DIE FURCHE · 17 22 Wissen 27. April 2023 DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Wahlen in der Türkei Nr. 19 • 11. Mai 2023 Die Folgen der Erdbeben werden auch die türkischen Präsidentschaftswahlen prägen. Steht das Ende der Ära Erdoğans bevor – oder schafft er es, die Krise für sich zu nutzen? Über ein Land im Schockzustand. Aufbruch – Abbruch Nr. 21 • 25. Mai 2023 Zu Pfingsten feiern die Christ(inn)en die „Geburt“ der Kirche. Was bedeutet dieses Fest, wenn die Kirchen leer und die Institution in der Krise ist wie selten zuvor? Welche Zukunftsszenarien gibt es? Vatertag Nr. 23 • 7. Juni 2023 Die Erwartungen an Väter haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Gleichzeitig werden Eltern mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Was bedeutet es heute, Vater zu sein? Meine Stadt Nr. 25 • 22. Juni 2023 Viele urbane Räume leben und gedeihen. Zwischen Hochhäusern und alter Leerstandsnutzung macht sich die Bevölkerung den (öffentlichen) Raum zu eigen. Wie funktioniert das, und was braucht eine zukunftsgerechte Stadt? Im Schatten Nr. 27 • 6. Juli 2023 Wenn es heiß wird, geht man vernünftigerweise aus der Sonne. Der Schatten steht freilich nicht nur für Schutz vor Hitze, sondern als Metapher für vielerlei. Eine kulturhistorische und literarische Erkundung. Treue im Wandel Nr. 29 • 20. Juli 2023 In Österreich geht jeder Vierte fremd. Aber ist das heute noch ein Tabu? Zu Zeiten der Monica-Lewinsky-Affäre war es eines. Heute setzen immer mehr junge Paare gleich auf Polyamorie. Über Treue im Wandel der Zeit. Psyche und Therapie Nr. 20 • 17. Mai 2023 Seit der Corona-Pandemie ist die psychische Gesundheit zum Megathema unserer Gesellschaft geworden. Wie steht es um die Versorgung – und was bringt das neue Psychotherapie- Gesetz? Böse Worte? Nr. 22 • 1. Juni 2023 Russisch ist die vierthäufigste Sprache, aus der Bücher in andere Sprachen übersetzt werden, sie ist die Originalsprache bedeutender Werke der Weltliteratur. Über die Folgen des Krieges für die Kultur des Russischen. Adam Smiths Erbe Nr. 24 • 15. Juni 2023 Vor 300 Jahren wurde der schottische Moralphilosoph Adam Smith geboren. Er gilt als der Begründer der klassischen Nationalökonomie. Sind seine Annahmen über wirtschaftliches Handeln bis heute maßgeblich? Aufeinander hören Nr. 26 • 29. Juni 2023 In der digitalen Umwelt ist eine visuell dominierte Kultur entstanden. Aktuelle Entwicklungen zeigen: Es besteht die Gefahr, dass wir das Lauschen und das Zuhören verlernen. Über den Schatz der akustischen Sinneswelt. Gutes Leben Nr. 28 • 13. Juli 2023 Zu einem zufriedenen Leben gehören viele Faktoren, die man nicht früh genug fördern kann. Die pädagogische Werktagung Salzburg will daher „Zuversicht stärken“ – und DIE FURCHE fragt: „Wie gelingt gutes Leben?“ Kunst des Verzichts Nr. 30 • 27. Juli 2023 Eine Haltung des „Immer mehr!