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DIE FURCHE 28.11.2024

DIE FURCHE · 4814

DIE FURCHE · 4814 Diskurs28. November 2024Den gesamten Briefwechselzwischen Hubert Gaisbauerund Johanna Hirzberger könnenSie auf furche.at bzw. unterdiesem QR-Code nachlesen.ERKLÄRMIR DEINEWELTAusstellungenbesuchen istein LabsalHubert Gaisbauerist Publizist. Er leitete dieAbteilungen Gesellschaft-Jugend-Familie sowieReligion im ORF-Radio.Dass Sie unseren Briefwechsel als „schöpferischeMorgengymnastik“ bezeichnen, macht mir wirklichFreude. Eine sehr schöne Metapher! Ich werdesie mir zu Herzen nehmen, zumal Sie ja ein andermalauch so ehrlich sind und zugeben, dass Sie es mit meinenBriefen mitunter recht schwer haben. Es ist halt so, dasssich Ihre Welt – innen und außen – und meine Welt erheblichvoneinander unterscheiden, und das sollte ja auch derSinn unserer Korrespondenz sein, dass wir uns darüberaustauschen. Zu meiner Welt gehören nun einmal und altersbedingtAbschiede – und ich versuche,ihnen mit Gelassenheit undwenn möglich sogar mit einer positivenGrundstimmung, wenn nichtgar mit Humor, zu begegnen. Angefangenvon den Mystikern, denfernöstlichen wie den mittelalterlich-christlichen,bis zu den zeitgeistig-psychologischengibt es die immerwiederkehrende und mituntersogar recht banale Empfehlung, wirmüssten das Loslassen lernen, damitwir einigermaßen mit uns und unsererWelt ins Klare kommen. Ich glaube,auch Verena Kast, die Sie zitieren, wird dagegen sein,dass wir uns beim Wort „Abschied“ sofort den Trauerflorumhängen. Ich denke, es müssen ja nicht alle Abschiedeendgültig sein. So war ich der Meinung, ich hätte doch fürmein Leben schon oft genug die grübelnden Selbstporträtsvon Rembrandt gesehen und könnte mir die aktuelle Ausstellungim Kunsthistorischen Museum sparen. Freundenzuliebe bin ich doch hingegangen – und siehe da: Mein alsvollzogen gedachter Abschied war glücklicherweise vorläufig,und die Wiederbegegnung schien mir fast eine Neuentdeckung.Vielleicht weil viele Bilder – der Ausstellung„ Wie sind wir doch alsJunge gegen die elitäreHochkultur zu Feldegezogen und haben‚Kunst für alle!‘ ge rufen.Jetzt sind sie da beiRembrandt, nicht alle,aber zu viele. “zuliebe – nach einer gründlichen Restaurierung frischherausgeputzt leuchteten. Doch nicht dies allein. Ich habeauch erlebt, dass ich mich an manchen Feinheiten erfreuenkonnte, die mir bislang entgangen waren. Es lag alsooffenbar auch an mir. Ich könnte jetzt natürlich auchhoffärtig über das Gedränge vor den Bildern jammern unddas Übel des Massentourismus beklagen, wenn es dem feinenKunstgenuss diametral entgegensteht, dass ich meinenKennerblick mit den unzähligen Handys teilen unddarauf achten muss, dass ich keinem auf die Zehen steige.Ach, wie sind wir doch als Jungegegen das Elitäre der geschmähtenHochkultur zu Felde gezogen und haben„Kunst für alle!“ gerufen. Jetztsind sie da, bei Rembrandt, vielleichtnoch nicht alle, aber viele, zu viele!Das ist mir auch wieder nicht recht.Trotzdem stelle ich wieder einmalfest: Ausstellungen besuchen ist einerquickendes Labsal.Als ich vor Kurzem so zu meinerEnkelin daherredete, schaute siemich verwundert an und fragte ganzunschuldig: Bitte, was ist ein Labsal?Ich habe meinem elitären Spontanreflex sofort verboten,Entrüstung zu zeigen, und habe einfach die Schönheit vielerin der Sprachwelt aussterbender Arten gepriesen. Dannhabe ich begütigend gesagt: „Na schau, ich verstehe auchnoch immer Begriffe wie zum Beispiel hashtag nicht wirklich.