DIE FURCHE · 13 6 International 28. März 2024 Von Jan Opielka Es ist eine jahrelange Hängepartie, die einen scheinbaren Etappensieg für Julian Assange bedeutet. Dem seit fast fünf Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh einsitzenden Whistleblower und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks drohen die Auslieferung in die USA – und dort bis zu 175 Jahre Haft. Am Dienstag dieser Woche hat nun ein britisches Berufungsgericht entschieden, dass der mehrjährige Justizstreit rund um die Auslieferung des 52-Jährigen in eine neue Runde geht. Die Anhörung vor dem Gericht hatte bereits am 20. und 21. Februar stattgefunden. Assange unternahm dabei mit Hilfe seiner Anwälte und seiner Frau Stella Moris den Versuch, eine zweite Berufung gegen den bereits gefassten Beschluss zur Auslieferung an die Vereinigten Staaten einzulegen. US-Ankläger wollen ihn nach dem sogenannten Espionage Act sowie einem weiteren Gesetz – in insgesamt 18 Anklagepunkten – vor Gericht stellen: als vermeintlichen Spion. Der Vorwurf: Assange habe seit 2010 über die Plattform WikiLeaks geheime Dokumente veröffentlicht, die unter anderem Informationen und Aufzeichnungen über Aktivitäten des US-Militärs und der US-Geheimdienste in Afghanistan, Irak, Guantánamo und anderswo auf der Welt enthalten. Laut dem Urteil vom Dienstag darf Assange am 20. Mai dieses Jahres in einem Berufungsverfahren seine mögliche Auslieferung anfechten – doch nur dann, wenn die USA ihm keine „zufriedenstellenden Garantien“ dafür geben, dass er sich vor einem US-Gericht auf den US-Verfassungsartikel zur Pressefreiheit (das so genannte First Amendment) berufen kann und vorab zusichern, dass ihm keine Todesstrafe droht. Das Gericht schrieb zur Begründung, britische Minister hätten „eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung gehabt, die Auslieferung des Antragstellers nicht anzuordnen, wenn er für die betreffende Straftat zum Tode verurteilt werden könnte“. Zugleich lehnte das Gericht den Antrag von Assanges Anwälten ab, Berufung auf Basis seiner Behauptung einzulegen, dass der Fall politisch motiviert sei oder dass er in den USA kein faires Verfahren erhalten würde. USA wieder am Zug Das Votum des Gerichts spielt damit den Ball faktisch der US-Seite zu. Offen blieb bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe, ob die US-Ankläger nun von ihrer bisherigen Linie abrücken. Bei der Gerichtsverhandlung am 20. Februar hatte die US-Seite ihre Vorwürfe wiederholt. „Assange hat unkritisch und bewusst die Namen von Personen veröffentlicht, die als Informationsquellen Foto: Getty Images / Guy Smallman Lesen Sie auf furche.at Ralf Leonhards Analyse „Der eingeschlossene Aufdecker“ (22.6.2017) über die Zeit in der Botschaft Ecuador. Ein britisches Gericht hat entschieden, dass der Whistleblower Julian Assange gegen seine bereits bewilligte Auslieferung in die USA erneut berufen darf. Der weltweite Protest für den WikiLeaks-Gründer zeigt offenbar Wirkung – doch der Entscheid hat einen großen Haken. Strafe für die Wahrheit „ Er ist ein Journalist und wird dafür verfolgt, dass er die wahren Kosten von Kriegen aufgedeckt hat. “ Assanges Ehefrau Stella Moris für die USA fungierten“, sagte Clair Dobbin, eine Anwältin der US-Regierung. „Das unterscheidet ihn von anderen Medienorganisationen.