Aufrufe
vor 11 Monaten

DIE FURCHE 27.04.2023

  • Text
  • Furche
  • Menschen
  • Medien
  • April
  • Australien
  • Langeweile
  • Zeit
  • Welt
  • Foto
  • Kinder

DIE

DIE FURCHE · 17 12 Religion/Philosophie 27. April 2023 Jüdische Philosophen trugen im 20. Jahrhundert – und auch heute in der globalen Welt – wesentlich zur Verbreitung des kritischen Denkens bei. Es begann mit dem geistigen Wiederaufbau Hannah Arendt mit ihrem Ehemann, dem mit Walter Benjamin befreundeten Philosophen Heinrich Blücher, fotografiert 1960 von Fred Stein. Von Anton Grabner-Haider Die jüdische Philosophie entwickelte eine besondere geistige und moralische Dynamik, schon in der Zeit der Antike, des Mittelalters, der frühen Neuzeit und vor allem in der Gegenwart. Die jüdischen Denker mussten besonders sensibel sein für die Leitideen und die sozialen Bedürfnisse ihrer Zeitgenossen, von denen sie abhingen. Sie brachten von ihrer Religion eine starke soziale Sensibilität mit, die sie im 20. Jh. voll entfalten konnten. Damit wurden sie zu Anregern großer philosophischer Schulen, und nach den beiden Weltkriegen zu den Vordenkern des geistigen und moralischen „Wiederaufbaus“ in Europa. Denn der Abbau der kritischen Vernunft und der herkömmlichen Moral hatte mit den Aufrufen zum großen Krieg GLAUBENSFRAGE Rechtsruck und die Muslime Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Österreich zeigen einen klaren Rechtsruck, was auch für das Zusammenleben der Muslime eine Herausforderung darstellt, da die Rhetorik rechtspopulistischer Parteien immer wieder islamfeindliche Tendenzen zeigt. Mir geht es an dieser Stelle nicht um die Hintergründe und Ursachen für diesen Rechtsruck. Mir geht es vielmehr um die Frage nach einem konstruktiven Umgang mit dieser neuen Realität. Dabei halte ich wenig von moralisierenden Aussagen wie „der Rassismus hat Hochkonjunktur“, „unser Land versinkt in Chaos“. Ich halte auch nichts davon, die Bevölkerung nach Kategorien zu polarisieren: hier die Guten, dort die bösen Rechten. Man muss vielmehr die Ängste der Menschen ernst nehmen und sich in einer sachlichen, also weder moralisierenden noch emotionalen Sprache damit auseinandersetzen. Wenn es um den Islam geht, sehe ich die dringliche Notwendigkeit, dass problematische Entwicklungen von den Muslimen selbst angesprochen werden und sie nach konstruktiven Lesen Sie Friedrich Heer über Martin Buber, nachzulesen unter „Weisheit des Ostens und des Westens“ vom 20.2.1958 auf furche.at. von 1914 begonnen. Die jüdischen Überlebenden des Holocaust waren seelisch tief verletzt, sie hatten ihre Familien in den Todeslagern verloren. Sie litten ein Leben lang unter dem „Tumor der Erinnerung“, und sie fragten sich unisono: Wie war das möglich? In Wien findet am 29. April im Otto-Mauer-Zentrum eine Tagung „Jüdische Philosophen und Mediziner im 20. Jahrhundert“ statt, sie möchte an die Ideen und politischen Ziele einiger jüdischer Denker erinnern. Begonnen wird mit den Vordenkern der „Dialog-Philosophie“, vor allem mit Martin Buber und Franz Rosenzweig. Es ging darum, den Anderen besser zu verstehen, um im Frieden mit ihm leben zu können. In den Blick kommen die Lehrer des Neu-Kantianismus, vor allem Hermann Cohen und Ernst Cassirer. Sie mühten sich, die Grundideen der Idealistischen Philosophie mit Von Mouhanad Khorchide Lösungen suchen. Es ist davon auszugehen, dass auch der skeptische Teil der Bevölkerung viel entspannter mit herausfordernden Themen rund um den Islam umgehen würde, wenn die Menschen den Eindruck hätten, die Muslime selbst benennen die Probleme und gehen diese mit Mut und Offenheit an. Nur so nimmt man den Populisten den Wind aus den Segeln. Ich mache allerdings immer wieder die Beobachtung, dass man Scheu davor hat, über Probleme zu reden, um ja nicht zum rechten Lager gezählt zu werden. Und wer freut sich darüber besonders? Die Rechten selbst, die dadurch mehr Raum dafür gewinnen, sich als Anwälte der verunsicherten Bevölkerung zu „vermarkten“. Den Rechten geht es nicht um Lösungen, denn sie profitieren von vorhandenen Problemen, um Ängste zu schüren und zu polarisieren. Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. „ Die jüdischen Philosophen brachten von ihrer Religion eine starke soziale Sensibilität mit, die sie im 20. Jahrhundert voll entfalten konnten. “ Foto:picturedesk.com / dpa Picture Alliance / Fred Stein den heutigen Problemlagen in Verbindung zu bringen, frühe Impulse für eine Philosophie der Sprache kamen von Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein. Dieser wurde mit seinem „Tractatus logico philosophicus“ zu einem Anreger der Analytischen Philosophie und der Sprachanalyse. Nach seiner Wende zur Pragmatischen Philosophie entwickelte er das Konzept der vielen „Sprachspiele“, in denen wir uns bewegen. Eine große Schule der Philosophie bildeten die jüdischen Denker des Neo-Marxismus, nämlich Ernst Bloch, Max Horkheimer, Theodor Adorno oder Walter Benjamin. Sie folgten der biblischen Idee der sozialen Gerechtigkeit und wollten einen Marxismus mit menschlichem Angesicht schaffen. Das konnte aber nicht gelingen, weil sie in alten Ideologien hängen blieben und die soziale Realität nur verzerrt wahrnehmen konnten. Aber sie haben ihre Spuren in der europäischen Politik hinterlassen. Viel realistischer war Karl Raimund Popper mit seiner Theorie der „offenen Gesellschaft“ und der „wehrhaften Demokratie“. Er hatte schon früh erkannt, dass der aristokratische Philosoph Platon ein Vordenker der geschlossenen Gesellschaft und des autoritären Staates war. Er untersuchte die Strukturen des autoritären Denkens, dabei erkannte er, dass liberale Gesellschaften viel schneller politische Fehler erkennen können als Diktaturen. Mit diesem Denkansatz wurde er zum Begründer des „Kritischen Rationalismus“, der in alle Bereichen um vernünftige Problemlösungen ringt. Denn unser individuelles und unser soziales Leben bestehen im Lösen von Problemen; und dies ist nur möglich durch „Versuch und Irrtum (trial and error)“. Damit wurde Popper zu einem gewichtigen Vordenker der liberalen Demokratie, des Rechtsstaates und der allgemeinen Menschenrechte. Aber Demokratien müssen sich ständig mit allen geeigneten Mitteln gegen ihre Feinde und Verächter verteidigen, diese Erkenntnis ist heute geopolitisch hoch aktuell geworden. Hannah Arendt analysierte im Exil in den USA sehr genau die Strukturen totalitärer Systeme und sie zeigte Wege auf, wie vernünftige Menschen solchen Systemen entkommen können. Aber die Vordenker des „moralischen Wiederaufbaus“ in Europa waren Emmanuel Levinas und Hans Jonas. Beide hatten im Holocaust ihre Familien verloren; und beide fragten sich: Wie konnte eine christliche und moralisch hoch gebildete Nation diesen Massenmord organisieren und durchführen? Eine Antwort lautete, die Täter und ihre Mitläufer hätten in ihrer Sozialisation nur den „blinden Gehorsam“ gegenüber ihren Vorgesetzten gelernt, in der Religion und in der Politik. Doch dies sei eine „infantile“ Form des Christentums und der Moral, die Menschen müssten nach dem Krieg in ganz Europa wieder eine Moral der persönlichen Verantwortung lernen. Jonas hatte sein Buch „Prinzip Verantwortung“ (1979) genannt, und Levinas erinnerte die Christen daran, dass sie die „jüdische Bergpredigt“ in ihrem Programm haben. Von Kritischer Theorie zur