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Die Furche 27.06.2024

DIE FURCHE · 26 22 27.

DIE FURCHE · 26 22 27. Juni 2024 Der Historiker Andreas Brunner holt seit Jahren das Wirken homosexueller Menschen in Wien vor den Vorhang. Auch sein eigenes Leben ist ein Stück Stadtgeschichte. „Die Diskriminierung hat uns angestachelt“ Illustration: Rainer Messerklinger Von Manuela Tomic MOZAIK Shakespeares Milch Am Tag meiner mündlichen Matura stakste ich im schwarzen Abendkleid auf Stöckeln über die Flure des Klagenfurter BORG. Mit anschwellenden Lymphknoten und reifen Stresspusteln ratterte ich reizlose Referate runter. Von einer Plakatwand starrte mich eine Frau mit breitem Kinn und gesenkten Augenlidern prüfend an. Nervös hielt ich der Frau mit Helmfrisur Vorträge über Berlusconis Medienapparat, Macbeths milk of human kindness und Milgrams Experiment mit dem Gift des Gehorsams. „Mit Auszeichnung bestanden“, las ich, die erste Gymnasiastin der Tomići, erleichtert im Maturazeugnis. Ein letztes Mal wandte ich mich zu dem Plakat mit der mysteriösen Frau. Über ihrem Gesicht stand „Tage der deutschsprachigen Literatur“. In meinem Kopf spottete Berlusconi über Bachmanns Wahrhaftigkeit, während Milgram über gefährlichen Gehorsam in der Literatur sinnierte. Nur Shakespeare blieb still. Er trank genüsslich ein Glas Milch und lächelte mit seinem Milchbart gütig in mein pustelrotes Stressgesicht. Von Manuela Tomic Im März 1983 berichtet ein Ö1-„Journal“ über die ersten Aids-Toten in Österreich. Andreas Brunner ist damals 21 Jahre alt, als er die Meldung in den Semesterferien in seiner Heimat Amstetten im Radio hört. Vor einem Jahr erst hat er seiner Mutter gestanden, dass er Männer liebt. In den 1980er Jahren ist das keine Selbstverständlichkeit. Seine Mutter hat ihn gebeten, es nicht dem Vater zu erzählen. Brunner reist wieder nach Wien ab. Dort studiert er Theaterwissenschaften, lebt sich in der Schwulenszene aus. „Als die erste Meldung über Aids-Tote im Radio kam, habe ich das nicht richtig wahrgenommen“, erzählt Brunner, „doch recht bald ist es dann gesickert.“ Aids war damals ein Todesurteil. Viele von Brunners Freunden sind daran gestorben. Immer wieder sind Bekannte einfach verschwunden. Dann hat es geheißen, „der liegt in der Pulmo im Otto-Wagner-Spital“. Gemeint ist die Pulmologie, die Abteilung für Lungenerkrankungen, da Komplikationen in der Lunge bei Aids besonders häufig auftraten. Brunner ist verunsichert, zieht sich aus der Szene zurück. Doch dann wurde sein bester Freund HIV-positiv getestet. „Da wusste ich, ich musste mich dem Thema stellen.“ Die Aids-Welle, die über Österreich hereinbrach, löste in Brunner den Willen aus, sich zu engagieren. „Ich stand unter Schock, doch genau das hat mich zum Aktivismus gebracht“, erzählt er. „ Bei den Jungen merke ich ein sehr schnelles Beleidigtsein, wenn sie Gegenwind erfahren. Das hätten wir uns damals gar nicht leisten können. “ Stonewall und Minnelli Die „Rosa Lila Villa“ an der Linken Wienzeile in Wien ist damals nur wenige Jahre alt. Brunner beginnt, im Schwulen- und Lesbenhaus tätig zu werden. Mit seinen Kollegen und Kolleginnen organisiert er Infomaterial, Broschüren und klärt auf. „Manchen hat es schon geholfen, dass sie einfach jemanden zum Reden hatten, der sich nicht sofort vor ihnen fürchtet“, erinnert sich Brunner. Denn außerhalb der Schwulen- und Lesbenszene wollte ohnehin niemand etwas mit dem Thema Aids zu tun haben. Es sei aber auch spannend zu beobachten gewesen, dass sich viele Schwule mit dem Thema nicht auseinandersetzen wollten und meinten, das betreffe nur die anderen, sagt Brunner. Ein Abwehrmechanismus? Der Historiker bejaht. „Einmal wurde unser Info-Plakat zerstört. Ich glaube, es waren Menschen aus der Szene, die wütend waren, weil sie sich mit diesem Thema einfach nicht beschäftigen wollten.