“ hat lange das gesellschaftliche Grundgefühl bestimmt. Heute wächst das Unbehagen daran. Aber wo und wie ist Reduktion sinnvoll? Ein Fokus anlässlich der Salzburger Hochschulwochen. Illustration: iStock/xorosho „ Kann die Jagd nach Profiten und Rohstoffen durch die Suche nach inneren Schätzen abgelöst werden? “ Es sieht nicht gut aus: Die planetare Krise ist im Anrollen. Mit seinem Werk zu einer „Bewusstseinskultur“ zündet Thomas Metzinger ein Ideenfeuerwerk zur geistigen Transformation. Die letzte Rettung *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. Von Martin Tauss Das muss man erst einmal verdauen: Wir scheitern, und zwar sehenden Auges. „Wir“, das ist in diesem Fall die ganze Menschheit. Also unsere Spezies, das neue planetare „Wir“. Der Homo sapiens, bislang der unübertroffene Erfolgstyp der Evolution, hat technologische Spitzenleistungen hervorgebracht, die ihn sogar dazu befähigen, das Weltall zu erobern. Aber wenn es darum geht, die Klimakrise zu meistern, versagt er gnadenlos. Das zeigt zuletzt wieder der neue Bericht des EU-Erdbeobachtungsprogramms „Copernicus“: Im letzten Jahr erreichten die menschengemachten Treibhausgaskonzentrationen neue Höchststände in der Atmosphäre. In Europa, wo die Temperaturen doppelt so schnell steigen wie im weltweiten Durchschnitt, waren die Sommer nie zuvor so heiß und die Meerestemperaturen nie zuvor so hoch. Nie zuvor brannten so große Waldflächen; nie zuvor verloren die Alpengletscher so viel Eis. Dass all dies erst die Vorboten einer noch schlimmeren Entwicklung sind, liegt wissenschaftlich auf der Hand. Globaler Panikpunkt „Weil wir über Jahrzehnte hinweg das rechte Maß und den Übergang zu naturverträglichen Technologien nicht gefunden haben, intensiviert und beschleunigt sich nun die planetare Krise noch einmal deutlich“, schreibt Thomas Metzinger in seinem neuen Buch „Bewusstseinskultur“. „Das alles wussten wir schon lange. Aber wir haben beschlossen, die Tatsachen so gut wie möglich zu ignorieren. Zudem haben wir unsere eigene Selbsttäuschung auf
DIE FURCHE · 17 27. April 2023 Wissen 23 „ Bewusstseinskultur im ‚Worst-Case‘- Szenario würde bedeuten, selbst angesichts eskalierender Krisen die eigene Würde zu bewahren – und in Anmut zu scheitern. “ politischer Ebene erfolgreich organisiert.“ Der deutsche Philosoph sieht „uns“ bereits in einem epochalen Umbruch: Ein „historischer Flaschenhals“ naht, wodurch es bald eng werden könnte. Die Menschheit sei bereits in die Phase der Schadensbegrenzung und des Katastrophenmanagements eingetreten. Nicht nur geophysikalische Kipppunkte drohen irreversibel überschritten zu werden, auch ein „globaler Panikpunkt“ sei bereits am Horizont zu erkennen. Dann werde die Mehrheit der Menschen weltweit auch gefühlsmäßig realisieren: Die Wissenschaft hatte recht – jetzt aber ist es zu spät; die Katastrophe ist unumkehrbar. Neue Kraftquellen Nach der Bestandsaufnahme folgt die Suche nach den Ursachen. Metzinger erkennt sie in der inhärenten Trägheit gleich mehrerer Systeme: Da ist zunächst das geophysikalische Klimasystem der Erde. Die Anfänge der Krise entfalteten sich in Zeitlupe und waren sinnlich noch kaum wahrnehmbar. Jetzt aber rollt sie dahin wie eine Kugel, die lange Fahrt aufgenommen hat. Denn Treibhausgase wirken zeitverzögert und tragen über viele Jahrhunderte zu negativen Klimafolgen bei. Zudem gibt es die Trägheit der Gesellschaften und politischen Institutionen. Nicht zuletzt aber ist unser Gehirn träge: Seine teils starren Strukturen wurden über Jahrmillionen der Evolution hervorgebracht. „Immer drängender stellt sich daher die wissenschaftliche Frage, welche ‚Fenster der Plastizität‘ der menschliche Geist angesichts der eskalierenden Krise tatsächlich besitzt“, so der Autor. Seine Analyse ist damit beim Kern des Problems angelangt: dem menschlichen Geist. Dieser steckt hinter einem