“ Vertreter der USA betonen seit Jahren, dass die Offenlegung von Dokumenten, wie es Assange auf der Website WikiLeaks getan hat, eine Bedrohung für die an den einzelnen Aktionen beteiligten Personen darstelle, auch für das Militär. Im Jahr 2013 indes, beim Prozess und der Verurteilung von Chelsea Manning, hatte sich herausgestellt, dass ein Team von 120 US- Geheimdienstmitarbeitern keine Person finden konnte, die durch die Enthüllungen von WikiLeaks zu Schaden oder ums Leben gekommen war. Stella Moris, Assanges Ehefrau, verurteilte das Votum des britischen Gerichts am Dienstag scharf. Zwar habe der Spruch offenbart, dass ihrem Mann in den USA bislang die Todesstrafe drohe und ihm die Meinungsfreiheit verwehrt würde. „Doch trotzdem hat das Gericht die USA zu einer Weltweiter Protest Anhänger von Julian Assange protestierten am 20. Februar in London vor dem High Court gegen die Auslieferung des Whistleblowers in die USA. Dienstag dieser Woche hat der 52-Jährige einen Etappensieg errungen – und drei Wochen Zeit gewonnen. politischen Intervention eingeladen, dazu einen Brief zu senden, in dem steht: Es ist alles okay.“ Dabei hätten die USA, so Moris, fünf Jahre lang klar unter Beweis gestellt, dass der Fall im Kern ein Angriff auf die Pressefreiheit und Assanges Leben sei. Sie wiederholte ihren Vorwurf, US-Geheimdienste hätten zwischenzeitlich versucht, ihren Mann umzubringen. „Er ist ein politischer Gefangener, er ist ein Journalist und er wird dafür verfolgt, dass er die wahren Kosten von Kriegen, gezählt in Menschenleben, aufgedeckt hat.“ Die Biden-Regierung solle keine Garantien abgeben, sondern die Klage fallen lassen, so Moris. Der Fall begann vor 14 Jahren. Assange hatte seinerzeit sensible Daten von der ehe- Geld, das dem Leben dient „Es geht nicht darum, Almosen zu geben, sondern Menschen zu unterstützen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Deswegen unterstützt die Evangelische Kirche Oikocredit bereits seit der Gründerzeit.” Mag. Michael Chalupka Bischof der Evangelischen Kirche A.B. 01 / 505 48 55 www.oikocredit.at Hinweis: Werbeanzeige von Oikocredit Ecumenical Development Cooperative Society U.A.,Verkaufsprospekt samt allfälligen Nachträgen abrufbar unter www.oikocredit.at.
DIE FURCHE · 13 28. März 2024 International 7 „ Wenn dies [Assanges Auslieferung] erfolgreich ist, sehe ich keinen Grund, warum ich oder meine Kollegen nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten. “ Georg Mascolo vom „Spiegel“ maligen US-Soldatin Chelsea Manning (vor ihrer Geschlechtsangleichung: Bradley Manning) erhalten und sie dann in großen Teilen auch in Zusammenarbeit mit weltweit führenden Zeitungen veröffentlicht: The New York Times (USA), Der Spiegel (Deutschland), El País (Spanien), Le Monde (Frankreich) und The Guardian (Großbritannien). Der britische Journalist Patrick Cockburn beschreibt auf der Plattform inews.co.uk, worin Assanges „Verbrechen” bestehen soll: „Es ging um die Enthüllung einer gigantischen Sammlung von 251.287 diplomatischen Depeschen, mehr als 400.000 geheimen Militärberichten über den Krieg im Irak und 90.000 über den Krieg in Afghanistan.“ Cockburn zitiert aus diesen Berichten, etwa von tödlichen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nach der völkerrechtswidrigen Invasion der USA im Irak im Jahr 2003 und der jahrelangen Besatzung. WikiLeaks berichtete 2010 aber auch über die grassierende Korruption innerhalb der vom Westen unterstützten afghanischen Regierung, darüber, wie Gelder aus Saudi-Arabien, einem Verbündeten des Westens, terroristische Gruppen finanzierten. Die höchsten Wellen indes schlug die Veröffentlichung einer Filmaufzeichnung unter dem Titel Collateral Damage. Die Aufnahmen von 2007 zeigen, wie die Besatzung eines amerikanischen Kampfhubschraubers in den Straßen von Bagdad zwölf Männer in Zivilkleidung erschoss, darunter zwei Reporter der Nachrichtenagentur Reuters. Die US-Soldaten nahmen den Angriff selbst auf, nach den Schüssen ist ihr Gelächter zu hören. Das Filmmaterial ging 2010 um die Welt, der damalige US-Präsident Barack Obama verurteilte die Veröffentlichung, Assange geriet unter Beschuss. Vergewaltigungsvorwürfe fallengelassen Im Jahr 2012 suchte er in der ecuadorianischen Botschaft in London Schutz. Grund waren Vergewaltigungsvorwürfe der schwedischen Staatsanwaltschaft gegen ihn, die jedoch im Jahr 2019 aufgrund