25 · 20. Juni 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– viel rechtliche Bindung ein formal einstimmiger Landeshauptleutebeschluss haben kann, der faktisch nicht mehr besteht bzw. sich auf einen überholten Vorschlag bezieht. Zudem ist in der Verfassung von der Landeshauptleutekonferenz keine Rede. Hier zeigt sich die Fragilität in der Bund-Länder-Kooperation und der politischen Willensbil- Von Doris Helmberger dung einer Regierung – zumal unter einem Kanzler ohne Richtlinienkompetenz. ine Klimakatastrophe für Tatsächlich war diese Entscheidung nicht Der wichtigste Kitt zwischen Parteien Österreichs Regierung, aber nur im Interesse künftiger Generationen ist und bleibt also Vertrauen. Dieses wurde freilich nicht nur jetzt „aus Gewissens- mehr Klimaschutz für Europa“: So kommentierte das auch politisch alternativlos. Das entscheigründen“ durch Gewessler riskiert, son- richtig, sondern für die grüne Ministerin ZDF am Montagabend die dendste Gesetz der letzten Jahre zum Erhalt dern zuvor auch zuhauf von der ÖVP – von Turbulenzen rund um die Zustimmung von der Biodiversität verhindert zu haben, hätten selbst frustrationstolerante Grün-Wähschnigs in Brüssel über die Abkehr vom Ver- einem ähnlichen Alleingang Norbert Tot- Leonore Gewessler zur Renaturierungsverordnung der EU. Österreichs grüne Umwelt- lerinnen und -Wähler nicht verziehen. Auch brenner-Aus bis zur anhaltenden Desinformation über das Renaturierungsgesetz im und Klimaministerin war zum Zünglein an strategisch-taktisch kam Gewessler diese Profilierungsoption gelegen. Mit einem EU-Wahlkampf. Längst schielt man auf frei- der Waage geworden, das über Wohl oder Wehe des „Gesetzes über die Wiederherstellung der Natur“ entschied – des Herzstücks um Lena Schilling vergessen machen – ein als Anschlag auf ihre Freiheit empfinden – Schlag konnte sie die EU-Wahl-Farce rund heitliche Wähler, die Klimaschutzvorgaben des European Green Deal. idealer Booster für den Wahlkampf und den und Gewessler als Feindbild kultivieren. Es stand also viel auf dem Spiel am Montag. Nicht nur für die Ministerin selbst, auch tens der ÖVP. Das ist richtig – und wäre im anstehenden grünen Bundeskongress. Diese habe eine „Agenda“, heißt es auch sei- für die Glaubwürdigkeit Europas. Ist man Verlorenes Vertrauen Sinn des Brennens für die eigenen Visionen von jedem zu wünschen, der den Beruf bereit, das 2021 verbindlich vereinbarte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 um- die empörte ÖVP, die Gewessler nicht nur des Politikers, der Politikerin ergreift. Ob sie auch im Wortsinn Recht hat – oder zusetzen? Oder sollte der Green Deal, den Vertrauensbruch, sondern auch Rechts- sowie Verfassungsbruch vorwirft und Nich- und Grüne ihre weltanschaulich disparate Das „Beste aus beiden Welten“, wie ÖVP Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch 2019 vollmundig als Europas tigkeitsbeschwerde beim EuGH sowie eine Koalition nannten, ist jedenfalls Geschichte, auch wenn Kanzler Nehammer aus Tak- „Man on the Moon-Moment“ ausgegeben hatte, nicht mehr sein als rhetorisches Pathos brauchs in Aussicht stellt, ist eine andetik und Sorge vor dem teuren freien Spiel strafrechtliche Anzeige wegen Amtsmiss- für Schönwetterphasen? Gewessler sagte dazu nein – und ja zur Renaturierungs- ler auf juristisch dünnem Eis. Ob ihre vier bräuchliche Ministerin im Amt belässt. re Frage. Tatsächlich bewegt sich Gewess- der Kräfte die vermeintlich amtsmiss- Verordnung. „Ich kann es nicht mit meinem Privatgutachten gegen die Einschätzung Nun können sich alle ihrer Profilschärfung Gewissen vereinbaren, im entscheidenden des Verfassungsdienstes des Kanzleramtes bestehen, müssen die Gerichte klären. widmen – in getrennten Welten. Moment vor meiner Verantwortung wegzulaufen“, erklärte sie in Luxemburg. Umgekehrt ist jedoch zu hinterfragen, wie doris.helmberger@furche.at In ihrem neuen Brief an Hubert Gaisbauer macht sich Johanna Hirzberger Sorgen um die Zukunft Europas und erzählt von ihrem sehnlichsten Kindheitswunsch. Seite 10 Otto Friedrich über das Dokument „Der Bischof von Rom“, in dem 30 Jahre nach Ut unum sint die Forderung aufgegriffen wurde, über das Papstamt