Aufrufe
vor 10 Monaten

DIE FURCHE 27.07.2023

  • Text
  • Menschen
  • Furche
  • Treue
  • Juli
  • Welt
  • Gesellschaft
  • Politik
  • Kindheit
  • Zeit
  • Foto

Nein, es ist nicht die

Nein, es ist nicht die Hitze, welche die FURCHE veranlasst hat, ein vermeintlich hehres Thema, die Treue, unkonventionell aufzubrechen. Manuela Tomic wein eine Analyse der Femizide in Europa beistellt. Brigitte Schwens-Harrant ist das Protokoll der Gewalterfahrungen einer Frau, der Victoria Schwenden- nimmt den 50. Geburtstag von Monica Lewinksy zum Ausgangspunkt, um eröffnet das Feuilleton mit der Lektüre der Berichte der US-Journalistin Dorothy Thompson, die die Machtübernahme Hitlers in Berlin miterlebt hat. Un- nicht nur an den Skandal zu erinnern, der US-Präsident Bill Clinton vor 25 Jahren fast das Amt kostete. Sondern dieser Fokus stellt Gewissheiten in Frage – ter den Nachrufen, die in dieser FURCHE gehäuft zu verfassen waren, sticht bis zur lapidaren Feststellung der Theologin Theresia Heimerl, dass „Treue die Hommage an den franko-tschechischen Autor Milan Kundera von Anton als Teil einer Herrschaftsbeziehung“ hoffentlich „ausgedient“ hat. Besonderes Thuswaldner hervor. Auch die gegensätzlichen präsumtiven Hollywood-Blockbuster „Oppenheimer“ und „Barbie“ kommen zu Rezensionsehren. Und bietet in dieser Ausgabe auch Susanne Glass, die statt ihrer vorgesehenen Kolumne „Klartext“ mit einer Reportage aus der zwischen Säkularen und Religiö - Johan nes Greß zeigt, dass die Hitze auch unwirtlichen Zeitgenossen wie Tiger - sen polarisierten Gesellschaft Israels aufwartet. Mindestens so beklemmend mücken hierzulande das Leben leichter macht. Gefährliche Zeiten also. (ofri) Von Theresia Heimerl sorgte Anfang des 21. Jahrhunderts für politische und juristische Aufregung. Der Treuebegriff in treuer Diener seines Herrn, treu ergeben, dieser politischen Neigungsgruppe lässt sich auch als eine bedin- meine Ehre heißt Treue, ein treuer Hund … Die gungslose Gefolgschaft übersetzen, die über dem Gesetz steht. Treue in Redewendungen und Phrasen verschiedener Diese wird gerne auch sehr genuin im Deutschen als Nibelungen- lebensweltlicher Kontexte der deutschen Sprache ist keine romantische Angelegenheit. Treue auf das mittelalterliche Epos, in treue bezeichnet, in Anspielung ist ein Begriff aus der Welt klarer dem der Burgunderkönig Gunther und seine Brüder dem Mör- Herrschaftsverhältnisse. Treue ist eine Form von Verhalten eines der Hagen die Treue halten und Subjektes (in seiner wörtlichen Bedeutung als Untergebener) gegendeten Siegfried geforderte Aus- seine, von der Witwe des ermorüber seinem direkten Herrn: Der lieferung verweigern. Zumindest für das beschützte Mitglied Bauer oder Soldat gegenüber dem Grundherrn, dieser gegenüber einer solchen Gesinnungsgemeinschaft hat diese Treue zwei- dem Kriegs- und/oder Feudalherren, der gegenüber dem König und felsohne einen Wert, auch wenn dieser gegenüber Gott. Die Treue sie dem modernen Rechtsstaat jener Tage und Jahrhunderte changiert in ihrer Bedeutung zwischen zuwiderläuft. Gefolgschaft aus Geburt und Loyalität. Treue ist nur bedingt ei- Letzterer kennt die Treue in Beziehung auf Augenhöhe ne freiwillige Angelegenheit: Der verschiedenen Bereichen, und Leibeigene, aber auch der einfache Ritter können sich im Alltag likt, dessen Wert sehr konkret be- ihr Gegenteil, die Untreue, als De- kaum aussuchen, welchem Herrn zifferbar ist, auch dort, wo es um sie treu sein müssen. Sie können die Ehe geht. „Untreue ist in einem Scheidungsverfahren nicht diesem – bestenfalls in Konflikten mehrerer Herren – untreu werden und einem anderen die Treue dar in einem Rechtsblog des Stan- vorteilhaft“, heißt es dazu lapi- schwören. Das allerdings ist mit dard aus dem Jahr 2022. Die genaue Feststellung des Wertes der Risiken und Nebenwirkungen verbunden: Nicht nur kann der neue Untreue ist ein wertvolles Betätigungsfeld für Anwälte. Herr im Konflikt unterliegen und der alte seine untreuen Subjekte Und dann wäre da noch die im bestrafen, der Treuebruch kann puritanisch geprägten Kontext auch vom neuen Herrn als moralischer Makel mit praktischen Kon- ehelicher und politischer Treue, gern eingesetzte Vermischung von sequenzen angesehen werden – Stichwort Bill Clinton (siehe Seite 4). wer einmal untreu wird, tut es Der Wert der Treue bemisst sich wieder. Untreue beschädigt aber hier in Wählerstimmen. Im postkatholischen Europa gilt hingegen auch den Herrn, demgegenüber die Treue gebrochen wird, sie stellt noch immer François Mitterrands seinen Herrschaftsstatus in Frage Replik zum offenen Ehebruch, Monogamie sei nie Teil seines Regie- und das verletzt seine