von Gier und Neid getriebenen Wirtschaftsmodell; hinter der Ausbeutung von Ressourcen und Ökosystemen; hinter der Missachtung künftiger Generationen, denen „wir“ drastisch verschlechterte Lebensbedingungen hinterlassen. Die Tiefenstruktur unseres Geistes wurde im biologischen Überlebenskampf geformt, so Metzinger. Um den anrollenden Krisen effektiv zu begegnen, brauche es daher nicht nur sozialen und technologischen Wandel, sondern vor allem eine mentale Umkehr – hervorgebracht durch innere Arbeit, eine Neugestaltung unserer Bewusstheit, eben eine Bewusstseinskultur. Was heißt das genau? Zunächst bedeutet es, die akademische Philosophie aus dem Elfenbeinturm zurück ins Leben zu bringen. Angesichts der planetaren Krise wird uns Schöngeistigkeit nicht mehr retten. Es ist dem emeritierten Professor an der Uni Mainz hoch anzurechnen, dass er schon lange über Formen der Praxis nachdenkt, die das Individuum wie die Gesellschaft in einer fordernden Zeit stützen und bereichern können. Das Konzept der Bewusstseinskultur hat er bereits in den 1990er-Jahren vorgestellt. Im Zentrum steht eine essenzielle – ethische – Frage: Was ist eigentlich ein guter Bewusstseinszustand? Wenn die Klimakrise uns dazu zwingt, den materiellen Lebensstandard zu senken, brauche es eine Kompensation durch geistige Kraftquellen: „Neue Formen des Erlebens und Wissens müssen uns dabei helfen, unseren Verbrauch an rein materiellen Ressourcen zu reduzieren. Gefragt ist daher eine Weise der kulturellen Innovation, die systematisch eine Reihe neuer Ressourcen hervorbringt.“ Bewusstseinskultur wäre eine Ausstiegsstrategie aus dem wirtschaftlichen Wachstumsmodell, die zugleich zu einem wesentlich höheren zivilisatorischen Standard führen soll. Zumindest soll die Transformation in der inneren Welt die Chancen für die äußere Transformation erhöhen. Kann die Jagd nach Profiten und Rohstoffen durch die Suche nach inneren Schätzen abgelöst werden? Metzinger hat das „ Es braucht eine Ausstiegsstrategie aus dem wirtschaftlichen Wachstumsmodell, die zugleich zu einem höheren zivilisatorischen Standard führt. “ Projekt einer Bewusstseinskultur anhand wichtiger Anwendungen abgesteckt: Es geht um Achtsamkeitsmeditation an den Schulen, eine vernünftige Medienhygiene und Drogenpolitik, fortschrittliche Tierethik sowie den gemeinwohlorientierten Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Es geht auch um Möglichkeiten, sich auf das Sterben vorzubereiten und eine friedliche Ich-Auflösung eventuell bereits vor dem körperlichen Tod einzuüben. Und es geht darum, in die „unendlich vielen Welten des Bewusstseins“ vorzustoßen, interessante Zustandsräume und wertvolle Erlebnisformen zu erkunden – und somit auch der „existenziellen Tiefendimension des Geistes“ gerecht zu werden. Dafür gibt es bislang kaum geschützte Räume. Erst in jüngster Zeit stößt das Projekt einer Bewusstseinskultur zunehmend auf Resonanz. Zahlreiche Initiativen beziehen sich bereits darauf – vom deutschen Netzwerk „Achtsame Hochschulen“ bis zur Psychedelik-Plattform MIND in Berlin. Aus seinen eigenen Praktiken macht der 65-jährige Bewusstseinsforscher kein Hehl: Im Buch berichtet er über seine langjährige Meditationspraxis ebenso wie über seine Drogenexperimente mit LSD oder Psilocybin: „Von den vielen psychoaktiven Substanzen, die es heute auf dem Markt gibt, sind nur sehr wenige für eine ernsthaftere, philosophisch und spirituell motivierte Bewusstseinskultur wirklich von Interesse.