DIE FURCHE · 22 20 29. Mai 2024 Von Manuela Tomic MOZAIK Kühlschrank Im Mai 1992 schwirrte Mutter Großmutters Geburtstag im Kopf herum. Für das große Fest füllte sie den Kühlschrank mit Oblaten, Kraut, Huhn und Eiern. Dann kreiste bereits der erste Kampfhubschrauber über der Kleinstadt Kreševo. Wir versteckten uns im Keller. Als Mutter die Koffer packte, dachte sie, die Aufregung sei bald vorbei. Wir verließen die Wohnung, der Kühlschrank blieb voll. Wenige Tage später saßen wir im Autobus. Mein Onkel, der als Gastarbeiter in Kärnten schuftete, sollte uns vorübergehend aufnehmen. Auf unserer Flucht überquerten wir mehrere Checkpoints, übernachteten bei Fremden in Split, von wo aus wir mit der Fähre bis Rijeka fuhren. Dort wartete Onkel mit seinem Auto auf uns. Während meine Eltern in Kärnten Arbeit suchten, verkochte ein altes muslimisches Ehepaar, das unsere Wohnung in Kreševo bezog, das vergessene Festtagsessen. Aus Tagen wurden Monate, aus Monaten Jahre. Am 25. Mai 2008 feierte Großmutter schließlich ihren 80. Geburtstag. Es sollte ihr vorletzter werden. Die gesamte Familie fuhr zum großen Fest nach Bosnien. Wir tranken, aßen und lachten. Als der Abend sich näherte, begann Mutter, den Tisch zu decken und das Essen zu servieren. Sie öffnete den Kühlschrank. Er war voll mit Oblaten, Kraut, Huhn und Eiern. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Illustration: Rainer Messerklinger Von Manuela Tomic Die Rechtsanwältin Barbara Steiner sitzt im Gastgarten eines Cafés im dritten Wiener Gemeindebezirk und blättert in ihren Unterlagen. „Die Hälfte der Rechtsanwaltsanwärter- und anwärterinnen sind Frauen“, sagt sie, doch nur jede Zweite ergreife dann tatsächlich diesen Beruf. Steiner beschäftigt die Frage nach dem Warum. Sie möchte mehr Frauen ermutigen, Partnerin in einer Kanzlei zu werden oder eine eigene zu gründen. Die 51-jährige Wienerin weiß, wovon sie spricht. Seit elf Jahren hat sie ihre eigene Kanzlei mit Schwerpunkt auf Familienrecht und Prozessbegleitung. Mit ihrem lockigen dunklen Haar und der schwarzen modischen Brille steht Steiner für einen anderen Typus von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen. Sie kann komplexe Sachverhalte einfach erklären, man merkt, dass sie das schon sehr lange macht. Als juristische Prozessbegleiterin unterstützt sie unter anderem Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt, Stalking oder Menschenhandel. „Ich arbeite wie eine Übersetzerin“, sagt Steiner, „sogar sehr gebildete Menschen verstehen Rechtsbelehrungen kaum. Das ist eine Fachsprache, die ich den Klienten und Klientinnen erst näherbringen muss“. Auch die Frage, wie ein Gerichtsverfahren ablaufe, müsse sie den Menschen ausführlich erklären. So fühlen sich diese dann auch sicherer während des Prozesses. Seit 25 Jahren arbeitet Steiner als Prozessbegleiterin, die meisten Opfer von Gewalt wüssten aber dennoch nicht, dass es dieses kostenlose Service gibt. Diese Menschen haben ein Recht auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung und werden so bestmöglich während des Gerichtsverfahrens unterstützt. „Wenn jemandem etwas passiert ist und er oder sie zur Polizei geht, gibt es kaum eine Aufklärung über dieses Angebot“, sagt die Rechtsanwältin. Meist sind die Menschen dann unter Schock und nur bedingt aufnahmefähig. Sie müssen dann lediglich auf einem Formular ankreuzen, ob sie dieses Service in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Das ärgert die Juristin. Nur zehn Prozent der Opfer, die österreichweit eine Anzeige erstatten, nutzen das Angebot. Sie setzt sich dafür ein, dass diese Unterstützung bekannter wird. Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt oder Menschenhandel zu begleiten, bringe natürlich auch Steiner an ihre Grenzen. „Ich habe in den vergangenen Jahren unzählige Supervisionsstunden in Anspruch genommen und das ist auch wichtig, um die Erfahrungen nicht mit nach Hause zu nehmen und um arbeitsfähig zu bleiben“. Steiner lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Wien. Zuerst war sie Partnerin einer Kanzlei, dann gründete sie ihre eigene. Ihre Tochter war damals zwei Jahre alt. „Mein Mann ist in dieser Zeit ein Jahr in Karenz gegangen, ansonsten hätte ich meine Arbeit nicht machen können“, erzählt sie. Leider sei es immer noch eine Seltenheit, dass Männer das volle Karenzjahr nutzen. „Da ist schon so viel kaputt“ „ Mein Mann ist ein Jahr in Karenz gegangen, ansonsten hätte ich meine Arbeit nicht machen können. “ Foto: Astrid Knie Barbara Steiner ist Anwältin für