DIE FURCHE · 26 2 Das Thema der Woche Das Blaue vom Himmel 27. Juni 2024 AUS DER REDAKTION Wer dieser Tage auf andere Menschen trifft, kommt um eine Frage nicht herum: Wohin fahrt ihr heuer auf Urlaub? Die Antworten sind so bunt wie der Globus, nur eines ist wieder rar geworden: verdruckste Scham beim Hinweis, dass man dafür ein Flugzeug besteigt. Tatsächlich wird die Kondensstreifendichte heuer wieder Vor-Corona-Niveau erreichen. Sind die vollmundigen Klimaziele also endgültig eine Illusion? Der Fokus „Das Blaue vom Himmel“ umkreist diese Frage – und nimmt auch das abgründige Phänomen sexueller Ausbeutung von Kindern bei Fernreisen in den Blick. Um die Schwierigkeiten der ökosozialen Wende geht es zudem in zwei neuen Büchern, die Fred Luks für uns bespricht. Neben Nachhaltigkeit ist Bildung das zweite Megathema dieser Ausgabe – wie es sich zum Schulschluss gehört: Neben dem Leitartikel von Magdalena Schwarz finden Sie dazu einen Gastkommentar des AHS- Direktors Michel Fleck sowie ein Meinungsstück zur Religionsunterricht- Kontroverse von Till Schönwälder. Wer sich angesichts all dessen lieber in die Kultur stürzen will, findet neben einem Essay über das Wienerlied auch Veronika Schuchters Besprechung des neuen Buches von Toxische Pommes – oder folgt dem FURCHE-Kanal auf X (vormals Twitter), wo Schuchter die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur kommentiert. Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant sitzt dort zum fünften Mal in der Jury des Bachmannpreises. Klagenfurt ist eben immer eine Reise wert. (dh) Von Wolfgang Machreich Der Sommer ist anders, in der Ferienzeit wird auch nach der Landung von Linienflugzeugen immer wieder einmal geklatscht. Die Vorfreude auf den Urlaub ist bei vielen Reisenden und vor allem den Kindern an Bord zu groß, das exotische Erlebnis des Fliegens nach wie vor zu stark, als dass man sich an die nüchterne Etikette der professionellen Vielflieger halten würde. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“, der zum geflügelten Wort gewordene Liedtext von Reinhard Mey aus den 1970ern beschreibt, Klimafolgen hin oder her, nach wie vor das mit dem Fliegen verbundene positive Freiheits-Image. Flugreisen in die Urlaubsregionen haben nichts an Attraktivität eingebüßt – im Gegenteil: Während in Österreich der Anteil der Urlaubsreisen per Auto rückläufig ist (2023: 60,8 gegenüber 63,3 Prozent 2022) und die Bahnreisen bei rund 15 Prozent stagnieren, haben Flugreisen von 14,5 im Jahr 2022 auf 17,5 Prozent im Vorjahr zugelegt. Die österreichischen Zahlen spiegeln den internationalen Trend wider. Laut Schätzungen des Airports Council International, des Dachverbands der Flughafenbetreiber, werden 2024 die Passagierzahlen in Europa und weltweit erstmals das Niveau von vor der Pandemie übertreffen und auf eine neue Höchstmarke zusteuern. Ein Ziel, viele Wege Besserer Klimaschutz gelingt auch mit aerodynamischen Verbesserungen am Flugzeug; besonders glatte Oberflä chen oder gebogene Flügelspitzen senken den Kraftstoffverbrauch. „Über den Wolken zu Schleuderpreisen“ kritisierte schon vor 20 Jahren am 15. April 2004 die Steuerbefreiung für Kerosin; nachzulesen unter furche.at. Ohne massive Änderungen in der Luftfahrt lassen sich die Klimaschutzziele nicht erreichen. Verbesserungen sind in Sicht, doch noch lange bleibt klimaverträgliches Fliegen eine Utopie. Über den Wolken CO₂-frei sein Rekord auf Langstrecke Das Nachhaltigkeitsforum der Air Transport Action Group (ATAG) prognostiziert bis 2050 gar einen weltweiten Anstieg der Flugpassagiere