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DIE FURCHE 28.09.2023

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Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. wirtschaft, die sich als Spätberufene fühlen (und daher motivierter sind?), sollen das Chaos an Österreichs Schulen beseitigen und das Bildungssystem stabilisieren. Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Man würde es auch zu gerne glauben. Aber dass dieses Narrativ einen fahlen Beigeschmack hat, ist offensichtlich. Derzeit heißt es vielerorts: Klappt es mit dem Traumjob, der Traumfirma nicht, kann man immer noch als Quereinsteiger an eine Schule gehen. Schuldirektoren nähmen einen angeblich mit Handkuss. Kein Zweifel, handelt es sich um eine hochtalentierte Fachkraft, die sich autodidaktisch sämtliche pädagogischen Fähigkeiten angeeignet hat und die Schülerinnen und Schüler zu Höchstleistungen anspornen kann – dann wird die Schulleitung in der Tat „Juchhe“ schreien. Doch diese Wunderwuzzis sind Lehrpersonen werden in den kommenden rar. Vielmehr zieht es jene an Schulen, die fünf Jahren in Pension gehen. Gleichzeitig eine Veränderung suchen, sich in ihrem verlassen immer mehr Lehrer(innen) frühzeitig den Schuldienst. „In Wien löst im womöglich sogar überlastet sind, denen die eigentlichen Job nicht mehr wohlfühlen, Prinzip täglich eine Lehrperson den Dienst Aussicht auf wochenlange Ferien gefällt. auf“, erklärte etwa Thomas Krebs, oberster Das muss nicht unbedingt heißen, dass Gewerkschaftsvertreter (FCG) der allgemeinbildenden Pflichtschulen gegenüber aber auch nicht unbedingt heißen, dass sie diese Leute schlecht unterrichten. Es muss Puls 4. Krebs meint damit nur jene, die gut unterrichten. Der Hype um die Quereinsteiger sollte also differenziert betrach­ sich selbstständig (also nicht durch Versetzung oder Pensionierung) aus dem System tet werden. Es gilt, das Bildungsministerium wieder mehr in die Verantwortung zu zurückziehen. Und nun werden Quereinsteiger als eierlegende Wollmilchsau gehandelt. Perso­ Österreich qualifizierten Unterricht zu er­ nehmen. An ihm liegt es, den Kindern in nen mit Berufserfahrung in der Privatmöglichen. (Brigitte Quint) a! Rund zehn Prozent der Lehrenden an Österreichs Schulen sind diesen Herbst nicht über ein einschlägiges Studium ausgebildet worden, sondern als Quereinsteiger eingestiegen. Es sei „ein mehr als unhaltbarer Zustand“, polterte die Opposition, etwa der freiheitliche Bildungssprecher Hermann Brückl, wenn auch im kommenden Schuljahr in allen Bundesländern unter anderem Quereinsteiger und Studenten ohne abgeschlossenes Studium in die Schulklassen geholt werden müssten. Keine Frage: Der Lehrermangel braucht dauerhafte Lösungen, und es braucht mehr Budget für die Schulen. Ebenso sollte nicht die ganze Last bei jenen liegen, die noch kein Studium abgeschlossen haben. Aber das ist noch lange vorweisen können, haben nun die Chance, kein Grund, die Idee von Quereinsteigern ihr Wissen weiterzugeben und andere junge in den Schulen gänzlich abzulehnen. Denn Menschen dafür zu begeistern. Es ist jedoch einiges spricht dafür, sich diesem Modell unerlässlich, dass Quereinsteiger angemessen vorbereitet und unterstützt werden. Die zu öffnen. Quereinsteiger bringen schließlich frischen Wind in die Schulen und können neue Perspektiven vermitteln. Das ist dert eine sorgfältige Planung, um sicherzu­ Integration des neuen Lehrpersonals erfor­ von unschätzbarem Wert. stellen, dass sie die Bedürfnisse der Schüler Manche der Lehrenden werden in Sachen erfüllen und effektiv unterrichten können. Digitales auch fitter sein und den Schülerinnen und Schülern näher, was einen mosehen werden, was sie sind: eine große Un­ Dennoch sollten Quereinsteiger als das gedernen und innovativen Unterricht unterstützen könnte. Ebenso können nun auch system. Sie allein werden das Problem des terstützung für das österreichische Schul­ Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft Lehrermangels ohnehin nicht lösen. Aber leichter in den Lehrerberuf wechseln und jeder, der sich in der heute herausfordernden Zeit für den Lehrerberuf entscheidet, Schülerinnen und Schülern viel berufliche Erfahrung aus ihrer Praxis näherbringen. sollte unterstützt und gefördert werden, Menschen, die von ihrem Fach begeistert auch wenn diese Entscheidung später im sind und darin viele Jahre Berufserfahrung Leben getroffen wurde. (Manuela Tomic) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Philipp