DIE FURCHE · 17 14 Diskurs 27. April 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Ich bin wütend auf den Zeitenwechsel Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. In Ihrem letzten Brief geht es wieder einmal um Benachteiligung und Gleichberechtigung. Gut so. Auch wenn ich mich in der Gruppe vorfinde, die Sie die „Prä-Internet-Generation“ nennen. Das fühlt sich an, als wäre uns das Ablaufdatum im Hemdkragen aufgedruckt – bitte im Schongang waschen. Und als wären Zeitungen (schreiben, drucken und am Ende auch noch lesen) Kulturtugenden von vorgestern und die Zielgruppe eine aussterbende Singvogelart. Last generation – lost generation. Wenn schon eine Zeitung, dann aber bitte mit einer App, welche die bewegten Bilder dazu liefert! Aber keine Angst, „ Als wären Zeitungen Kulturtugenden von vorgestern! Aber keine Angst, ich werde mich nicht ankleben am rissigen Asphalt einer überholten Medienlandschaft. “ ich werde mich nicht ankleben am rissigen Asphalt einer überholten Medienlandschaft. Aber ich bin wütend, liebe Frau Hirzberger, nicht auf Sie, sondern auf den rasanten Zeitenwechsel, den Sie mir – wieder einmal – vor Augen geführt haben. Und darauf, erkennen zu müssen, wie sehr offenbar meine mediale Welt eine Welt von gestern ist. Ich vermute (und hoffe!) allerdings, dass Sie es ironisch gemeint haben, wenn Sie schreiben, „Information und Wissen, das Kapital der Medienhäuser“ seien – dank Internet – „demokratisiert“. Das hieße doch auch, alle hätten wirklich den gleichen Zugang und Zugriff. Davon sind wir – global sowieso – noch immer weit entfernt; rund 70 Prozent der über 70-Jährigen tun sich schwer im digitalen Umgang und bevorzugen Print. Ach ja, ich weiß: ein bissl Geduld, und die Nachrückenden werden sich schon leichter tun! Für den Hinweis auf die beiden journalistischen „Jungblüten“ andererseits und tag eins bin ich Ihnen dankbar. Da lese ich: „Wir geben dem Journalismus zurück, was ihm fehlt: Die Perspektiven von Menschen, die er ausschließt.“ Dass es Ihnen bei Medienberichten über die Dragqueen-Lesungen in Wien „kalt über den Rücken gelaufen ist“, verstehe ich. In welch groteskem Verhältnis stand da ein Polizeiaufgebot wegen verhetzter Demonstranten zu den Kindergeschichten, die da vorgelesen und vorgespielt wurden! Ich habe über Anlass und Reaktionen ein wenig recherchiert und bin auf ein Transparent gestoßen, das vor dem Haus einer der Lesungen hing: I love you and you should love YOU TOO. Eine schöne Paraphrase zu Leviticus 19,18. Toleranz ist mir fast zu wenig Sie, liebe Frau Hirzberger, fordern Toleranz. Anderen Lebenskonzepten und fremden Kunstformen gegenüber. Dragqueens zum Beispiel. Ich sage ganz ehrlich: Toleranz ist mir fast zu wenig. Dieses „die sollen doch machen, was sie wollen“. Das ist mir zu nahe an der Gleichgültigkeit. Ich wünsche mir Zustimmung zu einem Lebenskonzept, gerade wenn es von meinem unterschieden ist. Aber vielleicht ist das zu viel verlangt. Noch. Und auch von mir selber. Zum Schluss ein Wort zum „altbekannten“ Marmorgugelhupf, der nicht in die Cupcake-Form passt. Ich ziehe ihn dem Passionsfrucht-Cupcake vor, nicht nur, weil ich den armen Passionsfrüchten die Seekrankheit auf ihrem langen Weg zu mir ersparen möchte. Sondern weil ich ihn einfach liebe. Ich wünsche Ihnen eine recht gute Zeit! Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass das österreichische Gesundheitssystem quasi über Nacht auf die Probe gestellt werden kann. Überfüllte Betten, verschobene OPs, überforderte Pflegerinnen und Pfleger und alarmierte Ärztinnen und Ärzte gehörten knapp zweieinhalb Jahre zum Alltag. Selbstverständlich sind das Kaputtsparen der Spitäler, die sich zunehmend einschleichende Privatisierung der Gesundheitsversorgung und die mangelnde Attraktivität des Arztberufes in Österreich wichtige Schrauben, an denen man drehen müsste. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass der Hund bereits in der Ausbildung begraben liegt. Eines vorweg: Ich selbst habe davon profitiert, dass es an österreichischen Universitäten einen Prozentsatz gibt, der für Studierende mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft reserviert ist. Dieser Schlüssel ist richtig und wichtig, da er zur Demokratisierung des Ausbildungswesens beiträgt. Dennoch lässt sich gerade bei den österreichischen Medizin-Unis ein klarer Trend beobachten: Rund 77 Prozent der deutschen Absolventen eines Medizinstudiums gehen wieder ins Ausland, wie eine Berechnung der Statistik Austria zeigt. Demgegenüber verlassen nur acht Prozent der österreichischen Studierenden das Land. Österreich ist also längst ein Durchlauferhitzer für deutsche Studierende geworden. Aber eine Ausbildung zum Mediziner ist teuer. Sie kostet den Steuerzahler rund 350.000 Euro. Der Studienplatz steht LASS UNS STREITEN! Zu viele Deutsche an den Medizinunis? auch deutschen Studierenden gratis zur Verfügung. Selbstverständlich sollte es daher Anreize geben, die Steuergelder aus der Erwerbsarbeit nach der Ausbildung im Land zu behalten. Eine Studienplatzreduktion für ausländische Studierende steht ethisch und rechtlich selbstverständlich nicht zur Debatte. Möglich wäre es aber, Medizinstudenten nach der Ausbildung für eine Zeit zur Berufsausübung in Österreich zu verpflichten. Der Vorstoß ist nicht neu und kommt sowohl von der ÖVP als auch vom Sozialversicherungs-Chef Peter Lehner. Damit wird man nicht alle Mängel im Gesundheitssystem beheben, aber es wäre ein wichtiger erster Schritt. Für ausländische Studierende wäre es ein Akt der Solidarität mit ihrem Ausbildungsland. Es gibt Schlechteres. (Manuela Tomic) Ein rares Gut – also einer von1.850 Studienplätzen für Humanmedizin im Land – soll möglichst gerecht auf die Mitglieder einer sozialen Gruppe verteilt werden. Hier wird einem der Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit gefolgt: der Leistungsgerechtigkeit. Jene Bewerber(innen) erhalten die Studienplätze, die die dafür nötige Leistung (also einen bestandenen Aufnahmetest) erbracht haben. Oft streiten die Wirtschaftsweisen in diesem Kontext, wie genau sich die jeweilige Leistung eigentlich messen lässt. Doch dieser Punkt ist weniger der Zankapfel. Viel mehr dreht sich alles um die Gretchenfrage, die wie ein rosa Elefant im Raum steht: Sind auch Deutsche ein Mitglied unserer sozialen Gruppe? Die Europäische Kommission hat dafür eine klare Antwort: Staatsbürger eines EU-Landes haben Rechte in der EU – etwa an jeder EU-Hochschule unter denselben Voraussetzungen wie Einheimische zu studieren. Genau diesem Recht kommen Deutsche nach, die sich in Österreich für einen Medizinstudienplatz bewerben. Würde man in Österreich Portugiesisch statt Deutsch sprechen, wären es nicht die Deutschen, sondern die Portugiesen, die sich an den Med-Unis tummelten. Die Behauptung, Deutsche nähmen den Österreichern die Studienplätze weg, ist also eine durchwegs nationalistisch motivierte. Mein Vorschlag: Warum den Spieß nicht umdrehen? Jedem Maturanten steht es frei, sich an einer der 39 deutschen Hochschulen, an denen man Medizin studieren kann, zu bewerben. Dass man