DIE FURCHE · 4818 Literatur28. November 2024Von Lothar StruckDer einst gefeierte Dramaturgund TheaterautorBotho Straußfiel 1993, vier Jahrenach seinem Büchner-Preis,vor dem Feuilletongerichtin Ungnade. In seinem Essay„Anschwellender Bocksgesang“,der zunächst im Spiegel erschien,bürstete er den euphorisiertenZeitgeist nach dem Mauerfall gegenden Strich. Die GeschichtsundMythenlosigkeit der Deutschenwürde durch den globalen,alles beherrschenden Kapitalismusnoch beschleunigt. Er nanntesich einen „Rechten“, jemanden,der „gegen die Totalherrschaftder Gegenwart, die dem Individuumjede Anwesenheit von Vergangenheit,von geschichtlichem Gewordensein,von mythischer Zeitrauben und ausmerzen will“. Undweiter: „Anders als die linke, Heilsgeschichteparodierende Phantasiemalt sich die rechte kein künftigesWeltreich aus, bedarf keinerUtopie, sondern sucht den Wiederanschlußan die lange Zeit, die unbewegte,ist ihrem Wesen nach Tiefenerinnerungund insofern einereligiöse oder protopolitische Initiation.Sie ist immer und existentielleine Phantasie des Verlustes undnicht der (irdischen) Verheißung.Eine Phantasie also des Dichters,von Homer bis Hölderlin.“ Zugleichgrenzte sich Strauß scharf zum damalsaufkommenden Rechtsradikalismusab, etwa wenn er voneiner „über das Menschenmaß hinausgehende[n]Schuld“ schrieb.Kritik der SelbstgefälligkeitStrauß stellte eine „politischgesellschaftlicheHegemonie überGeist, Moral, Wissenschaft undGlaube“ fest, nannte es das „Allgemeine“,das „mächtig undschwächlich zugleich“ sei.Ein Beispiel, das immer wiederzitiert wurde, war die Kritik derSelbstgefälligkeit, mit der „wir“vor „den nationalistischen Strömungenin den osteuropäischenNeu-Staaten“ wie beispielsweiseder zerfallenden Sowjetunion warnen.„Daß jemand in Tadschikistanes als politischen Auftrag begreift,seine Sprache zu erhalten wie wirunsere Gewässer, das verstehenFoto: Ruth Walz„ ‚Menschen sehenwar mir ein Vergnügen,beinah ein Laster‘,bilanziert er jetzt.“wir nicht mehr. Daß ein Volk seinSittengesetz gegen andere behauptenwill und dafür bereit ist, Blutopferzu bringen, das verstehenwir nicht mehr.“ Drei Jahrzehntespäter bietet sich die Tadschikistan-Stelleals Allegorie auf den legitimenFreiheitskampf der Ukrainean. Und 2024 stellt Botho Straußzum „verzweifelten Abwehrkampf“ukrainischer Soldaten „gegen dierussische Aggression“ das UrteilLesen Sie auch„Lametta vomOlymp“ von HellmutButterweckvom 10.1.2001auf furche.at.Die besten Regisseure inszenierten seine Stücke. Man feierte ihn,dann fiel er in Ungnade. Zum 80. Geburtstag von Botho Strauß.Mikroskopie desUnerträglichendes deutschen Bundesgerichtshofsvon 1994 gegenüber, der denTucholsky-Spruch „Soldaten sindMörder“ als legitim ansah und bisheute noch sogenannte Friedensbewegteumtreibt.Gegen den StrichBekannt für seine Theaterstücke undProsawerke, sorgt Botho Strauß (*1944)auch als polemisch-provozierender Intellektuellerimmer wieder für Aufsehen.Strauß wurde zum Paria. Leichtzog man die Schublade des „neurechten“Denkers auf und legteihn dort ab. Das BranchenblattTheater heute, bei dem Straußeinst Kritiken geschrieben hatte,verlangte damals Klarstellungenund Distanzierungen, die derAutor nicht bereit war zu leisten.Daraufhin verkündete man mitgroßem Furor den „Abschied vonBotho Strauß“ als relevantem Gegenwartsdramatiker.Wer ist dieser öffentlichkeitsscheueAutor, der einer der bedeutendstenlebenden SchriftstellerDeutschlands ist? Botho Straußwurde am 2. Dezember 1944 inNaumburg an der Saale geboren.Der Vater, Jahrgang 1890, verlorim Ersten Weltkrieg ein Auge. Erwar das, was man den klassischenBildungsbürger nennt. Mit der Familieflüchtete er in den 1950erJahren in den Westen. In Bad Emsbegann der 60-Jährige noch einmalvon vorn, wurde