DIE FURCHE · 30 2 Das Thema der Woche Weniger 27. Juli 2023 AUS DER REDAKTION Man kann die FURCHE auch von hinten zu lesen, genauer: anzuschauen beginnen. Denn in der vorliegenden Ausgabe findet sich auf Seite 20 wieder ein Fahnen-Objekt der „raising flags“, mit dem das „museum in progress“ öffentliche und virtuelle Räume (wie beispielsweise Zeitungen) in Wien zur Kommunikation zwischen Kunst und Gesellschaft motivieren will. Die dieswöchige „raising flag“ ist „Petro National #79 (Austria)“ von John Gerrard, mit der der Künstler den Ölverbrauch Österreichs visualisiert. Die letzte Seite der FURCHE bildet so auch eine inhaltliche Klammer zum FOKUS am Beginn des Blattes, der sich mit der Reduktion auseinandersetzt, um die aktuelle Gesellschaften nicht herumkommen werden. Auch wenn populistische Politik vorgibt, wir könnten so weitertun wie bisher, wird das Überleben der Menschheit wesentlich davon abhängen, ob eine Lebensstiländerung in Richtung „Weniger“ möglich ist. Innerhalb dieser Klammer falten sich in dieser Ausgabe weitere thematische Notwendigkeiten aus – vom Skandalon des ungelösten Flüchtlingsproblems übers aufflammende Thema Rechtsextremismus im Lande bis zum gemeinsamen Erinnern an die Schoa und den Völkermord von Srbrenica, der sich dieser Tage wieder jährte. Und: Wussten Sie, dass bereits anno 1920 in Großbritannien 52.000 einem Frauenfußballmatch beiwohnten? Die Weltmeisterschaft im Frauenfußball ist ein guter Anlass, eine weitere vermeintliche Männerdomäne aufzubrechen. (ofri) Von Martin Dürnberger Zukunft war früher auch mal besser“ – Das bekannte Bonmot „Die Karl Valentins bringt eine Gefühlslage zum Ausdruck, die uns aus aktuellen Debattenlagen nicht unvertraut ist: Angesichts der vielfältigen Krisen der Gegenwart scheint die Zukunft ihre beste Zeit hinter sich zu haben. Sie hat ihren Versprechenscharakter weitgehend eingebüßt und ist von dystopischen Zügen geprägt. Heute noch ernstlich zu erwarten, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben als man selbst, erscheint als (zwar sympathische, gleichwohl etwas) naive Haltung: Zwischen fortschreitendem Klimawandel und geopolitischen Konfliktverschärfungen traut man sich kaum mehr zu hoffen, dass sie es zumindest nicht viel schlechter haben werden – und das wäre schon viel. „Das Beste kommt noch!“ – Das verkünden heute vollmundig nur mehr die skrupelloseren unter den KI-Gurus oder „Mindset“-Coaches. Nicht selten blitzt vor diesem diffus düsteren Horizont ein nicht neuer, doch neu brisanter Topos auf, der angesichts dieser Entwicklungen Abhilfe und Lösung verspricht: „Reduktion!“ So unterschiedlich die Diskurse sind, vielfach erscheinen Formen der Reduktion als Gebot der Stunde wie der Klugheit, als quasi-soteriologischer Topos, gesellschaftlich wie individuell: Politisch wie ökonomisch gilt es, sich auf Postwachstumsszenarien und permanente Personalengpässe einzustellen. Frage des Fußabdrucks Gesellschaftlich wie moralisch ist es geboten, den eigenen Fußabdruck zu verkleinern und Ressourcenverbrauch zu minimieren – was heißt: sie universalisierbar zu machen. Und nicht zuletzt für sich selbst gilt es zu lernen, aus der Hamsterrad-Logik des „Immer weiter, immer schneller!