Ehre. rungsprogamms gewesen. Fides bedeutet auch Glaube Treue hat also einen oftmals bezifferbaren Wert, aber ist sie auch Treue ist ein vertikaler Wert, der nur eine Richtung hat: von unten nach oben. Die Redewendung oder Politischen? Treue als Teil ein Wert jenseits des Materiellen vom treuen Herrn gibt es nicht. einer Herrschaftsbeziehung hat Wohl aber ist die treue Frau bereits im Alten Testament ein Toschen, rechtsstaatlichen und vor hoffentlich in einer demokratipos und bleibt es bis in Social Media. Die Treue als Sich-Verhalten schaft ausgedient. In vielen Kon- allem gleichberechtigten Gesell- in ehelichen und erotischen Angelegenheiten ist über weite Stre- durch den Begriff der Loyalität texten lässt sich die Treue heute cken der Sprach-, Kultur- und über- und ersetzen. Im Zwischenmenschlichen könnte man es mit Sozialgeschichte nur eine besondere Form von hierarchischer Beziehung. Die Erfindung der ro- Die drei goldglänzösischen (fidelité) abgeleitet sind, zu leicht sinnbefreiten Stilblüdeutungsspielraum und mögli- einer Beziehung auf Augenhö- dem Vertrauen probieren, das mantischen Liebe im Mittelalter zenden Frauen, die eine zwischen zwei Bedeutungsfeldern oszillierende Bedeutung glänzenden Frauen, die viele Babe trägt zwar noch den vertikalen ne feudale Verpflichtung. Wo das ten führten konnte. Die drei goldche Wertigkeiten. Fides als Glauhe deutlich besser ansteht als ei- besteht zuerst einmal in der Umkehrung der Herrschaftsverzeln in Österreich auf: Fides bedeutet nicht nur die rockkanzeln in Österreich zieren, Aspekt (vom Menschen hinauf zu Vertrauen nämlich weg ist, bleibt viele Barockkanhältnisse: Nunmehr ist der minnesingende Ritter einer höher Titel Fides, Spes, Diese zweite Bedeutung drängt tas – und niemand würde in dielöst von irdischen Hierarchien, er Untreue im Scheidungsverfah- zieren, tragen die Treue, sondern auch den Glauben. tragen die Titel Fides, Spes, Cari- Gott) in sich, doch ist dieser losge- nur mehr der pekuniäre Wert der gestellten Dame treu, er macht Caritas – und niemand würde in dieven christlichen Gebrauch sogar on der Treue vermuten, schon gar gung, die auf Vertrauen beruht, ber ihrem Besitzer vertrauen, als die erste durch ihren exzessisem Kontext eine Personifikati- ist vor allem eine innere Überzeuren. Ob vielleicht auch Hunde lie- sich in Vers und Bild zu ihrem Diener und die Angebetete zumindest in diesem lyrischen Drei- Personifikation der Übersetzung klassischer lateini- thronende Frau. Wer im Internet etymologisch verwandt ist, aber zu sein, vermag ich nicht valide sem Kontext eine in den Hintergrund, was bei der nicht als souveräne, in der Höhe das zwar im Deutschen der Treue bloß aus Furcht ums Futter treu eck zur untreuen Ehefrau. Der Treue vermuten. scher Texte in meiner Schulzeit nach bildlichen Darstellungen historisch keineswegs immer mit zu beantworten, ich teile mein Wert der Treue bemisst in dieser der deutschsprachigen Treue in der Treue einhergeht. Haus mit Katzen, die sich schon hierarchischen Gesellschaft den der Kunst(geschichte) sucht, landet bei Bildern und Skulpturen deutschen Sprache nach 1945 eiziehung erfolgreich widersetzt Überhaupt hat die Treue in der immer jedweder Herrschaftsbe- sozialen Wert des Menschen, dem die Treue gilt. von Hunden, die zu Herrchen oder nen seltsamen Beigeschmack. haben. Anders als die deutsche Treue Frauchen aufblicken, vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Fi- den Begriff der Treue, der Wahl- Die Autorin lehrt Religions- Einschlägiges Liedgut kreist um weist das lateinische fides, von dem die entsprechenden Wörter des eröffnet zwischen Treue und spruch der SS, wo Treue in Kombination mit dem Ehrbegriff auftritt, Fakultät der Uni wissenschaft an der Kath.-theol. im Englischen (fidelity) und Fran- Glauben einen viel weiteren Be- Graz. DIE FURCHE · 29 20. Juli 2023 Von Brigitte Schwens-Harrant s ist beschämend und aufreizend, daß so dumme Frauenzimmer, deren Gehirn nur aus Stroh bestehen kann, das Recht haben, gegen eine geschichtliche Größe wie den Führer überhaupt das Wort zu ergreifen.“ Was sich beinahe liest wie ein gehässiger, frauenverachtender Tweet, findet sich 1942 im Tagebuch von Joseph Goebbels. Der Eintrag gilt einer Frau, die alles andere als dumm war und mit ihren Schriften wohl auch deswegen den Propagandachef der Nationalsozialisten zu solchen Kommentaren reizte. Die 1893 in Lancaster, New York, geborene US-amerikanische Journalistin Dorothy Thompson berichtete aus Österreich und Deutschland und war nach ihrer Ausweisung aus Deutschland 1934 berühmt geworden. Die New York Times widmete ihr eine Titelseite, Thompson warnte im Radio, in Vorträgen und Zeitungen vor dem Faschismus, auch jenem in den USA. 1931 hatte sie nach vielen Versuchen (sieben Jahre lang hätte sie es probiert, schreibt sie 1932 in „I Saw Hitler!