DIE FURCHE · 94 Das Thema der Woche Schall und Rausch27. Februar 2025Lesen Sie von FranzPrettenthaler auf furche.at auch den Gastkommentar„Budget, Standort,Soziales und Klima unter einen Hutbringen? Ja, das geht!“ (28.11.2024).Von Franz PrettenthalerInwiefern Herbert Kickl am nächstwöchigenAschermittwoch rhetorischverbrannte Erde hinterlassenwird, ist noch nicht absehbar. EineKoalition für eine entsprechende Politikzu zimmern, hat er aber vorerst nichtgeschafft. Dabei war sein Bemühen, allebisherigen Erfolge gegen die Erderhitzungzunichte zu machen oder zumindest symbolischmit Tempo 150 dagegen anzustinken,durchaus erkennbar. Die Verheißung,es Donald Trump gleichzutun und das Volkin die fossile Vergangenheit zurückzuführen,bleibt aber einstweilen heiße Luft.Dennoch stellen sich Fragen: Wie lässtsich der politische Erdrutsch erklären,der in vielen ländlichen Bezirken bei derletzten Nationalratswahl stattgefundenhat? Und: Was macht die – widersprüchliche– Gesamterzählung der Freiheitlichen(etwa: Pflichtnikolaus für Kindergärten,aber zugleich Abschaffung der steuerlichenAbsetzbarkeit der Kirchenbeiträge) soattraktiv für das ländliche Milieu, wo vielerortslebendiges Traditionschristentumprägend ist? Auch Jörg Haider ist 2008 indiesen schwarzen Kernregionen ein Achtungserfolggelungen. Sanfter auftretend,hatte er sich durch Gründung des BZÖ auchvom stramm nationalen Lager in der FPÖgetrennt. Diese sind jetzt wieder freudigmit an Bord, gepunktet hat man am Landaber wohl nicht mit radikalen Positionen inder Ausländerfrage (Stichwort „Massenremigration“),sondern mit einem antimodernenVersprechen, das da lautet: „Ich bringeEuch die Welt von gestern zurück.“Auf ländlich gebürstete StilistikWarum verfängt das? Ist es nur die freiheitlicheStilistik, die so konsequent wienirgends sonst auf ländlich gebürstet ist?Denn während die Arbeiter einst, als sienoch mehrheitlich SPÖ wählten, das Urbaneals Abgrenzung zu ihrer oft konservativ-ländlichenHerkunft auch kulturell annahmen,ist das Ländlich-Rustikale heuteder propagierte Schutzschild gegen zu vielFremdes. In den ländlich geprägten Regionenhat indes die EU-Skepsis ein konkretesSubstrat – aufgrund der Abhängigkeitder Landwirtschaft von Brüsseler Entscheidungen;und die Pendler machen sich zurechtSorgen um die Leistbarkeit ihrer Autoabhängigkeit.Poltern inder ProvinzHerbert Kickl undder oberösterreichischeFPÖ-ChefManfred HaimbuchnerbeimPolitischenAschermittwoch2024 in der RiederJahnturnhalle.Warum eine Politik der verbrannten Erde just am Land auffruchtbaren Boden stößt – und worauf eine nachhaltigeZukunftserzählung aufbauen könnte. Ein Gastkommentar.Schöne Weltvon gestern?Ist die Rettung des Planeten also ein städtischesBobo-Projekt ohne jede Chance beibodenständigen Wählern am Land – erstRecht, da man die Corona-Krise dazu genutzthat, die Wissenseliten generell verdächtigzu machen? Dazu lohnt ein Blicknach Deutschland, wo wir eine flächendeckendeBefragung zur Unterstützungvon Gesundheits- und Klimapolitik durchgeführthaben. Hier lässt sich ein kleiner,aber harter Kern des Widerstandes gegenjede Politik isolieren, die Gesundheit und„ Jedes Zeltfest funktioniert nur, wennalle mit anpacken. Das Argument,was kann denn das kleine Österreichschon gegen den großen Klimawandelausrichten?‘ zählt daher nicht. “Klima schützt. Wo wohnen diese Leute,überwiegend männlich, älter, eher wohlhabendund mit einem großen Misstrauen gegenPolitik und Wissenschaft ausgestattet?Richtig: am Land. Weiters zeichnet dieseGruppe eine geringe Risikowahrnehmungaus, eine hohe Einschätzung ihrer Selbstwirksamkeit,gleichsam eine Allergie gegenalles Egalitäre und hohe Zustimmung zurAussage, dass eben jeder Schmid seines eigenenGlückes sei. Kein Wunder, dass dieseGruppe gegen kollektive Maßnahmen ist,sowohl was den Schutz der Gesundheit alsauch des Klimas betrifft.Dieser klare soziologische Befund ausDeutschland ist für Österreich aufgrundder massiven Unterstützung, die von dieserGruppe für die Freiheitlichen in denEchokammern auf Social Media ausgeht,durchaus relevant. So kommen auf jedenfreiheitlichen Wähler einer X-beliebigenPlattform sieben AfD-Sympathisanten,die meist wesentlich weiter rechts stehen,noch radikalere