Gutachterfür die Pharmaindustrie. Als derSohn fast 70 Jahre alt ist, schreibter „Herkunft“, Strauß’ untypischstesBuch. Es ist eine zuweilen zärtlicheAnnäherung an den Vater,aber auch ein kühl selbstreflexiverBildungsroman, bei dem sichder Autor immer dann, wenn esschwelgerisch zu werden droht,auf eine „Zähmung der Erinnerung“besinnt, um aufkommendeWehmut zu dressieren.Durchbruch 1978Strauß studierte Germanistik,brach ab, schrieb Theaterkritiken,wurde Dramaturg an der damaligenSchaubühne am HalleschenUfer in Berlin und begann, Theaterstückeund Prosa zu schreiben.Sein Durchbruch als Theaterautorgelang 1978 mit der „Trilogiedes Wiedersehens“. Er traf dieStimmung der 1970er und 1980erJahre, entwickelte in seinen literarischund kulturhistorisch anspielungsreichen,mit intertex-WIEDERGELESENEin politischer Mord in Zeiten des FanatismusVon Anton ThuswaldnerEin Jahr bevor Arnold Zweig(1887–1968) als Jude und Linkergleich doppelt gefährdet insExil gedrängt wurde, erschien 1932in Berlin sein Roman „De Vriendtkehrt heim“. 1934 ließ sich der der zionistischenIdee nahestehende Autorin Haifa, im damaligen Palästina gelegen,nieder. Im Dritten Reich wurdenseine Bücher verbrannt, er selbstwurde 1936 ausgebürgert, sein Vermögenbeschlagnahmt. In Palästinabetrat er politisch brisantes Gelände,geriet er als auf Deutsch schreibenderAutor mit national-jüdischen Extremistenin Konflikt, die sowohl diedeutsche als auch die jiddische Spracheablehnten, um dem Hebräischenden Boden zu bereiten. So kam es zueinem Anschlag auf die ZeitschriftOrient, in der Zweig publizierte. Überraschtwird ihn die Gewalttat nicht haben,beschäftigte er sich doch in demkurz vorher erschienenen Roman mitVergleichbarem. Darin wird ein holländischerJude, der sich für die Verständigungmit dem arabischen Teilder Bevölkerung einsetzte, von ausOsteuropa eingewanderten Juden imbritischen Mandatsgebiet Palästinaermordet. Gewalt als Mittel im politischenKampf ist für Zweig ein Thema,das ihn vielfach beschäftigt.Jacob Israël de Haan, der 1924 vonZionisten erschossen wurde, gibt dasVorbild für de Vriendt ab. Die Tat erinnertan die Ermordung des israelischenMinisterpräsidenten JitzchakRabin durch einen rechtsnationalistischenFanatiker 1995. Dass der Romanjetzt wieder herausgebrachtwird, hat seinen Grund in der erschreckendenAktualität. Er vermagAufschluss zu geben über das enormeKonfliktpotenzial in einer Region inständigem Ausnahmezustand.Arnold Zweig verstand genau, wieman einen Spannungsroman anlegenmuss, um sein Publikum biszum Ende am Lesen zu halten. Under nutzte die Krimihandlung als Kassiber,um seine Ideen von Verständigungzwischen den Völkern massentauglichzu machen. Ihm ist einpolitischer Roman gelungen, dernicht in die Falle der Parteilichkeittappt. Dass er niemandem nach demMund redete, wurde ihm in einemideologisch aufgeladenen Zeitalterzum Verhängnis, das klare Haltungverlangte. Zweig wusste aber um dieWidersprüche, die – wenn sie nichthingenommen werden – zu Gewaltführen. Widersprüche hat auch deVriendt genug auszuhalten: ein Intellektueller,der sich den Ultraorthodoxenannähert und sich zu arabischenBurschen hingezogen fühlt.Im Abstand von mehr als neunzigJahren liest sich der Roman wie einBuch für unsere Zeit, eine Chance,die man wahrnehmen sollte.De Vriendt kehrt heimRoman von Arnold ZweigMit einem Vorwort von Meron MendelDie Andere Bibliothek 2024276 S., geb., € 49,40
