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DIE FURCHE, 28.05.2024

DIE

DIE FURCHE · 22 2 Das Thema der Woche Franz Kafka und kein Ende 29. Mai 2024 AUS DER REDAKTION „gib mir einen Augenblick die Hand auf die Stirn damit ich Mut bekomm“: Das schrieb der sterbende Franz Kafka seiner Vertrauten Dora Diamant. Vor genau hundert Jahren ist sein Leben in Kierling bei Klosterneuburg allzu früh zu Ende gegangen. Sein Werk wirkt freilich bis heute fort – nicht nur bei den Leserinnen und Lesern, sondern auch im Œuvre anderer Künstlerinnen und Künstler. Anlässlich des runden Todestages nimmt Brigitte Schwens-Harrant dieses Weiterwirken unter dem Titel „Franz Kafka und kein Ende“ in den Fokus – und hat dafür u.a. auch die Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2022, Ana Marwan, gewinnen können. Dass Schwens- Harrant auch beim heurigen Wettlesen in Klagenfurt wieder in der Jury vertreten ist, sei hier nur am Rande erwähnt. Kafkaesk mutet indes auch vieles am laufenden EU-Wahlkampf an. Welche Positionen Europas Kirchen zum Projekt EU vertreten, hat Wolfgang Machreich für unsere Serie recherchiert. Und Markus Schauta hat sich – anlässlich der jüngsten, aufsehenerregenden „Kalifats“-Demo in Hamburg – mit jener islamischen Glaubensrichtung auseinandergesetzt, die bereits ein Kalifat verwirklicht hat, freilich nur spirituell: die Ahmadiyya. Kontrovers geht es auch im „Diesseits von Gut und Böse“ zu, wo Regina Polak auf Ulrich Körtner in puncto „vergängliche Schöpfung“ repliziert. Und Kurt Kotrschal bezieht zum Thema Renaturierung Position. Auch hier läuft vieles kafkaesk. Aber lesen Sie selbst. (dh) Von Walter Dobner Seine „Unmusikalität“ (sic!) sei genetisch bedingt, „ein Erbstück meiner Vorfahren“, schrieb Kafka seiner Milena. Der Vater ließ ihn zwar Violine lernen, der gewünschte Erfolg stellt sich aber nicht ein. Vielmehr trieb Kafka seinen Lehrer offensichtlich zur Weißglut. Anstelle ihm etwas beizubringen, habe er ihn „in der Musikstunde lieber über Stöcke springen lassen, die er selbst gehalten hat, und die musikalischen Fortschritte bestanden darin, daß er von Stunde zu Stunde die Stöcke höher hielt“, wird sich der Dichter später erinnern. In seinen Tagebüchern notierte er nach einem Konzert mit Werken von Brahms, dass es ihm an der nötigen Konzentration mangle, um Musik „zusammenhängend genießen“ zu können. „Nur hier und da entsteht eine Wirkung in mir und wie selten ist das eine musikalische.“ Musik, so seine Überzeugung, nehme ihm alle Freiheit, sperre ihn ein, störe ihn in seiner „Koncentration auf das Schreiben hin“. Denn dieses erfordere absolute Stille. Ein weites Feld Der Prozess Gottfried von Einem komponierte seine Oper nach dem gleichnamigen Roman von Franz Kafka. Sie wurde 1953 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Kein Literat des 20. Jahrhunderts hat durch sein Werk so viele Komponisten beeinflusst wie Franz Kafka. Eine Spurensuche. „Von Stunde zu Stunde die Stöcke höher“ Kafka und die Musik: Ein Widerspruch? Keineswegs. Kafkas Prosa zeichnet sich durch eine charakteristische Melodik und Rhythmik aus, aus der man sehr wohl auf innerliche Musikalität schließen darf. Schon das zeigt, wie vorsichtig man Kafkas wohl von einiger Selbstironie begleiteten Selbsteinschätzung begegnen sollte. Tatsächlich sind Kafka und die Musik ein weites Feld, in dem man sich auf unterschiedliche Art auf