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DIE FURCHE 28.03.2024

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DIE FURCHE · 13 24 Musik & Literatur 28. März 2024 Gesang und Tanz Anna Netrebko debütierte als La Gioconda, es tanzten unter anderem Mitglieder von SEAD (Salzburg Experimental Academy of Dance). Von Walter Dobner In Salzburg jagt eine Entscheidung die andere. Zuerst die Wahlen zum Gemeinderat, dann die Bürgermeister-Stichwahl, und in wenigen Tagen wird man wissen, wer ab Herbst 2026 die Geschicke der Salzburger Festspiele leiten wird. Bleibt Markus Hinterhäuser, kommt ein neuer Intendant? Die Anforderungen an den künftigen Festspielchef sind gewaltig. Ab Beginn seiner Tätigkeit steht für jedenfalls vier Jahre das Große Festspielhaus nicht zur Verfügung, das dringend saniert werden muss. Damit gilt es nach einem zusätzlichen Aufführungsort Ausschau zu halten. Denn die Felsenreitschule verfügt über weniger Plätze, und dass der Ansturm auf die Karten nachlassen wird, ist nach den Erfahrungen der letzten Festspiel- Sommer nicht zu erwarten. Sollte man anlässlich der neuen Intendanten-Kür nicht auch gleich darüber diskutieren, künftig die Osterfestspiele unter dem Dach der Festspiele zu vereinen, wie man es mit Pfingsten längst – und erfolgreich – gemacht hat? Da- Erstmals gastierte Anna Netrebko bei den Salzburger Osterfestspielen und präsentierte sich dabei in der für sie neuen Titelpartie von Ponchiellis „La Gioconda“. Die Diva und viele offene Fragen mit könnte man die Opern von Ostern im Sommer wiederholen, sie einem größeren Publikum offerieren. Wie immer die Antworten dazu ausfallen, es bleibt spannend. Mit besonderer Spannung wurde auch die diesjährige Opernproduktion der Osterfestspiele erwartet. Zumal es hier gleich ein „ Sogar aus den Vereinigten Staaten, wo Anna Netrebko an der ‚Met‘ nach wie vor unerwünscht ist, kamen Fans extra angereist. “ doppeltes Debüt zu feiern gab: Nie zuvor gastierte Anna Netrebko bei diesem von Karajan einst als eine Art „Gegen-Bayreuth“ konzipierten Festival, noch nie hatte sie die Titelrolle von Amilcare Ponchiellis „La Gioconda“ gesungen, eine der Paraderollen ihrer großen Kollegin Maria Callas. Schon vor Jahren gab es dafür Pläne, und zwar an Londons Opernhaus Covent Garden. Damals riet der bis Ende dieser Saison dort als Musikchef amtierende Antonio Pappano Netrebko davon ab, ihre Stimme sei dafür noch Foto: © Bernd Uhlig nicht reif. Jetzt sah er den Zeitpunkt für dieses Rollendebüt gekommen. Weil diesmal sein römisches Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia als Osterfestival-Orchester engagiert ist, ergab sich eine ideale Gelegenheit, nicht nur diesen Vierakter erstmals an die Salzach zu bringen, sondern auch Anna Netrebko für die Titelpartie zu verpflichten. Finanziell hat sich dieser Coup gelohnt, die Opern-Vorstellungen sind restlos überbucht. Sogar aus den Vereinigten Staaten, wo Netrebko an der „Met“ nach wie vor unerwünscht ist, kamen Fans extra angereist. Am Ende der Premiere gab es frenetischen Applaus, Standing Ovations inklusive. Selbst wenn es einige Zeit dauerte, ehe die Primadonna assoluta unserer Tage zu außerordentlicher Form auflief. Kontraproduktive Inszenierung Hat die Entscheidung, diese in unseren Breiten wenig aufgeführte Oper auf die Bühne des Großen Festspielhauses zu bringen, sich also doch gelohnt? Dabei wäre in diesem Puccini-Jahr mindestens ebenso eine Oper dieses Komponisten denkbar gewesen. Freilich, Ponchielli war einer von Puccinis Lehrern, auch „La Gioconda“ enthält einige höchst effektvolle Arien, zudem das nicht zuletzt durch Walt Disney bekannt und populär gemachte Ballett „Tanz der Stunden“. Bei der Besetzung hat man jedenfalls keine Mühe gescheut. Neben der umjubelten Netrebko wirkten der seine bestens vorbereiteten Musiker glutvoll durch die Partitur