DIE FURCHE · 4828. November 2024Literatur19„ Strauß wurde zum Paria. Leicht zog mandie Schublade des ‚neurechten‘ Denkersauf und legte ihn dort ab. “tuellen Referenzen gespicktenStücken einen sezierenden Blickauf das Kulturbürgertum mit seinenBeziehungsdramen, Liebschaften,ökonomischen wie gesellschaftlichenVerstrickungen,den sich verflüchtigenden Träumen,die irgendwann durch veritableLebenslügen ersetzt werden.Legendäre Regisseure wie PeterStein, Dieter Dorn und Luc Bondyinszenierten Strauß’ bisweilenins Skurrile abdriftenden, entwedermystischen, aber vor allem komödiantischenZeitstücke luftigund hintersinnig zugleich. „Menschenbeim Leben erwischt“, konstatiertStrauß nun in einer seinerSzenen, als sei es sein Programm.In „Die Zeit und das Zimmer“ von1989, ein Höhepunkt seiner dramatischenKunst, kongenial von LucBondy in Szene gesetzt, fragt eineFigur unverhofft: „Was haben wirbloß voneinander gewollt …?“ Undein anderer rekapituliert: „Ich habemich nicht oft genug gehen lassen.“1991 inszenierte Dieter Dorn„Schlußchor“, eine Allegorie aufdas sich eher versehentlich vereinigendeDeutschland, das politischeMisslingen antizipierend.Rückzug in die szenische ProsaDie Kunst des Theaters ist flüchtig.In der 2020 erschienenen Anthologie„Die Expedition zu denWächtern und Sprengmeistern“wurden auch jene teils Jahrzehntezurückliegenden Aufsätze aufgenommen,die versuchten, diedramatischen Höhepunkte einigerInszenierungen zu bannen.Getränkt mit dem Eindruckdes Erlebten beschwor StraußTheater augenblicke, schrieb überDramaturgen, Regisseure, überSchauspieler wie Jutta Lampe, BrunoGanz, Otto Sander, Peter Lühroder Karl-Ernst Herrmann (merkwürdig:die Eloge auf Edith Cleverfehlt). „Wenn schon Theater, dannwollen wir etwas sehen, das wir imtiefsten nicht begreifen können“,so heißt es programmatisch.In einer Szene in seinem neuestenBuch „Das Schattengetuschel“wird der Faden abermalsaufgenommen. Jemand suchtZeugen, die eine „kluge und bildprächtigeAufführung von FerdinandRaimunds ‚Der Alpenkönigund der Menschenfeind‘“ ausdem Jahr 1973 erlebt haben. Esgebe keine Videos davon, keineAufzeichnung, nur ein paar Bilder.Der Suchende findet schließlicheinige Versprengte, die dieInszenierung damals gesehen haben,von ihr affiziert oder gar lebenslangverwandelt wurden. Ihnengemein ist die Empfindungdes Verlusts eines Mediums, dieStrauß schon 1986 umtrieb, alser in einem feinsinnigen Porträtüber Dieter Sturm die Befürchtunghegte, dass das Theater „zurfrivolen Amüsieranstalt oderemanzipatorischen Kasperbudezu verkommen“ drohe.„Schlußchor“ von 1992 wurdeallgemein als die sanfte Dämmerungder Strauß-Stücke angesehen,die die Milieus der altenBundesrepublik so treffend zeichneten.Als wären Ibsen oderTschechow an das 19. Jahrhundertin Norwegen oder Russlandgebunden. Der Dichter zog sich indie Abgeschiedenheit der Uckermarkzurück, nannte sein Daseinim Gespräch mit Ulrich Greiner2007 eine „Geselligkeitsaskese“und widmete sich verstärkt dererzählenden, kleinen Prosa, bestehendaus nur lose miteinanderverknüpften Szenen, meist Kammerspielenoder Einaktern ähnlich.Mit wenigen Sätzen wird einAngestellten-, Künstler- oder Liebeslebenskizziert und manchmalnovellenartig ein lebensentscheidenderund -dominierenderMoment herausgeschält oder dievergeblichen Versuche, mit anderenzu interagieren, erzählt.Diese szenische Prosa wird imVerlauf der 2000er Jahre immerstärker mit Aphorismen und Sentenzendurchsetzt. Vorbilder sindPaul Valéry und vor allem der kolumbianischePhilosoph NicolásGómez Dávila. Strauß nennt sichnicht mehr „rechts“, sondern übernimmtGómez Dávilas Definitiondes „Reaktionärs“. Im Gegensatzzum Konservativen, der „eher einKrämer des angeblich Bewährten“sei, sei der Reaktionär, so Strauß,„eben nicht der Aufhalter oder unverbesserlicheRückschrittler, zudem ihn die politische Denunziationmacht“, sondern „er schreitet(…) voran, wenn es darum geht, etwasVergessenes wieder in die Erinnerungzu bringen“. Er denkezwar „begründet pessimistisch“,„aber nicht etwa, weil die Zeiten soschlecht geworden sind, sondernweil zu allen Zeiten des MenschenLauf auf Erden bitter ist“. Nach GómezDávila ist der Reaktionär allerdingsmachtlos. Es sei ihm „nurnoch möglich, apodiktische Urteilezu verkünden, die dem Leserschwer im Magen liegen“.Sporadisch mischte sich Straußweiterhin in gesellschaftspolitischeThemen ein. Er beschäftigtesich mit den Vorteilen der sozialenIntegrationskraft des Islamund schloss: „Wir sind ja nichtbloß eine säkulare, sondern dabeieine weitgehend geistlose Gesellschaft.