Arzt werden will, weiß man ja hoffentlich schon vor der Matura. Es ist also kein Schaden, mit dem Pauken in der Oberstufe anzufangen. Einen Notendurchschnitt zwischen 1,0 und 1,2 (so hoch ist der NC) hinzukriegen, darf für jene, die meinen, ein Medizinstudium meistern zu können, kein Hexenwerk sein. Der Stoff im Studium ist um ein Vielfaches mehr und schwieriger. Zusätzlich werden in Deutschland mitunter jene bevorzugt behandelt, die nach der Matura eine Ausbildung in einem Gesundheitsberuf absolvieren. Jeder junge Mensch, der ein paar Jahre bei den Nachbarn zubringt, trägt dazu bei, dass das elendige Piefke-Bashing ein Ende nimmt. Der Nationalstaat Österreich ist nicht germanisiert, sondern internationalisiert. Und das ist gut so. (Brigitte Quint) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger 01 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417
DIE FURCHE · 17 27. April 2023 Diskurs 15 Ein Vergleich von Japan und Österreich zeigt: Neben einer familienfreundlichen Sozialpolitik braucht es auch Wertschätzung, damit Paare ihren Kinderwunsch erfüllen. Ein Gastkommentar. Was die Geburtenrate (nicht) steigen lässt Im Jänner 2023 stellte Japans Premier, Fumio Kishida, ein Programm zur Anhebung der Geburtenrate in Aussicht. Die Vorschläge lassen in der Tat aufhorchen: – Eltern sollen mit einem Geburtskostenzuschuss in der Höhe von 3000 bis 3500 Euro unterstützt werden. Diese Kosten werden in Japan für den Großteil der Bevölkerung nicht von der Krankenversicherung oder einem öffentlichen Fonds übernommen. – Die Einkommensgrenzen für die Kinderbeihilfe (während der ersten drei Jahre rund 150 Euro pro Kind und Monat , dann rund 70 Euro), die den Bezug auf einen relativ kleinen Kreis der Eltern beschränkt haben, sollen fallen. – Den Kommunen soll es erleichtert werden, die Medikamentenkosten für Kinder zu bezuschussen, die nicht generell von der sozialen Krankenversicherung getragen werden. – Und schließlich sollen neben dem ambitionierten Ausbau der Tagesbetreuung auch die finanziellen Lasten, die Eltern aus dem Besuch von höheren Schulen und Hochschulen durch ihre Kinder erwachsen, reduziert werden. Diese Bausteine einer kinderfreundlichen Sozialpolitik muten aus österreichischer Perspektive befremdlich an. Bekanntlich werden hier sowohl Entbindungskosten als auch Gesundheitskosten für Kinder, Kosten für Kinderbetreuung und Ausbildung bis zum Hochschulstudium von der Allgemeinheit getragen. Es gibt Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld und eine pensionswirksame Anrechnung von Kindererziehungszeiten, die weltweit auf Spitzenniveau liegt. Ebenso wurde die extrafamiliale Betreuung von Kleinkindern in den letzten 20 Jahren enorm ausgebaut. Migration prägt Reproduktionsdynamik Angesichts des Status quo der Sozial- und Familienleistungen habe ich die japanische Bevölkerung seit langem für die Geburtenrate bewundert. Zwar hat es auf den ersten Blick den Anschein, dass sich der Unterschied im Sozialrecht auf die Geburtenrate auswirkt: Während die Gesamtfertilitätsrate für Japan mit 1,39 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter liegt, beträgt sie in Österreich 1,51. Unübersehbar ist jedoch, dass die Reproduktionsdynamik in Ös- Foto: Privat terreich stark durch die Migration geprägt ist: Die Anzahl von Neugeborenen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft beträgt im Bundesschnitt rund 25 Prozent der Anzahl der Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft (in Wien liegt dieser Wert bei etwa 50 Prozent). Auch andere Indikatoren