“ auszusteigen – und zu entdecken, wo im wirklichen Weniger ein mögliches Mehr stecken kann. Selbst wenn Formeln wie „Small is beautiful“ das Motiv der Reduktion bereits als Verheißung codieren: Die Maxime „Weniger ist Mehr“ fällt uns erkennbar schwer; umso mehr, da das Weniger nicht frei gewählt, sondern von außen aufgetragen ist. Weniger Fleisch, weniger Reisen, weniger Wasserverbrauch, zugleich auch weniger Wachstum, Servicepersonal oder Öffnungszeiten – das mag vielleicht für andere Weltgegenden üblich sein, aber wer Überfluss gewohnt ist, muss doch hart schlucken. Will man verstehen, warum das Mehr zum gesellschaftlichen Normalmodus wurde, muss man ein Stück Moderne-Theorie treiben. Zumindest eine ihrer Standarderzählungen lässt sich rasch Reduktion! Warum wir mehr Weniger brauchen. Salzburger Hochschulwochen, 31.7.–6.8.2023 Programm & weitere Infos unter www. salzburger-hochschulwochen.at Nicht nur der Planet, auch soziale Konfliktlagen drohen sich aufzuheizen. Über die hartnäckigen Schwierigkeiten, sich in Reduktion zu üben – und Inspiration aus der Religion. Am Kipp-Punkt skizzieren: Moderne Gesellschaften stabilisieren sich nicht mehr aus dem Rückwärtigen, i. e. aus Herkunft und Tradition, sondern primär aus der Bewegung nach vorne. Nicht der längere Stammbaum soll über gesellschaftliche Positionen entscheiden, so das emanzipatorische Versprechen, sondern die bessere Leistung auf einem freien, wettbewerbsförmigen Markt – wer besser und vor allem: wer schneller besser liefert, erhält den Zuschlag. Auf diese Weise, so beschreiben es Soziologen wie Hartmut Rosa, sind moderne Gesellschaften grundständig auf Bewegung und Beschleunigung angelegt: Sie stabilisieren sich sozusagen dynamisch. Das Schneller Besser „ Der populistische Trotz dieser Tage macht das Verteilungsproblem deutlich, das in den immer häufigeren Forderungen nach ‚Weniger‘ schlummert. “ schreibt sich dabei tief in ihre kulturelle Matrizen ein: Das Mehr ist ihre psychosozial wirksame Chiffre. Natürlich mag man einwenden, dass Steigerungslogiken nicht erst seit der Moderne relevant sind; monieren, dass auch in der Moderne das Erbschafts- und Herkunftsprinzip ungebrochen wirksam ist; oder auf kolonialistische Asymmetrien zwischen globalem Norden und Süden hinweisen. Hier aber interessiert die grundsätzliche Dialektik der skizzierten Logik: Das kulturelle Spiel von „Höher, Schneller, Weiter, Mehr“ erschließt nicht nur historisch mehr Freiheitsräume, sondern droht diese zugleich apokalyptisch zu verspielen, wo es jene Ressourcen verbraucht, die für weiteres Wachstum nötig sind – ökologische, soziale, psychische u. a.: Grundlagen, die im Prozess von Wettbewerb und Beschleunigung gleichsam verbrannt werden. Aufs Individuum hin formuliert: Man hat sich zwar etwas aufgebaut, aber ist jetzt innerlich ausgebrannt. Foto: iStock/ FG Trade Latin An dieser Stelle wird deutlich, warum Formeln wie Reduktion und Postwachstum wie Lösungsparadigmen erscheinen müssen – und zugleich erkennbar, warum beides offenkundig eine so schwierige Übung ist: Man müsste dafür tief verankerte kulturelle und psychosoziale Codes überschreiben. Als persönliche Lebensstil-Entscheidung mögen Reduktion, Konsumverzicht, Minimalismus attraktiv sein – aber als gesellschaftliche oder gar politische Leitmotive? Können Gesellschaften, die sich wesentlich über Expansion und Wachstum stabilisieren, auch da robust bleiben, wo Reduktion im Raum steht? Mehr noch: Steht nicht sogar der Verdacht im Raum, dass sie es nur konnten, solange ihre Zukunft im Grunde rosig war und dass ihre Liberalität an Schubkraft verliert, sobald die Aussichten düsterer werden? Der populistische Trotz macht jedenfalls das Verteilungsproblem deutlich, das in Reduktionsforderungen schlummert: Man will und kann es zwar nicht lösen, wohl aber für sich nutzen – immerhin zur Mehrheitsbeschaffung mag es taugen. Nicht nur der Planet, auch die sozialen Konfliktlagen drohen sich entsprechend aufzuheizen und Kipp-Punkte zu