nachzudenken. Seite 11 Roma und Sinti galten selbst 1948 noch immer nicht als Menschen. Hohn begleitete eine Reihe von NS-Strafprozessen nach dem Krieg, so Hellmut Butterweck. Seite 15 Die entdeckungsfreudige Ausstellung „Villa Karbach“ zeigt im Rahmen der „Europä ischen Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut“ zeitgenössische Kunst. Seite 16 Der Drang nach Zugehörigkeit prägt die krisengeschüttelte Gegenwart. Was wäre ein gesunder Umgang mit Identität? Ein essayistischer Rundgang. Seiten 18–19 @diefurche @diefurche @diefurche Die Furche Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0 DIE FURCHE · 25 Religion nicht einseitig als Bedrohung, sondern als Ressource wahrgenommen werde. Die Leiterin des Schulamts der Erzdiözese Wien, Andrea Pinz, argumentiert gegenüber der FURCHE, dass der Vorschlag Wiederkehrs an sich demokratiefeindlich sei: „Die Demokratie lebt grundsätzlich vom Diskurs unterschiedlicher Haltungen und ideologischer Zugänge und der Aushandlung gemeinsamer Grundlagen des Gemeinwesens.“ Dazu gehöre auch jene Entscheidung, einen konfessionellen Religionsunterricht zu besuchen oder Neos-Politiker Von Till Schönwälder Christoph Wiederkehr sorgte mit falsche Weg, den Religionsunter- eben nicht. Deswegen sei es der in Freund von mir seiner Forderung richt aus dem öffentlichen Raum hat in der Pause nach Abschaffung zu verdrängen. auf dem Schulflur des konfessionellen Die Herausforderungen sind allerdings offenkundig. Wie soll et- gebetet und wurde Religionsunterrichts suspendiert, was für Aufregung. wa eine Direktion reagieren, wenn soll er machen?“, lautet eine Frage auf TikTok. Die Antwort des Is- Schüler oder Lehrpersonen ei- muslimische Schülerinnen und lamlehrers fällt simpel aus: „Natürlich dagegen vorgehen, mein zur Verrichtung des Gebets fornen eigenen, absperrbaren Raum Lieber, solange ihr nicht in den Unterrichtsstunden betet, haben die tung verpflichtet, einen Raum zur dern? Faktisch ist keine Schullei- nichts zu melden!“ „Darf ich beten, hat man ein Recht darauf oder deren Seite kann die Ablehnung Verfügung zu stellen. Auf der an- nicht?“, fragt ein junger Mann in eines solchen Anliegens unweigerlich zu Unruhe und Konflikten einem anderen Video einen Polizisten in einem Wiener Einkaufszentrum. Der Beamte scheint mit welches Gebete an der Schule un- führen. Ein allgemeines Verbot, der Frage überfordert, die Schüler sollten ihr Anliegen am besten Islamische Glaubensgemeinschaft tersagt, gibt es hingegen nicht. Die mit der Direktion besprechen. führt als Best practice-Beispiele etwa „Räume der Stille“ an, in denen Videos wie diese gibt es zuhauf. Viele muslimische Jugendliche klagen in den sozialen Netzen onsunabhängig die Möglichkeit ha- Schülerinnen und Schüler religi- Lesen Sie zu über vermeintliche Diskriminierung. Religion wird solcherart in auch Doris te der Neos-Politiker. Der konfes- christliche Kinder (katholische, Ende September. Der mediale so wird die Benutzung von leeren Glaube ist die Demokratie“, meinler sind muslimischen Glaubens, im Vorfeld der Nationalratswahl ben, zur Ruhe zu kommen. Eben- diesem Thema verschärfter Form zum Politikum Helmbergers sionelle Religionsunterricht solle orthodoxe und evangelische) rangieren mit 36 Prozent nur noch Kritik an dem Vorstoß kam des Gebets ins Feld geführt. Wirbel war erwartbar groß. Klassenzimmern zur Verrichtung in den Klassenzimmern. Womöglich hatte auch Wiens Vizebürgergebet im Freifach angeboten werden. knapp davor, der Rest teilt sich auf postwendend. Allen voran die Re- Text „Pflicht- stattdessen künftig nur noch als meister Christoph Wiederkehr Putzkammerl“ kleinere Religionsgemeinschaften auf. Immer größer wird hingeten mit Ablehnung: Ümit Vural, Doch gibt es Unterstützung für ligionsgemeinschaften reagier- Druck auf Schulleitungen (15.2.2018) auf Fälle wie diese vor Augen, als er 35 Prozent Muslime furche.at. in der vergangenen Woche mit der Wohl nicht zufällig hatte der gen auch der Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne religiöses bensgemeinschaft, wies eine Fragen konfrontiert werden? Ei- Präsident der Islamischen Glau- Schulleitungen, die mit solchen Forderung aufhorchen