“Da hat sie mir milde erklärt: „Bedenke, ich bin damitaufgewachsen!“ Und ich darauf: „Genau, und ich bin nochmit dem Labsal aufgewachsen!“ Auch mit mancher Mühsal,denke ich – und wundere mich, warum das eine Wortsächlichen und das andere weiblichen Geschlechts ist.Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!Von Oliver TanzerIn FURCHE Nr. 183. Mai 2012Hilfsorganisationen warnen vor dem „totalenZusammenbruch des Sudan“. Was sind die Hintergründe?Eine Analyse aus dem FURCHE-Navigator.Die humanitäre Krise im Sudan sei „größerals [die Krisen in der] Ukraine, Gaza undSomalia zusammen“, sagte der Generalsekretärdes Norwegischen Flüchtlingsrats(NRK), Jan Egeland, dieser Tage der DeutschenPresse-Agentur. Seit April 2023herrscht im Sudan ein blutiger Machtkampfzwischen Machthaber Abdel Fattah al-Burhanund dessen früherem Stellvertreter MohamedHamdan Daglo. Schon 2012 hat OliverTanzer „Die andere Wahrheit über den Sudan“zu ergründen versucht. Ein Auszug.Andere Wahrheitüber den SudanEinst war das Innere Afrikas amblauen und weißen Nil ein Paradies.Stämme und Völker lebten dort inrelativer Sicherheit vor Krieg und Zerstörung.Von Abessinien im Osten bis nachKordofan und Darfur im Westen reichtedieses an Nahrung und Bodenschätzenreiche Gebiet. [...] 1821 hielt der Krieg Einzugim Süden des Sudan. Auf der Suchenach Gold und Sklaven eroberten die islamisch-arabischenHeere des MohammedAli Pascha das von den Fung-Königenkontrollierte Gebiet. Städte und Dörferwerden gebrandschatzt und geplündert.[...] In nur fünf Jahren werden mehr alshunderttausend Bewohner des Südsudangetötet, über 300.000 als Sklaven verkauft.[...] Der damals gelegten Spur vonBlut und Hass folgt das politische Schicksaldes Südsudan bis heute. Zwischen1983 und 2005 forderte ein Bürgerkriegzwischen dem „weißen“ muslimischenNordsudan und dem „schwarzen“ mehrheitlichchristlichen Süden mehr als zweiMillionen Menschenleben, fünf MillionenSudanesen wurden zu Flüchtlingen.Ging es 1821 noch um Elfenbein undSklaven, so ist der Rohstoff, um den esheute geht, Erdöl. Der seit 2011 unabhängigeStaat Südsudan ist eine der erdölreichstenRegionen Afrikas. [...] Dochviele Bewohner des Südsudan verdienenim Durchschnitt wenig mehr als einenDollar pro Tag. [...] Warum aber diesesElend angesichts solcher Bodenschätze?Die Antwort darauf liegt in einem mehrals brüchigen Friedensabkommen zuFoto: EPAder im Juli 2011 erfolgten Unabhängigkeitdes Südsudan: So muss die 1800 Kilometerlange Grenze zum Nordsudanerst noch festgelegt werden. Das führt zukriegsähnlichen Zuständen [...]. Mit derUnabhängigkeit des Südens verlor dasRegime des wegen Kriegsverbrechenvom Internationalen Strafgerichtshofverfolgten Omar al-Bashir drei Viertelseiner Öl reserven. Für Khartum bedeutetdas nicht nur Milliardenverluste, sondernauch politische Instabilität. [...] Paradoxerweiseliegt der Schlüssel zumErfolg des Südsudan nicht in Juba oder inKhartum – sondern in Peking. Das chinesischeRegime ist in allen im Sudantätigen Ölkonsortien vertreten. [...]In Jamam und Doro, Flüchtlingslagernan der Grenze zum Nordsudan, sammelnsich inzwischen die ersten Opfer des vielleichtnächsten mörderischen Kapitelsder sudanesischen Geschichte: 80.000Flüchtlinge zählen die Helfer der VereintenNationen seit Dezember. Wegen desAnsturms müssen die Nahrungsmittel inzwischenstreng rationiert werden, auf Fotosund Videos sieht man Frauen und Kindernach Wasser graben. Es ist der neue,alte Alltag in einem Land, der einst das ParadiesAfrikas war, vor über 150 Jahren.