“) endlich die Gelegenheit, Adolf Hitler zum Interview zu treffen. Dieser wurde nach seinem Putschversuch 1923 inhaftiert, allerdings nach kürzester Zeit wieder entlassen und danach, wie Thompson anmerkt, „legal“: „Es war keine Rede mehr von einem Marsch auf Berlin. Die Menschen sollten ‚erwachen‘, schränken, sie beginnen mit der unterbringen und zum Soldatensold im Staatsdienst beschäftigen. de – „Doch vielleicht hat der Machtübernahme gelingen wer- und Hitlers Bewegung sollte dafür sorgen, dass sie die Diktatur gung: „Wenn Sie an die Macht Er werde legal an die Macht kom- Trommlerjunge ja Kräfte freige- allgemein verbreiteten Überzeu- wählten! An sich eine faszinierende Idee. Man stelle sich einen Ein Interview freilich ist das ment und die Weimarer Verfas- / Wenn ja, wer wird nach ihm kommen ...“. men. „Dann werde ich das Parlasetzt, die stärker sind als er ahnt. Möchtegern-Diktator vor, der sich kaum, „denn man kann mit Adolf sung auflösen. Ich werde einen kommen?“ –, sie hat bei ihrer Begegnung und durch die vielen Ge- aufmacht, ein souveränes Volk dazu zu überreden, seine eigenen redet die ganze Zeit so, als wäre er der kleinsten Einheit bis in die spräche, die sie damals führte, Hitler kein Gespräch führen. Er autoritären Staat errichten, von Rechte abzuwählen.“ auf einer Massenveranstaltung“. höchsten Instanzen. Überall wird aber etwas ganz Grundlegendes So entsteht daraus auch schriftlich kein Interview, sondern eirität und unten Disziplin und Ge- Kleinen Mann“, schreibt sie näm- es oben Verantwortung und Auto- durchschaut. „Ich sah in ihm den Propaganda unter Kontrolle Es kommt zu Massendemonstrationen, Schlägertypen in brau- Reflexion ihrer Beobachtungen, mit der Republik“, kommentiert „Aber vielleicht liegt darin, und ne Art Reportage, ein Essay, eine horsam geben.“ – „Das war’s dann lich wenig später in ihrem Text. nen Hemden werden zu Hitlers samt einer kommentierten Auswahl von Bildern. Dank des Ver- zu lesen. nes enormen Erfolges.“ Denn die Thompson lapidar. Das war 1932 gerade darin, das Geheimnis sei- furche.at privater Miliz, sogar eine Verlagsgruppe hat sich gebildet: die Propaganda ist unter Kontrolle. Und Saw Hitler!“ nun zum ersten Mal betrat, war ich der festen Über- abgesehen, der wie Hitler selbst lages „Das vergessene Buch“ ist „I „Als ich Adolf Hitlers Zimmer Nazis hätten „es auf den Mann die Wählerstimmen nehmen zu. vollständig auf Deutsch zu lesen zeugung, dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen. Mittelschicht“. Hitler ist einer war, der kleine Wähler aus der „Allen Erwartungen zum Trotz („Ich traf Hitler!“). Der Titel – mit haben sie sich zur größten Einzelpartei des Reiches entwickelt. begeisterten Zeitgenossen an, die war ich mir ziemlich sicher, dass Heil. „Ladenbesitzer, die bei den Rufzeichen – spielt wohl auf die Keine fünfzig Sekunden später von ihnen, er verspricht ihnen Sie sind reif für die Macht“, stellt Hitler getroffen haben, man kann dies nicht der Fall war. Solange Thompson fest. das „sehen“ allerdings durchaus dauerte es in etwa, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit Zu diesem Zeitpunkt also erhält auch als „erkennen“ verstehen. sie Gelegenheit für ihr Interview. Und von diesem Erkennen zeugt dieses Mannes zu ermessen, der „Die Vorbereitungen gestalteten dieses Buch. die Welt in Atem hielt ....“ Wie sehr sich überaus umständlich. Nicht Faszinierend ist nicht nur sie doch geirrt hat, möchte man so, wie man es von einem Mann Thompsons Stil, sondern auch ihre Wahrnehmungen und die Gabe, legen haben ihr denn auch unter- sagen, und einige männliche Kol- erwarten würde, für den ‚die Tat‘ alles bedeutet. Ich erwartete eher komplexe und geschichtliche Zusammenhänge wie im Vorübergeben. Darauf weist Oliver Lubrich stellt, Hitler unterschätzt zu ha- ein kurz angebundenes ‚Kommen Sie!‘ Stattdessen muss ich Fragen hen zusammenzufassen. Ab und in seinem informativen Nachwort einreichen. Schriftlich und vierundzwanzig Stunden im Voraus.“ er sagt, klingt alarmierend: Ar- Mag sie auch Zweifel ge- zu gibt es Hitler wörtlich. Was hin; er liest den Text genauer. Auf drei Fragen muss sie sich bebeitslose möchte er in Baracken habt haben, ob Hitler selbst die „Das ist doch immer möglich: Sinclair Lewis‘ Roman ‚It can‘t happen here‘“ von Brigitte Schwens-Harrant, 18.1.2018, 1920 geht die 1893 geborene US- Amerikanerin als Korrespondentin nach Europa, 1939 nennt sie das Time Magazine die einflussreichste Frau in den USA neben Eleanor Roosevelt. 