mit der Zeit ermüdet und erschöpft.Diesen Reizen zu widerstehen, um nichtnachzusehen, wer mir geschrieben hatund was es vielleicht weltbewegend Neuesgibt, ist fast unmöglich. Die psychischeFähigkeit, die dafür notwendig ist, heißt„Response Inhibition“, also Reaktionsunterdrückung.Sie ist ein Teil der „Exekutivfunktionen“,die in der präfrontalen Gehirnrindelokalisiert sind. Die Krux ist,dass dieser Teil unseres Gehirns am langsamstenwächst und erst mit 28 bis 30 Jahrenausgereift ist. Erst dann haben wir diemaximale Kapazität, um diesen Reizenwiderstehen zu können. Das Problem gibtes genauso bei den „alten Süchten“ wie Alkoholoder illegalen Drogen; hier begegnetes uns in scheinbar neuem Gewand bei derInternet- und Onlinesucht wieder.DIE FURCHE: Gibt es auch einen Zusammenhangzwischen der Digitalisierungund dem vermehrten Auftreten vonErschöpfungskrankheiten wie Burnout?Gerade die Beschleunigung bzw. Arbeitsverdichtungscheint ja hier ein wesentlicherFaktor zu sein ...Scheibenbogen: Dadurch, dass wir unserSmartphone immer bei uns tragen, sindwir nicht nur stets in „Empfangsbereitschaft“;wir haben auch die Möglichkeit,überall und zu jeder Tages- und Nachtzeitmit dem Gerät Aufgaben zu erledigen.Statt uns an der Bushaltestelle zu regenerieren,indem wir ins berühmte „Narrenkastl“schauen, checken wir noch schnelldie E-Mails, schauen nach, was Freundegerade machen, oder schreiben Einkaufslistenund machen Banküberweisungen.Noch kritischer ist die Situation durch diezunehmende Einführung von Home officeseit der Corona-Pandemie. Auf den erstenBlick ist es sehr verführerisch, überallund flexibel arbeiten zu können und damitden Anforderungen besser begegnen zukönnen. Dazu kann ich nur sagen: Gut ausgedacht!Die Praxis zeigt oft das Gegenteil.Es gibt keine klare Trennung zwischenFreizeit und Arbeitszeit. Früher wurdeder Feierabend eingeläutet, wenn mandas Gebäude des Unternehmens verlassenhat. Der Heimweg half unserer Psyche,begreifbar zu machen, da ist eine Grenze:Jetzt beginnt das Freizeit- und Familienleben– stopp mit der Arbeit. Bei mir inder Praxis melden sich heute immer öfterPersonen mit Burnout-Syndrom, die mitdieser Vermischung aus Freizeit- und Arbeitslebennicht mehr zurechtkommen.DIE FURCHE: „Digital Detox“ ist eine Zeit,in der wir selbstbestimmt auf digitaleEndgeräte zu verzichten versuchen. Washalten Sie von dieser vielbeschworenenStrategie?Scheibenbogen: Das ist ein genialerSelbsttest! Es sollten aber mindestensein bis zwei Tage sein, in denen ich dasFoto: PrivatHandy nicht zur Hand nehme, nicht fernseheoder am PC sitze. So kann ich feststellen,ob ich bereits erste psychische „Entzugserscheinungen“bekomme und somitunter Umständen bereits ein problematischesNutzungsverhalten habe. TypischeEntzugserscheinungen sind Unruhe,Nervosität, Gereiztheit bis hin zu leichtenSymptomen einer depressiven Verstimmung.Kann ich diese ungewohnte Situationder digitalen Entgiftung nutzen, indemich mit Aktivitäten beginne, die ich schon„ Vielleicht braucht es einen‚Handyführerschein‘, um zu vermitteln,wo die Gefahren der digitalenEndgeräte liegen – und wie wir dieKontrolle behalten können. “lange Zeit nicht mehr durchgeführt habe?Oder weiß ich aufgrund der starken Gewöhnungan die digitalen Endgeräte mitmir nichts mehr anzufangen? „Digital Detox“bedeutet immer auch eine Begegnungmit sich selbst und das Entdecken von vergrabenenFähigkeiten, Eigenschaften undInteressen.Warum Burnoutnur die Spitzedes