Axmann, Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.), Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger ch komme gerade aus dem Urlaub zurück. Auch wenn ich meinen persönlichen, moralischen Ansprüchen damit nicht gerecht werde, muss ich gestehen, dass ich den Badeurlaub sehr genossen habe. Zum ersten Mal seit Jahren, seit dem Ende meiner Schulzeit, hatte ich keine Arbeit im Gepäck. Im Vorfeld hatte ich ein bisschen Angst davor, dass mir langweilig werden könnte. Das war aber nicht der Fall. Stattdessen genoss ich die kleinen alltäglichen Routinen, wie den morgendlichen Gang zum Frühstücksbuffet. Und die fünftausend Schritte bergab, an Sissys Market vorbei, hinunter zum Meer und dann den Strand entlang ins kleine Dörfchen. Dort hatte ich zwei Stammlokale, in denen ich abwechselnd gegrillte Melanzani in Tomatensoße oder griechischen Salat mit Knoblauchbrot verspeiste. Die meisten Gäste aßen erst nach dem Sonnenuntergang, so hatten die Kellner (es waren nur Männer) immer Zeit für einen kleinen Plausch. Eigentlich mag ich solche Situationen nicht so gern. Diese Gespräche fühlen sich unnatürlich an. Mir ist nicht ganz klar, worin das Interesse meines Gegenübers liegt. Handelt es sich um Smalltalk, den ich hasse, um eine Überbrückung von Zeit, will man freundlich wirken, damit ich mehr Trinkgeld gebe, oder ist die Person wirklich am Austausch interessiert? Wie bei einem Flipperspiel rasen diese und andere Gedanken durch meinen Kopf. Eines Morgens, es war noch vor meinem ersten Kaffee, beobachtete ich noch leicht benommen die anderen Gäste auf der Frühstücksterrasse. Die meisten von ihnen waren in ihr Handy vertieft, sie wischten und scrollten über Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger 01 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz ihre Displays – und erst als der Mann mit dem Kaffee vor ihnen stand und freundlich nach ihrem Befinden fragte, blickten sie auf. Mir kam es vor, als ziehe der Herr im Anzug Tisch für Tisch die Gäste aus der digitalen Welt in die analoge. Dann stand er vor mir. Er überreichte mir den Verlängerten, und wir lächelten einander an. Überraschend nett war der Moment. Da kamen mir Ihre Worte aus einem Ihrer Briefe in den Sinn. Sie schrieben damals von alltäglicher Interaktion und dem Bedürfnis nach Gesehenwerden. Ich frage mich gerade, ob ich mich vielleicht häufiger auf das Quatschen um des Quatschens willen einlassen sollte. Graus vorm Geplauder Als ob Google meine Gedanken lesen könnte, wurde mir heute passend dazu ein Artikel vorgeschlagen. „Graus vorm Geplauder mit Fremden“ ist der Titel. Die beiden Psychologinnen Gillian Sandstrom und Erica Boothby untersuchten die Haltung bzw. Erwartungen von Personen, die sich vor Konversationen mit Fremden scheuen. Das Gegenüber könnte langweilig sein, das Gespräch oberflächlich, man könnte sich unsympathisch finden, oder es könnte am nötigen Talent fehlen, um einen Smalltalk elegant zu beschreiten – das waren nur einige der genannten Gründe. Gesprächsfertigkeiten seien jedoch eine Frage der Gelegenheit und Gewohnheit. Für mich heißt das: Je häufiger ich in Alltagssituationen an einem Gespräch teilnehme, desto normaler und angenehmer werden sie. Na ja, das ist zumindest meine Arbeitshypothese. Ob es funktioniert, darüber werde ich Sie auf dem Laufenden halten. Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Produziert nach Art Copyright ©Bildrecht, Wien. den Richtlinien des Österreichischen Dem Ehrenkodex der österreichischen Umweltzeichens, Presse verpflichtet. Druck Styria, UW-NR. 1417 Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. DIE FURCHE · 38 21. September 2023 Szenen aus „Projekt Ballhausplatz“: Der Aufstieg des Sebastian Kurz ist mit dem „Geilomobil“ verbunden (o.), der Abstieg mit dem Zufallsfund der Chats von Thomas Schmid (u.). Von Otto Friedrich ekanntlich ist österreichischer Film, vergli- zusammen. Stimmt, dass er da Ende der Ära Kurz in der Politik chen mit der Größe des nur auf Archivmaterial zurückgreifen konnte sowie auf Kriti- Landes und der filmwirtschaftlichen Möglichkeiten, auch international weit Ex-EU-Kommissar Franz Fischler ker – wenige wie Ferry Maier oder mehr als eine Quan ti té né g li gea ble. aus der ÖVP. Natürlich wäre auf diesem Hintergrund auch genug Stoff für eine dokumentarisch-künstlerische Aus- Maier war 2010 ÖVP-Chef in Vom Bubenstreich zum Kanzler einandersetzung mit der Person Wien, als ein gewisser Sebastian Kurz mit der Jungen