weisen in diese Richtung. Offensichtlich ist die japanische Bevölkerung, die keine nennenswerte Immigration aufweist, in viel größerem Ausmaß als die „Stammbelegschaft“ Österreichs bereit, Kinder in die Welt zu setzen. Stellt das nicht die verhaltenssteuernde Wirkung der Sozialleistungen in Österreich grundlegend in Frage? DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Wolfgang Mazal „ Die jüngste Teilzeitdebatte hat gezeigt: Viele Frauen werden mit ihren Vorstellungen nicht ernst genommen. “ Es ist bekannt, dass neben den Familienleistungen und Sozialleistungen auch andere Faktoren für die Realisierung von Kinderwünschen entscheidend sind: Prägungen in der eigenen Kindheit, Erwartungen an die Lebensgestaltung, Probleme bei Partnerwahl, Ausbildung und Erwerbsbiografie, Einbettung in Netzwerke, die voraussichtlichen Auswirkungen für die berufliche Stellung und gesellschaftliche Akzeptanz spielen entscheidende Rollen. Es spricht vieles dafür, dass in diesen Punkten gravierende Unterschiede zwischen der „Stammbelegschaft“ und migrantischen Milieus bestehen: Große Studien, die noch vor den jüngsten Migrationswellen gemacht wurden, haben jedenfalls ungeachtet aller Sozialleistungen für Österreich gezeigt, dass junge Eltern ihre Kinderwünsche nicht erfüllen, weil sie im internationalen Vergleich eine deutliche Verschlechterung ihrer beruflichen Chancen und sogar ihrer sozialen Anerkennung befürchten, wenn sie ein Kind bekommen. Auch die durch die Geburt eines Kindes erwartete Verbesserung der Lebenszufriedenheit ist geringer als in den meisten anderen Ländern. Dass dabei Frauen negativer empfinden als Männer, mag auch damit zusammenhängen, dass viele Frauen mit ihren Vorstellungen nicht ernst genommen werden: Wenn in der Diskussion um Teilzeit weitgehend ausgeblendet wird, dass Mütter Kleinkinder in überwiegendem Maß selbst betreuen wollen und dessen ungeachtet extrafamiliale Kleinkindbetreuung wegen des Arbeitsmarkts forciert wird, verwundert nicht, wenn Verunsicherung Platz greift! Nicht nur problembeladene Debatten! So wichtig die von Japan geplanten Maßnahmen sind, so ist doch nicht zu übersehen, dass die Geburtenrate auch Ergebnis langfristiger gesellschaftlicher Organisation und eines Lebensstils ist. Eine nachhaltige Anhebung der Geburtenrate wird nur gelingen, wenn das Mindset von jungen Menschen nicht nur durch problembeladene öffentliche Debatten belastet, sondern auch davon geprägt ist, dass die Übernahme von Verantwortung für Kinder vielfältig unterstützt wird und Eltern sich von Wertschätzung getragen wissen – und zwar unabhängig davon, woher sie kommen und wie sie ihr Leben mit Kindern gestalten wollen. Wenn sich Familienfreundlichkeit nicht in Debatten um das Ausmaß von Förderungen und Infrastrukturmaßnahmen erschöpft, sondern tagtäglich in allen gesellschaftlichen Bereichen gelebt wird, werden junge Menschen ihre Kinderwünsche erfüllen können! Der Autor ist Prof. für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien, Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung sowie langjähriger Gastprofessor an der Kyoto Universität. ZUGESPITZT Die Matura und ein Brief mit Sinn Liebe Maturant(inn)en! Die Textsorte, mit der ich mich hier an euch richte, dürfte euch aus der Vorbereitungszeit bekannt sein. Ob man den klassischen alten Brief heute aber noch braucht? Ich sage: Es kommt darauf an. Beweise dafür, dass immer noch Briefe geschrieben werden, gibt es schließlich. Die Ehefrau von Prinz Harry soll jüngst an ihren Schwiegervater geschrieben haben. Nur: Die Textsorte dürfte sie dem Vernehmen nach nicht recht beherrschen. Anders sieht es da mit offenen Briefen aus. NGOs etwa schreiben sie regelmäßig und bewirken damit einmal mehr, einmal weniger. Und wenn das alles nicht zur Beweisführung beiträgt, kann man immer noch die gute alte Behördenkorrespondenz als Beispiel nennen. Wollt ihr dagegen einmal in die österreichische Spitzenpolitik, braucht ihr die Textsorte eher nicht. Da reichen bekanntlich fundierte Chat-Kenntnisse. Wobei ... das ist eine ganz andere Geschichte. Zur Matura passt die Textsorte „Brief“ allemal: Einer Studie zufolge wird die Reifeprüfung hierzulande als veraltetes Prozedere betrachtet, aber auch als schönes Abschlussritual. So wie das Schreiben eines Briefes ein Ritual sein kann. In diesem Sinne: Alles Gute und lasst euch nicht entmutigen! Victoria Schwendenwein PORTRÄTIERT Die erste altkatholische Bischöfin Die altkatholische Kirche Österreichs hat eine neue Bischöfin: Maria Kubin wurde am 22. April von der Wahlsynode der Kirche in Wien zur Nachfolgerin von Heinz Lederleitner, der in den Ruhestand tritt, gewählt. Kubin, die nach dem Rückzug zweier männlicher Kandidaten die einzige war, die sich zur Wahl stellte, wurde im dritten Wahlgang von der Synode mit der nötigen Zweidrittelmehrheit gewählt. Die Bischofsweihe soll am 24. Juni stattfinden. Kubin ist auch die erste Bischöfin innerhalb der „Utrechter Union“, dem Zusammenschluss altkatholischer Kirchen. Als wichtigstes Ziel nannte die designierte Bischöfin in einer ersten Stellungnahme, dass sich die Menschen in der alt-katholischen Kirche in Österreich gesehen und wertgeschätzt fühlen: „Dann werden sie selbst gestärkt hinausgehen und sich für die Welt einsetzen: Für den Frieden, gegen jede Ungerechtigkeit, in Solidarität für Arme und Ausgeschlossene, für Tiere, für die Umwelt. Dann leben wir im Geiste Christi und folgen seinem Beispiel.“ Maria Kubin, Jahrgang 1965, arbeitet seit 30 Jahren als Psychotherapeutin und schreibt derzeit an ihrer Doktorarbeit zu der Frage, wie Menschen, die Traumaerfahrungen gemacht haben, mit Religion zurechtkommen. Sie schloss sich 2008 der altkatholischen Kirche an und nahm später ein römisch-katholisches Theologiestudium an der Uni Graz auf, welches sie 2020 abschloss; im Anschluss ergänzte sie dieses Studium noch mit einem Masterstudiengang in altkatholischer und ökumenischer Theologie an der Uni Bonn. 2017 wurde sie zur Diakonin, 2019 zur Priesterin geweiht. Die altkatholische Kirche, die in Österreich etwa 8600 Mitglieder hat, trennte sich nach dem I. Vatikanum (1870) von der römisch-katholischen Kirche, weil sie die Dogmen der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats des Papstes nicht anerkannte. Man nannte sich „altkatholisch“, weil man beim „alten Glauben ohne die neuen Dogmen bleiben“ wollte. Die Kirche steht seit den 1930- ern in Gemeinschaft mit den Anglikanern. In Österreich kommen mehr als zwei Drittel des altkatholischen Klerus aus der römisch-katholischen Kirche. Der abtretende Bischof Heinz Lederleitner war ebenso römisch-katholischer Priester wie seine Vorgänger John Okoro und Bernhard Heitz. Auch Bischöfin Kubin ist konvertiert. Frauen können bei den Altkatholik(inn)en seit etwa 20 Jahren Priesterin werden. Es gibt in dieser Kirche auch keinen Pflichtzölibat für Geweihte mehr. (ofri) Foto: Kubin Die Grazer Vikarin und Psychotherapeutin Maria Kubin wurde am 22. April in Wien zur Bischöfin der altkatholischen Kirche Österreichs gewählt.
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