DIE FURCHE · 17 6 International 27. April 2023 „Boxer“ von Rheinmetall Die Australian Army setzt auf logistische und taktische Militärfahrzeuge u. a. aus europäischer Produktion. Hier posiert ein Wartungsarbeiter mit einem „Boxer“ , gefertigt von Rheinmetall. Pekings „Muskelspiel“ vor Taiwans Küste beunruhigt den Großteil der 26 Millionen Australier zutiefst. Politisch führte diese Angst bereits zu einer Aufrüstung in Milliardenhöhe. Gleichzeitig ist die chinesisch-australische Beziehung so gut wie seit Jahren nicht mehr. Über ein komplexes Verhältnis. Säbelrasseln in Down-Under Von Barbara Barkhausen • Sydney In Australien hört man genau hin, wenn sich Vertreter der Volksrepublik öffentlich äußern. Als Xiao Qian, der chinesische Botschafter in Australien, vergangenes Jahr vor dem Presseclub in Canberra eine Rede hielt, alarmierten seine Worte das ganze Land. In der Taiwan-Frage gebe es „keinen Raum für Kompromisse“, erklärte der Diplomat. China wolle Taiwan zurück in den „Schoß der Mutter“ holen, bei Bedarf sei man bereit, „alle erforderlichen Mittel einzusetzen“. Über die Absichten Chinas macht sich kaum jemand in Australien Illusionen. Die meisten Australier(innen) haben ihr Vertrauen in die Regierung in Peking inzwischen verloren, so das Ergebnis einer jährlichen Umfrage des in Sydney angesiedelten Thinktanks „Lowy Institute“. Anfang 2022 fürchteten zudem viele Australier, dass China nicht nur für Taiwan, sondern für Australien selbst zur militärischen Bedrohung werden könnte. Auch wenn mittlerweile die wenigsten einen Angriff auf den Kontinent selbst fürchten, sind Lesen Sie hierzu im Navigator den Text „Taiwan am Wendepunkt“ aus dem Jahre 1976 (14.10.) von Theodor Veiter furche.at. die Bedenken groß, in einen Konflikt zwischen China und Taiwan hineingezogen zu werden. Zwar betonte Verteidigungsminister Richard Marles unlängst, dass Australien sich „keineswegs“ dazu verpflichtet habe, die USA militärisch zu unterstützen, sollten diese in einen Konflikt zwischen China und Taiwan eingreifen wollen (im Mai 2022 war die langjährige “Coalition“ aus Liberal Party und National Party durch eine von der Australian Labour Party geführte Regierung abgelöst worden). Dennoch haben offene Handelsrouten nach wie vor Priorität für Australien. Letztere dürfte den Staat im Ernstfall militärisch verteidigen. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen dem sechstgrößten „ Eine diplomatische Eiszeit läutete die Forderung nach einer internationalen Untersuchung zu den Ursprüngen von Covid ein. “ Foto: imago / aap Staat der Erde und China komplex. China ist Australiens größter Handelspartner und die jüngste Volkszählung ergab, dass 1,4 Millionen australische Bürger chinesische Wurzeln haben. Insofern ist es nicht überraschend, dass Australien jahrelang eines der Länder war, dem der Spagat zwischen den USA und China bestens gelang. Doch vor rund sechs Jahren zeigten sich erste Risse im australisch-chinesischen Verhältnis, ausgelöst von „beunruhigenden Berichten über chinesischen Einfluss“ im Land, wie der damalige konsertaive Premier Malcolm Turnbull attestierte. Neue Gesetze sollten daraufhin politische Spenden und Spionage aus dem Ausland – sprich aus China – unter Kontrolle bekommen. 2018 schloss Australien dann als erstes Land die Telekom-Firma Huawei beim Aufbau seines 5G-Mobilfunknetzes aus. Daraufhin wurden mehrere chinesische Investitionsprojekte in Australien abgelehnt. Das wiederum führte dazu, dass Australien aus der „Belt and Road-Initiative“ ausstieg, ein Projekt, über das China weltweit in milliardenschwere Infrastruktur-Projekte investiert. Auch mahnte Canberra chinesische Menschenrechtsverletzungen an, beispielsweise gegen die uigurische Minderheit. Eine diplomatische Eiszeit läutete aber vor allem Australiens Forderung nach einer internationalen Untersuchung zu den Ursprüngen von Covid-19 ein. Peking statuierte schlussendlich ein Exempel an Australien: Die chinesische Regierung verhängte massive Strafzölle auf australische Weine und hohe Tarife für Gerste (vgl. Seite 7). Letzteres