ÖVP den und dem bisherigen Wirken des Sebastian Kurz, des bekanntlich „Geilomobil“-Wahlkampf startete. jüngsten Ex-Bundeskanzlers der Was wie ein Bubenstreich anmutete und heute noch Fremdschä- Zweiten Republik, zu finden. Bekanntlich sind nun zwei derartige Filme im Kino – das überpunkt der Karriere von Kurz. Das men hervorruft, war der Startraschend und überraschend groß „Geilomobil“ und seine Zerlegung gepushte Opus „Kurz – Der Film“ ist auch die dramaturgische Metapher, die den Film durchzieht. von Sascha Köllnreitner und das schon lang angekündigte „Projekt Der Name „Projekt Ballhausplatz“ war der Titel eines Strate- Ballhausplatz“ von Kurt Langbein, das ab Freitag in den heimischen giepapers aus 2017, mit dem Kurz Lichtspieltheatern zu sehen ist. und die Seinen den Durchmarsch Es ist schwer bis unmöglich, zu ins Kanzleramt minutiös geplant versuchen, beiden Filmen vorwiegend unter filmkritischen Krite- hält im Film für die Kapitelüber- haben sollen. Das Dokument rien gerecht zu werden. Denn der schriften her, aber die Übernahme des Landes nach derartigem Hype, den „Kurz – Der Film“ Anfang des Monats mit einer an Schlachtplan bleibt letztlich doch den Aufstieg des Sebastian Kurz vor allem eine These. an die Partei- und Regierungsspitze gemahnenden PR-Strategie herzedieren, dass er eine Fülle an Zu- Dennoch ist Langbein zu konvorrief, ruft viel eher den Medienbeobachter als den Filmkritiker mit dem Film „Projekt Ballhaussammenhängen kompiliert und aufs Tapet. Genial, so lässt sich zusammenfassen, wie eine gefilmte Gefahr für die Demokratie aufzeiplatz“ die aus seiner Sicht dräuende Hommage so in der Öffentlichkeit gen will. Interessant allenthalben, platziert wird, dass maximale Aufmerksamkeit in einer diesbezüggierung vergleichsweise lakonisch dass Kurz und die türkis-grüne Relichen Ökonomie erreicht wurde. abgehandelt werden. Aufs Ganze Der Protagonist darf in „Kurz – Wer das finanziert hat etwa? Oder lange im O-Ton zu zeigen, weil es klärerische Impetus wird vom ersten Moment seines Films an klar. die Gesamtsicht vor allem deswe- gesehen jedoch gelingt dem Film Der Film“ weitgehend unwidersprochen seine Sicht der Dinge waren, wie zuletzt der Falter bedert habe. Und er gibt allen Erns tes „Projekt Ballhausplatz“ ist desgen nicht, weil sich die kritisierte ob die Besucherzahlen geschönt die Dramaturgie des Films erfor- preisgeben – dass sein Aufstieg hauptet hat? Das sind alles politsche oder medienkritische Fragen, sen Passagen eigentlich selbst ent- dramaturgischen Finessen. Das Letztlich kommt die größte vor, dass sich Kurz in diesen endlowegen noch kein Meisterwerk mit Seite so verweigert hat. jedenfalls keinesfalls von langer Lesen Sie zum Hand vorbereitet war, dass er einfach etwas weniger Staat hätte ha- feuilletonistische Auseinander- Kritik an ihm quasi dadurch, dass Langbein keinen der dort bewer- „Fremdkörper. hausplatz“ von der Konkurrenz: die in die politische, nicht in die larve. Der Ex-Kanzler liefere die liegt zum Gutteil aber daran, dass Schützenhilfe fürs „Projekt Ball- Thema auch ben wollen, dass die Vorwürfe, die setzung gehören. er das sage, was er sage. teten Protagonisten vor die Kamera bekam. Die Liste der Absagen – Film“ von Lydia derart schönfärberisches Narra- Oder: Kurz - der Wer mit „Kurz – Der Film“ eine zu seinem Sturz geführt hatten, Dass vieles rund um Sebastian Kurz’ politische Performance angefangen bei Sebastian Kurz Mischkulnig tiv über die gute, aber leider be- nicht stimmen und dass er seinen Ein Film wie ein Blendwerk Businesspartner Peter Thiel als interessante Persönlichkeit in Müngangsweisen der beiden Kurz- genossen ja längst klar. Wenn jegeblendet wird, übertrifft jene deno setzt, darf sich nicht wundern, Man kann – um sich den Vor- Blendwerk war, ist wachen Zeit- selbst –, die am Ende des Films ein- am 6.9.2023, endete Kanzlerschaft Kurz ins Ki- nachzulesen auf furche.at. chen kennengelernt habe etc. Filme wirklich anzunähern – mand wissen will, dass er dies rer, die Rede und Antwort standen. dass Langbeins Fundamentalkritik doch viel Legitimation zu- Nichts davon wird in „Kurz – Michael Nikbakhshs Podcast „Die auch als Politiker a. D. weitertreibt, Langbein hält sich in seinem Der Film“ infrage gestellt, die Dunkelkammer“ (dunkelkammer. dann möge er/sie zur von Köllnreitner verfilmten Kurz’schen Elochogramm des Sebastian Kurz oben – eine politische Bewertung. Zugang auch nicht mit einem Psykommt. Aber das alles ist – siehe ganze „Prätorianer-Garde“ des simplecast.com) empfehlen. Nikbakhsh hatte sich nach der unge auf sich selbst ins Kino gehen. auf. Sondern er fasst dokumenta- Muss man da über die Filmkunst Sebastian Kurz (Ausnahme – natürlich: Thomas Schmid) kommt ter anderem mit einem hochhaushohen Kurz-Konterfei am Wiener bart er im Podcast bei Nikbakhsh – ginn der 2010er Jahre bis zum P.S.: Soeben hat der kroatische Köllnreitner – auch das offenrisch eine Entwicklung vom Be- dabei noch viele Worte verlieren? in Originalinterviews zu Wort. Und die paar kritischen Stimmen – Stephanie Krisper und digung von „Kurz – Der Film“ als Erklärstück. Darum verweiger- Kurz-Dokumentation angekündigt, Donauufer orchestrierten Ankün- wollte jedenfalls keinen Film als Regisseur Jakov Sedlar eine dritte Matthias Strolz (Neos), Amtsvorgänger Christian Kern oder der Aber in seinem Podcast sprach er son und deren Handeln. Diese hin- Truth“ erscheinen soll. Die Wahr- über den Tisch Gezogener beklagt. te er sich der Einordnung von Per- die demnächst unter „Kurz – The Wirtschafts- und Investigativjournalist Michael Nikbakhsh reiter wie mit Kurt Langbein vom Langbein im „Projekt Ballhaus- hintereinander mit Sascha Köllngegen ist die Philosophie von Kurt heit? Eine unendliche Geschichte ... dürfen Statements beisteuern – „Projekt Ballhausplatz“. Was die platz“. Man tut dem Schüler der Kurz – Der Film kratzen keineswegs am Narrativ beiden Regisseure da in mehr als TV-Aufdeckerlegende Claus Gatterer eigentlich unrecht, wenn Pongo Film. 89 Min. A 2023. Regie: Sascha Köllnreitner des Rising und ganz gewiss noch eineinhalb Stunden kundtun, offenbart eigentlich mehr, als es man seine Arbeit mit dem Kölln- nicht wirklich gefallenen Star Sebastian Kurz. die Filme selbst tun. Köllnreitner reitner-Film vergleicht. Denn Projekt Ballhausplatz Was soll man an solch filmischer nimmt da für seinen Film in Anspruch, Sebastian Kurz deshalb taristenhandwerk, und der auf- Filmladen. 100 Langbein versteht sein Dokumen- A 2023. Regie: Kurt Langbein Huldigung dann auch kritisieren? Min. DIE FURCHE · 39 12 Diskurs 28. September 2023 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Frischer Wind? Lass uns streiten: Noch mehr Quereinsteiger in den Schulen? Von Manuela Tomic und Brigitte Quint. Nr. 38, Seite 14 Mit großem Interesse habe ich das „Streitgespräch“ zum Thema gelesen und möchte gerne auf einige wesentliche Aspekte hinweisen: 1. Quereinsteiger(innen) sind keine einheitliche Gruppe. Im berufsbildenden Schulwesen leisten Fachtheoretiker und Fachpraktiker seit vielen Jahrzehnten einen wesentlichen Beitrag dazu, den Unterricht auf dem aktuellen Stand der Berufswelt zu halten. Dieses Modell hat sich bewährt, ist jedoch seit der Reform der Lehrerausbildung deutlich aufwendiger geworden – was potenzielle Neuzugänge, die etwa über Teilzeitverträge in das Bildungswesen hineinwachsen möchten, eher abschreckt. 2. In bestimmten Bereichen des Bildungswesens werden Quereinsteiger(innen) nicht so einfach einsetzbar sein. In der Primarstufe (Volksschule) sind sie bislang mit gutem Grund nicht vorgesehen. Auch im Bereich der Sonderpädagogik wird es nur schwer gelingen, auf die hohen fachlichen und didaktischen Anforderungen vorbereitetes Personal zu rekrutieren. Man darf überdies gespannt sein, wie gerade sogenannte Brennpunktschulen, in denen schon erfahrene Lehrkräfte an ihre Grenzen stoßen, hoch motivierte, aber weitgehend unerfahrene (und nicht für den Beruf ausgebildete) Neulehrer(innen) fordern. Aus persönlichen Berichten weiß ich, dass ein hoher Prozentsatz den Beruf rasch verlässt. 3. Ob jemand fachlich und methodisch guten Unterricht macht, hängt J DIE FURCHE · 38 14 Diskurs 21. September 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Quatschen um des Quatschens willen? I LASS UNS STREITEN! „ Grundsätzlich hasse ich Smalltalk. Aber mir kam es vor, als ziehe der Kellner im Anzug Tisch für Tisch die Gäste aus der digitalen Welt in die analoge. “ Noch mehr Quereinsteiger in den Schulen? ein! Seit mindestens zehn Jahren weiß man, dass sich mit der Pensio­ der geburtenstarken Nnierungswelle Jahrgänge eine Lücke auftun wird. 20.000 von mehreren Faktoren ab: Neben der persönlichen Eignung und entsprechenden Motivation wird auch eine kompetente Begleitung und Nachqualifizierung erforderlich sein. Mir wäre bislang nicht bekannt, dass in die Unterstützung der Neueintretenden personell investiert würde. „Nebenbei“ als Mentor(inn)en zu arbeiten, ist den