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DIE FURCHE 27.04.2023

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DIE FURCHE · 17 20 Film & Medien 27. April 2023 Von Otto Friedrich Letztes Wochenende war Brendan Fraser höchstpersönlich in Wien, um die Romy International für seine Performance in „The Whale“ entgegenzunehmen. Zuvor hatte der US-amerikanische Schauspieler hierfür schon den Hauptrollen-Oscar entgegennehmen können – ein völlig zu Recht errungener Preis. Nun kann das heimische Publikum die Qualen des 270 Kilo auf die Waage bringenden Schwulen Charlie auch im Kino miterleben. Nicht nur Brendan Frasers Leistung im Fatsuit (auch die Maskenbildner(innen) gingen mit dem Oscar nach Hause) ist hinreißend. Denn Regisseur Darren Aronofsky („Black Swan“, „The Wrestler“) zeigt auch, wie heutzutage ein Theaterstück auf die Leinwand zu bringen ist, ohne dass die Bühnenherkunft des Plots verschwiegen werden muss. Im Gegenteil: Samuel D. Hunter adaptierte sein Erfolgsstück für den Film so, als ob er einfach weiter für einen Bühnenraum geschrieben hätte. Und so spielt „The Whale“ bloß in einem einzigen Raum, in dem Aronofsky die klaustrophobische Enge und die adipöse Atemnot in depressiver Schummrigkeit zum Erlebnis macht (wenn man diese Abgründe einer unglückseligen Existenz denn „erleben“ will). Blutdruck von 238/134 „ Ein Mensch, zu unansehnlichem Leib verkommen, giert nach Erlösung und versucht, sich aus dem Netz seiner Schuldbeladenheit zu befreien. “ Für seine unbeschreibliche Performance als 270-Kilo-Charlie wurde Brendan Fraser heuer mit dem Oscar geehrt. Darren Aronofskys „The Whale“ hat es aber auch sonst in sich. Apokalypse der Fettleibigkeit Schon zu Beginn, als das Publikum autoerotischer Befriedigung sowie einem Herzanfall des Protagonisten (ein Blutdruck von 238/134 ist alles andere als ein Lercherl) beizuwohnen hat, nimmt das Elend seinen Lauf: Charlie ist ein emeritierter Literaturprofessor, der sich mit Online-Schreibkursen noch irgendwie am Existieren hält. Weil er sich selber unansehnlich wie nur findet, täuscht er technische Probleme an seiner Webcam vor, sodass er zwar seine Video-Schüler(innen) sieht, diese ihn jedoch niemals. Charlie hat seine Familie einst wegen eines seiner Studenten verlassen. Der ist aber selbst aus dem Leben geschieden, weil er von der religiösen Gemeinschaft „New Life“ ob seiner „sündhaften“ Beziehung zu Charlie um den Verstand gebracht wurde. Charlies beinahe einziger Kontakt bleibt Pizzabote Dan, von dem er nur die Stimme kennt und dessen Lieferungen er nur so in sich hineinfrisst. Dazu kommen Krankenschwester Liz (Hong Chau), die fast täglich vorbeischaut, sowie der junge Thomas (Ty Simpkins), ausgerechnet von „New Life“, der ihn zu missionieren sucht und Charlie in ungewollte Diskurse über Erlösung verwickelt. Den Tod vor Augen will Charlie noch einmal ins Reine kommen mit jenen, denen er das Leben mit verpfuscht hat: seiner von ihm verlassenen Frau und Alkoholikerin Mary (Samantha Morton) und vor allem beider Tochter Ellie (kongenial: Sadie Sink). Nichts Verkrachtes scheint all diesen Gestalten fremd zu sein, und der fettleibige Charlie, der sich nur mit äußerster Mühe von seinem Stuhl wegbewegen kann, ist selber eine personifizierte Metapher für die Schwere, die diese Schicksale darstellen. Ein Mensch, zu unansehnlichem Leib verkommen, giert nach Erlösung und versucht sich aus dem Netz seiner Schuldbeladenheit zu befreien. Doch wie soll dies einem Unbeweglichen noch gelingen? Solche Fragen türmen sich in dem düsteren Zimmer, in dem Charlie haust, auf. Die Metaphorik wird auch literarisch unterfüttert, als sich die Handlung um einen kritischen Aufsatz über den Literaturklassiker „Moby Dick“ dreht: Wo Charlies Identifikation da liegt – ob beim Wal (der ja auch im Filmtitel wiederzufinden ist) oder beim diesen jagenden Kapitän Ahab – ist eines der Spannungsmomente, von dem dieser areligiöse und gleichzeitig vor Religion strotzende Streifen lebt. Nicht nur, aber auch dank Brendan Fraser – metaphorisch wie buchstäblich – ist „The Whale“ ein extrem korpulentes Kinoerlebnis. The Whale USA 2022. Regie Darren Aronofsky. Mit Brendan Fraser, Hong Chau, Sadie Sink, Samantha Morton, Ty Simpkins. Panda Lichtspiele. 