Postmoderne Die Impulsgeber der „postmodernen Philosophie“ in Europa und den USA waren Jean Francois Lyotard und Jacques Derrida. Der erste sprach von der verschärften Moderne, von der neuen Vielfalt der Diskursarten und „Sprachspielen“, in denen wir uns bewegen. Er wusste aber auch um die Nichtdarstellbarkeit des Bösen, aber auch des Schönen und des Göttlichen. Die Lehren der Religion wurden durch den Holocaust depotenziert, von einer Realität zu einer Möglichkeit herabgestuft. Derrida versuchte zu zeigen, dass in der neuen geistigen Situation die großen Erzählungen der Religion, der Politik und der Wissenschaften zu Ende kommen. Sie verlieren an Plausibilität und an objektivem Wert, aber es seien eine „Dekonstruktion“ und eine „Transformation“ dieser großen Erzählungen möglich. Denn damit blieben symbolische oder moralische Wahrheitsgehalte erhalten. Aber von absoluten Wahrheiten müssen wir uns verabschieden. Wir können mit vielen relativen Wahrheiten gut zusammenleben, aber wir brauchen dafür das pragmatische Kriterium des Überlebens. Derrida hatte am Ende seines Lebens noch das Modell der „Politik der Freudschaft“ (2000) vorgelegt. Darin hält er die Einladung zur Kooperation für vernünftiger als den Aufbau von Feindbildern. Der amerikanische Präsident Barak Obama hatte dieses Modell der Politik in seiner Antrittsrede im Jänner 2009 vorgetragen. Doch er ist damit gescheitert, weil sich die Gegner des Dialogs als stärker erwiesen. Jüdische Philosophen tragen auch heute in der globalen Welt wesentlich zur Verbreitung des kritischen Denkens bei, aber auch zur Erhaltung der allgemeinen Menschenrechte und des Rechtsstaates sowie zur wehrhaften Demokratie. Sie sind beteiligt an der Aufdeckung von Fakenews in der Politik und an der Abwehr neuer Feindbilder. Sie sind selbst vom neuen Antisemitismus hart betroffen, aber sie sind davon überzeugt, dass die Kräfte der aufrechten Vernunft auf Dauer stärker sein werden als alle negativen Vorurteile und Unterstellungen. Der Autor war Professor für Religionsphilosophie an der Univ. Graz Dynamik der jüdischen Philosophie Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Von Anton Grabner- Haider Verlag Dr. Kovač 2023 122 S., kart., € 67,65 Jüdische Philosophen, Mediziner im 20. Jh. Tagung im Otto-Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Straße 2–4, Sa 29.4., 10–19 Uhr Infos: www.plattform-Martinek.at

DIE FURCHE · 17 27. April 2023 Religion/Gesellschaft 13 Der Holocaust-Überlebende Tswi Herschel und seine Tochter Natali wurden für ihre außergewöhnliche Form der Erinnerungsarbeit von der Simon-Wiesenthal-Jury geehrt. Ein Gespräch über ihr Engagement – und den Kampf gegen den Antisemitismus. „Das Ziel lautet: ,Nie wieder!‘“ Das Gespräch führte Tobias Müller Tswi Herschel war gerade einmal sechs Monate alt, als ihn seine Eltern in Amsterdam in die Obhut einer nichtjüdischen Pflegefamilie gaben, um sein Leben zu retten. Sie selbst wurden im Juli 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Erst mit acht Jahren hat Herschel diese seine Geschichte erfahren. Heute erzählt er sie gemeinsam mit seiner Tochter Natali auf Vortragsreisen, um die Erinnerung an die Schoa wachzuhalten. Im Rahmen der Vergabe des zweiten Simon-Wiesenthal-Preises wurde Herschel, der mit seiner Familie 1986 nach Israel ausgewandert ist, im März im österreichischen Parlament geehrt. DIE FURCHE hat mit ihm und seiner Tochter gesprochen. DIE FURCHE: Anlässlich von Jahrestagen hat das Thema Erinnerung stets Konjunktur. Wie empfinden Sie den Alltag der Erinnerung in Ihren Vortragsreisen? Natali Herschel: Jedes Mal, wenn ich einen Vortrag halte und unsere Familiengeschichte