veranlasste die Australier, eine Beschwerde bei der WHO einzureichen. Bis vor Kurzem waren Kohleimporte blockiert worden und nach wie vor erschweren Handelsbarrieren das Geschäft der australischen Baumwoll-, Rindfleischund Hummer-Produzenten. Atom-Boote für Canberra Mitnichten sind das die einzigen Streitfragen. So war 2020 die australische Journalistin Cheng Lei festgenommen worden. Und wenige Monate später wurde der Schriftsteller und Demokratieaktivist Yang Hengjun offiziell angeklagt – nachdem er fast zwei Jahre in U-Haft verbracht hatte. Lange Zeit war das Verhältnis so schwer belastet, dass selbst Anrufe und Briefe aus Canberra von Peking systematisch abgeblockt wurden. Auch als Australien die Zusammenarbeit mit Großbritannien und den USA mit dem Sicherheitsabkommen AUKUS 2021 intensivierte, verärgerte dies China. Vor allem die Tatsache, dass Australien mit Hilfe seiner Verbündeten Atom-U-Boote erhalten soll, missfiel Peking. Erst ein Regierungswechsel in Canberra im Mai 2022 und ein deutlich diplomatischerer Ton der neuen sozialdemokratischen Spitze halfen, die eisige Beziehung langsam wieder aufzutauen. Inzwischen sprechen Regierungsvertreter wieder miteinander – Außenministerin Penny Wong absolvierte einen Staatsbesuch in Peking, die Handelsminister beider Länder tauschten sich in einem 90-minütigen Gespräch aus. Australiens Premier Anthony Albanese soll wiederum noch für 2023 eine Einladung nach Peking erhalten haben. Die chinesische Entspannungspolitik kann dabei nicht wirklich an einem Richtungswechsel Australiens liegen. Trotz sanfterer Rhetorik haben sich die grundsätzlichen Positionen Canberras nicht geändert. Nach dem Abschuss des vermeintlichen chinesischen Spionageballons über den Vereinigten Staaten im Februar reagierte Australien umgehend und ließ chinesisch gefertigte Überwachungskameras in Verteidigungsanlagen und Regierungsgebäuden aus Sicherheitsgründen entfernen. Auch als ein chinesischer Investmentfonds seine Investition in einen australischen Produzenten Seltener Erden aufstocken wollte, blockierte Canberra dies. Interesse an Handelsabkommen Dass sich Peking trotz dieser Querelen, des Militärbündnisses AUKUS sowie der australischen Aufrüstung nicht erneut gegenüber Canberra verschließt, könnte an einem australischen Faustpfand liegen: China hat großes Interesse daran, dem Handelsabkommen CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership) beizutreten. Dieses entstand, als die USA unter Ex-Präsident Donald Trump die Transpazifische Partnerschaft (TPP) verließen. Am CPTPP beteiligten sich dann Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam. China würde von einem Beitritt zu dem Abkommen profitieren und seine Wirtschaftsbeziehungen im asiatisch-pazifischen Raum festigen. Um einen chinesischen Beitritt zu ermöglichen, müssen aber alle Parteien zustimmen. Das heißt, China braucht auch das Wohlwollen Canberras. Letzteres sei nicht öffentlich ausgesprochen worden, schrieb David Uren vom regierungsnahen Thinktank ASPI in einer Abhandlung. „Aber es wäre nicht überraschend, wenn Australien China einen Hinweis gegeben hätte, dass es seinen Antrag nicht blockieren wird“, meinte der Strategieexperte.
DIE FURCHE · 17 27. April 2023 International 7 Weder werden Konfuzius-Institute an australischen Unis verboten noch Sanktionslisten erweitert. Geoökonom Benjamin Herscovitch über Canberras Wankelmut. Das Gespräch führte Barbara Barkhausen Vergangenen November jährte sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Australien und China zum 50. Mal. Mitnichten gestalteten sich diese harmonisch. Handelsbarrieren, Menschenrechtsfragen, divergente Sicherheitsinteressen – mannigfaltige Gründe führen dazu, dass das Verhältnis der Länder angespannt ist, erklärt der Geoökonom Benjamin Herscovitch von der „Australian National University“. Ein Gespräch über die Schwierigkeit, Interessen und Ideologien miteinander in Einklang zu bringen. „Pekings diplomatische Signale fallen auf“ DIE FURCHE: Wie verhält es sich mit den chinesisch-australischen Beziehungen gegenwärtig? Benjamin