ÜBER175.000ARTIKELSEMANTISCHVERLINKTVON 1945BIS HEUTEDEN VOLLSTÄNDIGENTEXT LESEN SIE AUFfurche.atMedieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklRedaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. AstridGöttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (CvD),Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. BrigitteSchwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder,Dr. Martin TaussArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. 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DIE FURCHE · 4828. November 2024Diskurs15Dass das Budget konsolidiert und der Wirtschaftsstandort gestärkt werden muss, steht außer Streit.Wie kann dies ohne Rückschritte in der Sozial- und der Klimapolitik gelingen? Ein Gastkommentar.Bitte mehrWirtschaftskompetenz!Möchte man Wirtschaftskreisevon der Süßigkeit der Zuckerlkoalitionaus ÖVP, SPÖ undNeos im Bund überzeugen,wird man um eine standortundwachstumsfreundlichere Politik nicht herumkommen– vor allem jetzt, nach der Steiermark-Wahlund dem von der EU-Kommissionerwogenen Budgetdefizit-Verfahren gegen Österreich.Ob Blau-Türkis diese Mammutaufgabehätte lösen können, sei dahingestellt– man erinnere sich nur an nie eingehalteneNulldefizite; an Neuwahlen 2002, weil man esnicht einmal schaffte, sich auf die Bedeckungder Schäden des Hochwassers zu einigen; oderman stelle sich vor, was die von der FPÖ geforderte„Remigration“ für den Wirtschaftsstandortbedeuten würde. Aber sei’s drum:Die von Herbert Kickl vor der Wahl plötzlichzur Schau gestellte Industriehörigkeit und dieErzählung, das Verbrenner-Aus (2035!) wäreUrsache für die heutige Misere der heimischenAutozulieferindustrie, waren als Themensetzungenerfolgreich.Ökosoziale Steuerreform wurde desavouiertDass es jetzt darum geht, den in Rezessionbefindlichen Wirtschaftsstandort wieder fit zubekommen, steht außer Streit. Es ist der Schlüsselfür Erfolg oder Misserfolg jeder neuen Regierung.Man kann das Thema gut anhand derSozialpolitik und der Klimapolitik abhandeln,die beide als Standorthemmschuh genanntwerden. Für die Wettbewerbsfähigkeit zu hoheLohnabschlüsse und explodierte Energiekostenzeigen, wie stark verknüpft die Themensind. Die Energiekostenschocks durch den Ukrainekriegnur durch Transfers und Rückerstattungenabzufangen, hat nicht nur die Inflationund damit die Lohnspirale angeheizt. Weilder an sich richtige Ansatz der Verteuerung derCO₂-Emissionen bei gleichzeitiger Pro-Kopf-Vergütung (Klimabonus) von Turbulenzenund Laisser-faire bei den Energiepreisen überlagertund nicht mehr erkennbar war, wurdeauch die ökosoziale Steuerreform desavouiert.Aber wie jetzt weiter? Eine Budgetkonsolidierungin Höhe von fünf Milliarden Euro istauch von Standortrelevanz; auf eine Abschaffungdes Klimabonus, die 800 Millionen EuroFoto: Joanneum Researchbringt, könnte man sich wohl schnell verständigen.Im Gegenzug könnte die ÖVP geneigtsein, SPÖ-Chef Andreas Babler mit der Kindergrundsicherungeinen Erfolg zu gönnen, wenner dafür von standortschädlichen Vermögenssteuernabrückt – im Bewusstsein, dass manFamilien im niedrigen Einkommensbereichohnehin schon großzügig fördert, die Mehrkostenvermeintlich überschaubar sind und Vereinfachungohnehin sinnvoll wäre.Solche schnellen Lösungen wären aber einFehler, das fundamentale Problem des unkoordiniertenund teuren Förderwesens bliebe unbehandelt:Die Bundesebene greift zu oft zurDIESSEITSVON GUTUND BÖSEVon FranzPrettenthaler„ Alle Transfersan Private derEinkommenssteuerzu unterwerfen, bringtmehr Gerechtigkeitund Leistungsanreiz.