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DIE FURCHE 28.03.2024

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DIE FURCHE · 13 8 International 28. März 2024 Von Barbara Barkhausen Die Muskelspiele von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wirken sich derzeit bis nach Neukaledonien aus: Es geht um Wählerstimmen. So ging etwa 2021 ein letztes von drei Referenden, bei denen die Bevölkerung über die Unabhängigkeit ihres Archipels im Pazifik abstimmte, zugunsten Frankreichs aus – wie auch die beiden zuvor. Die indigene Bevölkerung, die Kanaken, strebt aber weiterhin die Eigenständigkeit an und boykottierte die letzte Abstimmung. Doch die meisten französisch-stämmigen Siedler in Neukaledonien wollen näher an Frankreich heranrücken. Nun plant die französische Regierung, die Verfassung zu ändern, um tausenden französisch-stämmigen Wählern, die seit über zehn Jahren ununterbrochen in Neukaledonien gelebt haben, das Wahlrecht zu geben. Bisher waren Stimmen von Bürgern, die nicht schon vor 1998 in Neukaledonien lebten oder ein Nachfahren solcher sind, „eingefroren“. Soziale Krise und Anspannung im Land Diese Regel war ursprünglich eingeführt worden, damit die indigene Bevölkerung nicht zur „Minderheit“ im eigenen Land wird. Damit durften aber tausende Wahlberechtigte in den lokalen Wahlen nicht abstimmen – etwas, das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ändern Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: Wikipedia) DAS TOR NACH SÜDOSTASIEN Australien Hoot ma Waap Neuseeland Paici- Camuki Aijë-Aro Xaracuu Kultur der Kanak Im Tjibaou-Kulturzentrum finden Veranstaltungen der einheimischen Kanak statt. Der Bau des Gebäudes war Bestandteil des Abkommens von Nouméa zwischen der Regierung Frankreichs und den melanesischen Ureinwohnern der Insel. Iaai Djubéa- Kaponé Nouméa Pazifischer Ozean Drehu möchte. Um die Thematik zu klären, werden die anstehenden Wahlen im Überseegebiet nun aufgeschoben – von Mai bis spätestens Mitte Dezember. Bei der indigenen Bevölkerung kommen diese Entwicklungen alles andere als gut an, da die Macht der Französischstämmigen auf diese Weise automatisch ausgebaut würde. „Derzeit herrscht eine soziale Krise und die Spannungen werden weiter zunehmen“, warnt Raphaël Mapou, einer der führenden Kanak-Politiker Neukaledoniens, der sich für die Unabhängigkeit seiner Heimat einsetzt. Anfang des Jahres kam es bereits zu ersten Protesten, bei denen Transparente geschwenkt wurden, eines mit der Aufschrift: „Wir werden die Frankreichs ehemalige Kolonie in Melanesien Bis heute ist Neukaledonien französisches Territorium. Die indigene Bevölkerung strebt längst nach Unabhängigkeit. Doch Emmanuel Macrons Regierung weiß das zu verhindern. Südseepolitik à la Paris Nengone Neukaledonien liegt im südlichen Pazifik und befindet sich östlich von Australien auf der nördlichen Spitze des Zealandia- Schelfs. Die Fläche der Inseln beträgt 18.576 Quadratkilometer, davon sind 18.091 Quadratkilometer Landfläche und 485 Wasserfläche. Die Hauptinsel Grande Terre ist die mit Abstand größte Insel der Gruppe. (bqu) Träume unserer Väter niemals aufgeben.“ Zu der Verärgerung um das Wählerverzeichnis kommt, dass Frankreich zwar die Möglichkeit einer weiteren Unabhängigkeitsabstimmung in ein oder zwei Generationen offengelassen hat, die Unabhängigkeitskoalition diesen Zeitplan aber ablehnt. Sie fordert neue Optionen für eine Unabhängigkeit sowie die Übertragung weiterer Zuständigkeiten von der französischen Regierung an die lokalen Behörden. Möglicherweise brauche es eine neue Vereinbarung zwischen den Parteien, um alle zufriedenzustellen, glaubt Mapou. „Die französische Regierung kann nichts erzwingen.