1961 stirbt sie in Lissabon. Großhändlern verschuldet sind; Familienväter, die den Metzger nicht bezahlen können; Bauern, die Geld für ihre Hypothek brauchen; junge arbeitslose Männer. Ihre Nöte, ihre Sorgen, ihre tägliche Misere sind weiß Gott nicht selbst verschuldet. Sie sind gute Männer und gute Christen gewesen. Und dieser Mann dort oben ist einer von ihnen.“ Wirkung, nicht Wahrheit Thompson hat verstanden, wie Populismus funktioniert: „mit einer „Spur von Hysterie“, einer „Stimmung von Jugendlager“, es geht um Wirkung, nicht um Wahrheit. „Diese Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie klingt für jeden halbwegs gebildeten Menschen hanebüchen. […] Aber Vernunft hat die Welt noch nie vom Hocker gehauen, und Hitler, der begnadete Agitator, weiß das.“ Menschen werden aufgewiegelt, in einem Land, „in dem alle den Druck von heute und die Unsicherheit von morgen spüren.“ Wer ihm zuhört, fühlt sich emporgehoben. „Wenn man verschuldet ist, im Leben keinen Erfolg hatte – so gehört man dennoch, wie Hitler sagt, zur RASSE.“ Nationalismus und Patriotismus als „einfachste Form der Selbsterhöhung“. Denn: „Jedermann ist ein König, solange er noch einen unter sich hat.“ So wird es 1935 in Sinclair Lewis’ Roman „It can’t happen here“ (deutsch: „Das ist bei uns nicht möglich“) heißen. Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1930 hat in diesem Roman viele Erkenntnisse seiner damaligen Ehefrau Dorothy Thompson verarbeitet. Er erzählt Aufstieg und Machtübernahme eines Populisten und das Versagen der Intellektuellen, die viel zu lange denken: Das kann hier nicht passieren. Doch, es kann. Und wie es vor sich geht, das zeigen beide Texte, Dorothy Thompsons Reportage-Essay „I Saw Hitler!“ ebenso wie Sinclair Lewis’ Roman „It can’t happen here“. Sie reichen Analysewerkzeuge, für jede Zeit, für überall. Ich traf Hitler! Von Dorothy Thompson Übersetzt von Johanna von Koppenfels, hg. von Oliver Lubrich DVB 2023. 267 S., geb., € 26,95 DIE FURCHE · 30 16 Diskurs 27. Juli 2023 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Einspruch, Frau Professor! Vom Wert der Treue Von Theresia Heimerl Nr. 29, Seite 2 Sie behaupten: „Treue ist ein vertikaler Wert, der nur eine Richtung hat: von unten nach oben. Die Redewendung vom treuen Herren gibt es nicht.“ Dem halte ich entgegen: 2 Tim 2, 13: „Wenn wir untreu sind, bleibt ER (Christus) doch treu, denn ER kann sich selbst nicht verleugnen.“ Oder Sach 8,8: „Sie werden mein Volk sein und ich werde ihr Gott sein, unwandelbar und treu.“ Oder 1 Kor 1,9: „Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid....“ sowie 1 Kor 10, 13: „ Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet“ und einige weitere Stellen, in denen allen im Griechischen die Begriffe „pistis“, „pistikos“, „pisteuo“ verwendet werden, die jeweils mit Treue, Zuverlässigkeit, Redlichkeit oder Glaube bzw. den entsprechenden Adjektiven oder Verben übersetzt werden können. – Mag sein, dass „weltliche“ Treue oft nur vertikal verstanden wurde, tatsächlich war aber auch der Feudalherr seinem Lehensnehmer zu Treue verpflichtet – vertikale Treue in beiden Richtungen. Treue spielt auch horizontal eine große Rolle - oder sollte sie zumindest spielen, in der Ehe, in der Freundschaft. Gerade in diesen zwischenmenschlichen Beziehungen auf Augenhöhe gebietet es die Treue, jemandem offen zu sagen, wenn er oder sie einen falschen Weg geht, deswegen muss man den (die) andere(n) ja nicht fallen lassen, das kann man auch mit Loyalität beschreiben. – Dass Treue in der Demokratie einen schweren Stand hat, mag dem Umstand geschuldet sein, dass die DIE FURCHE · 29 2 Das Thema der Woche Trotzdem treu? 20. Juli 2023 E AUS DER REDAKTION Foto: imago / piemags Fides, Spes, Caritas „ Im Zwischenmenschlichen könnte man es mit dem Vertrauen probieren, das einer Beziehung auf Augenhöhe deutlich besser ansteht als eine feudale Verpflichtung. “ Als Teil einer Herrschaftsbeziehung hat die Treue in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und gleichberechtigten Gesellschaft hoffentlich ausgedient. Ein Essay. Vom Wert der Treue Bürger heute diese(n) und morgen jene(n) wählen können, lediglich die Staatsdiener und die Abgeordneten sind durch einen Eid gebunden, sich treu an Verfassung und Gesetze zu halten – die aber wiederum geändert werden können ... Gottfried Kühnelt-Leddihn 6072 Lans Gewalt gegen Frauen „Bin ich die Nächste?“ Von Andrea Burchardt Femizide ohne Ende Von Victoria Schwendenwein Nr. 29, Seiten 10–11 Bereits im Jahr 1999 erklärte die Nationalversammlung der Vereinten Nationen den 25. November zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen. Dies geschah mit dem Ziel, die Öffentlichkeit verstärkt auf die Verletzung der Frauenrechte aufmerksam zu machen. Leider hat sich bis jetzt in den meisten Ländern keine durchgreifende Verbesserung ergeben. Das Zitat von Susan Moller „Das Haus ist – zumindest in Friedenszeiten – der gefährlichste Aufenthaltsort für Frauen“ ist leider nach wie vor zutreffend. Der Schaden, den häusliche Gewalt verursacht, geht weit über Narben am Körper hinaus. Gewalt in der Familie darf niemals bagatellisiert werden. Ein gewalttätiger Ehemann oder Lebenabschnittspartner ist nicht weniger kriminell als jemand, der einen Fremden schlägt. Ing. Harald Schober per E-Mail Hitler - kleiner Mann „Das war‘s dann mit der Republik“ Von Brigitte Schwens-Harrant Nr. 29, Seite 17 Vielen Dank für Ihren Hinweis auf Dorothy Thompson. Mit großem Interesse habe ich den Artikel über die mir bis dato unbekannte US-Journalistin gelesen, erhellend und bestürzend zugleich. Erhellend, wie Thompson ihre aus dem „Interview“ mit Hitler 1932 gewonnenen Eindrücke teilt: „Ich sah in ihm den kleinen Mann.“ Erhellend, wie treffsicher sie in Folge eines der Erfolgsrezepte der damaligen NS-Propaganda analysiert: Nationalismus und Patriotismus als „einfachste Form der Selbsterhöhung“. Bestürzend zu sehen, dass diese nicht auf Argumente und Wahrheit, sondern auf Wirkung abzielende Form der Agitation politisch scheinbar immer wieder neu höchst erfolgreich verwendet werden kann und verwendet wird, diesseits und jenseits des Atlantiks. Zumindest ist mir aus bald 30 Jahren Sozialarbeit mit „kleinen Männern“ am Rande der Gesellschaft, Obdachlose, Haftentlassene usw. – das Phänomen einer Art von Identitätsstiftung zwischen Schimpfen auf „Die da oben“ und Treten auf „Die da unten“ bestens bekannt. Bemerkenswert auch das Foto von Frau Thompson im Studio vor CBS-Mikro im Stil der Dreißigerjahre mit Hut und üppiger Blumendeko. Die US-amerikanische Journalistin Dorothy Thompson berichtete aus Wien und Berlin, bis sie 1934 ausgewiesen wurde. In „I Saw Hitler!“ reflektierte sie 1932 Hitlers Populismus. Er ist „einer von ihnen“. „E Foto: Getty Images / CBS DSA Christian Stuhlpfarrer per E-Mail Literatur „Das war’s dann mit der Republik“ „ Ich sah in ihm den Kleinen Mann. Aber vielleicht liegt darin, und gerade darin, das Geheimnis seines enormen Erfolges. “ Dorothy Thompson Dorothy Thompson Auf den Punkt gebracht Kleidung ist Teil von Körpersprache Von Clemens Paulovics Nr. 28, Seite 11 Ich möchte mich beim Autor für diesen Artikel bedanken, denn er hat die Sache auf den Punkt gebracht; es geht jedoch bei Bekleidung nicht nur um junge Menschen; als langjähriger Besucher (z. B. im Musikverein oder auch in Theatern (meine keine Kellertheater) muss ich leider feststellen, dass sich bzgl. Bekleidung in letzter Zeit ein seltsamer Wandel ergeben hat, der vor allem Männer betrifft; sicher erwartet niemand mehr, dass man z. B. im Smoking ins Konzert oder Theater geht; auch Krawatten sind nicht mehr notwendig. Aber man kann doch wohl erwarten, dass Männer ein entsprechendes Hemd und auch Sakko tragen und nicht in Jeans mit kariertem Hemd ins Konzert oder Theater gehen – als ob sie grad eine Baustelle verlassen hätten – und es sind seltsamerweise oft Besucher mittleren Alters, die offenbar keine Ahnung (mehr) haben, was ein „Dresscode“ eventuell bedeuten könnte. Dr. Franz John per E-Mail 17 Kein Ruhmesblatt Quintessenz: Via Kurve zum Ziel Von Brigitte Quint Nr. 28, Seite 15 Normal Denkende sind der Durchschnitt. Der Durchschnittsdenker als politische Richtschnur ist problematisch, da dies Durchschnittsleistende hervorbringt. Ihr sollt nicht durchschnittlich, sondern außergewöhnlich sein. Ein Bundeskanzler sollte – ohne Gefahr zu laufen, zum Arzt geschickt zu werden – Visionen haben. Visionen vertragen sich nicht mit Denkverboten. Zeit, sich selbst zu hinterfragen und als Ziel ein Leben in Freiheit möglichst Vieler anzustreben. Man könnte die ursprüngliche Aussage der Landeshauptfrau Niederösterreichs - und des Herrn BK – allerdings auch so interpretieren, dass man, wenn man schon nicht das Handeln der Menschen zu beeinflussen imstande ist, zumindest das Denken kontrollieren will. Dr. Paul Schwarzenbacher 1070 Wien Tragisches ORF-Gesetz Jenseits des Abgesangs Von Doris Helmberger Nr. 27, Seite 1 Danke für Ihren Leitartikel! Zum Ende der Wiener Zeitung wurde ja in vielen Medien entrüstet berichtet, andererseits ist die Wiener Zeitung doch den meisten Menschen höchstens als „Amtsblatt“ bekannt, weshalb dessen Print-Einstellung mich nicht allzu sehr bewegt. Viel tragischer ist beim ORF-Gesetz das Versäumnis, den Stiftungsrat zu entpolitisieren. Da haben nach wie vor die politischen