“(teuren) Gießkanne, und es werden (auch aufLandes- und Gemeindeebene) beliebige Einkommensgrenzenfür Transfers definiert, dieentsprechende Schwellen- und Anreizphänomeneproduzieren. Diese vermitteln zu Rechtden Eindruck, Leistung lohnt sich nicht. Dazubraucht es nicht das wohl rassistisch motivierteHervorholen des syrischen Einzelfalles ausWien. Eine einfache Regel würde das Problemlösen: Prinzipiell alle Transfers, Zuschüsse undFörderungen an Private sind der Einkommenssteuerzu unterwerfen. Damit wäre gesichert,dass mehr Brutto auch immer mehr Netto bedeutetund gleichzeitig dem einzigen Garantenfür soziale Gerechtigkeit im Staat mehr Kompetenzzukommt: dem progressiven Steuersystem.Leistungsanreize inklusive. Punkt.Schnell würde klar, dass aus der steigendenCO₂-Besteuerung Mittel zum Ausgleich für einkommensschwacheHaushalte da sind, also„Ökobonus light“. Der besitzenden Klasse undauch allen Unternehmen wäre hingegen vielmehr geholfen, wenn die CO₂-Steuer auch eineNaturkatastrophenversicherung kofinanziert,um Hab und Gut gegen die steigenden Klimarisikenabzusichern. Das würde erheblichenSpielraum im Budget schaffen und einerseitsdie Besitzenden zwar über Prämien leicht zurKasse bitten (statt einer Vermögenssteuer), andererseitsaber auch dem Verursacherprinzipentsprechen: Die CO₂-Steuer macht den Schadender Emission (zum Teil) wieder gut. WirtschaftlicheEffizienz wie aus dem Lehrbuch.Fokus auf Netto nach Steuern und TransfersDas Anerkennen der Transferleistungen alsEinkommensbestandteil könnte auch Entspannungin die Lohntarifverhandlungen bringen:Durch Abschaffung der kalten Progressionkönnte nun stärker das Netto nach Steuern undTransfers in den Fokus rücken. Zuletzt wurdedie Inflation voll über die Löhne und ein zweitesMal über die Familientransferleistungenabgegolten: Gedankt wurde das niemandem.Bleiben die Energiekosten: Europa hatte immerhöhere als die USA, Russland oder China.Sie bescheren uns die energieeffizientesteIndustrie und sind per se kompatibel mit Exportweltmeisterschaft;aber sie müssen planbarsein. Eine Herausnahme von Gas aus derMerit- Order-Regulierung beim Strom und eineVerlängerung der Abschreibungszeiträumefür die Netzkosten könnten uns die so dringendeGeschwindigkeit beim Ausbau der Erneuerbarenerhalten. Es bleibt ein erreichbares Ziel,nach dem „Koste es, was es wolle“ mit größererwirtschaftlicher Nüchternheit die Errungenschaftenin der Sozial- und der Klimapolitik derletzten Regierung zu erhalten.Der Autor ist Umweltökonom und Finanzwissenschaftersowie Direktor des Instituts für Klima,Energiesysteme und Gesellschaft der JoanneumResearch Forschungsgesellschaft in Graz.ZUGESPITZTÜberordnung undUnterordnungJemand möge auf den Tisch hauen.Viele hegen diese Hoffnung. Etwain King County, wo 95 Prozentder Wähler für Trump stimmten.Oder im steirischen Rottenmann,wo 63,2 Prozent für die FPÖ stimmten.Oder im rumänischen Suceava,wo fast jeder Dritte für CălinGeorgescu stimmte.Willy Brandt kommentierte einst dieForderung, er möge endlich auf denTisch hauen, folgendermaßen: „Dasimponiert nicht mal dem Tisch!