ließ, statt Bildungsstadtrat seinen Vorschlag im Rahmen der Präsenta- Bekenntnis: Aktuell macht er in Verknüpfung zwischen der steine Nachfrage der FURCHE bei der des konfessionellen Religionsunterrichts künftig ein Pflichtfach tion von Zahlen zum Religionsunterricht in der Bundeshauptstadt Einzuordnen ist der Vorschlag Schülerinnen und Schüler und de in dieser Hinsicht eher vage Wien bereits 26 Prozent aus. genden Anzahl muslimischer Wiener Bildungsdirektion wur- mit dem Titel „Leben in einer Demokratie“ ab der Volksschule einzuführen. „Unser gemeinsamer ner Volksschülerinnen und -schü- dem Aspekt der Profilschärfung bildung als „bedenklich“ zurück. wie auch in Bundesschulen gibt ventiliert. 35 Prozent der Wie- Wiederkehrs deshalb auch unter der Forderung nach Demokratie- beantwortet. „In Pflichtschulen „Wer Religion aus dem Schulunterricht grundsätzlich verbannen gutes Zusammenleben aller an es keine Gebetsräume. Uns ist ein möchte, unterbindet nicht ihre bisweilen destruktiven Kräfte, son- wichtig, und wir arbeiten dazu Schule beteiligten Personen sehr dern drängt sie ins subkulturelle auch mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften zusam- Von Hildegund Keul Milieu und in geschlossene Gruppierungen ab, die ein Nährboden des freiwilligen Religionsuntermen“, hielt die Bildungsdirektion in einer Stellungnahme fest. Nachfragen bei schulischen Qualitätsmanagern hätten ergeben, dass aktuell keine Anfragen oder Denn leider ist er weit verbreitet. Wünsche der Unterstützung vorliegen würden. In Deutschland haben vor zwei Wochen etwa zwölf Prozent der Katholikinnen und Katholiken und 14 die grundsätzliche Frage, warum Bei der Debatte zu kurz kommt standfester, lebensfroher, weltoffener Islam, der gern im Prozent der Protestanten die AfD gewählt. Eine rechtsextreme Partei mit offen rassistischen Positionen. In Ba- Religionsunterricht automatisch der Entfall von konfessionellem Austausch mit anderen Religionen und Weltanschauungen lebt. Er kann Verdrehtes geraderücken, das Vulneranzpotenzial des Fundamentalismus adressieren und den vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sie Politiker le führen sollte. Dass dem nicht so den-Württemberg werden zwei freikirchliche Gemein- zu weniger Konflikten in der Schu- hoffentlich viele Menschen vom Irrweg gar zu leichter verächtlich machen, extremistische Verschwörungsideologien verbreiten und den demokratischen Staat de- In Berlin wird etwa ein Sonderweg ist, zeigen internationale Beispiele. Antworten auf komplexe Problemlagen abbringen. Aber was ist mit dem Christentum? Diese Frage stellte mir kürzlich die religionswissenschaftliche Kollegin begründet. In den USA hätte Donald Trump keine Chan- für Fundamentalismen aller Art richts seit Jahrzehnten bestritten, legitimieren. Rechtsextremismus wird häufig religiös Nina Käsehage; denn in der Theologie wird meist von fundamentalistischem Christentum geredet. Der Einwand ist tianismus unterstützt würde. Dem Rechtsruck in Europa schottung und Polarisierung eher in der deutschen Bundeshauptce aufs Präsidentenamt, wenn er nicht massiv vom Chris- sind und Tendenzen der Selbstab- Ethik ist hingegen ein Pflichtfach berechtigt. Wenn „Islamismus“ ein stehender Ausdruck ist, entgegenzuwirken, ist praktizierte Nächstenliebe. Dazu noch bestärken“, zeigte sich der stadt. Weniger religiöse Konflikte gibt es deswegen nicht, im Ge- dann sollte „Christianismus“ das ebenfalls sein. Tatsächlich gibt es dieses Wort bereits. Dass ich es bislang kaum Körtner in einem Gastkommentar genteil. Eine Studie aus dem Jahr gehört auch, auf meine eigene Wortwahl zu achten. reformierte Theologe Ulrich H. J. benutze, wundert mich jetzt selbst. Ich sollte „Christianis- Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin in der Presse überzeugt. Es komme für die Zukunft Österreichs ge Muslime an immer mehr Ber- 2022 belegte, dass strenggläubi- mus“ bewusst in meinen aktiven Wortschatz aufnehmen. an der Universität Würzburg. wie ganz Europas darauf an, dass liner Schulen Mitschüler unter DIE FURCHE · 26 14 Diskurs 27. Juni 2024 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Eitelkeiten und Starrsinn In getrennten