Verschwörungserzählungenbefürworten und schon aufgrund ihrerschieren Anzahl allfällige Gegenwehr-Postingsleicht niederbrüllen können. Dochwie unterscheidet sich der ländliche Raumin Österreich von jenem in Deutschland (woauch Ost und West politisch anders ticken,wie sich nun bei der Bundestagswahl zeigte)?Und worauf könnte eine Zukunftserzählungjenseits von AfD und FPÖ aufbauen?These 1: Der ländliche Raum hat in Österreicheine lange Tradition der solidarischenSelbstorganisation. Im Zweifelsfalldas eigene Leben bei der Feuerwehrriskieren, wenn der Stall der Nachbarnbrennt – aber zum Staatsverweigerer mutieren,weil man mir einen Nadelstich zumSchutz der Allgemeinheit abverlangt hat?Das passt nicht zusammen. Sehr wohlhätte man es beim Impfen aber – wie beider Feuerwehr – bei der Freiwilligkeit belassenkönnen, jeder ÖVP Bürgermeisterhätte auch dazu geraten.These 2: Jedes Zeltfest funktioniert nur,wenn alle mit anpacken. Wenn es heißt: Allebringen einen Kuchen, wird das von allenbefolgt – obwohl das Fest nicht scheitert,wenn ein Kuchen fehlt. Das Argument„was kann denn das kleine Österreich schongegen den großen Klimawandel ausrichten?“zählt daher nicht. Wir müssen nur einenKuchen bringen. Anständige Leute tunFoto: APA / Gert Eggenberger (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)so etwas. Erst als die ÖVP ohne Not ihre Positionals sanfte ökologische Modernisierungspartei(Stichwort „das Beste aus beidenWelten“) aufgegeben und den Grünendas Feld allein überlassen hat, um ihnendann in den Rücken zu fallen (Stichwort„Renaturierung“ und „Autoland“), konnteman der freiheiltlichen Klimaleugnungserzählungnichts mehr entgegensetzen. Wirtschaftund Ökologie waren plötzlich Feinde,das Gegenteil der jahrzehntelangen Erzählungder ÖVP. Dazu ein Fun Fact aus derSteiermark: Je höher der Anteil der ÖVP anden Wählerstimmen einer Gemeinde, destomehr PV-Anlagen auf den Dächern.These 3: Es gibt keinen soziologischenAutomatismus in der Politik. In der Geschichteund auch bei der Gewinnung vonMehrheiten kommt es immer auf die handelndenPersonen und konkrete Einzelentscheidungenan. Wenn man wie in derSteiermark ein Thema wie das Leitspitalkommunikativ so versemmelt, dass derEindruck entsteht, wir werden im Stichgelassen, wird man die Region verlieren.Wenn man außerdem Experten und Intellektuelledazu einlädt, im „Modell Steiermark“programmatisch in die Zukunft zudenken, die Publikation der Ergebnisseaber aus Angst vor freiheitlicher Polemikim Klimabereich dann zurückhält, lässtman ein Land auch geistig im Stich.Tragfähiges christliches ErbeThese 4: Die Energiewende in Österreichkann nur mit der ländlichen Bevölkerungim Rücken gelingen. Die Sensibilität imHinblick auf das Landschaftsbild ist beiuns noch größer. Ein empfindsamer Umgangdamit unter wirtschaftlicher Partizipationder Anrainer (etwa über Energiegemeinschaften)ist zentral.These 5: Das christliche Erbe ist jenseitspolitischer Kampfrhetorik tragfähig. DieKirchen als stabiler (auch geistiger) Infrastrukturanbieterim ländlichen Raum, woPost, Bank und Gasthaus schon geschlossensind, werden geschätzt. Ihre Kindergärtenund Schulen, die Pflegeheime vonCaritas und Diakonie sind aber nur mitKirchenbeitrag machbar. Dafür braucht eskooperationsbereite Politik. Aus der christlichenSoziallehre abgeleitete Positionensind erstaunlich mehrheitsfähig: Die geschaffeneWelt ist sinnvoll, das Gegenteilvon Chaos. Sie ist per se gut. Und es liegt anuns Menschen, auf sie und alle Mitbewohner,ob Mensch, Pflanze oder Tier aufzupassen.Welche Bäuerin, welcher Gärtner,welche Pflegerin oder auch nur welcherHaustierbesitzer oder Topfpflanzen-Hüterkönnte unter diesem Vorzeichen einer Politikder verbrannten Erde zustimmen?Der Autor ist Umweltökonom und Finanzwissenschaftlersowie Direktor desInstituts für Klima, Energiesysteme undGesellschaft der Joanneum ResearchForschungsgesellschaft.Nächste Wocheim Fokus:Immer mehr Wissenschaftlerinnenforschen an den heimischenUniversitäten, nach außenhin gilt die akademischeCommunity als fortschrittlich,gleichberechtigt oder gar „woke“.Braucht sie daher überhaupteinen Frauentag? EinBlick hinter die Fassade einerInstitution.
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