angesichts des eklatanten Personalmangels überlasteten Lehrkräften wohl nicht möglich. In der Bildungsforschung gilt als gesichert, dass Neueinsteiger(innen) eine Zeitspanne von drei bis vier Jahren brauchen, um sich im Beruf etabliert zu haben. Ausgebildete Lehrkräfte können hier von ersten Erfahrungen aus ihrer Studienzeit profitieren. Ob der „frische Wind“, den Quereinsteiger(innen) möglicherweise mitbringen, ihnen selbst hilft, die schwierigen Anfangsjahre zu überstehen, wäre noch zu beobachten. Als mittlerweile schon in die Jahre gekommener Pädagoge und Lehrer(innen)-Bildner freue ich mich natürlich, wenn junge Menschen diesen erfüllenden und außerordentlich schönen Beruf ergreifen. Vor allzu hohen Erwartungen möchte ich jedoch ausdrücklich warnen. Michael Krebs, Wiener Neustadt Nur ein Baustein wie oben Manuela Tomic’ Kommentar „Warum es Quereinsteiger in den Schulen braucht“ impliziert, dass wir Freiheitliche grundsätzlich gegen Quereinsteiger als Lehrer in Schulen sind. Tatsächlich aber unterstützen wir diese Idee und haben uns auch stets für die Möglichkeit des Umstiegs ausgesprochen. Aber es löst das Problem nicht, es ist vielmehr nur eine kleiner Baustein im Kampf gegen den Lehrermangel. Für uns liegt die Lösung langfristig u. a. in einer Ausbildungsreform (inklusive einer radikalen Verkürzung der Ausbildungsdauer), einer Reform des Dienstrechts, des Besoldungsrechts, einer Lehrplanreform usw. Kurzfristig könnte man mit steuerlichen Anreizen für Teilzeitkräfte und sogenannte „Frühpensionierungen“, Einstellung von administrativem Personal usw. entgegenwirken. Hermann Brückl Abg. zum Nationalrat (FPÖ) stv. Obmann im Unterrichtsausschuss FURCHE-Gedankenbogen Mehr als Jugendsünden Von Doris Helmberger. Nr. 35, S. 1 „Terrasse der Demokratie“statt „Hitler-Balkon“ . Von Jan-Heiner Tück Nr. 37, Seite 15 sowie „Unsere Demokratien sind am Verrotten“: Interview mit Philipp Blom Nr. 38, Seiten 2–3 Vor einigen Wochen hat Doris Helmberger in ihrem Leitartikel Verantwortung jener Politiker eingefordert, die sich Kickls FPÖ annähern. Eine wahre Aussage, doch wie soll denn diese Verantwortung ausschauen? Was passiert denn heutzutage, wenn ein Politiker abgewählt wird? Verantwortung muss er für keinen seiner Schritte übernehmen, im Gegenteil – er wird in Aufsichtsratsposten gehievt, die ihm genauso unverantwortliches Agieren ermöglichen. Politiker haben hohe Gehälter – zurecht, wenn sie diese als Zeichen ihrer Verantwortung auch einsetzen oder verlieren können. Wird also ein Politiker abgewählt, weil er sich zu sehr von den Positionen seiner Partei (christlich-soziale Volkspartei – wohl schon lange nicht mehr!) abwendet, Tatsachen leugnet Anfang September machte „Kurz – Der Film“ politisch Furore. Nun kommt der Gegenentwurf „Projekt Ballhausplatz“ ins Kino. Beide mehr ein Fall für den Medienbeobachter, nicht den Filmkritiker. B Film/Medien Sebastian K. – zwei Narrative „ Letztlich kommt die größte Schützenhilfe für das ‚Projekt Ballhausplatz‘ vom Konkurrenz produkt ‚Kurz – Der Film‘. “ Geilomobil bis zu Chats 17 (Klimaschutz machen wir genug oder die ganzen Naturkatastrophen haben nichts mit der Klimawende zu tun) oder aus Prinzip nur kontraagiert, dann sollte er seine hohen Gehälter auch im Nachhinein noch verlieren können, um Fehler möglichst ausmerzen zu können. Ich bin mir sicher, dass dann aus „Normal“-Debatten sehr rasch wieder Diskussionen zu wirklich wichtigen Themen würden; dass es vielleicht wieder ein konstruktives Miteinander im Parlament geben könnte. Herrn Tück kann ich nur zustimmen, dass es absolut wichtig wäre, dem Wunsch nach dem starken Führer mit allen Mitteln gegenzusteuern. Die Öffnung des Balkons zum „Plateau der Menschenrechte“ wäre nur ein erster kleiner Schritt. Die Menschenrechte sind nämlich das, was als erstes in Gefahr gerät. Laut wissenschaftlichen Thesen genügt es, wenn ca. 30 Prozent einer Gruppe etwas ausreichend möchten. Dadurch kann vieles ins Rollen gebracht werden. Es lässt sich die Demokratie wieder stärken, aber auch demontieren. Abschließen möchte ich mit einem Satz aus dem Interview mit Philipp Blom: „Wir erleben derzeit das Ende dieser seltsamen Ferien der Geschichte, die der Westen nach 1945 gemacht hat.