erzähle, stecke ich alles, was ich habe, hinein. Mein Ziel ist es, die Herzen der Menschen zu erreichen. Und ich denke, das gelingt auch. Tswi Herschel: Es ist immer emotional, wenn wir irgendwo unsere Präsentation halten. Das liegt nicht nur an unserer Geschichte und der Schoa, sondern auch am Antisemitismus, der noch immer überall auf der Welt zu finden ist. Es ist unvorstellbar! Ein winziges Land, das man auf dem Globus kaum sieht, ein Volk von 15 Millionen Menschen – und jeder Schritt wird wie durch ein Elektronenmikroskop beobachtet. Foto: Ruben Gischler Gemeinsam erinnern Tswi Herschels Eltern, Nico und Ammy Herschel, wurden im Juli 1943 in Sobibor ermordet. Ihr Sohn hat erst mit acht Jahren davon erfahren. Mit seiner Frau Annette, Tochter einer Auschwitz- Überlebenden, und seinen zwei Töchtern wanderte Tswi 1986 nach Israel aus. Natali Herschel studierte in Tel Aviv und Boston. Seit 2009 erzählen sie in Vorträgen ihre Geschichte. DIE FURCHE: Tswi, Sie sind ein Brückenbauer – und zugleich ein scharfer Warner vor heutigem Antisemitismus ... Tswi: Beides hängt zusammen. Wenn wir in den Niederlanden sind, benenne ich dort, dass der niederländische Staat mit seinen Beamten und seiner Polizei beteiligt war an der Ermordung der Juden – und das waren nicht einige wenige, sondern der höchste Prozentsatz in Westeuropa. Zugleich brauchen wir offene Hände, um zum Wohl der Menschheit Brücken zu bauen. DIE FURCHE: Als Vater-Tochter-Duo haben Sie einen sehr speziellen Zugang beim Thema Erinnerung. Wie kam es dazu? Tswi: Bei einer internationalen Konferenz untergetauchter Kinder in Houston 2001 kam ich in Kontakt mit einer Kuratorin des Holocaust-Museums in Washington. Sie war interessiert an Tagebüchern meines Vaters – und einem Lebenskalender, den er zu meiner Geburt für mich gemalt hatte. Der wurde das Prunkstück einer Ausstellung über untergetauchte Kinder. Nach einer Veranstaltung im Museum sagte Elie Wiesel zu mir: „Du kannst junge Leute inspirieren mit deiner Geschichte. Erzähle sie weiter!“ Ich begann mit Lesungen bei Yad Vashem. Später wurde dann eine Power Point- Präsentation daraus, ab dann war Natali eigentlich der Motor. Natali: Anfang 2009 war das, damals hatten wir die erste Einladung nach Deutschland. Ich komme aus dem Business Development im High Tech-Bereich und arbeitete immer sehr kreativ. Also entwickelte ich eine Präsentation auf Basis des genannten Lebenskalenders. Aber mein Vater und ich waren schon immer viel zusammen unterwegs. Wenn ich keine Schule hatte, ging ich überall mit ihm hin. Wir hatten immer lange Gespräche im Auto. DIE FURCHE: Wie wurde dann die Perspektive der Zweiten Generation, der Kinder der Überlebenden, Teil Ihrer Vorträge? Natali: Am Anfang spielte ich eher eine Rolle im Hintergrund. Ab und zu wurden mir auch Fragen gestellt, wie das so ist als Zweite Generation. Mir wurde klar, dass es eine Lücke gibt, was Informationen darüber betrifft – also habe ich mich auf die Auswirkungen des Holocaust auf folgende Generationen spezialisiert. In meiner Umgebung gibt es viele Angehörige der Zweiten Generation. Wir sind die Kinder ohne Fotoalben und Familienporträts an der Wand. Im Kindergarten sah ich, wie die anderen von ihren Großeltern abgeholt, umarmt und geküsst wurden. Abends traf mich dann die Realität, dass in meinem Leben etwas Wesentliches fehlte. DIE FURCHE: Damit rückt die Frage nach den dezimierten Familien der Überlebenden ins Blickfeld. In Ihrem Vortrag taucht häufig die Frage auf: „Wo ist meine Familie?