Welten Von Doris Helmberger Nr. 25, Seite 1 Das Kesseltreiben, das momentan gegen Leonore Gewessler durchgeführt wird, zwingt mich fast, dieser erfolgreichen Politikerin weiterhin Mut zuzusprechen. Diese Kampagne ist dadurch besonders durchschaubar, weil es in keinem der vielen bösen Kommentare um die Sache selbst geht, sondern immer nur um legistische Spitzfindigkeiten, parteipolitisches Taktieren, anscheinend gekränkte Eitelkeiten und ideologischen Starrsinn. Es tut mir besonders leid, dass selbst von mir hochgeschätzte Journalistinnen und Journalisten in den Chor der Gewessler-Basher einstimmen, denen das Schauspiel offenbar spannender erscheint als der von der Ministerin angestrebte Stopp der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Nur wenige Zeitungen, etwa DIE FURCHE und manche diözesane Kirchenzeitungen, sind sich ihrer hohen ethischen Verantwortung bewusst. Muss denn ein nächstes Unwetter die Lichtenfelsgasse 7 in Wien wirklich bis zum ersten Stock überfluten, damit diese Herrschaften einmal innehalten in ihrer Zerstörungswut gegenüber politischen Mitbewerbern, Maritimer Terror im Roten Meer Eine Schulung für das Sterben Straßburg: Hochburg des Buches Die Huthis im Jemen versenken nicht nur Frachter, Für den assistierten Suizid bräuchten Ärztinnen, Jedes Jahr kürt die UNESCO eine „Welthauptstadt sondern dürften auch Seekabel sabotieren. Über die Ärzte und Pflegekräfte klare Vorgaben und des Buches“. Nun darf ein besonders kulturträchtiger „Arterien der Weltwirtschaft“. · Seite 5 Trainings. Eine Recherche. · Seiten 8–9 Ort diesen Titel tragen. · Seite 13 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Der Eklat rund um Leonore Gewesslers Ja zur EU-Renaturierung ist ein Lehrstück über Recht, Verantwortung und Taktik in der Politik. „Das Beste zweier Welten“ ist jedenfalls Geschichte. In getrennten Welten „E Ein hitziger Wahlkampfsommer steht bevor. Zwist und Zank drohen auch in der Familie und unter Freunden. Wie ein Diskurs ohne Hass gelingt. Lasst uns streiten! „ Die Klimaministerin konnte nicht anders entscheiden. Ob sie es rechtlich durfte, werden Gerichte klären. “ Bild: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von iStock/Ljupco) Foto: APA/dpa/Frank Rumpenhorst „Der Irrenarzt mit dem Mikroskop“ Der Mediziner Alois Alzheimer entdeckte 1906 die „Krankheit des Vergessens“. Ein Porträt zu seinem 160. Geburtstag. · Seite 20 Schule ohne Gott? Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr sorgt mit seinem Vorschlag, den verpflichtenden Religionsunterricht abzuschaffen, für Aufregung. Eine Einordnung – und ein Gespräch mit der Religionssoziologin Astrid Mattes-Zippenfenig über Konflikte im Klassenzimmer. Seiten 6–7 AUS DEM INHALT Gedanken über den Frieden Kirche bewegt sich – ein bisschen Hotspot der falschen Milde Neuer Skurrealismus am Traunsee Die Seifenblasen des Über-Selbst furche.at selbst wenn sie ein und derselben Koalition angehören? Müssen Landwirte Jahr für Jahr Einbußen in ihren Einkommen haben, weil Hagel, Vermurungen und Überflutungen ihre Primärressourcen zerstören. Wann wachen wir endlich auf? Ich danke Frau Ministerin Gewessler im Namen meiner Kinder (4) und Enkelkinder (6) für ihr mutiges Auftreten zugunsten des Umweltschutzes. Das ist und bleibt ihre zentrale Aufgabe. Mag. Heinz Buder, Micheldorf/OÖ Politische Privatgutachten? wie oben Sie schreiben von einer „Renaturierungsverordnung“ und von einem „entscheidenden Gesetz“. Also was jetzt? Ich habe, trotz Bemühungen, bis jetzt auch nicht verstanden, was das ist und was da drinnen steht. Das ist auch in Ihrem Leitartikel nicht zu erkennen. Zur „Desinformation“ über das Renaturierungsgesetz gebe ich Ihnen recht. Aber zählt nicht Information zu den nobelsten Aufgaben der Medien? Schuldig geblieben sind Sie, wo die ÖVP zuvor zuhauf – ein lustiges Wortpärchen – ähnliche Alleingänge geliefert hat. Die Grünen haben jedenfalls einen Bonus, auch bei Ihnen. Obwohl Sie bei Frau Gewessler viel Wahltaktik erkennen, kann man viel Verständnis für die Grünen spüren. Wie wird das weitergehen, wenn jeder Politiker vier Privatgutachten in Auftrag gibt, nur um sich gegen den Koalitionspartner