Player das Sagen. Und zur „blauen Seite“: Ich gebe zu, dass ich diese täglich mindestens 1-2 mal aufrufe, um den aktuellsten Stand zu erfahren. Warum tue ich das? Weil die blaue Seite mit einem einzigen Tastendruck aufrufbar ist. Weil sie in der ersten Ebene Überschriften bringt. Weil sie nicht nach Cookies fragt. Weil sie ohne Anmelden, Mail-Adresse, password aufrufbar ist. Es wäre schön, wenn sich die Qualitätsmedien Österreichs in dieser Frage zusammenschließen würden und gemeinsam eine ähnliche tagesaktuelle Informationsseite erstellen würden. Die könnte durchaus kostenpflichtig sein, aber sie sollte mindestens die gleiche Benutzerfreundlichkeit bieten wie die ORF-Seite. Und natürlich auch inhaltlich dem Anspruch an Qualitätsmedien gerecht werden. Das wäre ein echt konstruktives Projekt. Wolfgang Ortner 4600 Wels Lotterien Tage bieten Kultur für alle Museen, Theater, Kulturfestivals oder Zoo – dank der Österreichischen Lotterien können Top-Einrichtungen seit mittlerweile 13 Jahren gratis besucht werden. Auch wenn aus dem Lotto Sechser nichts wurde und beim Rubbellos der ersehnte Hauptgewinn nicht dabei war, -zigtausende Spielteilnehmer:innen der Österreichischen Lotterien wissen bereits, dass die vermeintliche „Niete“ spätestens beim nächsten Lotterien Tag zum Gewinn wird und die Türen zu den beliebtesten Kunst- und Kultureinrichtungen des Landes öffnet. Die Lotterien Tage gibt es seit dem Jahr 2010 und sie wurden mit mittlerweile mehr als 130 Veranstaltungen und über 170.000 Besucher:innen zu einem beliebten Fixpunkt in den Terminkalendern der Kooperationspartner und Spielteilnehmer:innen der Österreichischen Lotterien. Ein Teil des Kartenkontingents wird caritativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt, und es werden nach Möglichkeit Führungen in einfacher Sprache sowie für Blinde und sehschwache Personen, Gehörlose und Menschen mit Demenz angeboten. Alle Infos zu den Lotterien Tagen gibt es unter www.lotterientag.at. Auch beim Kabarettfestival im Wiener Rathaus gibt es Lotterien Tage Foto: Maria Altmann IN KÜRZE RELIGION ■ Koranverbrennungen RELIGION ■ Jüdisches Leben gefördert RELIGION ■ Trauerfeier für Gletscher GESELLSCHAFT • WISSEN ■ Social Media ist ein Spiegel Vor der ägyptischen Botschaft in Kopenhagen haben Demonstranten der Gruppe „Dänische Patrioten“ am Dienstag zum dritten Mal einen Koran verbrannt. In Schweden wurde im vergangenen Monat zwei Mal die heilige Schrift der Muslime angezündet. Ägypten bestellte am Dienstag den Geschäftsführer der schwedischen Botschaft ein. Der Irak hatte die EU-Länder am Montag aufgefordert, ihre „sogenannte Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht rasch zu überdenken“. Im Irak protestierten am Samstag mehrere tausend Menschen dagegen und setzten die schwedische Botschaft in Brand. Die Regierung erhöht rückwirkend mit 2023 die jährliche Förderung für jüdisches Leben auf sieben Millionen Euro. „Das beste Mittel im Kampf gegen Antisemitismus ist die Förderung und die Sichtbarmachung jüdischen Lebens“, erklärte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Dienstag vor dem Sommerministerrat. Grundlage ist das Gesetz über die Absicherung des Österreich-Jüdischen Kulturerbes (ÖJKG), das Teil der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus ist und für die Israelitische Religionsgesellschaft seit 2020 eine jährliche Förderung in der Höhe von vier Millionen Euro vorsieht. Er misst nur noch rund 16 Hektar, an den Rändern sind teils nur noch Eisflecken zwischen Geröll übrig: Der Gletscher an der Zugspitze schmilzt dahin. Mit einer ökumenischen Trauerfeier in Deutschlands höchstgelegener Kirche, der Kapelle Mariä Heimsuchung auf 2.600 Metern Höhe, haben Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche am Dienstag auf die Folgen des rasant voranschreitenden Klimawandels aufmerksam gemacht - und auf die Bedeutung des Erhalts der Schöpfung. „Wir fürchten uns davor, dass unsere Lebensgrundlagen wegschmelzen wie dieser Gletscher“, sagte die evangelische Pfarrerin Uli Wilhelm. Social Media wird oft als toxisches Umfeld im Kampf gegen den Klimawandel und Falschinformation eingeordnet. Für Hannah Metzler vom „Complexity Science Hub“ in Wien ist das zu kurz gegriffen. Das stellt die Kognitionspsychologin als Hauptautorin eines internationalen Berichtes des Stockholm Resilience Centre über Klima-Fehlinformationen fest. Social Media sei nicht die Ursache gesellschaftlicher Konflikte, sondern ihr Spiegel; ein Werkzeug, das je nach Nutzung positive oder negative Folgen haben könne. Es gelte daher die Wurzeln vieler Probleme zu betrachten, welche oft tief gesellschaftlich verankert seien.