auf bis zu zehn Milliarden pro Jahr, eine Verdoppelung zu heute. Die größten Steigerungsraten soll es in Asien und dem mittleren Osten geben, gefolgt von Afrika, Lateinamerika, Nordamerika und Europa. Die stärkste Wachstumsrate wird Langstreckenflügen zugetraut. Eurocontrol rechnet damit, dass 2050 in Europa jährlich bis zu knapp 20 Millionen Flüge stattfinden. Fünf Prozent davon sollen Frachtflüge, sieben Prozent Geschäftsreisen und der überwiegende Teil von 88 Prozent Passagierflüge zu Reise- und Tourismuszielen sein. Das Jahr 2050, auf das sich diese Flug- und Passagierprognosen beziehen, ist gleichzeitig das Zieljahr für eine klimaneutrale Luftfahrt in Europa. Derzeit werden 3,5 bis fünf Prozent der menschengemachten Erwärmung weltweit der internationalen Luftfahrt zugeschrieben. Laut Europäischen Klimagesetz müssen die EU-Staaten ihre Nettotreibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken, und bis 2050 soll die Union klimaneutral sein – am Boden und in der Luft. Die prognostizierten Steigerungsraten für den Flugverkehr zeigen, dass die EU-Klimapolitik für diese Zielmarken nicht oder nur sehr beschränkt auf psychologische Phänomene wie Flugscham als Unterstützung vertrauen kann: „Das kann dazukommen, das kann dann helfen oder auch nicht, aber aus politischer Sicht ist das keine nachhaltige Strategie, um dem Problem Herr zu werden“, sagt VCÖ-Verkehrsexperte Michael Schwendinger (siehe Interview Seite 3). Eine Strategie für klimaneutrales Fliegen hat die EU im Herbst des Vorjahres vorgelegt: Der Luftverkehr zeichnet für mehr als „ Bis 2050 soll die Zahl der Flugpassagiere auf bis zu zehn Milliarden pro Jahr steigen, eine Verdoppelung zu heute. “ Foto: iStock / Dmitry Potashkin 14 Prozent der verkehrsbedingten Emissionen in der EU verantwortlich; derzeit werden dafür fast ausschließlich fossile Kraftstoffe verwendet. Die Verordnung „ReFuelEU Aviation“ verpflichtet nun die Flugkraftstoffanbieter an EU-Flughäfen zur schrittweisen Erhöhung des Anteils nachhaltiger Treibstoffe bei der Betankung der Flugzeugflotten. Eine Verordnung mit derselben Stoßrichtung, „FuelEU Maritime“, gibt es auch für den europäischen Seeverkehr. Bis nächstes Jahr muss der Mindestanteil nachhaltiger Flugkraftstoffe zwei Prozent betragen und bis 2030 auf sechs Prozent steigen; danach wird die Verpflichtungskurve steiler und steigt auf 20 Prozent „grüner“ Treibstoffe in Flugzeugtanks bis 2030. Im Zieljahr 2050 schließlich muss der Anteil an nachhaltigen Flugkraftstoffen bei mindestens 70 Prozent liegen. Damit umweltbewusste Reisende eine Entscheidungsgrundlage erhalten, wird ein EU-Kennzeichnungssystem für die Umweltleistung von Airlines eingeführt. Der Bedarf an einem glaubwürdigen Gütesiegel für grünen Flugverkehr ist groß. Regelmäßig überführen Konsumentenschutz- und Umweltorganisationen Airlines des Greenwashings – ihre grünen Lockangebote wie „CO₂-neutraler Flug“ oder „100 Prozent nachhaltiger Treibstoff“ versprechen das Blaue vom Himmel, halten jedoch dem Faktencheck nicht stand. Im April dieses Jahres forderte die EU-Kommission 20 Fluggesellschaften auf, ihre irreführenden Praktiken zur Kompensation von CO₂-Emissionen durch Zahlungen für nachhaltige Projekte zu überprüfen. Gleichzeitig zeigen diese Werbelinien, dass es den Fluggesellschaften wichtig ist, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Die Frage ist jedoch: Wie und bis wann ist es möglich, dass die Luftfahrtindustrie tatsächlich grün wird? Die wissenschaftliche Antwort auf das Wann lässt sich laienhaft mit „nicht so schnell“ zusammenfassen, denn die Einhaltung des 2050-Ziels für klimafreundliches Flugreisen wird schwierig. Die Antworten auf das Wie sind optimistischer und breit gefächert, wie eine im April dieses Jahres vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) veröffentlichte Studie zeigt. Maßgebliche Innovationen für eine klimaver träglichere Luftfahrt, heißt es darin, „sind elektrische Antriebe, nachhaltige Kraftstoffe aus Abfall bzw. Biomasse, grüner Wasserstoff (H₂), die Optimierung von Kraftstoffen, ein nachhaltiges Flugzeugdesign sowie die Emissionsreduktion durch Effizienzsteigerungen“. OMV setzt auf Altspeiseöl Nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) können aus vielen Ressourcen gewonnen werden. Die OMV, ein Vorreiter in diesem Bereich, verwandelt beispielsweise Altspeiseöl zu Flugzeugtreibstoff. Derzeit produziert die Raffinerie Schwechat 1500 Tonnen SAF im Jahr. „Damit lassen sich etwa 3750 Tonnen CO₂ einsparen, oder anders gesagt etwa 333 Wien- London-Flüge“, rechnet George Apostu, OMV Experte im Bereich Luftfahrt, die Klimarelevanz dieser Innovation vor. Bis 2030 möchte die OMV ihre SAF-Produktion auf 700.000 Tonnen im Jahr steigern, was einem Drittel ihres jetzigen Kerosinverkaufs entspricht. Die Schwierigkeit bei dieser Art von SAF ist, dass die Rechnung im wahrsten Sinne des Wortes ohne den Wirt gemacht wird. Denn für die Betankung der europäischen Flugzeugflotten bräuchte es riesige Mengen an Altspeiseöl und Frittierfett (siehe Rechenbeispiel im Interview).
DIE FURCHE · 26 27. Juni 2024 Das Thema der Woche Das Blaue vom Himmel 3 Nicht von Essensgewohnheiten abhängig, dafür aber mit einer großen Menge an erneuerbaren Energien verbunden sind E-Fuels. Diese Flüssigtreibstoffe werden mithilfe von elektrischem Strom in mehreren Schritten aus Wasser und Kohlendioxid erzeugt. Das Mengenpotenzial von E- Fuels wird langfristig als ausreichend beurteilt. Darüber hinaus wird derzeit Wasserstoff als alternative Treibstoffoption erforscht. Der Flugzeughersteller Airbus plant, in zehn Jahren wasserstoffbetriebene Mittelstreckenflugzeuge entwickelt zu haben und damit bis 2035 den Linienbetrieb aufnehmen zu können. Triebwerke mit batterie betriebenen Elektromotoren sind noch im Entwicklungsstadium und kommen derzeit über eine geringe Nutzlast und sehr begrenzte Reichweite nicht hinaus. „ Der Bedarf an glaubwürdigen Gütesiegeln für grünen Flugverkehr ist groß. Regelmäßig überführen Konsumentenschutz- und Umweltorganisationen Airlines des Greenwashings. “ Mehr und schnelleres klimarelevantes Verbesserungspotenzial verspricht die aerodynamische Verbesserung von Flugzeugen, durch besonders glatte Oberflächen oder gebogene Flügelspitzen (Winglets), die den Kraftstoffverbrauch senken und die Reichweite erhöhen. Mit der Optimierung von Flugrouten und Flughöhen, teilweise mit KI- Einsatz, soll ebenfalls der Treibstoffverbrauch gesenkt und klimaschädliche Kondensstreifen (siehe Kasten) verhindert werden. Im März einigten sich Europäisches Parlament und Rat auf eine Reform des einheitlichen Flugraums (Single European Sky). Nach wie vor verhindern einzelstaatliche Alleingänge ein effizientes Luftraummanagement und die Vermeidung von Umwegen. Berechnungen versprechen bei einem Single Sky im Vollausbau bis zu zehn Prozent weniger CO₂- Ausstoß des Flugverkehrs. Ein politischer Durchbruch in dieser Sache wäre einen Applaus nicht nur in den Ferienmonaten wert. Und würde auch Reinhard Meys grenzenloser Freiheit über den Wolken entsprechen. Doch eine Strophe hat in diesem Fall keine Berechtigung