Spurensuche begeben kann. So liest man in seinem Roman „Der Verschollene“ von einem Klavierspieler, der sich viel davon erhoffte. In „Die Verwandlung“ lässt Kafka Grete ein paar Violinstücke vortragen und Gregor fragen, ob er ein Tier sei, „da ihn die Musik so ergriff“. Es ist wohl auch alles andere als Zufall, dass sich Kafka für den Titel seiner Erzählung „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“ offensichtlich eine Anleihe bei Kleists Novelle „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ nahm. Folgt man seinem Freund und späteren Herausgeber seiner Werke, Max Brod, so hat sich Kafka „um Kennenlernen neuer Musik“ nie bemüht. Brod ersuchte Kafka, seine deutsche Übertragung des „Jenůfa“-Librettos durchzusehen, um ihn so auf Janáček und dessen Musik explizit hinzuweisen. Kafka reagierte lakonisch: „,Jenufa‘ habe ich bekommen. Das Lesen ist Musik. Der Text und die Musik habe ja das wesentliche beigebracht.“ Andererseits hat Kafka nicht nur das Liszt-Haus in Weimar besucht, sondern sich auch für Literatur über Beethoven und Mahler interessiert. Zeitlebens erinnerte er sich an eine gemeinsam mit Brod besuchte „Carmen“-Vorstellung an der Pariser Oper. Sein erklärtes musikalisches Lieblingsstück war Carl Loewes Ballade vom Grafen Eberstein, die ihn Brod wiederholt singen hörte. Damit konnte es mit Kafkas Musikalität doch nicht so schlecht bestellt sein, wie er es von sich gegenüber anderen vielfach behauptete. In Prag hat Kafka wiederholt Operettenaufführungen besucht. Das mag auf den ersten Blick „ Zu jenen Persönlichkeiten, die sich schon früh von Kafkas Texten musikalisch anregen ließen, zählt überraschenderweise Theodor W. Adorno. “ überraschen. Dabei gilt zu bedenken, dass es damals, zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, noch nicht diese unglückselige Trennung in E- und U-Musik gab, die bis heute mehr Unheil angerichtet hat, als zu einer besseren Differenzierung und Abgrenzung der Genres beizutragen. Das sind nur einige, bespielhaft angeführte Facetten zu diesem Thema, das längst eine Vielzahl von Publikationen füllt. Darunter einen explizit „Franz Kafka und die Musik“ bezeichneten, 2018 im Wiener Verlag Böhlau erschienenen Band. Er enthält jene Vorträge, die anlässlich der unter diesem Namen ausgerichteten Tagung in Berlin im Jahr 2015 gehalten wurden. Darin findet man auch eingehende Untersuchungen zu einer Reihe musikalischer Werke, die auf unterschiedlichste Weise auf Kafka Bezug nehmen. Vielfältig sind die Entdeckungen, die man hier machen kann. Etwa, dass auch Max Brod sich als Komponist an einigen Kafka- Texten versucht hat. Zu den Persönlichkeiten, die sich schon früh von Kafkas Texten musikalisch anregen ließen, zählt neben Ernst Krenek überraschenderweise der heute vor allem als führender Theoretiker der Neuen Musik bekannte Theodor W. Adorno. Gottfried von Einems 1953 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtes Opus 14, „Der Prozess“, das den Beginn des Welterfolgs dieses Komponisten markierte, ist Foto: picturedesk.com / ÖNB-Bildarchiv / Yoichi R. Okamoto nicht, wie vielfach kolportiert, die erste Kafka-Oper. Die schuf bereits zwei Jahre zuvor Hans Werner Henze mit der Vertonung der Kafka-Erzählung „Ein Landarzt“, womit er auch gleich das Genre Funkoper etablierte. Dass sich aus gleich drei Werken der Weltliteratur – Goethes „Faust“, Joyce’ „Ulysses“ und Kafkas „Prozess“ – eine Oper bauen lässt, demonstrierte der Däne Niels Viggo Bentzon mit seinem, wenngleich nicht allzu bekannt gewordenen Opus „Faust III“. Roman Haubenstock-Ramati, der heute zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geratene Avantgardist, hat sich von Kafkas unvollendet gebliebenen Roman „Amerika“ zu drei Orchesterstücken unter dem Titel „Für K – Vertonungen über ein dunkles Haus“, zum abendfüllenden gleichnamigen Musiktheater „Amerika – Vermutungen über ein dunkles Haus“ und die Symphonie „K“ anregen lassen. Und auch der hierzulande gut bekannte deutsche Komponist Aribert Reimann hat eine Kafka- Oper beigesteuert: „Das Schloß“, sie erlebte 1992 in Berlin ihre erfolgreiche Uraufführung. Vertonte Briefe Immer wieder stießen Kafkas Briefe auf das Interesse namhafter wie verschiedenen Stilen verpflichteter Komponisten. Darunter der früh verstorbene, auch als Dirigent profilierte Bruno Maderna. Ihm dienten vier Kafka-Briefzeugnisse als Basis für seine Kantate „Quattro lettere“. Oder Alberto Ginastera, der Briefe seiner dem Neoklassizismus verpflichteten dramatischen Kantate „Milena“ zugrunde legte. Und wie macht sich eine Tagebuch-Sequenz von Franz Kafka in einer Version für Sopran und Orchester aus? Das lässt sich am Beispiel von Lukas Foss’ „Time Cycle“ nachhören. Als absoluter Renner unter den Kafka-Vertonungen gelten die „Kafka-Fragmente“ des prominenten ungarische Komponisten György Kurtág. Für diesen Zyklus mit der ungewöhnlichen Besetzung eines Sopran mit Begleitung einer Violine hat er Teile aus Kafkas Tagebüchern, einen der Briefe an Milena sowie Zitate aus Elias Canettis Kafka-Interpretation „Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice“ ausgewählt und zu einer spannenden musikalischen Erzählung verwoben. Und wie sieht es mit Kafka und Jazz aus? Das demonstriert das Enfant terrible unter den Violinvirtuosen der Gegenwart, der Brite Nigel Kennedy, mit seinem die Grenzen von E- und U-Musik überschreitenden Opus „Kafka“. Wie all das Franz Kafka gefallen, was ihm aus dieser überaus bunten musikalischen Palette am meisten zugesagt hätte? Hätte er eine solche Frage vielleicht damit beantwortet, kein Urteil fällen zu können, weil er doch unmusikalisch sei?

DIE FURCHE · 22 29. Mai 2024 Das Thema der Woche Franz Kafka und kein Ende 3 1 [D]a starb vor einigen Tagen ein Dichter, einer von jenen, deren Leben in der Zeit künftig immer wichtiger erscheint, als ihre Zeit [...]. Später werden sie sein Leben [...] dem Pascals vergleichen; sie werden Zusammenhänge zwischen seinen Dichtung gewordenen Traumberichten und der Psychoanalyse aufdecken; der Name „Kleist“ wird die Vergleiche krönen. Heute wissen sie sich nicht einmal der Ehre würdig zu erweisen, die dieser aus Prag stammende Wien antat, indem er einen Kilometer von unserer Stadt entfernt seine letzten Tage verbrachte und starb. Kierling bei Klosterneuburg ist durch ihn in die Literaturgeschichte gekommen [...]. Dieser Nachruf, am 11. Juni 1924, acht Tage nach Franz Kafkas Tod, von Anton Kuh verfasst, ist von bemerkenswerter Weitsicht gekennzeichnet. 