eines Mangels an Beweisen fallengelassen wurden. Assange blieb für sieben Jahre in der Botschaft, doch nach dem Regierungswechsel in Ecuador versagte das Land Assange weiteren Schutz. Der Australier wurde 2019 – kurz nachdem die Schweden ihre Anklagen fallen ließen – von der britischen Polizei verhaftet und landete in dem für Schwerverbrecher und Terroristen bestimmten Gefängnis Belmarsh. Im April 2022 entschied ein britisches Gericht, dass die Auslieferung von Assange an die USA rechtmäßig wäre; die britische Regierung bestätigte dies zwei Monate später. Doch die Auslieferung wurde nicht umgesetzt, da Assanges Anwälte Berufung einlegten. Diese wurde abgelehnt, aber die Anwälte reichten eine neue ein – über deren Rechtmäßigkeit entschied das Gericht am Dienstag. Marc Bassets von der spanischen Zeitung El País, die 2010 mit dem Whistleblower und WikiLeaks-Gründer zusammengearbeitet hatte, schreibt heute: „Obwohl Assange weder ein Zeitungsverleger noch ein Journalist im traditionellen Sinne ist, wurden seine Enthüllungen in traditionellen und angesehenen Medien veröffentlicht und einem rigorosen Redaktions- und Faktenprüfungsprozess unterzogen.“ Und Georg Mascolo, im Jahr 2010 Chefredakteur des Spiegel, gibt in einem Interview zu Protokoll: „Manchmal verteidigen wir nicht in erster Linie eine Person oder ihre Handlungen, sondern Prinzipien. Wenn dies [Assanges Auslieferung und Verurteilung in den USA] erfolgreich sein wird, sehe ich keinen Grund, warum ich oder meine Kollegen von El País, Le Monde, The Guardian und The New York Times nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten.“ Anzeichen „weißer Folter“ Gut möglich, dass es nicht notwendig ist, andere Journalisten strafrechtlich zu verfolgen, um abschreckende Wirkung zu erzielen. Das Vorgehen gegen Assange dürfte bereits seit Jahren potenzielle Whistleblower, die Zugang zu sensiblem Material haben, davon abhalten, es an die Medien weiterzugeben. Bereits 2019 erklärte Nils Melzer, von 2016 bis 2022 Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, nachdem er Assange im Gefängnis getroffen hatte, dass dieser Anzeichen von sogenannter „weißer Folter“ zeige, also Methoden der psychologischen Folter, die etwa mit Isolierung und sensorischem Reizentzug des Gefangenen verbunden sind. Anfang 2021 lehnte ein britisches Gericht die Auslieferung von Assange vorläufig ab. Begründung: Er sei psychisch krank und es bestehe Suizidgefahr. „ Welches ist die schwerwiegendere kriminelle Handlung: außergerichtliche Tötungen und Folterungen – oder die Aufdeckung dieser Handlungen? “ Duncan Campbell im „Guardian“ Dass Assange leiden solle, damit andere sich nicht trauen, ähnliche Dinge zu tun wie er, äußern einige US-Vertreter indes unverhohlen. Leon Panetta, ehemaliger Direktor der CIA, sagte vor einigen Jahren: „Alles, KLARTEXT was wir tun können, ist, rücksichtslos gegen diejenigen vorzugehen, die an der Veröffentlichung dieser Informationen beteiligt waren, um eine Botschaft an andere zu senden, nicht dasselbe zu tun.“ WikiLeaks hat auch nach 2012, ohne Assanges Beteiligung, Dokumente veröffentlicht – aber zu diesem Zeitpunkt kooperierten die großen Zeitungen nicht mehr mit der Plattform. Aus Angst vor Konsequenzen? Unter den genannten fünf Medien, die einst mit Assange kooperierten, ist der Guardian heute der vehementeste Verteidiger des Australiers. Der Journalist Duncan Campbell schrieb dort im Februar dieses Jahres: „Welches ist die schwerwiegendere kriminelle Handlung: außergerichtliche Tötungen, routinemäßige Folterungen von Gefangenen und illegale Auslieferungen, die von einem Staat durchgeführt werden, oder die Aufdeckung dieser Handlungen durch die Veröffentlichung illegal durchgesickerter Details darüber, wie, wo, wann und von wem sie begangen wurden?