durchzusetzen? Wurde hinterfragt, was in den Gutachten steht und was sie kosten? Sollte die Regierung nicht den eigenen Verfassungsdienst zur Klärung von rechtlichen Fragen heranziehen? Johann Fichtenbauer, via Mail Verheerende Kosten wie oben Ob Gewesslers Entscheidung klug war, ohne Einigung der Länder für das Renaturierungsgesetz zu stimmen, wird sich noch zeigen. Jedenfalls muss man die Argumentationsweise der Gegner als verantwortungslos bezeichnen. Mit falschen Annahmen, bewussten Irreführungen und Panikmache lässt sich nicht konstruktiv über derart große Krisen verhandeln. Das Renaturierungsgesetz verpflichtet die Nationen zu einem Ziel, aber wie sie das erreichen wollen, kann innerhalb der Länder von den betroffenen Interessensvertretungen selbst ausgehandelt werden. In diesem Zusammenhang soll schon erwähnt werden: Da Österreich in einigen Bereichen bereits Zukunftsweisendes geleistet hat, werden im Vergleich zu anderen Ländern weniger Anstrengungen nötig sein. Was die Sache so brisant macht: Wenn wir ohne EU-Gesetz geblieben wären, würde sich der Prozess noch weiter verzögern. Je später Gegenmaßnahmen konkretisiert werden, desto enger wird der Spielraum werden und desto verheerender die Kosten. Noch verlassen wir uns bei Katastrophen auf die Geldtöpfe der EU und des Nationalstaates; aber was, wenn diese noch weiter geschwächt werden? OSR. Josef Kramer Unterweißenbach 6 Religion/Bildung 20. Juni 2024 Sollte der konfessionelle Religionsunterricht durch ein Pflichtfach „Demokratiebildung“ ersetzt werden, um Konflikten in der Schule vorzubeugen? Eine Einordnung. „E GLAUBENSFRAGE Christianismus Provokanter Vorschlag blicherweise unterscheide ich zwischen Islam und Islamismus. Islamismus ist die fundamen- Verdrehung dessen, worauf es im Is- Ütalistische lam ankommt. Das beste Mittel gegen Islamismus ist ein Bildung ohne Religion? Foto: FOTO: APA / Eva Manhart „ Auf TikTok beklagen sich Jugendliche über vermeintliche Diskrimierung wegen ihrer Religion. “ Gefährlicher Schritt Bildung ohne Religion? Von Till Schönwälder Nr. 25, Seite 6 Im Zusammenhang mit den vom Neos-Politiker Christoph Wiederkehr wieder einmal aufs Tapet gebrachten Themenbereichen „Bildung ohne Religion“ und „Konfessioneller Religionsunterricht“ möchte ich an ein Diktum des Bonner Religionspädagogen Michael Meyer-Blanck erinnern: „Bildung ohne Religion ist unvollständig. Religion ohne Bildung ist gefährlich.“ Mag. Dietmar Krausneker 8262 Ilz Tiefreichende Sicht Die Seifenblasen des Über-Selbst Von Martin Tauss. Nr. 25, S. 18–19 Welch tiefreichende Sichtweise über den Hunger der Sich-zu-kurz-gekommen-Fühlenden, also Beschämten, Gedemütigten, Perspektivlosen; über die Primär-nicht-Gesättigten, die nachessen wollen am rechtspopulistischen Buffet, wo Größe, toxisch aufgeladene Identität und Religion von ebenso Unglückseligen kredenzt werden. Ein glückverheißendes Buffet für Benachteiligte, Putinöse und narzisstische Überflieger im Kontinuum ihres Leidens. Wenn ich das beobachte, kommt Ohnmacht auf, dann ist mir nach Hauen und Stechen, nach moralischer Überhöhung. Aber: „Es gibt keinen Grund, sich zu überhöhen“, schreibt der Autor. Wie wahr und entwaffnend. Die Seifenblasen des Über-Selbst sind menschlich und nachvollziehbar, wenn man die Polarität im Menschen als stärkste Wirkmacht anerkennt. Trotzdem: Dagegen zu kämpfen bis auf des Argumentes Schneide, sind wir schon allein der Würde schuldig. Meiner manchmal aufkommenden Verzweiflung über die aktuelle Entwicklung in der Welt ist nur mit Spiritualität beizukommen. Ich brauche etwas, das in meinem Leben auch dann trägt, wenn die Menschheit als Ganze scheitert (nach Thomas Metzinger). Gottfried Kühbauer Lebens- und Beziehungsberater, Wien Klar und nachvollziehbar Der wütende Osten Von Brigitte Quint. Nr. 24, Seite 1 Ich möchte mich bei Brigitte Quint sehr herzlich für diesen Leitartikel bedanken. Noch niemand hat mir das Phänomen „Ossis“ so klar und nachvollziehbar erklärt. Elisabeth Jesenberger, via Mail Erratum Das Bild zum Artikel „Hochburg des Buches“ von Ingeborg Waldinger (Nr. 25, Seite 13) zeigt nicht das – tatsächlich eintürmige und im Stadtzentrum befindliche – Straßburger