117 Min. SPIELFILM Selbstbehauptung einer Frau Gewerkschafterin“ Maureen Kearney kämpft beim „Die staatlichen Atomkonzern Areva um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Als man ihr Informationen zuspielt, dass Areva von der Konkurrentin EDF übernommen und die Technologie nach China verkauft werden soll, versucht sie alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das zu verhindern. Mit Gewalt will man die Angestellte in die Knie zwingen. Sie wird eines Morgens in ihrem Haus überfallen, im Verlauf der Untersuchung vom Opfer zur Täterin gemacht, wegen Vortäuschen einer Straftat angeklagt. Jean-Paul Salomé rückt die Selbstbehauptung einer Frau in einem männerdominierten Industriezweig ins Zentrum seines gesellschaftskritischen Thrillers und sondiert darüber zwei weitere aktuelle Themen. So zeigt er einerseits die skrupellosen Machenschaften der Atomindustrie. Andererseits setzt er sich als Polizeifilm und Gerichtsdrama mit Diskriminierung und dem Vorgehen von Exekutive und Judikative auseinander und gesellt sich damit zu einer Reihe französischer Produktionen wie „Menschliche Dinge“, „In der Nacht des 12.“ oder „Saint Omer“. Allerdings wirkt dieser Teil langatmig und zu glatt und thesengeleitet. Aber eine taffe Isabelle Huppert als Heldin verkörpert gekonnt die Idee eines lauteren, demokratischen Kampfes. (Heidi Strobel) Die Gewerkschafterin (La Syndicaliste) F, D 2022. Regie: Jean-Paul Salomé. Mit Isabelle Huppert, Grégory Gadebois, Yvan Attal. Filmladen. 122 Min. Ab 5.5. im Kino. Isabelle Huppert (Mi.) gibt die taffe Gewerkschafterin Maureen Kearney. FEDERSPIEL Ein Test der guten Absicht Von Peter Plaikner HORROR-THRILLER Wahnwitziges Eskalationsdrama Dass es für Aufgaben im öffentlichen Interesse auch Geld vom Staat braucht, ist eine Logik, die auf gesellschaftlich unterentwickeltes Verständnis trifft. Es folgt erst bei ureigener Betroffenheit durch etwas, das nicht richtig funktioniert. Solche Pannen im System sind im Gesundheitswesen individuell leichter zu bemerken als im Medienbereich. Deshalb hat jedes Bundesland einen Patientenanwalt. Und das finden (auch) außerhalb der medizinischen Community wohl alle gut so. Aber es gibt nur einen Presserat in Österreich. Und das scheint außer den Journalisten und Medien, die ihn tragen, kaum jemanden zu interessieren. Denn seit 2010 erhält er unverändert 150.000 Euro Förderung zur Finanzierung seiner Geschäftsstelle. Das soll zwar mit dem neuen Mediengesetzpaket um 35.000 Euro steigen. Im Gegenzug werden aber seine Aufgaben über alles Gedruckte hinaus auf reine Online-Medien erweitert. Dorthin, wo es längst die meisten Verstöße gegen den Ehrenkodex der Journalisten gibt. Also appellieren die 33 Senatsmitglieder des Presserats in einem offenen Brief an den Bundeskanzler, ihre ehrenamtliche Tätigkeit stärker als geplant zu unterstützen. Das Gremium zur Medien-Selbstkontrolle ist dabei so nobel, wertschätzende Maßnahmen durch die Regierung anerkennend zu erwähnen. Doch es schreibt nicht über den wahren Knackpunkt seiner Arbeit: Der Ausschluss von staatlicher Medienförderung muss das Mindestmaß für Verstöße gegen journalistische Regeln sein, die Teilnahme am Presserat das Minimalerfordernis für jeden Erhalt eines öffentlichen Inserats. Eine solche Festlegung gegen unverschämte Ansprüche vom Boulevard fehlt im Entwurf zur Novelle des Medientransparenzgesetzes, das durchaus positive Weiterentwicklungen bietet. Kleinigkeiten wie eine Unterdotierung des Presserats lassen allerdings sogar an der guten Absicht zweifeln. Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst. Alyssa Sutherland spielt die alleinerziehende Mutter Ellie, die von einer dämonischen Macht besessen wird. Mit den „Evil-Dead“-Filmen revolutionierte Sam Raimi in den 1980-ern das Horrorkino und forderte zugleich die Zensur heraus: Fontänen aus Blut, eine völlig entfesselte Kamera sowie der Hang zum aberwitzigen Slapstick machten die Filme zu Klassikern. Fede Álvarez‘ Quasi-Remake von 2013 konnte Fans zwar zufriedenstellen, Raimis surrealer Humor blieb dabei aber auf der Strecke. Nun hat sich Lee Cronin mit „Evil Dead Rise“ an einem weiteren Eintrag im beliebten Horrorfranchise versucht – und wird dem anarchischen Geist der Vorgänger schon eher gerecht. Anstatt die Handlung wie üblich in einer abgelegenen Waldhütte anzusiedeln, verlegt Cronin das Geschehen in ein Apartmenthochhaus. Ellie (Alyssa Sutherland) ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern in L.A. und bekommt überraschend Besuch von ihrer Schwester Beth (Lily Sullivan). Als ein Erdbeben einen verborgenen Tresor im Keller freilegt, wird Ellie von einer dämonischen Macht besessen und beginnt, ihre Familie zu terrorisieren. Anhand zahlreicher grotesker Einfälle, einer gehörigen Portion Suspense, schräger Kameraperspektiven und sehr viel Blut folgt „Evil Dead Rise“ einer wahnwitzigen Eskalationsdramaturgie, die den Originalen um nichts nachsteht. Zartbesaitete seien jedoch gewarnt. (Philip Waldner) Evil Dead Rise NZ/USA/IRL 2023. Regie: Lee Cronin. Mit Alyssa Sutherland, Lily Sullivan, Gabrielle Echols, Mirabai Pease, Morgan Davis, Nell Fisher. Warner. 97 Min.

DIE FURCHE · 17 27. April 2023 Wissen 21 Klimaneutrale Mobilität braucht schnellere Lösungen als die E-Fuels. Der aktuelle Streit hat aber auch sein Gutes: Wir diskutieren endlich über die Energiewende! Ein Gastkommentar. Unerbittliche Grenzen Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Kultur der Fürsorge Von Johannes Schmidl E-Fuels sind synthetische flüssige Kraft- und Brennstoffe, die im Idealfall „umwelt- und klimaschonend aus erneuerbaren Energien und atmosphärischem CO2“ hergestellt werden – so die Webseite der europäischen „eFuel Alliance“. Der Verband wie auch sein österreichischer Ableger setzen sich für die industrielle Produktion und den möglichst breiten Einsatz dieser Energieträger ein. Auch zu den Vorteilen der E-Fuels hält man sich naturgemäß nicht zurück: Sie seien chemisch den flüssigen Energieträgern wie Diesel oder Benzin gleichwertig, könnten mit Tankern weltweit transportiert werden und herkömmliche flüssige und gasförmige Kraft- und Brennstoffe ersetzen. Mit ihnen könnte man die bestehenden Autoflotten weiter betreiben, ebenso wie Ölheizungen, Mopeds, Flugzeuge, Schiffe usw. Mit den E-Fuels würden die Probleme, die wir mit den fossilen Energieträgern haben, wie von selbst verschwinden: Für die Konsumenten müsste sich quasi nichts ändern. Kein Wunder, dass dieses fast universale Lösungsversprechen gern gehört wird. „ Die Politik könnte verbindliche und mit der Zeit ansteigende Mengenquoten für den Einsatz in den ‚unverzichtbaren‘ Bereichen Flug- und Schifffahrt festsetzen. “ Schlechter Wirkungsgrad Die Vorteile der E-Fuels erkauft man aber mit einem grotesk schlechten Wirkungsgrad für ihre Herstellung, also die Umwandlung der – im besten Fall erneuerbaren – elektrischen Energie über mehrere Schritte in einen flüssigen Treibstoff. Nicht nur, dass es die elektrische