100 Jahre später ist der Prager Autor und Versicherungsjurist Franz Kafka, der im Alter von 40 Jahren im kleinen Sanatorium Dr. Hoffmann starb, weit mehr als nur ein deutschsprachiger Schriftsteller der Moderne. Sieben Wochen hatte Kafka im Sanatorium verbracht, nachdem er aus der Laryngologischen Klinik der Wiener Universitätsklinik hierher übersiedelt war. Zuvor war zusätzlich zur Lungentuberkulose, an der er seit 1917 litt, eine Kehlkopftuberkulose diagnostiziert worden. Max Brod notierte in sein Tagebuch: Alle Schrecknisse überboten [...] durch die Nachricht, dass Kafka vom Sanatorium „Wienerwald“ zurückgeschickt wurde. Wiener Klinik. Kehlkopftuberkulose festgestellt. Fürchterlichster Unglückstag. INFO Manfred Müller ist Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und Präsident der Österreichischen Franz Kafka Gesellschaft, die den Kafka-Gedenkraum im ehemaligen Sanatorium Hoffmann in Kierling betreut (www.franzkafka.at). Seit 14. April 2024 werden noch bis 5. Juni 2024 in einem Podcast „Kafkas letzte Tage“ erzählt. Ein Tag nach dem anderen, exakt 100 Jahre später, in etwa 5-minütigen Beiträgen. Abrufbar täglich unter www.franzkafka.at sowie auf allen Plattformen für Podcasts wie Spotify etc. Alles in den besten Anfängen 2 Klosterneuburg-Kierling Sanatorium Dr Hoffmann Inzwischen ist das große Unternehmen gereift. Franz geht Samstag ins Sanatoryum. Es ist 25 Minuten von Wien. Der Arzt wird zur Behandlung hinkommen. Ich war heute dort, ein prachtvolles Balkonzimmer im Süden gewonnen. Es ist eine Waldgegend, liegt wunderbar. Das schrieb Kafkas Lebensgefährtin Dora Diamant am 16. April 1924 unter einen Brief Kafkas an seine Eltern. Es ist die erste Erwähnung des Sanatoriums, in dem er die letzten Wochen seines Lebens verbringen sollte. Die Wahl des Hauses erfolgte wohl zufällig, seine Vorteile waren jedoch offensichtlich: Kafka bekam ein Einzelzimmer, die Kosten waren vergleichsweise gering, Begleitpersonen konnten im selben Haus wohnen und renommierte Ärzte kamen aus dem nahen Wien, um sich um den Patienten zu kümmern. Vom ersten Tag an war Dora Diamant bei Kafka, sie bekam im Haus ein Zimmer unter dem Dach. Als Anfang Mai auch der Medizinstudent Robert Klopstock nach Kierling kam, konnte die Betreuung des Todkranken auf zwei Personen aufgeteilt werden. Franz Kafka Am 3. Juli 1883 in Prag geboren, promovierte er 1906 zum Doktor der Rechte. 1918 erkrankte er lebensgefährlich an der Spanischen Grippe. Die scheinbar ausgeheilte Tuberkulose kehrte zurück. 3 [S]eit den Säuglingszeiten habe ich mich von allem was ein wenig Mühe und Arbeit genannt werden könnte, ferngehalten wie jetzt; warum auch nicht, da ich Dora und Robert habe. Dies schrieb Kafka im Mai 1924 an seine Eltern in Prag, die umfassende Betreuung lobend, die er genoss. Dora Diamant war für Kafkas Versorgung zuständig, übernahm einen Großteil seiner Korrespondenz sowie die Organisation der Besuche. Sie war der wichtigste Mensch in Franz Kafkas letztem Lebensjahr. Im Kurort Müritz an der Ostsee hatten die beiden sich im Sommer 1923 ineinander verliebt und in der Folge gemeinsame Monate in Berlin verbracht – eine trotz seiner Krankheit schöne und auch leichte Zeit. Robert Klopstock, den Kafka 1920 in Matliary kennengelernt hatte, war selbst tuberkulosekrank, wusste also nicht nur durch sein Studium, sondern auch aus eigener Erfahrung, wie Kafkas Leiden am ehesten zu mildern waren. Er bereitete dringend benötigte Medikamente zu, hielt Kontakt zu den Wiener Ärzten und informierte Kafkas Freunde und Schwestern über den Zustand des Kranken. Einen Tag nach Kafkas Tod schrieb Klopstock an dessen älteste Schwester Elli Hermannová: Was hier bei uns zugeht (ich spreche noch immer so „uns“ wir nannten uns nämlich als Franzens Familie.) ist nicht zu beschreiben und soll auch nicht beschrieben werden. Der Dora kennt, nur der kann wissen, was Liebe heisst. 