Münster, sondern die neugotische protestantische Paulskirche in Straßburg. Wir bedauern die Verwirrung. (red.) Von 26. Juni bis 7. Juli können Spielteilnehmer:innen jeweils zwei Tickets für eines der diesjährigen Highlights gewinnen. Mit dem Lotterien Tag zum Kabarettfestival Alljährlich sorgt es für viel gute Laune in Österreichs Kultursommer: das Wiener Kabarettfestival, das Ende Juli wieder Einzug im Arkadenhof des Rathauses hält. Die Österreichischen Lotterien stellen für jeden der sechs Termine zwischen dem 22. und dem 27. Juli jeweils zwei Gratistickets zur Verfügung, die auf www.lotterientag.at verlost werden. Anmeldeschluss ist der 7. Juli, die Gewinnverständigung erfolgt im Anschluss daran. Das Programm wartet auch heuer mit verschiedenen Generationen heimischer Kabarettgrößen auf, darunter Gery Seidl, Nadja Maleh, Gerald Fleischhacker, Andreas Vitasek, Eva Maria Marold und Thorsteinn Einarsson. Als Vorprogramm treten jeden Abend jene Nachwuchskünstler:innen auf, die sich ihren Startplatz im Rahmen der von den Österreichischen Lotterien unterstützten Kabarett Talente Show erspielt haben. GLAUBENSFRAGE Der andere Urlaub Von Mouhanad Khorchide In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie bezahlte Beilagen der RSD Reise Service Deutschland GmbH. Die inhaltliche Verantwortung liegt nicht bei der FURCHE. Kabarettfestival 2024 Foto: Maria Altmann An Schulen und Universitäten beginnen die Sommerferien – und viele freuen sich auf erholsame Tage. Ein Bekannter von mir erzählte mir aber vor Kurzem durchaus frustriert, dass sein Chef die Mitarbeiter angehalten habe, sich im Sommer ausreichend Zeit zu nehmen, um Urlaub zu machen. Ich erwiderte: „Und was frustriert dich daran? Es ist doch nett, wenn der Chef euch einen erholsamen Sommerurlaub wünscht.“ Er antwortete: „Mich ärgert, wie der Chef dies begründet hat: ‚Ich will, dass ihr erholter aus dem Urlaub zurückkommt, um noch effizienter arbeiten zu können.‘ Ihm geht es also nicht um uns als Menschen, sondern als Erbringer von Leistung. Die Erholung soll uns noch leistungsfähiger machen. Ich kam mir vor wie ein Gerät, das man hin und wieder zur Wartung in die Werkstatt schickt.“ Ich muss gestehen, dass ich den Urlaub nie aus dieser Perspektive wahrgenommen habe. Aber ich kann die Irritation meines Bekannten sehr gut nachvollziehen. Das Leben vieler von uns dreht sich, solange wir im Arbeitsleben stehen, um den Beruf. Er gibt uns eine klare Perspektive, auf die alles Weitere in unserem Leben ausgerichtet zu sein scheint. Nicht wenige vernachlässigen deshalb andere Aspekte des Lebens – Familie, Freunde, Hobbys, Sport, Ehrenamt und vieles mehr. Kann, ja soll man den Urlaub nicht für sich wahrnehmen als Auszeit vom Beruf, um sich genau diesen vernachlässigten Dingen im Leben zu widmen und um sich Gedanken darüber zu machen, wie man sie während des Jahres in den Arbeitsalltag einbauen kann? Gerade die drei monotheistischen Religionen sehen im Menschen einen Selbstzweck: Er ist von Gott gewollt – nicht lediglich, um zu funktionieren, sondern um eine würdevolle Existenz als Individuum und zugleich als Teil einer Gemeinschaft zu gestalten. Er trägt daher eine große Verantwortung, nicht zuletzt sich selbst gegenüber. Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. RELIGION IN KÜRZE ■ Wehrpflicht gilt auch für ultraorthodoxe Juden Auch ultraorthodoxe Männer müssen zum Wehrdienst in der israelischen Armee verpflichtet werden. Dies entschied Israels höchstes Gericht am 25. Juni einstimmig. Das Urteil gilt als Rückschlag für die rechtsreligiöse Regierung von Ministerpräsident Netanjahu. Jahrzehntelang galten Ausnahmen für ultraorthodoxe Männer bei der Wehrpflicht in Israel. Betroffen sind laut Gericht 63.000 Männer. RELIGION ■ Georg Gänswein wird Papst-Botschafter im Baltikum Erzbischof Georg Gänswein (67), langjähriger Privatsekretär von Kardinal Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI., wird Apostolischer Nuntius für Litauen, Lettland und Estland. Mit der Ernennung zum päpstlichen Gesandten endet für Gänswein eine ungewöhnliche Auszeit. Ein Jahr lang war der bekannte Kirchenmann und Buchautor zum Nichtstun - freilich bei vollen Bezügen - abgestellt.