mehr: Alle Klimaängste, alle Klimasorgen bleiben nicht mehr darunter verborgen. NEUE ROUTEN, ANDERE TREIBSTOFFE Foto: iStock / Nicolas Jooris-Ancion (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Michael Schwendinger, Experte für öffentlichen Verkehr, Sharing, Ökonomie und Ressourcen beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ), zu billigen Fliegern, teuren Nachtzügen und Schnitzeln im Tank. DIE FURCHE: Herr Schwendinger, die EU hat ein Maßnahmenpaket geschnürt, um die negativen Klimafolgen des Flugverkehrs zu verringern. Wie bewerten Sie diese Klimaschutzbemühungen? Michael Schwendinger: Der Flugverkehr ist das mit Abstand energieintensivste Fortbewegungsmittel, außerdem steigt die Nachfrage nach Flugreisen extrem. Politik und Weniger Kondensstreifen, mehr Klimaschutz „Fliegen muss teurer werden“ Bei der Verbren nung von Kerosin entsteht Wasserdampf, der in großen Höhen gefriert und zusammen mit Rußpartikeln, Schwefel- und Stickoxiden zu Kondensstreifen und Zirruswolken führt. In kleineren Mengen werden auch Methan und Lachgas mit der zig- und hundertfachen Klimawirkung von CO₂ freigesetzt. Sicher ist, dass diese Nicht-CO₂-Effekte eine viel negativere Rolle für die Klimabilanz von Flugzeugen spielen als der CO₂-Freistoß. Die exakten Auswirkungen sind wissenschaftlich noch nicht geklärt. Die Klimawirkung von Kondensstreifen variiert zudem je nach zurückge legter Strecke, der Reiseflughöhe sowie dem Flugzeugtyp. Mit optimierten Routenführungen lassen sich Kondensstreifen verringern oder vermeiden. Auch die Treibstoffzusammensetzung, vor allem die Menge an Rußpartikeln als „Kondensationskeime für Eiskristalle in Kondensstreifen“, zeigt große Wirkung. Noch scheitert die massive Reduzierung des Anteils von Aromaten im Kerosin aber aus Kostengründen und weil diese die Flugzeugtriebwerke schmieren. (Wolfgang Machreich) Warum technologische Neuerungen nicht reichen – und Luftfahrtprivilegien endlich enden müssen: ein Experteninterview. Wirtschaft müssen hier – sowohl auf europäischer als auch globaler Ebene – aktiv werden und die Klimaverträglichkeit verbessern. Auch technologische Entwicklungen spielen eine Rolle, aber hier haben wir ein zeitliches Problem. DIE FURCHE: Läuft uns die Zeit davon? Schwendinger: Alle angekündigten Innovationen sind mit großen Fragezeichen versehen und könnten vielleicht – Achtung Konjunktiv! – erst ab Mitte der 2040er Jahre in einem „ Da ist die Politik gefordert, denn ich sehe nicht ein, dass man gesellschaftspolitisch relevante Zielsetzungen auf den Schultern von Privatpersonen ablädt. “ relevanten Maßstab einsetzbar sein. Um das EU- Ziel der Klimaneutralität 2050 nur annähernd zu erreichen, ist das zu spät. Deshalb müssen wir im Flugverkehr vor allem bei der Nachfrage und beim Treibstoff ansetzen. DIE FURCHE: Welche Treibstoffalternative hat für Sie das größte Potenzial? Schwendinger: E-Kerosin, auch E-Fuels genannt, ist sicher die absehbar wichtigste technologische Möglichkeit, um in Richtung Klimaneutralität zu kommen. E- Ke rosin wird durch Elektrolyse von Wasser zu Wasserstoff und die an schließende Umwandlung von Wasserstoff, ergänzt um CO₂ aus Industrieprozessen oder der Umgebungsluft, in synthetische Kraftstoffe her gestellt. Das kostet viel Energie, ist aber bilanziell CO₂-neutral; im Unterschied zu begrenzt verfügbaren Biokraftstoffen oder Altspeiseöl ist E-Kero Foto: Wolfgang Machreich VCÖ-Verkehrsexperte Michael Schwendinger: „Ein Weiter-wiebisher geht sich im Flugverkehr nicht aus.