4 Ein Vogel war im Zimmer Das ist einer der Sätze, die in den sogenannten „Gesprächsblättern“ zu finden sind. Sie bilden Kafkas Anteil an seinen Gesprächen mit Dora Diamant, Robert Klopstock, Besucherinnen und Besuchern oder dem medizinischen Personal in den letzten Lebenswochen ab. Entstanden sind die „Gesprächsblätter“, nachdem Kafka von den Wiener Ärzten ein Schweigegebot auferlegt worden war. Er begann daraufhin, alles, was er sagen wollte, zu notieren. Über 40 Blätter sind erhalten, mit Bleistift von oben bis unten, manchmal auch kreuz und quer vollgeschrieben. Welche Zeile welchem Gesprächspartner gilt, lässt sich nur in wenigen Fällen feststellen, und auch eine eindeutige Chronologie der einzelnen Blätter ist nicht mehr rekonstruierbar. Oft handelt es sich bei den Eintragungen um alltägliche Beobachtungen oder Bitten Kafkas. Ein großer Teil der Texte handelt von dem, was ihm wegen der Schmerzen im Kehlkopf am meisten Probleme bereitete: Essen und Trinken. Glauben daß ich einmal einen großen Schluck Wassers einfach wagen könnte. Manchmal wird die Hoffnungslosigkeit der Mühen sichtbar: so traurig bin ich ja nur weil diese wahnsinnige Essensmühe unnütz ist. Manche Einträge zeigen die Vertrautheit zwischen Kafka und Dora Diamant: gib mir einen Augenblick die Hand auf die Stirn damit ich Mut bekomm. Und: Immer wieder Angst. Foto: Getty Images/Heritage Images/Fine Art Images Kafkas letzte Tage Von Manfred Müller 5 Liebste Eltern, also die Besuche, von denen Ihr manchmal schreibt. Ich überlege es jeden Tag, denn es ist für mich eine sehr wichtige Sache. [...] Die Schwierigkeiten der ersten Zeit hier um und in Wien kennt Ihr, sie haben mich etwas heruntergebracht; sie verhinderten ein schnelles Hinuntergehn des Fiebers, das an meiner weiteren Schwächung arbeitete; die Überraschung der Kehlkopfsache schwächte in der ersten Zeit mehr, als sachlich ihr zukam – erst jetzt arbeite ich mich mit der in der Ferne völlig unvorstellbaren Hilfe von Dora und Robert (was wäre ich ohne sie!) aus allen diesen Schwächungen hinaus. [...] Das alles wirkt zusammen, dass ich trotz meiner wunderbaren Helfer, trotz guter Luft und Kost [...] noch immer nicht recht erholt bin [...]. Rechnet Ihr noch hinzu, dass ich nur flüsternd sprechen darf und auch dies nicht zu oft, Ihr werdet gern auch den Besuch verschieben. Alles ist in den besten Anfängen [...], aber noch die besten Anfänge sind nichts; wenn man dem Besuch – und gar einem Besuch, wie Ihr es wäret – nicht große unleugbare, mit Laienaugen meßbare Fortschritte zeigen kann, soll man es lieber bleiben lassen. Sollen wir es nicht also vorläufig bleiben lassen, meine lieben Eltern? Das schrieb Kafka am 2. Juni 1924 im letzten Brief an seine Eltern. Am Schluss brach er mitten im Satz ab. Dora Diamant fügte hinzu: Ich nehme ihm den Brief aus d. Hand. Es war ohnehin eine Leistung. Nur noch ein paar Zeilen, die seinem Bitten nach, sehr wichtig zu sein scheinen: Was hier folgen sollte, ist leider nicht erhalten. Stattdessen findet sich ein handschriftlicher Zusatz, vermutlich von Kafkas Schwester Ottla: Montag geschrieben am 2. 6. 1924 gestorben 3. 6. 1924

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