DIE FURCHE · 30 27. Juli 2023 Musik 17 Das „Young Singers Project“ bei den Salzburger Festspielen gilt als Kaderschmiede höchster Güte für den Opernsänger-Nachwuchs. Heuer feiert es sein 15-jähriges Bestehen. Von Theresa Steininger Was haben Olga Bezsmertna, Miriam Kutrowatz, Andrè Schuen, Mauro Peter, Rafael Fingerlos und Christina Gansch gemeinsam? Allesamt sind sie im internationalen Opernbusiness erfolgreich. Und allesamt haben sie einmal das „Young Singers Project“ der Salzburger Festspiele durchlaufen. Dieses Förderprogramm für junge Sängerinnen und Sänger feiert heuer 15 Jahre des Bestehens – und hat schon für zahlreiche Karrieren begründet. 2008 wurde die Plattform zur Förderung des sängerischen Nachwuchses gegründet, seit damals haben 196 Sängerinnen und Sänger aus 46 Ländern teilgenommen. Diese erhalten im Rahmen der Festspiele stets musikalischen Unterricht, in dem sie auch ihr Repertoire erweitern. Dazu kommen szenische Probenarbeit, Meisterklassen mit namhaften Lehrerinnen und Lehrern, Sprachcoaching, Liedinterpretation und die gemeinsame Arbeit mit Festspielkünstlerinnen und -künstlern. Darüber hinaus sind die Young Singers in Produktionen der Salzburger Festspiele besetzt. Heuer haben sich von mehr als 600 Bewerber(inne)n 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus neun Nationen – darunter Österreich, Spanien, USA und Armenien – qualifiziert. Johanna Rosa Falkinger, Aitana Sanz Pérez und Anthony León sind dabei. Ein Crashkurs im Opernbusiness Wie aber wurden sie ausgewählt? Dafür baut man beim „Young Singers Project“ seit 15 Jahren auf die Expertise von Evamaria Wieser, die das Programm leitet und als Stimmenkennerin international bekannt ist. „Entscheidend sind die Qualität der Stimme, Musikalität, Persönlichkeit und Emotion – aber auch unser Bauchgefühl spielt mit“, sagt Wieser. Alljährlich bewerben sich mehrere hundert junge Sängerinnen und Sänger darum, sich in Salzburg im Rahmen der Festspiele fortbilden zu dürfen, heuer gab es mit 600 einen neuen Rekord. 80 wurden zu gezielten Vorsingen nach Salzburg eingeladen. Andererseits suchte Wieser auch bei Gesangswettbewerben, bei denen sie in der Jury sitzt, Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus. Grundsätzlich liegt das Alterslimit bei 30 Jahren, aber wenn es sich um einen besonders begabten Bass handelte, der 31 ist, wäre das Alter kein Hindernis, so Wieser. Und auch, wenn jemand im ersten Schritt abgewiesen wird, müsse das keine finale Entscheidung sein, meint sie. Manche ermutige man sogar, im nächsten Jahr nochmals vorzusingen, wenn die stimmlichen Qualitäten auffallend gut sind, aber die Technik noch nicht so ausgereift. „Das ist manchmal sogar besonders interessant, denn einige haben sich in diesem Jahr verbessert, andere aber auch leider verschlechtert“, so Wieser. Heuer warten auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Intensivcoachings, Meisterklassen mit Malcolm Martineau, Christiane Karg und Michele Pertusi sowie Probenarbeit für „Das Kind und die Zauberdinge“ und andere Festspielproduktionen. Bei der Aufführung von diesem Werk Maurice Ravels sind sie in allen wichtigen Rollen besetzt. Außerdem wirken manche in „The Greek Passion“ und „Macbeth“ mit. Hier entscheidet Intendant Markus Hinterhäuser in Absprache mit der künstlerischen Betriebsdirektion und Evamaria Wieser, wer schon während der Weiterbildung für eine Rolle bereit ist. Und auch beim „Herbert von Karajan Conductors Award“ sowie in einem eigenen Abschlusskonzert zeigen die Young Singers ihr Können. Ein intensives Programm, wie der Tenor Mauro Peter, ein ehemaliger Teilnehmer, bestätigt. „Für mich war es wie ein Opernstudium, komprimiert in zwei Monaten anstatt in zwei Jahren. Man musste hier sehr viel leisten und konnte in kurzer Zeit viel lernen. Es war wie ein Crashkurs im Opernbusiness“, so Peter, der 2012 hier war. „Das ‚Young Singers Project‘ war mein erster Kontakt mit der Festspielwelt und ich fand sehr spannend, dies schon im jungen Alter von vielen Seiten zu erleben. Man konnte herausfinden, wie man sich in diesem Beruf schlägt.