erreichen. Auch wenn es noch nicht so weit ist, erhält man damit einen Vorgeschmack, was mit auf dem Spiel steht: nichts weniger als das demokratische und liberale Zueinander in unseren Gesellschaften. Man mag hier seine Hoffnung ganz auf technologische Transformationen setzen, die entsprechende Reduktionszumutungen durch disruptive Innovation entschärfen sollen. Aber es scheint nicht redlich, sich allein darauf zu verlassen: Es wird vielmehr alle Anstrengungen brauchen, um Gesellschaften auf Nachhaltigkeit zu polen und entsprechende Spannungen zu moderieren – auch die Anstrengungen der Kirchen. Christliche Weisheit Freilich sind diese aktuell mit ihrem eigenen Kleiner-Werden beschäftigt, und auch ihre besten Impulse entfalten nur mehr bedingt kulturelle Leuchtkraft. Dennoch halten sich im Glauben Perspektiven lebendig, die in den genannten Transformationen bedeutsam sein können, nicht zuletzt weil die Herausforderungen so groß sind, dass man wahlweise resignativ oder zynisch werden könnte. Der Begriff des „Activist Burnout“, der u. a. in Klimaschutzkreisen verwendet wird, ist Ausdruck dieses Problems: die Gefahr, sich angesichts der übergroßen Problemlagen und permanenten Dringlichkeit zu erschöpfen. Wer sich in dem, wie er leben will, einzig von den überlebensgroßen Problemen bestimmen lässt, gerät notwendigerweise in einen Strudel dauernder Überforderung. Genau hier setzt die christliche Tradition auf eine Reduktion anderer Art: nämlich was Erwartungen an sich selbst betrifft. „Ich glaube“, schreibt etwa Ignatius von Loyola 1555, „dass ihr euch dazu entschließen solltet, in Ruhe das zu tun, was ihr tun könnt. Kümmert euch nicht um den Rest; überlasst der göttlichen Vorsehung, was ihr selbst nicht bewerkstelligen könnt.“ Das ist mitnichten ein Kleinreden unseres Handelns, aber es enthält eine human realistische Perspektive darauf. Wenn der Beitrag des Glaubens dieses menschenfreundliche Gottvertrauen ist, wäre damit viel gewonnen. Denn die Erinnerung daran tut immer Not – ganz gleich, wie viel besser die Zukunft schon mal gewesen sein mag. Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Univ. Salzburg sowie Leiter der Salzburger Hochschulwochen.
DIE FURCHE · 30 27. Juli 2023 Das Thema der Woche Weniger 3 Von Martin Tauss Wer länger auf Reisen ist, lernt viel über Baumwoll- Shirts. Zum Beispiel, dass dickere Leibchen 24 Stunden – „fast auf den Punkt genau“ – brauchen, um nach dem Waschen zu trocknen. Bei Hemden sind es 20 Stunden, bei Socken sogar 28 Stunden. Wer aus dem Rucksack lebt, kennt aber auch Tricks, wie man diese Zeit verkürzen kann. Fragt man Christopher Titmuss, wie er solches Wissen erlangt hat, lächelt er schelmisch und sagt: „Durch bittere Erfahrung.“ Titmuss ist nicht nur Wäscheexperte auf Weltreisen, sondern auch einer der bekanntesten buddhistischen Lehrer im Westen. Die obige Szene stammt aus der Filmdokumentation „The Buddha Wallah“ (2011), die das abenteuerliche Leben des heute 79-jährigen Briten beleuchtet. Der Soundtrack dieser Biografie stammt aus den 1960er-Jahren. In der psychedelischen Popkultur wurden fremdartige, orientalische Klänge angeschlagen. Als die Beatles im „Summer of Love“ 1967 ihr epochales Konzeptalbum „Sgt. Pepper’s“ vorlegten und ihre Verwandlung von braven Pilzköpfen zu bunten Psychonauten vollendet hatten, war Christopher Titmuss bereits unterwegs, „on the road“. Im März hatte er seinen Job als Reporter in London gekündigt. Ein Monat später, mit 23, packte er den Rucksack und begab sich auf den „Hippy Trail“, den Landweg nach Indien. Er wollte zu neuen Ufern aufbrechen – „raus aus der Enge und Verspanntheit der englischen Kultur“, wie Titmuss im Zoom-Interview mit der FURCHE erzählt: „Das war der Beginn all der signifikanten Veränderungen in meinem Leben.