“ Natali: Ich fühle als Tochter eines Überlebenden eine Art Berufung: Ich will, dass jeder weiß, dass anderthalb Millionen Kinder einfach ermordet wurden. Für sie stehe ich dort! An sie müssen wir uns erinnern. Sie durften nicht die Erfahrung haben, selbst Kinder zu bekommen. Für mich war es daher sehr wichtig, eine Familie zu gründen – damit meine Kinder wieder eine haben. Mein Sohn sagte übrigens schon zu meinem Vater: „Opa, wenn du es nicht mehr tun kannst, mache ich weiter.“ Tswi: Für mich ist es eine große Unterstützung, dass ich dort nicht alleine stehe, sondern Natali als Vertreterin der zweiten Generation ihre Perspektive dazu geben kann. Natali: Ich denke, dass mein Teil die Botschaft meines Vaters verstärkt. Dadurch realisieren die Menschen, was das Erbe und die langfristigen Auswirkungen des Holocaust bis heute bedeuten. Mir ist es dabei wichtig, das Ganze an mein eigenes Leben zu koppeln. Wenn man einfach nur die Geschichte seines Vaters oder seiner Mutter nacherzählen würde, könnte man genau so gut einen Film zeigen. Die Frage ist: „Wie bringt man das rüber, sodass es interessant bleibt – auch von Eltern, die nicht mehr da sind? „ In meinem Umfeld gibt es viele Angehörige der Zweiten Generation nach der Schoa. Wir sind die Kinder ohne Fotoalben und Familienporträts an der Wand. “ Natali Herschel DIE FURCHE: Zeigt sich darin auch, dass sich die Art der Erinnerung verändert? Tswi: Im Lauf der Jahre vervollständigen wir unsere Perspektive, und dazu gehört auch Natalis Teil zur Zweiten Generation. Wir haben auch noch eine weitere Präsentation über die Traumata untergetauchter Kinder – und in letzter Zeit kommen wir auch mit Nachfahren der Täter ins Gespräch. Wir müssen Brücken bauen, und das ist einer ihrer Pfeiler. Dazu kommt: Die Nachfahren der Kriegsverbrecher ringen auch mit diesem Thema. DIE FURCHE: Wie schwer fällt Ihnen dieses Brückenbauen? Tswi: Natürlich habe ich früher die Deutschen gehasst. Ich kaufte keine deutschen Produkte. Aber langsam wuchs die Idee, dass ich darauf nicht mein Leben aufbauen kann. Hass ist eine negative Energie. „Mehr als Erinnerung“ (2.11.2022) lautete ein Fokus von Otto Friedrich zum Jahrestag der November- Pogrome, siehe furche.at). Ich habe mich nie als Opfer gefühlt, sondern als Überlebender. Ich bin sehr froh, dass ich als solcher vor der Jugend den Mund aufmachen kann. Es geht um ihre Zukunft – und um die meiner Familie. DIE FURCHE: Was hat Ihnen die Ehrung der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury bedeutet? Tswi: Das ist eine sehr bedeutende Anerkennung meiner Arbeit. Dass gerade die Simon-Wiesenthal-Jury sieht, wie wichtig sie ist, gibt mir Antrieb, sie fortzusetzen. DIE FURCHE: Hatten Sie bislang schon Kontakt nach Österreich? Tswi: In Yad Vashem haben österreichische Lehrer unseren Vortrag besucht. Aber durch den Preis haben wir nun natürlich auch einen neuen Zugang zu Österreich bekommen – und Kontakte geknüpft, um auch dort unsere Arbeit machen zu können. DIE FURCHE: Wie beschreiben Sie zusammenfassend das Ziel ihres Engagements? Natali: Die Menschen sollen sich damit auseinandersetzen, wie es möglich war, Millionen Juden zu ermorden. Mich als Kind eines Überlebenden beschäftigt das Unverständnis darüber mein ganzes Leben lang. Damit umzugehen, geht nur durch Bildung – doch das erfordert mehr als ein Geschichtsbuch oder einen Film. Die Leute, die unsere Präsentation sehen, betrachte ich als unsere Botschafter, die das weitergeben, was sie dort erfahren. Tswi: Es geht darum, auf Basis der Schoa die Leute wachzurütteln, sodass sie nicht diskriminieren. Wir wollen ihnen etwas mitgeben – nicht nur eine Geschichte erzählen, von der sie sagen: „Oh, wie schrecklich!” Es geht um ein konkretes Ziel: „Nie wieder!“

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023