“ Wie brisant das Thema ist, zeigt, dass es Mitte der 1980er Jahre schon einmal zu blutigen Zusammenstößen zwischen Unabhängigkeitsaktivisten, Polizei und Militär sowie zu Gewalt zwischen Ureinwohnern und Europäern kam. Damals starben bis zu 70 Menschen. Die Gewalt eskalierte bei einer Geiselnahme während der französischen Präsidentschaftswahlen 1988, bei der über 20 Menschen ums Leben kamen. Obwohl Mapou nicht glaubt, dass sich solche Szenen wiederholen könnten, warnt er dennoch vor einer „heiklen Situation“. Hinzu kommt, dass Neukaledonien wirtschaftlich ebenfalls kämpft, nachdem die wichtige Nickelindustrie schwächelt. Denn obwohl Nickel aufgrund der Elektrifzierung weltweit gefragt ist, sind die Preise gefallen; und die hohen Produktionskosten sowie starker Wettbewerb aus Indonesien machen Neukaledonien zu schaffen. Im September gab das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore dann auch Foto: Barbara Barkhausen „ China investiert und vergibt Darlehen an die Inselstaaten im Pazifik. Einzige Bedingung: Die Länder müssen ‚nur‘ ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan kappen.“ “ noch bekannt, die Finanzierung des defizitären Koniambo Nickel SAS (KNS)-Unternehmens, dessen Miteigentümer es ist, im Februar dieses Jahres einzustellen. Dies setzt den ohnehin schon angeschlagenen Nickelsektor weiter unter Druck. Frankreich hat sich nun jedoch zum Retter aufgeschwungen und große Summen für die verlustbringende Industrie versprochen, um einen Zusammenbruch abzuwenden – und vermutlich auch, um die Stimmung in der indigenen Bevölkerung freundlicher gegenüber Paris zu stimmen. Dass man hier unbedingt am 20.000 Kilometer entfernten Südseeparadies mit dem Sonderstatus einer Collectivité sui generis festhalten will, liegt auch daran, dass die Inseln ein europäisches Bollwerk gegen den zunehmenden Einfluss Chinas im Indopazifik darstellen. Frankreichs pazifische Territorien – neben Neukaledonien auch Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna – verleihen dem Land direkten Einfluss in der Region. „Die koloniale Kontrolle über Neukaledonien zu behalten, ist eine zentrale Säule in der Indopazifik-Strategie des französischen Präsidenten Emmanuel Macron“, hieß es 2021 in einer Analyse der australischen Denkfabrik Lowy Institute. Und der französische Botschafter für den Indopazifik, Marc Abensour, schrieb im Juni im Magazin The Diplomat, Frankreich wolle „als stabilisierende Macht fungieren“, die sich einem „wirksamen Multilateralismus verpflichtet“ fühle, der „auf Rechtsstaatlichkeit und der Ablehnung von Zwang“ basiere. Vom Franzosen zum Chinesen? Letzteres ist ein recht unverhohlener Seitenhieb auf China, das sich gegenüber den kleinen Inselstaaten im Pazifik seit Jahren als großzügiger Freund präsentiert, der Krankenhausschiffe entsendet, Entwicklungshilfe in Form von Darlehen vergibt und in Straßen und Häfen investiert – im Gegenzug aber Loyalität fordert. Bisher müssen die Länder (nur) ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan kappen. Letzteres tat zuletzt Nauru Anfang dieses Jahres. Auch Neukaledonien hat eine starke Beziehung zum Reich der Mitte. China ist wichtiger Handelspartner und Hauptabnehmer der Nickelproduktion im Land. Vor dem zweiten Referendum wurde in Neukaledonien deswegen bereits heftig darüber diskutiert, ob die Inselgruppe zur „chinesischen Kolonie“ werden würde, sollte sie die Unabhängigkeit von Frankreich erlangen. „Die Leute sagen: ,Wenn wir nicht mehr Franzosen sind, werden wir Chinesen sein‘“, sagte Catherine Ris, Wirtschaftsprofessorin an der Universität von Neukaledonien, im Interview mit der South China Morning Post. Es gehe die Angst um, dass China sich überall auf der Welt ausbreiten werde. Auch Macron hatte bei seinem Besuch in Neukaledonien vor dem ersten Unabhängigkeitsreferendum 2018 bereits gewarnt, dass China „seine Hegemonie Schritt für Schritt aufbauen“ würde – „eine Hegemonie, die unsere Freiheit und unsere Chancen im Pazifik einschränken wird“. Dass der französische Staatschef damit nicht ganz falsch liegen könnte, zeigt Neukaledoniens Nachbar Vanuatu. Der Pazifikstaat ist seit 1980 unabhängig von den einstigen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien. Dafür steht das Land inzwischen aber ganz unter der Fittiche Chinas. Die Chinesen schicken nach den häufigen Naturkatastrophen auf den Inseln aber nicht nur Hilfsmittel, sie haben auch die Sanierung eines Hafens finanziert und bauen über private Investoren an einem „Mini- Singapur“ auf der Hauptinsel – eine neue Stadt für Ausländer mit Wohnungen, Resorts und Einkaufszentren, die eine hohe Mauer von der einheimischen Bevölkerung trennt.