“ Foto: Privat Zehn Jahre und zehn Tage: So lange dauerte es, bis Christopher Titmuss seinen lebensverändernden Trip rund um den Globus vollendete. Warum er es bis heute liebt, mit wenig Gepäck unterwegs zu sein. Der Buddha Wallah Askese im Dschungel In der Tasche hatte er lediglich ein Budget von 50 Pfund plus zehn bis 15 „Extra- Pfund“. Die britische Labour-Regierung hatte damals das ‚Reisegeld‘ im Rahmen der Währungskontrollen strikt limitiert. „Eigentlich wundere ich mich noch heute, wie ich es geschafft habe, mich durchzuschlagen“, lacht Titmuss. Er half bei der Traubenernte in Kreta, arbeitete nachts bei einer Nachrichtenagentur in Istanbul und konnte sich in kleinen Schritten weiterhanteln; zu Fuß, mit Bus und Zug; durch die Türkei und den Iran, durch Afghanistan und Pakistan. Auch die „außerordentliche Gastfreundschaft in den muslimischen Ländern“ habe viel dazu beigetragen, die Reisekosten gering zu halten, berichtet Titmuss. Später war es ihm mit einem „ordentlichen Job“ beim australischen Fernsehsender ABC möglich, das Reisebudget wieder aufzubessern. In Indien kam es dann zu einem einschneidenden biografischen Erlebnis: „Ich erinnere mich noch genau an diesen Tisch in einem Tempel in der buddhistischen Pilgerstadt Sarnath. Dort lagen ein paar Bücher über Buddhismus, und zwei Aussagen darin berührten mich tief im Inneren: Alles in dieser Welt ist vergänglich – deshalb müssen wir loslassen und lernen, mit dieser konstanten Veränderung gut umzugehen.“ Genau das habe damals seiner Erfahrung als Langzeitreisender entsprochen, der jeden Tag mit neuen Eindrücken und Begegnungen konfrontiert war. Er wollte mehr wissen. Mit 25 Jahren hatte Titmuss das Gefühl, dass es an der Zeit sei, eine innere Reise anzutreten. Er entschied sich, als buddhistischer Mönch zu leben und landete in Dschungel-Klöstern im südlichen Thailand, in denen fernab der Städte ein möglichst einfacher und asketischer Lebensstil hochgehalten wurde. „Mit dem Rucksack war ich bereits leicht unterwegs, jetzt aber wurde alles noch viel leichter. Ich konnte meinen rechten Arm ausstrecken und alles halten, was ich besaß: die Möchsroben, die Bettelschale, einen Rasierer und Wasserfilter. Es war gleichsam das Minimum vom Minimum – aber ich liebte es, so zu leben!“ Und er schätzte seine freigeistigen Lehrer. Im Kloster von Wat Suan Mokkh traf Titmuss auf Achan Buddhadasa, einen der bekanntesten buddhistischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts. Der konfrontierte seine Schüler(innen) gern mit griffigen Statements wie „Sei kein Buddhist, sei ein Buddha!“ Oder auch „Live low, aim high!“ – Lebe bescheiden, aber strebe hoch hinaus! Christopher Titmuss sieht darin eine Aufforderung, die materialistische Kultur und ihr Erfolgsmodell zu hinterfragen: „Von klein auf wird uns eingetrichtert, dass Erfolg mit Karriere, Status, Macht und Geld zu tun hat. Zweifel an diesem Modell ist angebracht, denn seine Schattenseiten treten heute immer deutlicher zutage – im Stress am Arbeitsplatz, der Ausbreitung von Süchten oder dem Zusammenbruch von familiären Beziehungen.