Überschussenergie, die man für die Produktion der E-Fuels benötigen würde, nicht gibt. Füllt man die E-Fuels nach aufwendiger Produktion und dem Transport irgendwann in einen Autotank, ergibt sich über den Verbrennungsmotor in Summe ein Wirkungsgrad von gerade einmal 15 Prozent. Nutzt man die elektrische Energie aus Wind und Sonne hingegen gleich zum Antrieb eines Elektroautos, erreicht man einen Wirkungsgrad von 74 Prozent. Diese Effizienzüberlegungen sprechen eine klare Sprache. Überdies sind E-Fuels noch nicht kommerziell verfügbar. Die weltweit bis 2035 geplanten Projekte zu ihrer Herstellung würden lediglich zehn Prozent des Bedarfs, den allein Deutschland nur für seinen Flugverkehr, Schiffsverkehr und seine Chemieindustrie benötigen würde, produzieren. Und erst für ein Prozent dieser Projekte gibt es eine positive Investitionsentscheidung. Kann man diese Probleme mit mehr Forschung bewältigen? Forschungskapazitäten und deren Finanzierung sind nicht beliebig vermehrbar, und es ist wichtig, bei der Definition von Forschungsschwerpunkten nicht falsch abzubiegen. Wenn wir unsere kreativen wissenschaftlichen Kräfte und Forschungsbudgets in die Erforschung des Verbrennungsmotors stecken, fehlen uns diese, um im Bereich der Batterietechnologien mit den globalen Mitbewerbern in China und den USA mitzuhalten. Die politische Vorgabe von Forschungsschwerpunkten würde der „Technologieoffenheit“ widersprechen, hört man dann. Dieser Begriff klingt nach unternehmerischer Freiheit, wird aber oft als Euphemismus für politische Strategie-Unfähigkeit verwendet. Die Hersteller von Verbrennungsmotoren wie auch die Mineralölindustrie hatten die geforderte Technologieoffenheit über die letzten 120 Jahre. Herausgekommen ist dabei ein Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors von unter 30 Prozent und ein Anteil an erneuerbaren flüssigen Brennstoffen im einstelligen Prozentbereich – und selbst der wurde von der Politik erzwungen. Bei diesen heute schon verwendeten erneuerbaren flüssigen Brennstoffen handelt es sich um die bekannten biogenen Treibstoffe aus Altspeiseöl, Alkohol und Ölpflanzen. Diese sind schon lange am Markt: Der Motor, den der Erfinder Rudolf Diesel auf der Weltausstellung 1900 in Paris vorstellte, wurde mit Erdnussöl betrieben. Aber auch die Mengen an biogenen flüssigen Energieträgern sind begrenzt und nicht geeignet, sämtliche Ölheizungen und PKW zu betreiben. Der PKW der Zukunft wird elektrisch betrieben werden: Das ist entschieden, wie auch, dass die Raumwärme künftig nicht mehr mit Ölheizungen, sondern mit Wärmepumpen und Solarthermie, Pellets, Geothermie und Biomasse bereitgestellt werden. Es bleiben dennoch einige Nischen für flüssige, erneuerbare klimaneutrale Energieträger. Vor allem der Flug- und der Schiffsverkehr werden sie benötigen. Das sind die Zukunftsmärkte der E-Fuels. Die erneuerbaren flüssigen Brennstoffe dort hinzulenken, ist Aufgabe der Politik. Die Marktkräfte selbst finden zwar ein Optimum, allerdings kein volkswirtschaftliches, sondern eines des eigenen Profits. Dieses kann weitab von dem liegen, was wir für Klimaschutz und Energiewende dringend benötigen. Foto: APA / AFP / Ineratec Gmbh / Handout Unsinnige Verwendung Die Energiewende braucht also Planung in Form von Energiepolitik für den effizienten und effektiven Einsatz der geringen Mengen an E-Fuels, die wir erzeugen können. Energiepolitik wurde in Österreich jahrzehntelang vernachlässigt und den großen Marktakteuren wie der OMV überlassen. Die Politik könnte beispielsweise verbindliche und mit der Zeit ansteigende Mengenquoten für den Einsatz von erneuerbaren flüssigen Brennstoffen in den „unverzichtbaren“ Bereichen Flug- und Schiffsverkehr festsetzen. Dann hätten die Projektbetreiber