“ Es sollte eher eine rhetorische Frage, und die Antwort klar sein. Die Realität rund um Assange zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Gleichwohl scheinen die weltweiten Proteste zumindest etwas Wirkung zu zeigen. Nach Jahren des Schweigens verabschiedete das australische Parlament am 15. Februar mehrheitlich einen Antrag, in dem die USA und Großbritannien aufgefordert werden, das Verfahren zu beenden und Assange die Rückkehr in sein Heimatland zu ermöglichen. Sollte es im Mai zu dem erneuten Berufungsverfahren kommen und das Gericht am Ende zugunsten Assanges entscheiden, wollen die Verteidiger Assanges vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen, den auch London anerkennt. Wie der EGMR entscheiden würde, ist ebenso offen wie das Schicksals des berühmtesten Whistleblowers der Welt. Risse im globalen Regelwerk Jahrzehntelang galten internationale Freihandels- und Kapitalverkehrsregeln als unstrittige Voraussetzungen für gelindende globale Arbeitsteilung. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges jedoch steht dieses erfolgreiche Regelwerk vor dem Zusammenbruch. Es entstehen überraschende Allianzen zwischen Staaten, die trotz der eindeutig russischen Kriegsschuld vom amerikanisch-europäischen Wertekodex abrücken. Der israelisch-palästinensische Krieg beschleunigt diese Fragmentierung. Sanktionen und Handelsblockaden als vermeintlich wirksame, letztlich aber weitgehend stumpfe Waffen stärken Drittländer, die als Zwischenhändler auftreten. Die lange Zeit hindurch als erfolgreich erlebte Globalisierung wird ob der entstandenen Abhängigkeiten mit einem Mal zur Belastung. Zu den realwirtschaftlichen Verwerfungen kommen gefährliche Risse im Gefüge der globalen finanzwirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die Sperre des westlichen Zahlungsverkehrssystems SWIFT für iranische und russische HINTERGRUND Wer ist Julian Assange? Unter „Ein Aufdecker, der Geschichte machen will“ (28.10.2010) hat Matthias Greuling Assange porträtiert. 1971 in Townsville (Australien) geboren, wurde Julian Assange nach einer unsteten Kindheit Computerhacker und Investigativjournalist. Die von ihm gegründete Plattform WikiLeaks publizierte 2010 mit großen Medienhäusern Auszüge aus Militärprotokollen, die u.a. US-Kriegsverbrechen belegten. Die US-Regierung leitete Ermittlungen ein, hinzu kam ein Haftbefehl wegen eines Sexualdelikts. Banken hat zur Entwicklung eines von China betriebenen Alternativsystems („CIPS“) geführt. Die im BRICS-Bündnis zusammengeschlossenen Staaten wiederum arbeiten an währungspolitischen Alternativen zum US-Dollar und dem Euro als zweitwichtigster Weltwährung. Zuletzt gerät auch die bisher unantastbare Neutralität von Notenbanken unter Druck. Die Entscheidung der EU, aus den Zinserträgen eingefrorener russischer Zentralbankguthaben Waffen für die Ukraine zu erwerben, könnte sich dabei als höchst riskanter, weil das Vertrauen in neutrale Geldinstanzen zerstörender Schritt erweisen. Die EZB sieht diese Entscheidung deshalb wohl zu Recht kritisch. Denn auch wenn die Re-Politisierung der Ökonomie nicht aufzuhalten ist, sollte sie doch nach Möglichkeit vernunftgesteuert erfolgen. Der Autor ist Ökonom und Publizist. Von Wilfried Stadler Das Wesentliche tun Unterscheidung Entscheidung Entschiedenheit Führungskräfte entwickeln und realisieren Visionen und Ziele. Sensibilität, Mut und Entschlusskraft gehören zum Profil christlicher Führungskräfte. Holen Sie sich in Göttweig Impulse und Inspiration! Keynotes Ulrich Schnabel | Physiker, Publizist Alois Schwarz | Referatsbischof für Wirtschaft Eva Schulev-Steindl | Rektorin der BOKU, Juristin Sarah Spiekermann | Wirtschaftsinformatikerin Michael Bordt SJ | Philosoph 6. Kongress christlicher Führungskräfte 25.–26. April 2024 | Stift Göttweig Programm und Anmeldung auf www.wertevollfuehren.at
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