Eisbergsist, lesen Sieim Artikel „BurnOn: Unbemerktverglühen“ vom8.9.2021, auffurche.at.OliverScheibenbogenDer Psychologe arbeitetin freier Praxis und an derSigmund Freud Privatuniversität(SFU) in Wien.Er forscht u. a. zu InternetundOnlinesucht.DIE FURCHE: Welche Ratschläge kann manHeranwachsenden geben, damit sie sichden kräfteraubenden Aspekten der digitalenUmwelt entziehen können?Scheibenbogen: Es gilt, sich den digitalenErrungenschaften sukzessive anzunähern.Und es braucht einen Begleiter, dereinen in den Umgang mit Smartphone undCo einführt, die ersten Schritte sogar überwachtund eingreift, wenn das Nutzungsverhaltenbeginnt, intensiv oder riskantzu werden. Je nach Alter sind das die Elternoder andere Familienmitglieder, späterFreunde, Bekannte oder sogar Arbeitskollegen.Kein halbwegs vernünftigerMensch geht allein bergsteigen; wir holenuns einen Bergführer an unsere Seite. DasGleiche sollte für die „Eroberung“ digitalerWelten gelten. Bei Kindern, Jugendlichenund jungen Erwachsenen sollten Erfahrungenzuerst in der Realwelt gemachtwerden, dann erst digital. Freundschaftenund soziale Interaktionen brauchen dasSpüren in der Realität, sonst erwirbt derjunge Mensch nie die nötigen Kompetenzen.Deshalb gilt stets: „Reality first!“DIE FURCHE: Wie sollte man gesamtgesellschaftlichauf die Problematik reagieren?Scheibenbogen: Es scheint fast, als hättenwir vor lauter Technikbegeisterung dieKontrolle über Teile unseres Lebens ausder Hand gegeben – und müssten uns diesejetzt wieder mühsam zurückerobern ...DIE FURCHE: Konkret gefragt: Wie soll manden Gebrauch hinsichtlich Nutzen und Risikoreglementieren?Scheibenbogen: Eine moderate Nutzungdigitaler Endgeräte sorgt zumeist für positiveEffekte, jedoch nur bis zu einemScheitelpunkt. Ab dann führt jede weitereSteigerung der Nutzungsintensität zu negativenEffekten. Um nun den kleinen Bereichder positiven Wirkung ausnutzenzu können, müssen wir als GesellschaftStrategien entwickeln, die uns helfen, denScheitelpunkt nicht zu überschreiten. Deshalbbraucht es zum Beispiel einen Diskursdarüber, ob Handys nicht aus den Schulenverbannt werden sollten, wie dies in einigeneuropäischen Ländern bereits derFall ist. Vielleicht braucht es auch einen„Handy führerschein“. Dieser sollte nichtnur vermitteln, wie die Geräte zu bedienensind, sondern auch, wo die Gefahrenliegen und wie wir die Kontrolle behaltenkönnen. Schon Sigmund Freund warntevor mehr als 90 Jahren in „Das Unbehagender Kultur“ vor der Idealisierung der Technik– heute ist das aktueller denn je!DIE FURCHE: Wie halten Sie es eigentlichselbst mit dem Handy?Scheibenbogen: Ich bin ein hoffnungsloserFall. Zu meinen Spitzenzeiten besaßich vier SIM-Karten, heute sind es zwei.Da ich eine HTL für Nachrichtentechnikbesucht habe, bevor ich Psychologie studierte,bin ich selbst sehr technikaffin.Ich versuche daher ständig, mein Verhaltenzu reflektieren und dementsprechendauch mein Nutzungsverhalten anzupassen.Wie Paracelsus schon sagte: Die Dosismacht das Gift.DIE FURCHE EMPFIEHLTAchtsamer AdventGerade in der dunklen und„stillsten Zeit des Jahres“ verfolgtviele Menschen vor allem eines:Stress! Als Gegenmittel wird immeröfter „Achtsamkeit“ empfohlen.FURCHE-Wissens- und Lebenskunst-RessortleiterMartin Taussspricht dazu mit Veronika Bonelli.Perspektiven: AchtsamkeitSendung auf „radio klassikStephansdom“, 4. Dezember, 17.30 UhrOnline unter radioklassik.at

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