Familienrecht und begleitet auch Opfer von sexueller Gewalt oder Menschenhandel bei Prozessen. Mit ihrer Arbeit will sie patriarchale Strukturen im Rechtswesen aufbrechen – und angehenden Juristinnen Mut machen. „Ich verstehe mich als Übersetzerin“ Steiner, die auch auf das Gebiet des Familienrechts spezialisiert ist, betreut meist Frauen im Trennungsprozess, wenn es um die Obsorge der Kinder geht. Hier gebe es Reformbedarf, sagt sie. Das Modell der Doppelresidenz etwa benachteilige meist die Frauen. Bei diesem Modell sind die Kinder zur Hälfte bei der Mutter und zur anderen Hälfte beim Vater. Das bedeutet aber meist, dass keiner Unterhaltszahlungen an den anderen tätigen muss. Oft ist es jedoch so, dass die Frau weniger verdient und sich dann trotzdem eine Wohnung für zwei Kinder in Wien leisten können muss. Das bringt viele ihrer Klientinnen an ihre finanziellen Grenzen. Im besten Fall haben Ex-Paare ein gemeinsames Kinderkonto, in das sie beide einzahlen und zu dem sie beide Zugang haben. Aber sie erlebe auch junge Paare, bei denen kaum noch eine Einigung möglich ist. „Da ist schon so viel kaputt und die Kinder sind noch so klein.“ Besonders unangenehm werde es, wenn es um nacheheliche Unterhaltszahlungen geht. Frauen, die beispielsweise aufgrund der Kindererziehung zu Hause waren und nicht gearbeitet haben, sind nach der Trennung finanziell benachteiligt und haben ein Recht auf Unterhaltszahlungen. Doch in der österreichischen Rechtsprechung können sie diese Zahlungen nur dann einfordern, wenn sie nachweisen können, dass der Partner schuld an der Trennung ist. „Da müssten sie dem Mann zum Beispiel eine Affäre nachweisen“, erklärt Steiner, „da geht es dann wirklich unter die Gürtellinie“. Hier müsste es seitens der Politik Reformen geben, damit solche Prozesse nicht mehr notwendig sind, sagt Steiner. Die Anwältin nimmt sich Zeit, wenn sie antwortet. Lange sitzt sie da, schweigt, denkt in Ruhe nach. Persönliches gibt sie nicht gerne preis. Sie habe keine ausgefallenen Hobbys, von denen sie berichten könne, erzählt sie und lacht. Lieber redet sie über ihre Arbeit und dringende Reformen, die der Benachteiligung von Frauen ein Ende setzen. In ihrer Kanzlei im 7. Wiener Bezirk beschäftigt sie fünf Mitarbeiterinnen, darunter drei Rechtsanwaltsanwärterinnen. Im Verein „Die Jurist*innen“ engagiert sich die Wienerin als Vorstandsvorsitzende. Im Verein gehe es darum, das Recht aus emanzipatorischer Sicht zu hinterfragen. Zu den Mitgliedern zählen Juristinnen aus unterschiedlichen Berufen aber auch Studentinnen, weibliche wie nichtbinäre Personen. Regelmäßig veranstaltet der Verein Stammtische zu verschiedenen Themen, zuletzt auch zum Thema „Femizide“. In Österreich gab es laut dem Verein Österreichische Frauenhäuser dieses Jahr bislang acht Femizide und 20 Mordversuche beziehungsweise Ausübung schwerer Gewalt. 2023 wurden 28 Frauen ermordet. „Opferschutz funktioniert in der Realität häufig nicht“, erklärt Steiner. Sie engagiert sich für eine bessere Umsetzung der Opferrechte und hofft nun auf die Gewaltschutzambulanzen. Prävention im Kindergarten Vor eineinhalb Jahren kündigte die Bundesregierung an, flächendeckend und österreichweit solche niederschwelligen Ambulanzen einzurichten. Bisher gibt es in Graz ein Pilotprojekt, auch an der Klinik Innsbruck hat im März ein Kompetenzzentrum inklusive einer rechtsmedizinischen Gewaltschutzambulanz eröffnet. Opfer von Gewalt müssen dann nicht sofort zur Polizei, sondern können in die Klinik gehen. Die Ambulanzen dokumentieren dann auch die Verletzungen, falls es später doch noch zu einer Anzeige kommen sollte. Doch Steiner sieht das Problem ganzheitlicher. „Prävention beginnt im Kindergarten“, erklärt die Anwältin, „schon hier müssten traditionelle Rollenbilder aufgebrochen werden und auch Burschenund Männerarbeit seien unumgänglich“. Steiner, die Tochter einer Schneiderin und eines Stadtplaners, hat sich als Jugendliche politisiert. „Im Haushalt wurde natürlich viel über aktuelle Geschehnisse gesprochen, das nimmt man dann mit.“ Auch ihre heutige Arbeit ist höchst politisch. Angehenden Juristinnen rät sie, die Selbstständigkeit zu wagen. Sie möchte Frauen sensibilisieren, nicht schon im Vorhinein das Handtuch zu werfen. Selbstverständlich könne man Mutter – und gleichzeitig Rechtsanwältin sein. Das Recht hinterfragen Die Anwältin Barbara Steiner setzt sich dafür ein, dass sich die Gesetzeslage im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen verbessert.
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