“ Lassen wir uns wachrütteln, verspielen wir nicht unsere Zukunft und die unserer Kinder – und lassen wir sie uns nicht durch Politiker, die sich mittels Populismus und Faktenleugnung Zuspruch erhoffen, zerstören. Monika Stangl,1020 Wien Fehler und Frage Sebastian K. – zwei Narrative Von Otto Friedrich. Nr. 38, Seite 17 Otto Friedrich widmet sich den zum Zeitpunkt des Verfassens zwei bekannten Filmen über Sebastian Kurz. Da ich die beiden Filme nicht gesehen habe, will ich deren Inhalt nicht beurteilen. Doch zwei Stellen in Friedrichs Text kann man einfach nicht so stehen lassen: 1) Seine Behauptung, Ferry Maier wäre 2010 „ÖVP-Chef in Wien“ gewesen. Das ist nicht nur falsch, sondern völlig absurd. Ferry Maier war nie Landesparteiobmann der ÖVP-Wien, sondern Wiener Landesparteisekretär von 1983 bis 1989 sowie Generalsekretär der Bundes-ÖVP von 1991 bis 1993. 2010 hatte er sich längst beruflich anders orientiert, war aber noch bis 2012 Abgeordneter zum Nationalrat. Außerdem ist es völlig realitätsfern, dass ausgerechnet der Kritiker Maier Sebastian Kurz diesen insgesamt verunglückten Gemeinderatswahlkampf 2010 als Landesparteiobmann ermöglicht haben sollte. 2) Friedrich wirft die Frage nach der Finanzierung des ersten Kurz-Films auf. Warum fragt er nicht, ob es Aufgabe des öffentlich-rechtlichen ORF ist, den zweiten Kurz-Film, der eine eindeutige politische Agenda verfolgt, wesentlich mitzufinanzieren? Eine „Goldene Palme“ oder einen „Oscar“ wird man sich am Küniglberg für diese Produktion ja nicht erwarten. Paul Mychalewicz, via Mail Erratum Tatsächlich war der ehemalige Generalsekretär des Raiffeisenverbandes, Generalsekretär der ÖVP und Nationalratsabgeordnete Ferry Maier 2009 zwar als Wiener Landesparteiobmann im Gespräch, er hatte aber eine diesbezügliche Kandidatur vorab zurückgezogen. Wir bedauern den Fehler. (ofri) In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie bezahlte Beilagen der DGG Deutsche Goldmünzen Gesellschaft mbH. Lotto Fans haben die Chance auf einen Blick hinter die Kulissen und ein Meet and Greet mit Evelyn Vysher Live dabei bei der 3.333. Lotto Ziehung Sängerin, Astrologie-Expertin, Yogalehrerin und Sprecherin Evelyn Vysher feierte ihr 20-jähriges Jubiläum als Moderatorin im Lotto Ziehungsstudio. Das war am vergangenen Sonntag, dem 24. September 2023. Ende Oktober ist „Schnapszahl-Tag“ bei Lotto „6 aus 45“. Eine Schnapszahl ist eine mehrstellige Zahl, die ausschließlich aus gleichen Ziffern besteht, und am Sonntag, dem 29. Oktober 2023 findet die 3.333. Ziehung von Lotto „6 aus 45“ statt. Die Österreichischen Lotterien verknüpfen beide Ereignisse und verlosen zwei Backstage-Führungen für je zwei Personen hinter die Kulissen der Lotto Ziehung im ORF-Zentrum in Wien inklusive Meet and Greet mit Evelyn Vysher. Und das nicht bei irgendeiner Ziehung, sondern bei der 3.333. Wer gerne erfahren will, wie aufwendig die Produktion dieser Live-Sendung ist und mit Evelyn Vysher plaudern möchte, meldet sich bis 1. Oktober 2023 unter lotterien.at oder mit beiliegendem QR-Code an. Die beiden Gewinner:innen werden am 2. Oktober 2023 gezogen und mit Begleitung ins Lotto Studio eingeladen. Übrigens: Der nächste „Schnapszahlen-Tag“ bei Lotto ist – bei der jetzigen Ziehungsfrequenz – in knapp zehn Jahren. Lotto und Yoga sind für Evelyn Vysher gleichermaßen Hobby wie Beruf Foto: ORF / Günther Pichlkostner IN KÜRZE RELIGION ■ Heinrich Schnuderl Die Ären der Bischöfe Weber, Kapellari und Krautwaschl bestimmte er wesentlich mit: 1970, ein Jahr nachdem Johann Weber auf dem Graz-Seckauer Bischofsstuhl Platz genommen hatte, wurde Heinrich Schnuderl Hochschulseelsorger in Leoben. Als 1982 sein Vorbild und Freund Egon Kapellari als Bischof nach Kärnten ging, folgte ihm Schnuderl auch als Grazer Hochschulseelsorger nach. Bis 1997 prägte er die Studentenseelsorge in der Steiermark und war auch Geistlicher Assistent der diözesanen wie der österreichischen Katholischen Aktion. Danach war er in seiner Heimatstadt Stadtpfarrpropst und leitete das Pastoralamt. Egon Kapellari, 2001 als Bischof an die Mur zurückgekehrt, berief ihn 2011 zum Generalvikar, nach dessen Emeritierung 2015 stand Schnuderl bis zur Ernennung von Wilhelm Kraautwaschl der Diözese Graz-Seckau als Interimsleiter vor. Danach wirkte er bis 2023 als Dompfarrer in Graz, ein Amt, das er mit 1. September niederlegte. Am 20. September feierte Heinrich Schnuderl, diese Säule der steirischen Kirche, seinen 80. Geburtstag. (ofri) Foto: Wikipedia/ Gerd Neuhold (cc by-sa 3.0 at) GESELLSCHAFT ■ Streit um Schwangerschaftsabbrüche in Westösterreich In Vorarlberg hat sich die Debatte über Abtreibungen zugespitzt. Bisher wurden sie nicht im Spital, sondern nur von einem Bregenzer Privatarzt