DIE FURCHE · 13 28. März 2024 Religion 9 Das Exsultet ist ein Höhepunkt der Liturgie der Osternacht. Beim Text des Liedes aus dem 4. Jahrhundert handelt es sich aber um eine christliche Vereinnahmung jüdischer Identität. Von Hans Förster Das zentrale Fest des Christentums, das Osterfest, ist aus dem jüdischen Pesachfest entstanden. Das jüdische Fest gedenkt der Befreiung des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten, das christliche Fest gedenkt des Todes und der Auferstehung Jesu, die als „Befreiung aus Sünde und Tod“ verstanden wird. In der katholischen Osternachtsfeier wird vom Priester oder Diakon noch heute ein Lied gesungen, das im vierten Jahrhundert entstanden ist und seit mehr als einem Jahrtausend einen festen Platz in den Ostergottesdiensten hat. Das so genannte Exsultet ist der Lobpreis über die Osterkerze. Jedes Jahr wird an Ostern die neue Osterkerze geweiht. Auch dieser Brauch, Altes wegzuwerfen und Dinge zu erneuern, hat in jüdischen Ritualen seinen Ursprung. Mit dem Pesachfest ist das Fest der „ungesäuerten Brote“ untrennbar verbunden. Über sieben Tage darf sich nichts Gesäuertes im Haus finden, in der Vorbereitung auf das Fest wird der Haushalt von allem Gesäuerten gereinigt. Dieses Fest der ungesäuerten Brote beziehungsweise die jüdische Tradition, im Anschluss an das Pesachfest für eine Woche nur ungesäuerte Brote zu essen, dürfte auch der Grund dafür sein, dass in der katholischen Liturgie das Abendmahl mit ungesäuertem Brot, also mit Oblaten, gefeiert wird. Foto: IMAGO / Funke Foto Services Problematisches am Osterlob „In die Schar der Leviten“ Im Lied auf die Osterkerze kommt eine christliche Theologie zum Ausdruck, die wohl überdacht werden sollte. So singt der Geistliche relativ am Anfang des langen Liedes: „Ruft mit mir zum allmächtigen Vater um sein Erbarmen und seine Hilfe, dass er, der mich ohne mein Verdienst, aus reiner Gnade, in die Schar der Leviten berufen hat, mich erleuchte mit dem Glanz seines Lichtes.“ Was hier stattfindet, ist die christliche Vereinnahmung einer jüdischen Identität. Während nach jüdischem Verständnis die Leviten zum Stamm Levi gehören, wird hier ein Amtsträger einer christlichen Kirche in die „Schar der Leviten“ berufen. Mit dieser Berufung unter die „Leviten“ treten die Geistlichen an die Stelle der jüdischen Priester. Die Leviten taten ihren Dienst im Jerusalemer Tempel, wie dies im Lukasevangelium auch von Zacharias, dem Vater des Täufers Johannes, berichtet wird. Mit der römischen Eroberung und der Zerstörung des jüdischen Gotteshauses im Jahr 70 hat dieser Tempeldienst ein gewaltsames Ende gefunden. Gerade in einer Zeit, wo man mit Schrecken an die vielen Raketen denkt, die in den vergangen Monaten im Kontext einer immer weiter eskalierenden Gewalt im Nahen Osten in Richtung Jerusalem geflogen sind, ist diese siegreiche Übernahme der „levitischen“ Aufgabe durch den christlichen Amtsträger eine befremdliche Vorstellung. Sie war in dieser Form nur aufgrund der Tempelzerstörung möglich. Hier kommt eine der theologischen Grundlagen eines christlichen Überlegenheitsgefühls gegenüber dem Judentum zum Vorschein, das in den vergangenen Jahrhunderten auch zu religiös motivierter Gewalt gegen Juden beigetragen hat. Gerade deshalb muss bezweifelt werden, ob dies noch heute so zentral zur christlichen Identität gehört, dass es in dieser Form im Rahmen des christlichen Osterfestes gesungen werden muss. Das Exsultet erinnert dann im weiteren Verlauf des Liedes mit folgenden Worten an die Heilsgeschichte: „Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres geführt hat.