“ sin – theoretisch – in ausreichenden Mengen herstellbar. Die TU Graz hat einmal ausgerechnet, wie viele Schnitzel gebraten werden müssen, um ausreichend Altspeiseöl zur Gewinnung von nachhaltigem Flugkraftstoff (SAF) für einen Linienflug von Wien nach New York und retour zu haben. DIE FURCHE: Und, wie viel Schnitzel „frisst“ ein Transatlantikflug? Schwendinger: Über eine Million! Die rund 330 Passagiere dieses Linienflugs müssten also acht Jahre lang jeden Tag ein Schnitzel essen, damit ihre Maschine ausreichend Altspeiseöl als Kerosinersatz tanken kann. Daran sieht man: Diese SAFs werden in kleinerem Maßstab hilfreich, aber nicht die große Lösung sein. Gleichzeitig braucht aber die Herstellung der notwendigen Mengen von E-Kerosin einen massiven Ausbau der erneuerba ren Energien. Die Nachfrage nach synthetischen Kraftstoffen wird aber auch seitens anderer Verkehrsbereiche – etwa der Schifffahrt – und der Industrie massiv steigen. Es ist jetzt schon absehbar, dass wir hier auf eine starke Nutzungskonkurrenz zusteuern. Mit den prognostizierten Wachstumsraten im Flugverkehr wird sich ein Weiter-wie-bisher schlicht und ergreifend nicht ausgehen. DIE FURCHE: Was geht sich aus? Schwendinger: Keine technologische Lösung wird das Problem allein lösen. Es kommt nämlich noch ein anderes Problem hinzu: Zwei Drittel der klimaschädlichen Wirkungen des Flugverkehrs basieren auf Nicht- CO₂-Effekten wie Kondensstreifen (siehe Kasten). Es braucht daher ein Maßnahmenbündel, das auch auf der Nachfrageseite ansetzt. Die Coronazeit hat bewiesen, dass sich Geschäftsflüge sehr gut durch Videokonferenzen ersetzen lassen. Gleiches gilt für das private Freizeit- und Urlaubsverhalten. Ein Shoppingtrip übers Wochenende nach New York kann aufgrund des benötigten Energiebedarfs nie nachhaltig sein. DIE FURCHE: Das ist ein Extrembeispiel: Für die große Mehrheit geht es eher um ein oder zwei Urlaubsflüge im Jahr. Schwendinger: Vielen ist noch nicht bewusst, wie sehr ein, zwei Flüge im Jahr die individuelle Klimabilanz verschlechtern, auch wenn man sonst sehr viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist und klimafreundlich lebt. Insofern sollte immer die Überlegung im Vordergrund stehen, ob dieser oder jener Flug wirklich notwendig ist und ob es nicht andere Alternativen gibt. DIE FURCHE: Als Antwort kommt sehr oft raus, dass ein Flug nicht nur schneller, sondern auch billiger als etwa der Nachtzug ist. Schwendinger: Darum braucht es regulatorische Rahmenbedingungen, zu denen auch finanzielle Anreize gehören. Es darf nicht sein, dass ein Flug nach Rom viel billiger als die Zugfahrt ist. Da ist die Politik gefordert, denn ich sehe nicht ein, dass man gesellschaftspolitisch relevante Zielsetzungen auf den Schultern von Privatpersonen ablädt und sagt, es gäbe kein Problem, wenn die sich anders verhalten würden. Die Menschen verhalten sich so, wie die Rahmenbedingungen sind. DIE FURCHE: Welche Rahmenbedingungen braucht es also? Schwendinger: Im Rahmen des EU-Nachhaltigkeitsziels muss Fliegen entsprechend der hohen, dadurch verursachten Klimakosten teurer werden. Fliegen ist auch deswegen so billig, weil die Airlines nach wie vor weder Mineralölsteuer noch Mehrwertsteuer auf Flugtickets zahlen. In Zeiten der Klimakrise sind diese aus der Nachkriegszeit stammenden Steuerprivilegien, die laut EU-Studie 70 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen, nicht mehr zu argumentieren. Mit mehr Kostenwahrheit für den Flugverkehr wird weniger klimaschädliche Mobilität automatisch an Attraktivität gewinnen.
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