durchgeführt, der aber mit Jahresende seine Praxis schließen will. Das Land plante daraufhin, diese Eingriffe im Personalwohnheim neben dem Bregenzer Landeskrankenhaus anzubieten – und als einjährige Übergangslösung einen Anbau des Krankenhauses zu nutzen. Dies sorgte für Kritik, auch beim Feldkircher Bischof Benno Elbs: „Abtreibung hat eine zutiefst ethische Dimension, und daher ist die Wahl des Ortes nicht banal, sondern von hoher Symbolkraft“, meinte er zu den Vorarlberger Nachrichten. „Es steht mir als Bischof zwar grundsätzlich nicht zu, mich zu einem Ort für eine Abtreibung zu äußern, das ist Aufgabe der Politik. Ob ein Krankenhaus ein geeigneter Ort ist, bezweifle ich allerdings.“ Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP) verwarf die Pläne daraufhin. LH Markus Wallner betont nun, „in keiner Richtung ins Extreme“ rennen zu wollen – und sprach sich weiter für Abbrüche in einer Privatpraxis aus. Aufregung gibt es indes auch in Tirol und Salzburg, nämlich über ein von den Ländern geplantes Abbruch-Register samt anonymisierter Befragung über die Gründe. „Aktion Leben Österreich“ begrüßt mehr Transparenz und plädiert für einen „reifen Umgang“ mit diesem Thema.

DIE FURCHE · 39 28. September 2023 Literatur 13 Mit ihrer neuen Publikation „Arson“, einer Dystopie über folgenschwere Brände und die immer heißer werdende Erde, reiht sich Laura Freudenthaler unter die wichtigsten Neuerscheinungen des heurigen Bücherherbstes ein. Von Maria Renhardt Urwälder in Flammen, wie Fackeln brennende Kronen oder ein übers Stoppelfeld laufendes Feuer. Es ist ein wildes Knacken und Prasseln, wenn dunkelrote, Funken sprühende und hell auflodernde Flammen das trockene Holz erreichen, um dann irgendwann als Glutnester doch noch zu verglosen. In der neuen Prosa der österreichischen Autorin Laura Freudenthaler bündeln sich wahrlich düstere Bilder von weltumspannenden, fast apokalyptischen Bränden, denen die menschliche Hybris hinsichtlich einer rücksichtslosen Einverleibung der Natur zugrunde liegt. „Arson“, so der Titel des Bandes, bedeutet Brandstiftung. Dieser Begriff wird hier allerdings mit zusätzlichen Konnotationen aufgeladen. Denn Brände mannigfaltigen Ursprungs halten zwar als Kernmotiv wie ein roter Faden die einzelnen, lose miteinander verbundenen Textsequenzen zusammen; diesen dystopischen Skizzen sind jedoch noch weitreichendere globale Probleme als Subtext eingeschrieben. „Es gibt einfach keinen Ort mehr für Träume“ Hitzeglühen mit Vorstufe 2020 hat Laura Freudenthaler auf Einladung der FURCHE- Feuilletonchefin Brigitte Schwens- Harrant bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur gelesen. Schon damals wurde sie als „Shootingstar“ der jüngeren Schriftsteller(innen)generation bezeichnet. Denn zuvor hatte sie bereits mit ihren Romanen „Die Königin schweigt“ und „Geistergeschichte“ auf sich aufmerksam gemacht. Für ihren Text „Der heißeste Sommer“, dessen „atmosphärische Dichte“ von der Jury besonders hervorgehoben wurde, hat sie in Klagenfurt den 3sat- Preis erhalten. Auch wenn Freudenthaler diesen Text heute als abgeschlossen und abgelegt betrachtet, ist frappierend, wie viele Motive sie darin für ihre neue Prosa angelegt hat, die sie teilweise verfremdet in „Arson“ wieder aufgreift und weiterentwickelt, sodass sie als literarisches Unterfutter durchaus präsent bleiben. Schaut man sich den Plot an, so tut sich auf den ersten Blick nicht viel, auf den zweiten jedoch Ungeheuerliches. Im Zentrum steht eine ruhelose Ich-Erzählerin, die nicht nur ihre Wohnsitze wechselt und sich mit dem Notwendigsten zufriedengibt, sondern sich auch häufig zwischen Traum und Realität bewegt. Vor allem aufgrund ihrer gesteigerten Wahrnehmungsfähigkeit fällt es ihr nicht leicht, die Wirklichkeit einzuordnen, wenn Geräusche und Sichtbares einer Traumwelt zu einer flirrenden Ebene verschwimmen: „Die Sprache von drüben schafft nie den Übergang. Bilder kann ich mitnehmen und fälschen, indem ich sie aufschreibe.