“ Äußere und innere Perspektiven sieht der Autor als komplementäre Wege des Erkenntnisgewinns: Naturwissenschaft und Philosophie können mit kontemplativer Innenschau und psychonautischen Reisen verbunden werden. Förderung der mentalen Autonomie Die Theorie der Bewusstseinskultur zielt auf eine „Aufklärung 2.0“. Sie orientiert sich am Prinzip der „intellektuellen Redlichkeit“ und soll den Bürger(innen) ermöglichen, ihre mentale Autonomie zu steigern. Hier zeigen sich jedoch auch die Leerstellen in Metzingers Konzept. Erstaunlich ist einerseits, dass die Psychotherapie keinerlei Rolle darin spielt. Wenn man sich vor Augen führt, wie viele Menschen mit blinden Flecken und einer traumatischen Belastung durchs Leben gehen, wäre die psychotherapeutische Selbsterfahrung der gesellschaftlich wichtigste Schritt zur Förderung der geistigen Selbstbestimmung: Wege zur Bewusstwerdung sind die Voraussetzung für Bewusstseinskultur. Andererseits irritiert die Religionskritik, wodurch die „organisierten Religionen“ bloß als evolutionär gewachsene „Wahnsysteme“ erscheinen, die der Verleugnung unserer Sterblichkeit dienen. Aber macht es letztlich einen Unterschied, „Nach innen leuchten“ (30.11.2020): Martin Tauss über konkrete Ansätze einer Bewusstseinskultur, auf furche.at. Foto: Veysel Çelik | AVA Arthouse Studio / Piper Verlag Thomas Metzinger ist em. Professor für Philosophie der Universität Mainz. Er gilt als einer der profiliertesten Denker im Bereich der Bewusstseinsforschung, Kognitionswissenschaft und Philosophie des Geistes. Sein Buch „Der Ego-Tunnel“ (2009) wurde in neun Sprachen übersetzt. 2018 wurde er in die Expertengruppe für Künstliche Intelligenz der EU-Kommission berufen. ob ethisch heilsame Bewusstseinszustände durch eine religiöse oder säkulare Praxis hervorgebracht werden? Ob etwa Liebe und Mitgefühl im Rahmen einer christlichen, buddhistischen oder säkularen Spiritualität kultiviert werden? Das moderne Projekt einer Bewusstseinskultur könnte wohl viel Inspiration aus religiösen Traditionen schöpfen, so wie umgekehrt religiöse Traditionen von einer modernen, wissenschaftlich basierten Bewusstseinskultur profitieren könnten. Die Schnittmenge läge darin, dem öden Bewusstseinsniveau einer achtlosen Konsumkultur ein attraktiveres Angebot entgegenzuhalten. Ob das gelingen kann, steht in den Sternen. Metzingers Konzept will auch für das „Worst-Case“-Szenario vorsorgen: Das würde bedeuten, selbst angesichts eskalierender Krisen die eigene Würde und Selbstachtung, geistige Klarheit und Aufrichtigkeit zu bewahren – und gegebenenfalls in Anmut zu scheitern. Bewusstseinskultur Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise Von Thomas Metzinger Berlin Verlag 2023 208 S., geb., € 22,70 Geld, das dem Leben dient „Eine soziale Geldanlage, die Jobs schafft, vor allem für Frauen in den Ländern des Globalen Südens, ist mir sympathisch. Oikocredit bietet Hilfe zur Selbsthilfe und das finde ich fair.” Dr. Sabine Haag Generaldirektorin KHM-Museumsverband 01 / 505 48 55 www.oikocredit.at Hinweis: Werbeanzeige der Stichting Oikocredit International Share Foundation, Wertpapierprospekt samt allfälligen Nachträgen abrufbar unter www.oikocredit.at.
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