führende Maestro Pappano, Luca Salsi als profunder Barnaba, die mit dem diesjährigen Herbert-von-Karajan-Preis ausgezeichnete, elegant phrasierende Eve-Maud Hubeaux als Laura und die souverän die Herausforderungen ihrer Aufgabe bewältigende Agnieszka Rehlis als Giocondas blinde Mutter mit. Jonas Kaufmanns um Strahlkraft bemühter Enzo und Tareq Nazmis Alvise fielen demgegenüber um einiges ab. Was aber hat diese „La Gioconda“ mit einem Missbrauchsfall zu tun? Das gibt weder das Libretto, schon gar nicht die Musik her. Regisseur Oliver Mears wäre besser beraten gewesen, sich in seiner, in einer fahlen Venedig-Architektur (Philipp Fürhofer) ablaufenden Inszenierung mehr um Personencharakteristik und -führung zu bemühen, vor allem die Handlung textgetreu zu erzählen und werkgetreu zu interpretieren. Vielleicht hätte man so eine Renaissance dieses Ponchielli bewirken können. La Gioconda Großes Festspielhaus Salzburg, 1.4. WIEDERGELESEN Nachrichten aus dem Inneren des Totalitarismus Von Anton Thuswaldner Unter Putin wird der Schwerverbrecher Stalin rehabilitiert. Wer vom Virus der Geschichtsvergessenheit infiziert ist, nimmt das fraglos hin. Schon deshalb ist es wichtig, dass Bücher wie solche von der Art, wie sie Georgi Demidow (1908-1987) geschrieben hat, verfügbar gemacht werden. Nach Warlam Schalamow ist Demidow eine weitere Entdeckung aus den finsteren Zeiten der Sowjetunion, als Intellektuelle und andere unbequeme Fragensteller in einen Gulag verfrachtet und deren Werke verboten, wenn nicht gar vernichtet wurden. Zwischen 1936 und 1938, der Zeit des Großen Terrors, wurden unzählige als unzuverlässig abqualifizierte Personen verfolgt. Georgi Demidow gehörte dazu. Er arbeitete als Physiker in Charkiw und geriet 1938 in die Fänge der Geheimpolizei. Damit war es für ein Leben in Normalität vorbei – auf alle Zeit. Es ging um die Vernichtung der Persönlichkeit, Vergehen wurden einem angedichtet. 14 Jahre musste er in einem Lager an der Kolyma im Nordosten Sibiriens unter extremer Kälte und unmenschlicher Behandlung durchstehen. Von den perfiden Methoden einer außer Rand und Band geratenen Macht erzählt der autobiografisch grundierte Roman „Fone Kwas“. Schreiben entdeckte Demidow als Möglichkeit, sich als Mensch neu zu definieren. 1980 wurden seine Manuskripte vom KGB konfisziert, seine Schreibmaschine beschlagnahmt. Damit war ihm jede Möglichkeit, weiter zu schreiben, unmöglich gemacht worden, da ihm in Sibirien die Finger erfroren waren. Wir müssen es als Glücksfall nehmen, dass die Texte nicht verschollen sind, sondern uns heute zugänglich gemacht werden. Das Buch ist Kafka im realen Sozialismus. Ein Mann wird verhaftet, ohne zu wissen warum; die, die ihn verhören, wissen es auch nicht. Das stört sie aber nicht, sie brauchen nur Geständnisse, und die kriegen sie sowieso, wenn sie Menschen brechen. Rafail, ein Techniker, kommt in eine heillos überfüllte Zelle, erfährt die Schrecken der vorsätzlich herbeigeführten Verwahrlosung ebenso wie Funken von Menschlichkeit in der Menge der allesamt schuldlos Verhafteten. Rafail versucht es mit einer List. In den Verhören spielt er scheinbar mit, indem er sich zu aberwitzigen, offenbar erfundenen Schandtaten bekennt, setzt alles daran, um als Trottel eingestuft zu werden und sich damit einen Freibrief zu erschwindeln. Ein auf Lug und Trug angelegtes System will er mit dessen eigenen Mitteln schlagen. Er scheitert, wird zur tragischen Figur in einer ohnehin durch und durch tragischen Geschichte. Was für ein Buch! Von kaltschnäuziger Hoffnungslosigkeit und enormer literarischer Kraft, ein kluges Gegengift gegen grassierenden Totalitarismus. Fone Kwas oder Der Idiot Roman von Georgi Demidow Aus dem Russischen von Irina Rastorgueva und Thomas Martin Galiani 2023. 201 S., geb., € 23,50

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