DIE FURCHE · 26 27. Juni 2024 Kultur 15 Von Bruno Jaschke Es mutet ein bisschen an wie Eulen nach Athen tragen. „Endlich Wienerlieder“ nennt Nino Mandl, bekannt als Der Nino aus Wien und als Autor und Interpret impressiver Klassiker wie „Du Oasch“, sein neues Album. Ein etwaiger „Nona-Effekt“ ist der Tatsache geschuldet, dass Mandl, der sich entgegen seiner landläufigen, verengten Darstellung als „Dialektsänger“ zwar häufig, aber keineswegs ausschließlich der Wiener Mundart als Gesangssprache bedient hat, seit langem schon mit dem Wienerlied in Verbindung gebracht worden ist. Nüchtern betrachtet ist „Endlich Wienerlieder“ nicht mehr „Wienerlied“ als bisherige Longplayer des 37-jährigen Sängers, Songschreibers und Gitarristen, der sich seit einiger Zeit auch als Literat betätigt. Wie sämtliche seiner Alben seit 2009 von der bewährten Begleitband aus Raphael Sas (Gitarre), pauT (Bass, Klarinette) und David Wukitsevits (Schlagzeug) begleitet, ist es mit einer Mischung aus Dialekt und Schriftsprache, aus sparsam-subtil arrangierter Liedermacherei und bisweilen durchaus heftigem Rock am ehesten dem selbstbetitelten Longplayer „Der Nino aus Wien“ von 2018 verbunden, der als ein repräsentativer Querschnitt für Mandls Schaffen gelten kann. „Endlich Wienerlieder“ ist bisweilen eigenwillig in Szene gesetzt, wie etwa im burlesken Arrangement von „Waschechter Weana“, aber klassischen musikalischen Determinanten des Wienerlieds begegnet man hier eher selten. Anders ist das zweifelsohne bei den Texten – aber die haben bei Mandl seit jeher Wiener Luft geatmet und scheren solchermaßen auch nicht dramatisch aus dem Kanon seines Werks aus. Seit jeher Wiener Luft Mit „Endlich Wienerlieder“ bekennt sich Der Nino aus Wien offen zu einem Genre, dem der Pop lange mit Skepsis gegenübergestanden ist. Seit etwa 2010 ist das Wienerlied ein selbstverständlich respektierter Bestandteil hiesigen Pop-Schaffens. Raunzen kann so schön sein Wenn Der Nino aus Wien nun also „Endlich Wienerlieder“ bringt, so ist das in mehrerlei Hinsicht ein Zeichen. Das Naheliegende: Das Album ist eine Hommage an Ninos Großvater Rudolf Mandl, der tatsächlich Wienerlieder gesungen hat. Das „Endlich“ indiziert aber auch ein Bekenntnis: Einer der namhaftesten kontemporären österreichischen Popmusiker steht nunmehr für seine Affinität zur Wiener Volksmusik ein. Lange hatte der Wiener Pop zum Wienerlied ein ähnlich unterschwellig skeptisches Verhältnis unterhalten wie es große Teile der avancierten österreichischen Populärmusik zum Terminus „Austropop“ taten: Dort wollte man nicht verortet werden, weil man Ghettoisierung und den Mief der Provinzialität befürchtete. Der Liedermacher Ernst Molden etwa erklärte 2011, befragt, ob er sich als eine Art Erneuerer des Wienerliedes sehen könne, dem Autor: „Ich möchte nicht in diesem Dorf landen. Ich möchte in allen Dörfern zu Hause sein dürfen.“ Bei „Endlich Wienerlieder“ ist Molden übrigens mit von der Partie – und zwar in einer wein- und todesseligen Dialektversion von „La Paloma“, die den Titel „Auf die Wienerinnen“ trägt. Und trotz seiner demonstrativen Distanz wird Molden in der öffentlichen Wahrnehmung eine gewisse Konnotation mit dem Wienerlied nicht los. Zum einen pflegen seine regelmäßigen Begleiter Walther Soyka (Akkordeon) und Karl Stirner (Zither) diese Musik hingebungsvoll in Solo- und Gemeinschaftsprojekten und infiltrieren damit wohl auch Moldens Schaffen. Zum anderen teilen der Blues und Weird Folk, wo Molden herkommt, mit dem Wienerlied mit ihrer Neigung zur Schwermut ein gleichsam natürliches Wesensmerkmal. Bei Roland Neuwirth und seinen Extremschrammeln ist der Fall viel klarer – er bekennt sich seit jeher zum Wienerlied und kreuzt es mit Blues, Rock, etwas Jazz, vereinzelt sogar Rap. Neuwirth hat wegweisende Arbeit geleistet, dem Wienerlied einen zeitgemäßen Anstrich und Respekt in der Popkultur zu verschaffen. Indes hatten schon in der Urzeit des Austropop namhafte Interpreten nicht den Zugriff auf das urwienerische Idiom gescheut. Kein Geringerer als Wolfgang Am bros hielt just seine Giftlerhymne „Du schwoaza Afghan“ im Stil eines Wienerlieds. Was