Herscovitch: Nach Phasen der Spannungen und Konflikte – sowohl an der diplomatischen als auch an der Handelsfront – werden diese schrittweise repariert. Nach mehr als zwei Jahren ohne Kontakt auf Ministerebene und darüber hinaus treffen sich chinesische Minister nun regelmäßig mit ihren australischen Amtskollegen, reaktivierten den formellen Dialog auf hoher Ebene. Der Handel mit China ist zwar nicht vollständig auf das Niveau von 2020 zurückgekehrt, aber es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass viele der neun ausgeschlossenen Exportgüter wieder in China zugelassen werden. DIE FURCHE: Was ging dieser Dynamik voraus? Herscovitch: Anfang 2020 leitete Peking eine Eiszeit ein, verhängte politisch motivierte Handelsbeschränkungen, um Australien zu bestrafen und es dazu zu bringen, eine Politik zu verfolgen, die den Interessen Chinas entspricht. Peking wollte neben vielen anderen Streitpunkten, dass Canberra eine freizügigere Haltung gegenüber chinesischen Investitionen einnimmt und die Kritik an Chinas Menschenrechtsverletzungen abschwächt. Nun hat die chinesische Regierung ihre Bereitschaft signalisiert, die Beziehungen zu reparieren, ohne dass Australien zurückgerudert ist. DIE FURCHE: Sind die Zeiten der Anspannung tatsächlich vorüber? Herscovitch: Natürlich signalisiert der Abbau einiger Handelsbeschränkungen und die Wiederaufnahme von Ministertreffen und hochrangigem diplomatischen Dialog keine vollständige Normalisierung der Beziehungen. Trotz Chinas Einlenken sind eine Reihe australischer Exportgüter weiterhin vom chinesischen Markt ausgeschlossen. Dazu gehören vormals lukrative Ausfuhren wie Wein, der nach wie vor mit lähmenden Antidumping- und Ausgleichszöllen belegt ist.Dennoch: Die chinesische Regierung scheint entschlossen zu sein, den Weg der Wiederherstellung der Beziehungen zu Australien fortzusetzen. Ungeachtet der Kritik an den jüngsten AU- KUS-Ankündigungen und Australiens Beschränkungen für chinesische Unternehmen im Land bleiben Chinas diplomatische Signale an Australien auffallend positiv, insbesondere im Vergleich zu den Jahren 2020 und 2021. Sofern sich die Beziehungen nicht erneut dramatisch verschlechtern, gehe ich von einem schrittweisen Abbau der Handelsbeschränkungen aus. Foto: imago / aap DIE FURCHE: Das Kabinett des Premierministers Anthony Albanese scheint China gegenüber immer noch ziemlich offensiv zu sein. Die Regierung hat etwa eine Investition in Seltene Erden annulliert, den AUKUS-Deal sowie den Kauf und die Entwicklung von U-Booten mit Atomantrieb vorangetrieben. Angesichts von Pekings Einlenken: Außer China mit einem zivileren Ton zu beschwichtigen, gab es weitere Maßnahmen um die Bande enger zu knüpfen? Herscovitch: In der Tat hält Australien an seiner Haltung zu einer Vielzahl von politischen Fragen im Zusammenhang mit China fest. Auch wird es sich weiterhin Chinas Positionierung im Pazifik widersetzen, Einmischungen aus China unterbinden und Investitionen chinesischer Unternehmen genau prüfen. Aber trotz dieser Härte hat die Regierung Albanese ihre China-Diplomatie bereits gemildert, allen voran rhetorisch abgerüstet. Die Kritik an Chinas Vorgehen in puncto Wirtschaftspolitik ist nahezu verstummt. Stattdessen wählt man auffällig wohlwollende Worte, wenn es um Themen geht, die mit China zu tun haben. „ Australiens Positionierung bei den konkurrierenden Bewerbungen Chinas und Taiwans für eine Mitgliedschaft im transpazifischen Freihandelsabkommen dürfte der Schlüssel sein. “ DIE FURCHE: Dass es nur der Ton ist, der sich geändert hat, klingt fast unglaubwürdig ... Herscovitch: Abgesehen von der Änderung des Tons ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar, ob Australien Kompromisse eingegangen ist, um China zu gefallen. Was man weiß, ist: Australien hat gewisse Beschlüsse nicht gefasst, von denen in den vergangenen Jahren immer wieder die Rede war. Hier denke ich etwa an das angekündigte Veto gegen Konfuzius-Institute an australischen Universitäten. Oder aber an die Ansage, gegen chinesische Einzelpersonen und Organisationen, die in schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und anderswo in China verwickelt sind, Sanktionen zu verhängen. Letzteres Nichtagieren ist insbesondere bemerkenswert, da jüngst Gruppen und Individuen aus dem Iran, Russland und Myanmar sanktioniert wurden, China aber außen vor blieb. Auch der Wankelmut von Außenministerin Penny Wong ist bemerkenswert. Als sie in der Opposition war, hatte sie sich für die Sanktionierung jener Leute ausgesprochen, die jetzt verschont wurden. Agiert Canberra also bewusst nicht, um Peking nicht zu verärgern? Foto: Australian National University DIE REALE BEDROHUNG Harmonie nur in der Mythologie? Aufnahme vom chinesischen Neujahrsfest in Sydney. Laut Mythologie steht 2023 im Zeichen von Harmonie und Langlebigkeit. Rund 1,4 Millionen Menschen in Australien haben chinesische Wurzeln. Kräftemessen im pazifischen Ozean Das ist schwierig zu sagen. Was es jetzt im Auge zu behalten gilt, ist etwa die Causa Darwin. Man hatte angekündigt, den Pachtvertrag der Landbridge Group, die dem chinesischen Milliardär Ye Cheng gehört, für den strategischen Hafen (dieser gilt als wichtiger Hafen an der Nordküste und Eingangstor zu den asiatischen Märkten sowie Drehscheibe für Rohstoff- und Agrarexporte; Anm.) zu überprüfen. Auch über eine Annullierung wurde laut nachgedacht. Nicht zuletzt hat Australiens Wort Gewicht, wenn es um die konkurrierenden Bewerbungen Chinas und Taiwans für die Mitgliedschaft im transpazifischen Freihandelsabkommen CPTPP geht. Wie man sich hierzu positioniert, dürfte der Schlüssel für die Zukunft der Beziehungen zwischen den Ländern sein. Die Sorge über einen Krieg in der Region wächst exponentiell mit Chinas zunehmender Militärmacht: China verfügt nach Jahren erhöhter Militärausgaben inzwischen über das zweitgrößte Verteidigungsbudget der Welt nach den USA. Die chinesischen Streitkräfte sind mit Tarnkappenjägern, Hyperschallraketen und zwei Flugzeugträgern modernisiert worden. Ein dritter befindet sich im Bau. China hat mindestens drei Inseln, die es im umstrittenen Südchinesischen Meer gebaut hat, vollständig militarisiert. Satellitenaufnahmen zeigen zudem riesige Felder mit neuen ballistischen Raketen, die mit einem Atomsprengkopf ausgestattet werden könnten. Laut dem Bericht „China Military Power“ des Pentagons vom November 2022 ist Chinas Marine inzwischen die größte der Welt und verfügt über rund 340 Kriegsschiffe und U-Boote, von denen zwölf U-Boote mit Atomantrieb sind. Die Flotte soll in den nächsten zwei Jahren auf 400 Schiffe anwachsen. Dadurch habe sich „das strategische Umfeld in Ostasien und im Westpazifik verändert“, kommentierte Australiens Ex-Premier Kevin Rudd unlängst im Interview mit dem Sender ABC. Auch Australien rüstet auf: Seitdem das Land 2021 das AUKUS-Sicherheitsabkommen mit Großbritannien und den USA geschlossen hat, folgt ein Rüstungsdeal auf den anderen. So wird Australien erstmals in den Kreis der Nationen aufgenommen, die Atom-U-Boote erhalten (vgl. Seite 6). Außerdem investiert Canberra in Tomahawk-Raketen und Himars- Raketenwerfer, will bei der Entwicklung von Hyperschallraketen voranpreschen. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit Japan wurden indes intensiviert. All dies zeigt: Australien hält den Aufstieg Chinas für eine existenzielle Bedrohung. Man will sich für den Ernstfall rüsten oder besser: Diesen dank Abschreckung verhindern. Deswegen intensivieren auch die USA ihre militärische Präsenz in Australien. Ende 2022 wurde bekannt, dass atomwaffenfähige B-52-Bomber im Norden Australiens (und damit in Richtung China) stationiert werden sollen. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Tindal, südlich von Darwin gelegen, sollen spezielle Einrichtungen für die großen Flugzeuge entstehen, die eine Reichweite von rund 14.000 Kilometern haben. Schon heute befindet sich nicht nur ein von Australien und den USA gemeinsam betriebenes Spionagezentrum namens Pine Gap im Zentrum Australiens, es sind auch mehrere tausend US-Marines in Darwin stationiert.
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