“Das Internet ist eine„Rattenplage der Kommunikation“,der Nachrichtenkonsumentein Info-Dementer. 2019 bezeichneter sich in einem als Glosse ausgewiesenenText als den letztenDeutschen, „dessen Empfindenund Denken verwurzelt ist in dergeistigen Heroengeschichte vonHamann bis Jünger, von JakobBöhme bis Nietzsche, von Klopstockbis Celan“ und beklagt die„Hegemonie des Ökonomischen“.In den „Sozial-Deutschen“ siehter ähnlich „Entwurzelte“ wie inden ankommenden Flüchtlingen,die immerhin mehrheitlich ihr„Fremdsein“ beschützen und erhaltenwollten. „Eher wird ein Syrersich im Deutschen so gut bilden,um eines Tages Achim vonArnims ‚Die Kronenwächter‘ fürsich zu entdecken, als dass eingebildeter Deutscher noch wüsste,wer Ephraim der Syrer war“,so Strauß über die fortschreitendeKulturlosigkeit der Deutschen.WahrnehmungsgerechtigkeitIn seinem neuesten, lebensbilanzierend-melancholischenBuch „Das Schattengetuschel“vergleicht sich Strauß mit Firs,dem Diener und Faktotum ausTschechows „Kirschgarten“, derdie gesellschaftlichen Veränderungenum sich herum zu erduldenhat. Der Unterschied: „Dieneue Herrschaft läßt auch Erlen,Lärchen, Buchen abholzen, nicht„ Seine Prosa vibriert immernoch, ist gesättigt mitReaktionen auf menschlicheVerhaltensweisen,die analysiert und deduziertwerden. Aber erdenunziert nicht. “nur den Kirschgarten.“ Er siehtsich „noch eine Weile frierendeingesperrt im letzten Innenraum“.Zu Greiner meinte er einst,er besitze eine „Überempfindlichkeitbei der Berührung mitanderen Menschen“. Seine Prosavibriert immer noch, ist gesättigtmit Reaktionen auf menschlicheVerhaltensweisen, die analysiertund deduziert werden. Aber erdenunziert nicht, es geht ihm,wie er einmal in einer Replik aufeine Kritik schrieb, um „Wahrnehmungsgerechtigkeit“.„Menschensehen war mir ein Vergnügen,beinah ein Laster“, bilanzierter jetzt, was an Ottilies Tagebucheintragin den „Wahlverwandtschaften“erinnert, dass das„eigentliche Studium der Menschheit(…) der Mensch“ sei. Straußist ein Meister des Erzählens undFormulierens, seine Stücke undErzählprosa, seine Mahnungen,Beobachtungen und Reflexionensind Seismogramme der Zeit. ImGespräch mit Philipp Theisohnnennt Strauß die „Mikroskopiedes Unerträglichen“ als Kernaufgabedes Schriftstellers.Das SchattengetuschelVon Botho StraußHanser 2024240 S., geb., € 26,80FEDERSPIELGANZ DICHTVON SEMIER INSAYIFDas Wurst-Käs-SzenarioEin Song meiner Band „Erstes Wiener Heimorgelorchester“heißt: „Das Wurst-Käs-Szenario“. Ichentwende ihn hier, weil er mir für eine Diskussionaussagekräftig erscheint, die gerade in Deutschlandgeführt wird: Soll die Regierung zum Zivilschutz Bunkerbauen?Ich kann mich an eine Fernsehdokumentation über denBau von Atombunkern in Deutschland unter Adenauer erinnern.Darin wurde festgestellt, dass die damals von derRegierung gebauten und angepriesenen Schutzräumenicht einmal für ein Zehntel-Promille der westdeutschenBevölkerung ausgereicht hätten. Das Programm warim Grunde eine Farce; zumindest, was den Zivilschutzbetrifft. Im Sinn der Angstmache war es keine Farce.Und heute lese ich wieder, wie vernünftig Zivilschutzbunkersind. Es ist damit ein wenig so wie mit der Auswanderungins All. Zum einen ist sie völlig unrealistisch,zum anderen eine ethische Bankrotterklärung:Die Menschheit schafft