“ Von den versammelten Gläubigen werden wohl nur wenige ihren eigenen Stammbaum auf jüdische Ahnen zurückführen können. Hier tritt die gesamte christliche Gemeinde an die Stelle des historischen Volkes Israel. Theologisch ist nicht mehr um die physische Abstammung von Israel wichtig, vielmehr tritt an ihre Stelle die „spirituelle“ Zugehörigkeit der christlichen Gemeinde. Natürlich kann man einwenden, dass das so auch schon im Neuen Testament steht. Allerdings wird man dann auch auf das Alfred Loisy zugeschriebene Bonmot verweisen dürfen: Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche. Wenn man zum Beispiel den Apostel Paulus etwas genauer liest, dann würde dieser wohl ein gewisses Unbehagen mit dem Kirchenlied haben. Für Paulus werden die Nichtjuden „gegen die Natur“ als „wilde Triebe“ in die „kräftige Wurzel des edlen Ölbaums“ eingepflanzt (Röm 11,17). Jeder, der auch nur einen Funken Ahnung von Ackerbau und Viehzucht hat, versteht sofort, dass Paulus hier einen großen Unfug zu reden scheint. Ein Weinstock oder ein Ölbaum wird veredelt, indem ein edler Trieb in einen nicht veredelten Stock eingepfropft wird. Wenn also ein wilder Trieb in einen edlen Stamm eingepfropft wird, dann bleibt es trotzdem ein wilder Trieb. Paulus ist das auch bewusst. Deswegen sagt er ja, dass das „gegen die Natur“ sei. Nichtjuden: Anteil an Israel Aus der Antike ist die Aufnahme von Nichtjuden in das jüdische Volk durch die so genannte Proselytenbekehrung bekannt. Mit der Beschneidung verpflichtete sich der Proselyt, das ganze Gesetz zu halten. Nach einer wohl bereits zur Zeit Jesu weit verbreiteten jüdischen Auffassung durfte sich ein solcher „Bekehrungsjude“ „ Das ,Exsultet‘ erweckt noch immer den Eindruck, als ob die Christenheit an die Stelle Israels getreten wäre. Hier wäre korrigierend einzugreifen. “ selbst im privaten Gebet nicht mit den Worten „Herr unserer Väter“ an Gott wenden. Er hatte vielmehr zum „Herrn der Väter Israels“ zu beten. Im öffentlichen Gebet in der Synagoge, wo selbstverständlich neben dem Konvertiten auch zahlreiche Jüdinnen und Juden anwesend waren, lautete die zu betende Anrede: „Herr eurer Väter“. Wenn also zur Zeit des Apostels Paulus ein Nichtjude in das Volk und die Religion Israels eintrat, durfte er trotzdem die Vorfahren seiner neuen Glaubensgenossen nicht als seine eigenen Vorfahren in Anspruch nehmen. Man könnte natürlich behaupten, dass sich das mit der Verkündigung Jesu vollständig geändert hat. Dieser Ansicht würde Paulus wohl widersprechen. Ihm geht es mit dem Bild vom Ölbaum darum, dass etwas geschieht, was eigentlich unmöglich ist: Nichtjuden erhalten Anteil an den Verheißungen, die an das Volk Israel ergangen sind. Bereits das Zweite Vatikanische Konzil betonte das „gemeinsame Erbe“ von Juden und Christen. Seit diesem Konzil ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dies auch in der Liturgie der Osternacht deutlicher werden zu lassen. Das Exsultet erweckt noch immer den Eindruck, als ob die Christenheit an die Stelle Israels getreten wäre. Hier korrigierend in den Text einzugreifen, würde den Vorgaben des Konzils entsprechen. Gerade weil auch religiöse Identitäten im Konflikt im Nahen Osten eine Rolle spielen, wäre jetzt vielleicht die richtige Zeit, sich in den christlichen Kirchen intensiv mit theologischen Vorstellungen zu beschäftigen, die zur Gewalt gegen Juden beigetragen haben. Der Autor lehrt als Privatdozent an der Uni Wien und leitet ein Projekt des FWF an der KPH Wien/Krems. VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 Exsultet iam angelica ... „Frohlocket ihr Chöre der Engel ...“: Hinein in die finste re Kirche singt in der katholischen Liturgie der Osternacht der Diakon das frühchristliche Lied über die Osterkerze. Die heutige Liturgieform der Osternacht wurde erst 1951 wiedereingeführt, siehe „Fünfzig Jahre Osternacht“ von Harald Buchinger am 11.4.2001 auf furche.at. www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at

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