“ Die Protagonistin ist Journalistin, schreibt Berichte und arbeitet unter prekären Bedingungen. Sie hat Existenzängste und sträubt sich, Hilfe anzunehmen. Oft bricht sie mit Bleistift und Heft in der Hand in die Natur auf und streift durch das Gelände einer surreal anmutenden Landschaft. Nach einer gescheiterten Beziehung ‒ es bedarf nämlich gemeinsamer Ziele und „Projekte, um zu wachsen“ ‒ trifft sie auf einen Mann, der – ähnlich wie sie – getrieben und eingenommen von der Arbeit ist. Am Meteorologischen Institut gilt er als Experte für das Kartografieren von Bränden, die immer mehr Regionen der Welt erfassen. Mittlerweile leidet er bereits unter permanenter Schlaflosigkeit, Stress, einem übersteigerten Verantwortungsbewusstsein, ja eigentlich unter einem Burnout. Deshalb arbeitet er mit einer Therapeutin, die ihn mit unterschiedlichsten Methoden wie etwa einem Schlaftagebuch unterstützt. Viereinhalb Stunden Schlaf sind das absolute Minimum, heißt es, aber irgendwann rächt sich Schlafentzug sogar mit „Visionen und Halluzinationen“. Brandbeschleuniger Mensch „Ich möchte, dass meine Texte mehr aufmachen, als sie beantworten oder vorgeben“, sagt Freudenthaler einmal in einem Interview über ihr Schreiben. Dieses Credo gilt insbesondere auch für „Arson“. Denn hier werden Bedeutungsfolien ineinandergeschoben und so miteinander verknüpft, dass wieder neue Assoziationsfelder entstehen, vieles bleibt in Schwebe. Auf diese Weise tun sich beiläufig aktuelle globale Fragen auf, die sich dann nachhaltig verankern. Man erinnert sich noch mit Entsetzen an die jüngsten Buschbrände in Australien, die die Welt vor zwei Jahren in Atem gehalten haben. Freudenthaler evoziert ein Bild von dieser Katastrophe: „Draußen einundfünfzig Grad Celsius, dort ist leuchtender Tag, während du träumst. Die großen Löschflugzeuge heißen Bomber und laden fünfzehn Tonnen. Ich frage mich, woher sie das Wasser nehmen.“ Überhaupt wächst die Brandgefahr dort, wo in der Natur „menschliche Infrastruktur“ geschaffen wurde, weil „die meisten Vegetationsbrände (…) von Menschen gelegt oder verursacht“ werden. Foto: Gianmaria Gava Subversive Prosa Mit „Die Königin schweigt“ und „Geistergeschichte“ machte die Salzburger Schriftstellerin Laura Freudenthaler (*1984) in den letzten Jahren auf sich aufmerksam. 2020 nahm sie am Ingeborg-Bach mann- Wett bewerb teil. „ Zur Sprache kommen zudem die Folgeerscheinungen der Klimaerwärmung wie Tropennächte, Bodenversiegelung ... “ Zur Sprache kommen zudem die Folgeerscheinungen der Klimaerwärmung wie Tropennächte, Bodenversiegelung, der verfrühte Temperaturanstieg im Frühling und die durch die veränderten Temperaturen ausgelösten Bewegungen der Erde, die zu Felsstürzen und Höhlenunglücken führen: „Die Kruste bewegt sich, die Berge arbeiten.“ Lebensmittelknappheit aufgrund des veränderten Klimas, die Suche nach unversehrten Lebensräumen, Wirbelstürme, „toxische Quallen“, die das Meer bevölkern, und Algenteppiche, verendete Meerestiere, ein Himmel, der sich „nach Schadstoffschichten färbt“. Was ist das eigentlich für eine „Welt, gegen die die Kinder anbrüllen“ müssen? Die Umweltsünden evozieren schlichtweg grundlegende Fragen des Überlebens. Leiden auf allen Ebenen Verwundungen machen sich nicht nur in der Natur bemerkbar, sondern auch bei den Individuen selbst. Die Ich-Erzählerin laboriert nach einer Operation im Mundraum an einem ständigen Aufbrechen der Narbe. Immer wieder beginnt die Naht zu bluten. Ihr verwundeter Mund macht sie sprachlos und verstärkt ihren Rückzug. Der Mann an ihrer Seite kämpft mit seiner psychischen Belastung, die ihn an seine physischen Grenzen bringt. Depressionen und Ängste begleiten aber auch andere Figuren wie düstere Schatten. Fieber im Hochsommer, Orientierungslosigkeit und Identitätsstörungen: „Als reflektierter Mensch hat man keine ungebrochene Identität.“ Ja, tatsächlich, „es gibt einfach keinen Ort mehr für Träume“. Freudenthaler hat sich tief in die Materie eingearbeitet und sich für diesen Stoff, in dem Gegensätze oft markant variiert werden, ein breites Fachvokabular angeeignet. Aufgrund des einfachen, oft elliptischen Satzbaus gelingt ihr sprachlich und inhaltlich eine enorme Konzentration: „Dicker, schwarzer Rauch, von den Flammen sieht man wenig (…) Die Bäume im Urwald von Sumatra brennen bis ins Kernholz. Wenn man die Zerstörung von Leben in Graden angeben wollte, wäre dies das Äußerste an Sterben, der Tod im Innersten.“ Nüchtern, lapidar und klug zeigt Freudenthaler auf, dass der Mensch im Laufe der Zeit die Funktion eines Brandbeschleunigers übernommen hat: „Wir sind vor langer Zeit Pyrophyten geworden. Wir können ohne Verbrennung nicht leben, und wir werden daran zugrundegehen.“ „Arson“ ist subversive Prosa. Sie sollte als eine der wichtigsten Neuerscheinungen des heurigen Bücherherbstes wahrgenommen werden. Arson Roman von Laura Freudenthaler Jung & Jung 2023 256 S., geb., € 24,–

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