“ In der buddhistischen Lehre finde sich eine radikal andere Sichtweise, die über die polarisierte Wahrnehmung von Erfolg und Scheitern, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage, Lust und Schmerz hinausgeht. „Jenseits dieser ‚weltlichen Bedingungen‘ gibt es einen neuen, frischen Blick auf das Leben“, sagt Titmuss. Im Kloster wurde er mit dieser Perspektive vertraut. Doch das Leben als Mönch brachte auch Entbehrungen, die einem jungen Mann mitunter schwerfallen können. „Ich dachte, mit meinem Liebesleben ist es jetzt vorbei“, schmunzelt Titmuss mit seinem typisch britischen Humor. „Die männlichen Energien waren in exzellenter Form. Die Nonnen befanden sich auf der anderen Seite der Meditationshalle. Sie waren so anmutig und mit dem rasierten Kopf sogar noch schöner. Manchmal gab es ein Lächeln oder einen tieferen Blick.“ Das gemeinschaftliche Leben in den Waldklöstern war geprägt von Verzicht, doch etwas sorgte für Kompensation: „Ich hatte das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.“ „ Als Rucksack-Reisender lebte ich schon sehr leicht, als Mönch aber wurde alles noch viel leichter. Ich konnte meinen rechten Arm ausstrecken und alles halten, was ich besaß. “ Christopher Titmuss ist Autor zahlreicher spiritueller Sachbücher und einiger Gedichtbände. Manche Bücher sind auch auf Deutsch erschienen, darunter „Erleuchtung ist anders als du denkst“ (Waldhaus, 2007) und „Angst verlieren – Freiheit finden“ (Tushita, 2010). Christopher Titmuss ist ein britischer Buddhismus- Lehrer und Buchautor. Er bietet Kurse, Meditationsretreats und Pilgerwanderungen in der Theravada-Tradition an. „The Buddha Wallah“ ist der Titel eines Filmporträts über sein Leben (Der Hindi-Begriff „Wallah“ bedeutet „Arbeiter“). Wenn die Frucht reif ist, fällt sie vom Baum – so beschrieb der Brite seine Entscheidung, die Mönchsroben nach sechs Jahren abzulegen. Er vollendete seine Reise rund um die Welt, unter anderem mit Stationen in Neuseeland, Korea und den USA. 1977 kehrte er nach England zurück; genau zehn Jahre und zehn Tage, nachdem er aufgebrochen war. Darauf spielt auch der Titel seines jüngsten Buchs an. Die Autobiografie „Ten Years and Ten Days“ (2021) basiert auf 400 Briefen und 20 Tagebüchern und rekapituliert romantische Begegnungen, gefährliche Situationen und psychedelische Drogentrips – sowie weitere Höhen und Tiefen einer Reise durch 20 Länder. Seit 1982 lebt der Vater einer erwachsenen Tochter in der Kleinstadt Totnes in Südwest-England. In den letzten Jahrzehnten leitete er weltweit Meditationsretreats, darunter auch in Krisenregionen in Israel und Palästina. Auf seinen Achtsamkeitskursen kommt die Gesellschaftskritik nicht zu kurz, denn seine Auffassung von der Lehre Buddhas ist radikal politisch. Eine wichtige Rolle darin spielt die Ernährung und der gewaltfreie Umgang mit anderen Lebewesen, mit Haus-, Nutz- und Wildtieren, Vögeln und Fischen. Entzug beim englischen Tee „Wenn wir unsere Sinne schärfen, fühlen wir einen intimen Bezug zur Natur“, sagt Titmuss. „Wir sollten darauf achten, dass die Beziehung zur Umwelt eher fürsorglich als besitzergreifend ist.“ Er selbst ist seit den 1970er-Jahren Vegetarier, heute ernährt er sich vegan. Aber natürlich gebe es auch für ihn Lebensbereiche, in denen Reduktion schwer umzusetzen ist, sagt er auf Nachfrage. So habe er über die Zeit mehr als 1500 Bücher in seinem kleinen Haus angesammelt. Und der Umstieg auf zuckerfreien Tee sei ihm weit schwerer gefallen als der Verzicht auf Fleisch. „Wir Engländer greifen bei jeder kleinen Krise zu einer Tasse Tee. Immer, wenn ich die Tasse zum Mund führte, tauchte eine schmerzhafte Frage auf: Wo ist der Zucker? Das war jahrzehntelange Gewohnheit! Erst nach sechs Wochen war der Entzug vorbei. Manchmal müssen wir das eben durchstehen – und uns längerfristig die Vorteile einer Transformation vor Augen halten.“
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE