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Die Furche 27.06.2024

DIE FURCHE · 26 8

DIE FURCHE · 26 8 Religion 27. Juni 2024 Ein kleines Papyrusstück mit Teilen eines „Evangeliums“ über die Kindheit Jesu sorgte für Aufsehen. Der mediale Hype um die Entdeckung zeigt, dass die Wissenschaftskommunikation durchaus heikle Seiten hat. Problematischer „Sensationsfund“ Von Hans Förster Das „älteste Manuskript des Evangeliums über die Kindheit Jesu“ sorgte kürzlich für weltweite Schlagzeilen. Auch in österreichischen Medien fand die Entdeckung einer Handschrift aus der Frühzeit des Christentums Beachtung. Diese angeblich sensationelle Nachricht zeigt, dass die heute so stark propagierte Wissenschaftskommunikation durchaus auch problematische Seiten hat. Denn es werden Erwartungen geweckt, die wissenschaftlich nicht gedeckt sind. Ein Papyrusfragment, das in Ham- Den Text „Papyri und andere Sensationen“ (15.5.2014) von Hans Förster lesen Sie auf furche.at. Fragment Ein handschriftliches Manuskript des Thomas evangeliums aus dem vierten oder fünften Jahrhundert tauchte kürzlich in Hamburg auf. burg aufbewahrt wird, wurde mittels moderner technischer Hilfsmittel als Fragment einer griechischen Überlieferung über die Kindheit Jesu identifiziert, die in der wissenschaftlichen Community mit gutem Grund nicht als „Evangelium“, sondern als „Kindheitserzählung des Thomas“ bezeichnet wird. Eine „Kindheitserzählung“ schlägt natürlich weniger Wellen als ein scheinbar unbekanntes „Evangelium“, das plötzlich entdeckt wird. Über die frühe Kindheit Jesu und seine Jugend ist aus den vier Evangelien des Neuen Testaments fast nichts bekannt. Einzig das Lukasevangelium erwähnt noch, dass Jesus im Alter von Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg/Public Domain Mark 1.0 zwölf Jahren einen Besuch der Familie in Jerusalem dazu genutzt habe, im Tempel zu lehren. Es handelt sich also um Leerstellen. Bereits die Schlagzeile ist irreführend, denn: Es gibt nicht ein „Evangelium über die Kindheit Jesu“, es gibt eine ganze Reihe derartiger legendarischer Erzählungen. Von einer, der Kindheitserzählung des Thomas, wurde jetzt ein kleines Fragment identifiziert, das aufgrund eines Vergleichs mit anderen Handschriften aus Ägypten auf das vierte oder fünfte Jahrhundert datiert werden kann. Bisher stammten die ältesten erhaltenen Handschriften dieses Textes aus dem elften Jahrhundert. Dass man mit diesem neuen Fragment die handschriftliche Überlieferung um ein halbes Jahrtausend weiter zurückverfolgen kann, ist jedenfalls erfreulich, eine wirkliche Aufregung ist es allerdings nicht wert. Die Kindheit Jesu Der mediale Hype wurde nun in diesem Fall dadurch erzeugt, dass man sich auf einen angeblichen wissenschaftlichen Konsens beruft: Dieses „Kindheitsevangelium“ sei sicher bereits im zweiten Jahrhundert entstanden. Hier verlässt man aber die Ebene der wissenschaftlichen Argumentation und bewegt sich im Bereich der Meinung und Mutmaßung. Ein unbewiesener wissenschaftlicher Konsens kann also durchaus falsch sein. Allerdings gibt es gar keine Einmütigkeit, dass die Kindheitserzählung des Thomas im zweiten Jahrhundert verfasst worden sei. Die wissenschaftliche Edition der griechischen Überlieferung wurde im Jahr 2010 veröffentlicht. Deren Herausgeber, Tony Burke, hält in seiner Einleitung vorsichtig fest, dass der früheste Nachweis, dass dieser Text schriftlich vorlag, aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts stammt. Nach reiflicher Abwägung formuliert er sehr zurückhaltend, dass der Text wohl im zweiten oder dritten Jahrhundert entstanden sein dürfte. Mit anderen Worten, es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Text überhaupt erst im vierten Jahrhundert schriftlich vorlag und einzelne, voneinander unabhängige Traditionsbruchstücke hier vereinigt wurden. Bereits mit dem dritten Jahrhundert wäre ein so großer Abstand zu den neutestamentlichen Texten gegeben, dass man nicht mehr wirklich von einem Text aus der „Frühzeit des Christentums“ sprechen kann. „ Dass man mit dem Fragment die handschriftliche Überlieferung um ein halbes Jahrtausend weiter zurückverfolgen kann, ist erfreulich, eine wirkliche Aufregung ist es nicht wert. “ Es steht aber nicht die mögliche Entstehungszeit der Kindheitserzählung, sondern die Handschrift selbst im Mittelpunkt der Kommunikation: Auf dem Presseportal der Humboldt- Universität zu Berlin wird ausdrücklich behauptet, dass es sich um eine Handschrift aus der Frühzeit des Christentums handeln würde. Kein vernünftiger Wissenschafter würde das vierte oder gar das fünfte Jahrhundert als „Frühzeit“ des Christentums bezeichnen. In ebendieser Zeit wurde das Christentum zur Staatsreligion, und Hie rony mus vereinheitlichte in seiner Vulgata die verschiedenen lateinischen Übersetzungen der Bibel. Die Kirche ist in dieser Zeit bereits eine etablierte Institution. Auch der Inhalt des Fragments weist auf eine Distanz zur Frühzeit hin. Es findet sich eine bereits bekannte Erzählung: Der kleine Jesusknabe spielt an einem Bach und formt zwölf kleine Vögel aus Ton. Als er von seinem Vater Joseph dafür getadelt wird, dass er an einem Sabbat Derartiges tue, erweckt der Fünfjährige durch ein Händeklatschen die Tonvögel zum Leben. Später Text Jesus heilte etwa am Sabbat und wurde dafür kritisiert. Damit enden bereits die Berührungspunkte, und die Unterschiede treten in den Vordergrund. Der Verfasser dieser Kindheitserzählung hat offensichtlich nicht die geringste Ahnung vom Judentum. Die Sabbatruhe ist heilig. Nur wenige Gründe erlauben einen Bruch der Sabbatruhe. Dazu gehört das Prinzip des pekuach nephesch, die Rettung eines Menschen aus Gefahr. Während nun bei einer Heilung eines Menschen im Neuen Testament die Frage diskutiert wird, ob hier dieser juristische Grundsatz angewendet werden kann, ist das „Vogelwunder“ aus der Kindheitserzählung des Thomas also nichts, was einen Bruch des Sabbats rechtfertigen könnte. Dieses fehlende Wissen um jüdische Glaubenspraxis zeigt, dass es sich um einen eher späten Text handelt: Er entstand, als sich das Christentum bereits stark von seinen jüdischen Wurzeln entfremdet hatte. Dies sollte korrekt kommuniziert werden, selbst wenn eine korrekte Kommunikation in der Gefahr steht, keine große internationale Aufmerksamkeit zu erregen. Schließlich schaden derartige Scheinsensationen auf Dauer dem Ansehen der Wissenschaft in der Gesellschaft. Der Autor hat zahlreiche griechische und koptische Papyri ediert. Er lehrt an der Universität Wien. Erkennen, was dahinter steckt. THEOLOGISCHE KURSE Der Theologische Kurs ab Oktober 2024 Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. • als Präsenzkurs in Wien • als Fernkurs • oder online Theologie intensiv erleben. mehr wissen – tiefer fragen – klarer urteilen www.theologischekurse.at jetzt informieren & anmelden

DIE FURCHE · 26 27. Juni 2024 Religion 9 Pilgern boomt in Österreich. Das Netz heimischer Routen wird immer dichter. Vermehrt wird auch das klassische Wandern spirituell aufgeladen. Kirchen und Stifte werden zu Referenzpunkten auf dem Weg. Von Till Schönwälder D er Georgenberg ist der älteste und beliebteste Wallfahrtsort in Tirol. Seit dem zehnten Jahrhundert thront das Kloster St. Georgenberg auf einem steilen Felskegel oberhalb von Stans. Seit 2019 lebt in dem Felsenkloster wieder eine sechsköpfige Mönchsgemeinschaft der Missionsbenediktiner. „Pilgern bedeutet, an ein Ziel kommen, um verwandelt zurückzugehen“, ist der Prior von St. Georgenberg, Pater Gottfried Meier, im Gespräch mit der FURCHE überzeugt. „Ein begrenzter Zeitraum, in dem das Leben neu gedeutet wird und Ballast, Nöte und Anliegen der Menschen vor Gott getragen werden.“ Die Missionsbenediktiner zogen vom barocken Stift Fiecht zurück in ihr Ursprungskloster am Georgenberg. Dieser Schritt war alles andere als einfach, erzählt P. Meier. Die ursprüngliche Anlage in Fiecht war für die immer kleiner werdende Gemeinschaft schlicht zu groß, das deutlich kleinere Kloster am Georgenberg wurde für die Ordensbrüder rund um Abt Jeremias Schröder zur neuen Heimat. Ein Umbruch, der als Blaupause dienen kann für andere Ordensgemeinschaften. Diese werden hierzulande immer kleiner und älter. In den 193 Orden in Österreich leben noch knapp 4000 Ordensmänner und -frauen, wobei die Zahl der Frauen mit über 2500 deutlich über jener der Männer liegt. Insgesamt ist die Zahl der Ordensleute rückläufig. Viele Klöster, kirchliche Institutionen und Strukturen stünden vor schwierigen Fragen, so P. Meier: „Vieles werden wir loslassen müssen.“ Wenn dieser Prozess nicht mitgestaltet werde, „dann wird das meiste lautlos krachend zusammenbrechen“, so der Prior. „Wir haben gelernt und sind immer noch dabei zu lernen, dass aus dem Abbruch auch ein Umbruch werden kann, dass aus einem schmerzhaften Abschiednehmen auch ein zartes, kleines, neues Pflänzchen werden kann.“ Die Mönche des Stifts Fiecht machten aus der Not eine Tugend, verkauften den viel zu großen Klosterkomplex und renovierten mit dem Erlös das Felsenkloster am Georgenberg in der imposanten Kulisse des Karwendels. Hier leben die Mönche und nehmen in insgesamt sieben Gästezimmern auch Pilgerinnen und Pilger auf. Besonders in den Sommermonaten sind die Zimmer heißbegehrt und weit im Voraus ausgebucht, erzählt der Prior. „In den vergangenen beiden Jahren haben wir mehr als 700 Menschen bei uns beherbergt.“ Als man den Gästebetrieb gestartet habe, seien die Mönche eigentlich davon ausgegangen, dass es ein Angebot sein werde, das nebenherlaufe. Damit, dass so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft kämen, habe man nicht gerechnet. „Das Motiv der Abgeschiedenheit, der Distanz vom hektischen Alltag und der Entschleunigung spielt für viele unserer Gäste eine ganz wichtige Rolle.“ Die Gastfreundschaft ist für die Benediktiner nicht nur ein Tätigkeitsfeld, das dem Charisma der Ordensgemeinschaft entspricht – so heißt es in der „Benedikts regel“ des heiligen Ordensgründers Benedikt von Nursia (480 bis 547 nach Christus): „Gäste, die ankommen, empfange man alle wie Christus, weil er selber sagen wird: Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.“ Gastfreundschaft ist für P. Maier auch ein „Schlüsselwort“ für ein Christentum der Zukunft. „Raum für Menschen geben, ihnen zuhören, mit ihnen ins Gespräch kommen, sie geistig, geistlich und materiell bewirten und im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit sich von denen beschenken lassen, denen wir Rast und Gastfreiheit in unserem Kloster geben.“ Internet via „Starlink“ Sehnsuchtsort Kloster Mit Luxus oder großer Ausstattung kann das Kloster dabei nicht auftrumpfen. So ist Handyempfang etwa nur über das Satellitensystem „Starlink“ von Tesla-Gründer Elon Musk möglich. Genau das sei es aber, was die Menschen, die auf den Georgenberg kämen, suchten. „Viele unserer Gäste finden es äußerst erstrebenswert, nicht erreichbar zu sein“, so der Prior. Die Beweggründe der Menschen seien dabei unterschiedlich, weiß P. Meier. Einige wollen etwas Exerzitien machen, bei diesen bieten die Mönche eine geistliche Begleitung an. Andere wollen einfach das monastische Leben kennenlernen und suchen nach einem