es nicht, friedlich auf der Erde zuLichtgetränkteAtmosphären &explosiveTiefenspannungSprache / eine ausgestreckte Hand / ein Schmerz / dersich beruhigt“, so lauten vier Verszeilen aus dem Gedichtband„CHIAROSCURO – Das Helle und das Dunkle“ von Fran-„meineziska Raimund. Diese Gedichte halten Fenster und Türen offen, um unterschiedlichstesLicht in ihre Innenräume fluten zu lassen und um sowohlhelle als auch dunkle Abschnitte widerspiegelnd sichtbar zu machen.Es sind 53 Gedichte, in vier Kapiteln eingeteilt, in freien Versen ohneEndreime notiert, manche mit einem klar narrativen Gestus. Von gesammeltenErinnerungen und Beobachtungen eines Ichs über einen längerenZeitabschnitt hinweg ist zu lesen. Jedes Gedicht weist am Ende sein inKlammer gesetztes Entstehungsdatum aus.Motivisch nimmt die Natur mit Orten, Landschaften, Pflanzen und Tiereneinen wesentlichen Platz ein. Momente der Ergriffenheit, der Schönheit,der Trauer und des Verlustes werden spürbar. Im Gedicht mit dem Titel„DER GRÜNSPECHT“ heißt es: „Ein verletzter, verstümmelter Wald, /blutend aus allen Wunden, / anklagend ragen einzelneBaumkronen / in den gleichgültigen Himmel.“Die lyrischen Texte entwickeln die gesamte Streckehindurch ruhige poetische Bilder, die einmal imhellen, ein anderes Mal im dunklen Licht entwickelt,ihre berührenden Atmosphären erzeugen.Gesamtkunstwerk aus Wort und GrafikDaniel Böswirths Gedichtband „von den bösenviechern“, bestehend aus Grafikarbeiten und Wortkunstwerken,trägt die Idee eines Gesamtkunstwerkesin sich. Es sind 50 Gedichte und 50 Linolschnittedes Dichters und Künstlers. Die Lust am Spiel fälltsofort ins Auge, mit der Sprache und ihrer Materialität.Sowohl akustisch als auch visuell lässt diese Arbeitan Kurt Schwitters, Ernst Jandl, H. C. Artmann,Gerhard Rühm und die Wiener Gruppe denken.„vor langer, langer zeit zogen wir / von dem verlogenenhier weit weit / fort ...“ So der Beginn des erstenGedichtes mit dem Titel „krottolotl“. Eine offensichtlicheoder zumindest mögliche Amalgamierung vonKrokodil und Axolotl. Selbstbewusste und frecheTierwesen schauen einem da entgegen. „wir tauschtenalle tage / für nur eine nacht / als gäbe es keinmorgen / träumten mit bedacht den traum // densich nur salamander wie wir / zu träumen trau’n“.Es wimmelt nur so von eigenwilligen und schelmischenKreaturen, End- und Binnenreimen, Assonanzenund Alliterationen, die einerseits akustisch markantsind als auch grafisch ins Auge stechen. DieGedichte sind voller Dynamik, Rhythmik, Schwungund Tiefenschärfe, mit einer unbändigen Lust anschwarzem Humor.„ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in derAlten Schmiede (nächstes: 12.12.2024) Lyrik vor.leben. Also will sie ihre Kriege aufden Mars ausdehnen. Oder auf Bunker,in denen man bis zum Ende seinesLebens Jagdwurstaufstrich undAnalogkäse essen muss.Wenn es tatsächlich einmal eine oberirdische und eineunterirdische Menschheit geben sollte, dann ist Letzteregut beraten, sich bei der Kulinarik etwas einfallen zu lassen.Wenn man die Halbwertszeiten atomarer Strahlungund die Langzeitfolgen eines Nuklearkrieges betrachtet,wird das in vieler Hinsicht eine Herausforderung. Aberdarüber soll man keine Scherze machen. Daher im Ernst:Sollten wir unsere ganze Kraft nicht dafür aufwenden,Frieden zu schaffen und Waffen zu entsorgen? Wenn dieMenschheit durchseucht mit Übeltätern ist, wird es wohlauch in den Schutzbunkern Übeltäter geben. Wer schütztuns vor Kriegen und Anschlägen im Bunker?Der Autor ist Schriftsteller.CHIAROSCUROGedichtevon FranziskaRaimundedition lexliszt 2024139 S., kart.,€ 20,–von den bösenviechernGedichtevon DanielBöswirthfürth ohne th 2023128 S., geb.,€ 25,–Von Daniel Wisser
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