“ Nicht selten werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Festspielen von Dirigenten und Regisseuren entdeckt, die dann weiter mit ihnen arbeiten wollen. So knüpfte Mauro Peter hier die ersten Verbindungen mit Ivor Bolton, mit dem er später bei den Münchner Opernfestspielen und in Madrid zusammenarbeitete sowie abermals bei den Salzburger Festspielen. „Diesen Kontakt habe ich klar dem ‚Young Singers Project‘ zu verdanken, weil Alexander Pereira mir die Chance für mein Debüt bei einem Festspielkonzert gab, das Bolton leitete. Bolton hat mich in Salzburg entdeckt und hatte in meiner Karriere immer wieder seine Finger im Spiel“, so Mauro Peter, der auch schon in Mailand, Zürich, Dresden und an anderen wichtigen Opernhäusern engagiert war. 2022 sang er Tamino in Salzburg. „Das ‚Young Singers Project‘ ermöglicht, dass gewisse Leute einen bemerken, es ist eine sehr schöne Plattform.“ Lernen im Austausch Sopranistin Christina Gansch, die heuer in „The Greek Passion“ mitwirkt und auch schon an der Mailänder Scala und beim Glyndebourne Festival sowie an den Opernhäusern von Hamburg, Paris und London auftrat, war Wo die Karriere beginnen kann 2015 Teilnehmerin des „Young Singers Project“. Noch im selben Sommer sang sie in der „Figaro“-Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, im Jahr darauf in „La clemenza di Tito“. Am Pult stand Teodor Currentzis, der sie gleich als Zerlina für seine Aufnahme von „Don Giovanni“ engagierte. Auch die Basis für ihre Zusammenarbeit mit Regisseur Peter Sellars wurde hier gelegt. Beim „Young Singers Project“ dabei zu sein, „war für mich ein Schritt in eine neue Welt. Ich habe hier besonders viel gelernt“, sagt Gansch. Gleich nach einem Jahr kehrt auch Serafina Starke zurück zu den Festspielen. Sie war im Vorjahr Teilnehmerin des „Young Singers Project“, heuer singt sie Barbarina in „Le nozze di Figaro“ im Haus für Mozart in der Regie von Martin Kušej. „Die Teilnahme am ‚Young Singers Project‘ 2022 hat mich sehr inspiriert und mir Ansporn gegeben, weiter hart zu arbeiten und zu üben, um irgendwann auch auf der großen Bühne zu stehen. Damit geht für mich ein großer Traum in Erfüllung“, so Starke. Nicht nur von Coaches, sondern auch von etablierten Kolleginnen und Kollegen lernen die Young Singers. Einerseits bei den Meisterklassen, die die ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer als sehr intensive Erfahrung beschreiben. Andererseits auch bei den Probenarbeiten – selbst dann, wenn sie mal nicht aktiv beteiligt sind: „Manchmal haben wir uns in Proben reingeschlichen, manchmal durften wir ohnehin kommen“, erzählt Mauro Peter. „Dann haben wir zugehört, wie etwa Piotr Beczala und Anna Netrebko arbeiten – und wie sie ihr Fach beherrschen.“ „ Entscheidend sind die Qualität der Stimme, Musikalität, Persönlichkeit und Emotion – aber auch das Bauchgefühl spielt mit. “ Die Gruppe an jungen Sängerinnen und Sängern wächst auch durch die intensive Arbeit eng zusammen – und durch den Austausch untereinander, wie Peter sich erinnert: „Es entstand eine besondere Dynamik, der Teamspirit war wirklich gut. Ich fand auch Foto: Salzburger Festspiele / Jan Friese Sprungbrett Seit 2008 fördert das Young Singers Project (YSP) alljährlich junge Sängerinnen und Sänger. Heuer schafften es von über 600 Bewerberinnen und Bewerbern 14 Teilnehmer (v. vorne nach hinten): Anthony León, Matteo Ivan Rašić, Alejandro Baliñas Vieites, Liza Lozica, Teona Todua, Lilit Davtyan, Aitana Sanz Pérez, Anita Monserrat, Grisha Martirosyan, Daria Kolisan, Hovhannes Karapetyan, Paweł Horodyski, Matteo Guerzé, Johanna Rosa Falkinger. interessant zu sehen, wie hier eine ganze Gruppe junger Sängerinnen und Sänger, die großes Potenzial haben, zusammenkam und wie unterschiedlich diese mit dem Coaching durch Koryphäen umgingen: Wer blieb entspannt, wer wurde nervös, wer schoss vielleicht auch übers Ziel hinaus, wer nahm Kritik wie auf? Es gehört auch zum Lernprozess, zu filtern, was für einen selbst passt.“ Chance für den großen Sprung Generell wolle man beim „Young Singers Project“ „die Arbeit auf höchstem Niveau und das Erleben der besonderen Atmosphäre“ mitgeben, sagt Evamaria Wieser. Gerade in Zeiten, in denen die Anforderungen an junge Sängerinnen und Sänger immer noch größer werden, brauche es neben guter Technik, darstellerischen Fähigkeiten, Musikalität und Fleiß auch das „gewisse Etwas, das man nicht beschreiben beziehungsweise lernen kann – und ‚Glück‘ und ‚Zufall‘. Ohne diese Elemente gibt es meines Erachtens keine große Karriere“, so Wieser. Dass das „Young Singers Project“ bei vielem davon helfen kann, beweisen zahlreiche Laufbahnen, die hier in den vergangenen 15 Jahren ihren Anfang nahmen.

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023