Planungssicherheit, und die unsinnige Verwendung der E-Fuels in Ölheizungen oder Mopeds würde verhindert werden. Es gibt im Energiebereich keine Denkverbote. Was es dort aber gibt, sind physikalische Grenzen von Realisierungsmöglichkeiten. Diese sind wie die Hauptsätze der Thermodynamik unerbittlich: Über sie kann man sich bei aller geforderten Gedankenfreiheit und „Technologieoffenheit“ nicht hinweg schwindeln. Der Autor ist Energieexperte und Buchautor. E-Fuels Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) plädiert für „Technologieoffenheit“ und machte sich kürzlich bei einem „Autogipfel“ für E-Fuels stark. Daran entzündete sich eine hitzige Debatte über die Mobilität der Zukunft (Bild: Synthetischer Kraftstoff des deutschen Startups Ineratec). Wellen, die an den Strand einer Insel heranbranden. Und ein paar Tiere, die sich mehr oder weniger über Wasser halten: ein Seestern, ein Delfin, ein Oktopus. Das zeigt eine Smartphone-App, die Stressdaten verarbeitet. Genau genommen geht es um Unterschiede in der Herzfrequenz, denn bei chronischem Stress ist die sogenannte „Herzraten-Variabilität“ reduziert. Und dieser Wert sagt damit auch jede Menge über das psychische Befinden der User(innen). Man kann ihn leicht über smarte Uhren erfassen, die man tagsüber am Körper trägt. „IntimaSea“ heißt die App, über die eine Gruppe nahestehender Personen die eigenen Stressdaten per Klick teilen kann, etwa mit Ehepartnern, guten Freunden und engen Verwandten. Wenn jemand in der Gruppe psychische Probleme hat, sieht man das sofort: Eines der Tiere gerät unter die Wellen und hat Mühe, wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Die User werden in Echtzeit darauf aufmerksam und können sich gegenseitig rasch helfen, indem sie eine Form von Kontakt herstellen – etwa durch Textnachrichten, Bilder, Emojis oder gleich einen Anruf. „ Über eine neue App können nahestehende Personen ihre Stressdaten teilen. Wenn jemand in der Gruppe psychische Probleme hat, sieht man das sofort. “ Die Mental-Health-App wurde an der Universität Glasgow designt und in einer Studie geprüft. Die Ergebnisse sind bislang ermutigend: Die Teilnehmer berichteten von einem besseren Stressbewusstsein, auch in Bezug auf sich selbst, sowie von einem Gefühl der kollektiven Verantwortung. „Nicht jedem fällt es leicht, über das eigene Stressniveau und die psychische Gesundheit zu sprechen, nicht einmal mit nahestehenden Leuten“, sagt Studienleiterin Xianghua Ding. „Die App erleichtert die Kommunikation in diesem heiklen Bereich.“ Sie hofft, dass das Angebot bald in häufig verwendete Apps wie WhatsApp integriert werden kann, um richtig breitenwirksam zu werden. Diese Woche wird „IntimaSea“ auf einer Konferenz zur Mensch-Computer-Interaktion, der ACM CHI in Hamburg, vorgestellt. „Caring-through-data“, also „Fürsorge durch Daten“, nennt sich dieser neue Ansatz im Bereich der psychischen Gesundheit. Seit der Corona-Pandemie ist auch die „digitale Psychiatrie“ zum Experimentierfeld geworden, in dem messbasierte Frühwarnsysteme zur Erkennung psychischer Krisen ausgetestet werden. Psychiater und Psychotherapeuten diskutieren bereits über die Vor- und Nachteile von hybriden Therapiebeziehungen in realen und virtuellen Welten. Bei der Einführung von Mental-Health-Apps muss das Thema Datenschutz jedenfalls ganz oben auf der Agenda stehen. Und es stellt sich die Frage, ob „Caring“ nicht auch anders gefördert werden sollte – durch „Zeitwohlstand“ und innovative Begegnungszonen in der analogen Welt. Eine Kultur der Fürsorge wäre generell ein attraktives Leitbild für den nötigen ökosozialen Wandel. Neben den technologischen dürfen die sozialen Innovationen dabei nicht zu kurz kommen.

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