Kloster, das etwas abgelegener, „authentischer und reduzierter“ ist. Innerhalb dieser Gruppe gebe es immer mehr Menschen, die eigentlich distanziert zur Kirche seien. Besonders bei diesen Gästen ergäben sich nicht selten ein fruchtbarer Austausch zu aufkommenden Fragen und auch „echte und tiefe Glaubensgespräche“. Manche würden aber auch einfach nur die großartige Landschaft genießen und das Kloster als „Basis lager“ für Wanderungen nutzen. Eine weitere Gruppe besteht aus Menschen in schwierigen Lebenslagen: „zerbrochene Beziehungen oder Lebensentwürfe, Burnout, berufliche Neuorientierung, Vorbereitung einer wichtigen Entscheidung“. Für die meisten sei es wichtig, dass sie Abstand bekämen und in der Klarheit der Abgeschiedenheit mit ihren Fragen umgehen könnten; „nicht selten suchen sie auch das Einzelgespräch mit einem Mönch“, so der Prior. Lesen Sie den Text „Zwischen Himmel, Erde“ von Christopher Erben über digital detox im Kloster (16.5.2019) auf furche.at. „ Gäste, die ankommen, empfange man alle wie Christus, weil er selber sagen wird: Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen. “ Benediktsregel Pater Gottfried Meier (63) ist Prior des Benediktinerklosters St. Georgenberg. Mit ihm leben sechs Mitbrüder in dem Tiroler Felsenkloster. Aufgrund der kleinen Mönchsgemeinschaft können die Gäste bei allen alltäglichen Vollzügen im Kloster dabei sein: „Sie sind eingeladen, in der Chorkapelle an den Gebetszeiten teilzunehmen, und sitzen dabei in der Reihe der Brüder. Sie sind bei den Mahlzeiten mit im Refektorium. An den normalen Werktagen ist Tischlesung, was von vielen unserer Gäste als ungewöhnlich wahrgenommen, aber durchaus positiv bewertet wird“, erklärt P. Meier. Besonders wichtig sei das gemeinsame abendliche Gespräch. „Nach dem Abendessen setzen wir uns im Gästeaufenthaltsraum oder bei gutem Wetter im Innenhof zusammen und tauschen uns aus: Von Smalltalk bis zu tiefen theologischen Erörterungen, von sachlichen Informationen bis zu sehr persönlich gefärbten Erzählungen ist alles möglich.“ Außerdem mache man in Georgenberg keine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gästen. „Menschen aller Altersstufen sind willkommen“, so der Prior. Pilgernde Kirche Die Gemeinschaft bitte alle Gäste am Ende des Aufenthaltes, etwas ins Gästebuch zu schreiben. Besonders drei Punkte würden immer wiederkehren: „der persönliche Kontakt mit den Mönchen, die Authentizität und Normalität der Menschen, die diese für viele exotische Lebensform gewählt haben, und die Möglichkeit, ohne Denkverbote, ohne dogmatische Engstirnigkeit und ohne moralischen Zeigefinger ins Gespräch zu kommen“, berichtet der Prior: „Vielleicht muss die Kirche der Zukunft nicht nur nominell, sondern existenziell zu einer echten pilgernden Kirche werden.“ Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreichs. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der FURCHE. Fotos: Benediktinerkloster Georgenberg AUF DEM WEG Pilgern in Österreich Malerische Umgebung Mitten im Karwendel thront seit dem zehnten Jahrhundert das Felsenkloster St. Georgenberg. Heute kommen Menschen in ganz verschiedenen Lebenssituationen hierher. Mehr als 20.000 Kilometer Pilgerwege erstrecken sich hierzulande auf 42 größeren Pilgerstrecken. Der Georgenberg ist dabei der älteste und beliebteste Wallfahrtsort in Tirol. Das Felsenkloster entstand im ausgehenden zehnten Jahrhundert. Seit 2019 lebt in dem Kloster wieder eine sechsköpfige Mönchsgemeinschaft. Die Missionsbenediktiner sind in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet worden. Heute gibt es 22 selbstständige Klöster und weitere circa 40 abhängige Häuser auf vier Kontinenten.

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