“ Mitnichten!Er oblag einer Täuschung.Die Auf-den-Tisch-hauen-Kunstist zeitlos schön. Wer auf den Tischhaut, der sorgt für Klarheit. Ambivalenzenwerden weggefegt, lästigeKompromisse im Keim erstickt.Das Chaos ist beseitigt. Es herrschtOrdnung. Eine auf Überordnungund Unterordnung beruhende Ordnung.Erst der Mann, dann die Frau.Erst der Staatsbürger, dann der Zuwanderer.Erst der Alteingesessene,dann der Zugezogene. Erst der Arbeiter,dann der Arbeitslose. Erst derLeistungsträger, dann der Loser.Der Schlag auf den Tisch muss dieRichtung vorgeben. Die richtigeRichtung kennt man in King County,Rottenmann und Suceava längst.Viele richten sich bereits nach ihr.Wenn Holz trocknet, können aufgrundder zunehmenden SpannungRisse entstehen. Ist die Schlagkraftzu hoch, bricht der Tisch.Brigitte QuintPORTRÄTIERTVon Gott gesandter TikTok-PropagandistEs ist bereits stockdunkel draußen, als der überraschendeSieger der ersten Runde der rumänischenPräsidentschaftswahl vor die Kameras tritt. „DasVolk ist erwacht und hat seinen Willen bekundet: Wirwollen nicht weiter auf Knien erniedrigt werden“, sagtder 62-jährige Călin Georgescu am Wahlabend. Er trägteine weinrote Chino-Hose und ein graues Jackett mitaufgestelltem Kragen. Selbstsicher steht er im Rampenlichtund genießt die Aufmerksamkeit der Medien.Wohl auch weil er im Vorfeld der Wahl wenig Interesseerfahren hat. Umfragen hatten seinen Stimmenanteil lediglichauf etwa zehn Prozent geschätzt. Tatsächlich warenes dann aber knapp 23 Prozent, die ihn in die Stichwahlgegen die konservative Elena Lasconi beförderten.„Wir müssen uns für die Demokratie vereinen. Wir müssenzeigen, dass wir stärker sind als das, wovon man inMoskau träumt“, warnt Lasconi vor ihrem Kontrahenten.Damit weist sie auf die prorussische Einstellung desAgrarwissenschafters hin. Manche vermuten, Georgescusüberraschender Aufstieg war nur durch russischeEinflussnahme möglich. Den Wahlkampf hat er vor allemauf TikTok geführt. Seine Kernbotschaft: Die EU, dieUSA und alle „Ausländer“ beuten die Rumänen aus.Georgescu galt früher als Konservativer. Er arbeitetefür die UNO und beriet die rumänische Regierung inUmwelt- und Ernährungsfragen. Mit der Zeit drifteteer aber immer weiter nach rechts ab. 2020 trat er dannder rechtsextremen AUR bei. Nur zwei Jahre später tritter schon wieder aus, weil er – unter anderem wegen derVerherrlichung von rumänischen Faschisten – selbst fürdie rechteste aller rumänischen Parlamentsparteien zuweit abgerutscht ist.Ob der Kreml tatsächlich in den Wahlkampf eingegriffenhat, weiß man wie so oft nicht mit Sicherheit. Putinwürde einen Sieg Georgescus aber definitiv begrüßen.Denn der ebenfalls orthodoxe Rumäne, der sich gernemit Bibelzitaten schmückt und sich selbst als „Berufener“bezeichnet, kritisiert die NATO-Mitgliedschaft Rumäniensund lehnt jegliche wirtschaftliche und militärischeUnterstützung für die Ukraine ab. Als Präsidenthätte er genügend Macht, die Außenpolitik umzustellen.„Heute Abend hat das rumänische Volk ‚Frieden‘ gerufen“,sagt der Wahlsieger nach seinem Triumph. Nur wasdieser Frieden für die Ukraine bedeutet, verrät der angeblicheHeilsbringer nicht. Vielleicht erklärt er das jabald auf TikTok.(Markus Hagspiel)Foto: APA / AFP / Digi24 / Inquam Photos / Octav GaneaDer rechtsextremeCălin Georgescusteht überraschendin der Stichwahl derrumänischen Präsidentschaftswahlam 8. Dezember.

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