“ 1994 reist Brunner das erste Mal nach New York. In der US-Großstadt stehen die Feierlichkeiten anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums der Stonewall-Aufstände an. Die Stonewall- Unruhen waren eine Serie von gewalttätigen Konflikten zwischen LGBT-Personen und Polizeibeamten. Am 28. Juni 1969 führten Polizisten eine Razzia im Stonewall Inn durch, einer Bar mit homosexuellem und transidentem Publikum im berühmten Greenwich Village. Doch die Besucher der Bar ließen sich das nicht gefallen und wehrten sich. Tage später löste diese Razzia eine große Solidarität im Viertel aus. Das Ereignis wird von der LGBT-Bewegung weltweit als Wendepunkt in ihrem Kampf für Gleichbehandlung und Anerkennung angesehen. Brunner feiert im Central Park gemeinsam mit 750.000 Lesben, Schwulen und Transpersonen. Auf der Abschlusskundgebung treten Superstars wie Liza Minnelli und Cindy Lauper auf. „So etwas brauchen wir in Wien auch“, sagt Brunner damals zu seinen Freunden. Die Idee zur Wiener Regenbogenparade war ge boren. Zurück in Wien suchen sie Verbündete. Im Vorfeld habe es vonseiten der Stadt Wien schon Bedenken gegeben, sagt Brunner. Viele fragten sich: „Was wird das?“ Gleichzeitig hatte Michael Häupl gerade die Wiener Stadtregierung übernommen. „Ich glaube, er wollte nicht gleich als Verhinderer auftreten.“ Brunner reiste durch einen Kontakt nach Oberlaa zum Landesparteitag der SPÖ. „Dort habe ich dem Häupl die Hand geschüttelt“, erzählt er. Unterstützt wurde das Vorhaben aber vor allem von den Frauen in der Partei. Renate Brauner, damals Landesparteisekretärin der SPÖ, galt als „Schwulenmutti“, sagt Brunner. Auch die SPÖlerin und spätere Schriftstellerin Irmtraut Karlsson setzte sich für die Parade ein. Brunner erinnert sich an ihren „grandiosen Ausspruch“: „Die SPÖ ist ein großer schwerer Tanker, der Zeit zum Wenden braucht.“ 1996 fand die erste Regenbogenparade in Wien mit etwa 20.000 Besuchern statt. Was hat sich im Vergleich zu damals verändert? Zunächst einmal die Besucherzahl, antwortet Brunner. Dieses Jahr gab es rund 340.000 Besucher. Die junge Generation sei erfreulicherweise viel offener im Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung. Dennoch gebe es Unterschiede. „Bei den Jungen merke ich ein sehr schnelles Beleidigtsein, wenn sie Gegenwind erfahren“, sagt Brunner, „das hätten wir uns damals gar nicht leisten können.“ Diskriminierung sei früher auf der Tagesordnung gestanden. „Ich habe mich davon nicht aufhalten lassen. Die Diskriminierung hat uns angestachelt“, sagt der Historiker. Heute ist er Co-Leiter von QWIEN, dem Zentrum für queere Geschichte. Neben einer umfassenden Bibliothek ist die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung von Homosexuellen und Transpersonen ein zentrales Forschungsfeld. Neben einer Datenbank mit den Namen der Opfer gibt es auch Stadtund Bezirksrundgänge. Ein schwuler Freundeskreis „Historisch interessiere ich mich vor allem für die einfachen Leben von Menschen, die nicht so viel hinterlassen haben“, sagt Brunner. „Da gibt es eine Gruppe von jungen Männern, ein schwuler Freundeskreis in den 1930er Jahren“, erzählt er. Trotz Verfolgung und Bedrohung haben sie ihr Leben gelebt, sich in Nischen eingerichtet und Lokale besucht, die als Homosexuellentreffpunkte bekannt waren. In der Wohnung von Berthold Windisch, einem jener Männer des Freundeskreises, ergaben sich immer wieder Beziehungsnetzwerke, bis die Gestapo den Kreis auflöste, einen nach dem anderen festnahm, verurteilte und zum Teil ins KZ brachte. Gerne wüsste er heute, wie die jeweiligen Lebensgeschichten letztlich verlaufen sind. „Was ich an dem Kreis so faszinierend finde, ist, dass sie so eine lustige schwule Partie waren“, sagt Brunner, „trotz Verfolgung haben sie es tuschen lassen.“ Mit 80 Jahren hat Brunners Vater seinen Sohn zum ersten Mal im Fernsehen gesehen und so über seine Aktivitäten in Wien erfahren. „Er nahm meine Homosexualität total gelassen“, erzählt Brunner, „er winkte nur ab und sagte: ‚Das habe ich mir eh schon immer gedacht.‘“ FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Foto: Manuela Tomic Fokus auf NS-Verfolgte Andreas Brunner, hier vor der Traun- Figur des Donnerbrunnens am Neuen Markt im ersten Wiener Bezirk, ist Co-Direktor von QWIEN – dem Zentrum für queere Geschichte. Das Institut legt einen Schwer punkt auf Verfolgte in der Nazizeit.

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