hier natürlich pure Ironie war, lieferte Ambros drei Jahrzehnte später mit stimmigen Adaptionen von Liedern, die durch Hans Moser bekannt geworden sind, als ernsthafte Hommage in echt. „ Die 5/8erln selbst nennen ihre Musik nicht ganz ohne Koketterie ‚Wiener Soul‘. “ Neue Spuren des Wienerlieds Zu diesem Zeitpunkt hatten auch schon die eigenwilligen Strottern Aufmerksamkeit erregt, indem sie Wienerlied-Strukturen – von denen sie besonders die elegischen Elemente aufgriffen – mit Jazz, Pop und etwas entfernt Ähnlichem wie Bänkelgesang kurzschlossen. Die Strottern, die sich textlich maßgeblich auf die Arbeit des Autors, Kabarettisten und Librettisten Peter Ahorner stützen, sind eine Art Bindeglied zwischen der außenseiterischen Vergangenheit des Wienerlieds im Pop-Kontext und seinem gut integrierten aktuellen Stadium. Seit etwa 2010 ist das Wienerlied ein selbstverständlich respektierter Bestandteil hiesigen Pop-Schaffens. Es ist gewiss nicht falsch, diese Aufwertung in einem Zusammenhang mit der ebenfalls dramatisch gestiegenen Akzeptanz des österreichischen Pop per se zu sehen. Besonders drei Ensembles, die alle eine distinguierte musikalische Handschrift und großartige Texte gemeinsam haben, haben sich als Protagonisten des modernen Wienerlieds profiliert. Das Trio Lepschi weist zu den Strot- Foto: picturedesk.com / Johannes Ehn Lesen Sie auch „Das Wienerlied in all seinen Facetten“ von Michael Krassnitzer (8.10.2009) auf furche.at. Nomen est omen Mit seinem neuen Album ergänzt Der Nino aus Wien (*1987) die seit einigen Jahren vielfältig florierende Wienerlied-Szene. tern insofern eine Verbindung auf, als ihr Texter, der Autor Stefan Slupetzky, ein Jahr mit diesen als „Lesender“ unterwegs war und sie auch mit zwei Texten versorgte. Im Zuge dessen kam er auf den Geschmack und die Idee, eine eigene Formation zu gründen. Zu ihr gehörten sein Bruder Tomas, der 2016 krankheitsbedingt durch Michael Kunz ersetzt wurde, und Martin Zrost. In zumeist verspielten Liedern, musikalisch grundiert durch ausgefallenes Instrumentarium wie Nasenflöte, Zugsaxofon und Singende Säge, brilliert das Trio in der Kunst der Schüttelreime, Wort- und Phrasenverdrehungen und Anagramme. Da wird etwa leichthändig „olle andern“ an „Oleander“ gereiht, der Wille bekundet, sich nicht von „die Zimmapflanzn pflanzn“ zu lassen, werden „Azalee und Immergrün“ „in den Gart’n spül’n“ geschickt. Populäre Inkarnationen Etwas versponnener geben sich 5/8erl in Ehr’n. In ihrem fragil-schönen, durch ein fließendes Akkordeon interpunktierten Zusammenspiel zwischen akustischer Gitarre und Keyboards manifestieren sich Einflüsse des Chansons, des Jazz und einer gehobenen Art von Schlager. Die 5/8erln selbst nennen ihre Musik nicht ganz ohne Koketterie „Wiener Soul“. Eine Parallele zu den Strottern wiederum besteht in der Tatsache, dass in den Texten dem lautmalerischen Element der gleiche Rang wie dem Witz eingeräumt wird. Die vielleicht eindrücklichste und gleichzeitig auch populärste Inkarnation des kontemporären Wienerlieds gibt das Duo Wiener Blond. Bestehend aus Verena Doublier, einer ehemaligen Teilnehmerin der ORF-Castingshow „Kiddy Contest“, und dem Musiker und Schauspieler Sebastian Radon, fielen Wiener Blond zunächst durch behändes Beatboxing auf: Um den perkussiven, per Loops vervielfältigten Einsatz der menschlichen Stimme und das Wienerlied als stilistischem Fokus herum arrangierten sie ein lockeres Wirrwarr mit Versatzstücken aus Pop, Rap und Funk. Längst gestattet sich diese Musik Opulenz, ist in die Breite gegangen – und damit, wie sich auf ihrem aktuellen, Ende des Vorjahres veröffentlichten Album „Sinfonien im Souterrain“ zeigt, auch beim klassischen Wienerlied angekommen. In Begleitung des Original Wiener Salonensembles, mit dem sie bereits ein (Amadeusnominiertes) Live-Album aufgenommen haben, lassen sich Doublier und Radon in Walzertakt und schwelgend-sentimentalen Streicherarrangements über den ergrauten Himmel aus, beschreiben, was passiert, wenn das letzte Wiener Kaffeehaus schließt, schauen sich „ins Nirwana mit dem Wetterpanorama“. Raunzen kann so schön sein.
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