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DIE FURCHE 27.02.2025

DIE FURCHE · 924

DIE FURCHE · 924 Musik27. Februar 2025Von Walter DobnerFür so viel Neugier undDiskussionsstoff hatkeine der Wiener Opernpremierender jüngerenVergangenheit gesorgt.Überraschend ist das nicht. Vonden wenigen umjubelten, allerdingsnur konzertanten Aufführungenmit der überragendenEdita Gruberová abgesehen standVincenzo Bellinis „Norma“ übervier Jahrzehnte nicht am Spielplander Staatsoper. Und jetztist tragische Oper gleich doppeltzu erleben. Denn nur wenige Tage,bevor das Haus am Ring seineNeuproduktion präsentierte, hatteeine neue „Norma“ bereits amTheater an der Wien Premiere.Und das mit einem der Weltstarsder Musiktheaterszene in derTitelrolle: Asmik Grigorian.Dazu wäre es beinahe nicht gekommen.Nicht nur, dass fast dasgesamte Ensemble bis zuletzt vonder Grippe geplagt war, ließ sichGrigorian als indisponiert ansagen.Eine Vorsichtsmaßnahme?Bei der Premiere war davonnichts zu bemerken. Im Gegenteil:Von Beginn weg setzte siealle in Erstaunen, wie sie dieseBelcanto-Rolle geradezu ins Veristischeumdeutete, der Partiedamit neue, faszinierende Aspekteverlieh.Unterschiedliche LesartenIhre Darstellung zog einen so inBann, dass man bald nicht mehrdarüber nachdachte, was RegisseurVasily Barkhatov bewogenhat, dieses Sujet, das die verboteneLiebe einer gallischen Druidinmit einem römischen Offizierzum Inhalt hat, in die jüngere Vergangenheitzu transferieren, dieProtagonisten in unschicklicheArbeiterkluften (Olga Shaishmelashvili)zu stecken, die in einemabgehalfterten Bahnhofshallenambientesich mit der Herstellungvon Skulpturen die Zeit vertreiben.Am Ende geht Norma, ebenfallsentgegen dem Libretto, nichtin den Tod, sondern wird in letzterMinute von Pollione gerettet.Foto: Monika RittershausZwischenden FrontenMit stimmlicherBrillanz gestaltetAsmik Grigorian(Bild) im Theater ander Wien die Rolleder Norma, diezerrissen zwischenLiebe, Treue undVerzweiflungihrem Schicksalentgegengeht.Wien im Bellini-Fieber: Zuerst „Norma“ am Theater an der Wien,dann an der Staatsoper – ein interessanter Vergleich.Asmik Grigorianüberstrahlte alleWas Cyril Teste für seine „Norma“-Inszenierungan der Staatsoperalles vorschwebte, welcheGedanken ihn bewegten, kannman im Programmheft nachlesen.Auf der zwischen Kriegsszenariound blasser Poesie changierendenBühne (Valérie Grall)erfährt man davon wenig. WarumVideos eingesetzt werdenmüssen, erschließt sich nicht.Wer das Werk kennt, benötigtsie nicht, zu einem tieferen Verständnistragen sie nichts bei.In der Staatsoper übergießt sichNorma am Ende mit Benzin, sowenigstens wird es angedeutet.Dass sie im Original den Tod amScheiterhaufen findet, tangiertauch hier die Regie nicht.Hat sich Teste hier derart aufihm wichtig erscheinende Detailskonzentriert, dass er dabei aufPersonenführung vergessen hat?Die findet kaum statt. Und warumhat er den Chor nicht so ins Gescheheneingebunden, wie es imTheater an der Wien der Fall war?Der hier agierende Arnold SchoenbergChor übertraf im Übrigendie Staatsopernchoristen um einigesan klarer Artikulation unddifferenzierter Phrasierung.Bei allem Belcanto, welcher„ Der Fokus dieses wienerischen Opernwettstreits lag aufden Darstellern von Norma und Pollione. Den entschied dasTheater an der Wien klar für sich. “den besonderen Reiz von Bellinis„Norma“ ausmacht, soll man nichtaußer Acht lassen, dass der Komponistdiesen Zweiakter ausdrücklichals Melodramma bezeichnethat. Deswegen abermuss man als Pollione nicht sokraftmeierisch agieren, wie imTheater an der Wien Freddie DeTommaso. Solcherart geht dasIntime, das ebenfalls in dieserPartie steckt, rasch verloren.Sich jedoch deswegen so daraufzu konzentrieren, weil man fürdiese Aufgabe die vokalen Mittelnicht oder nicht mehr besitzt,ist auch keine Lösung, wie es inder Staatsoper Juan Diego Flórezdemonstrierte. Er hätte sich dieserHerausforderung besser nichtstellen sollen.An beiden Häusern hatte manmit Aigul Akhmetshina (Theateran der Wien) und VasilisaBerzhanskaya (Staatsoper) geradezuideale Besetzungen für dieRolle der Adalgisa engagiert –selbst wenn Berzhanskayas Darstellungnach der Pause etwas anIntensität einbüßte. Die Staatsopern-Norma,Federica Lombardi,steigerte sich zwar im Laufe desAbends. Aber der Persönlichkeit,der eminenten Gestaltungskraft,vor allem den stimmlichen Möglichkeiteneiner entfesselten AsmikGrigorian, wie man sie in derPremiere im Theater an der Wienerlebte, konnte sie letztlich nichtsGleichwertiges entgegensetzen.Deftig im OrcherstergrabenDabei versuchte der den ganzenAbend mitsingende MicheleMariotti am Pult des klangschönmusizierenden Staatsopernorchestersalles, um Lombardi entsprechendzur Geltung kommenzu lassen. Auch wenn seine zurückhaltendeLesart bald auf Kostender Spannung ging.Ungleich deftiger ging es imOrchestergraben des Theaters ander Wien zu: bei Francesco Lanzillottaan der Spitze der WienerSymphoniker. Was alles an Sensibilitätund Farbenreichtumin dieser Partitur steckt, konnteman bei seinem Dirigat nur inwenigen Momenten erfahren. EinGlück, dass er auf die stärkeren,leuchtkräftigeren Stimmen zählenkonnte als sein Dirigentenkollegean der Staatsoper. Was nichtheißen soll, dass Ildebrando D’ArcangelosOroveso nicht dem vonTareq Nazmi ebenbürtig gewesenwäre. Aber der Fokus dieseswienerischen Opernwettstreitslag auf den Darstellern von Normaund Pollione. Den entschieddas Theater an der Wien klar fürsich. Ob spätere Musikhistorikerdieses „Norma“-Fieber einmal mitdem einstigen Wiener „Rossini“-Taumel gleichsetzen werden?NormaTheater an der Wien: 26.2., 1., 4., 7.3.NormaWiener Staatsoper: 3., 6., 9., 12., 15.3.Ihr FURCHE-AboAls FURCHE-Leser:in schätzen Sie Journalismus mit Sinn:unterschiedliche Standpunkte und neue Perspektiven, am Menschenausgerichtet, verantwortungsbewusst und tiefgründig.Ihre Abovorteile auf einen Blick Für die entspannte Lektüre am Wochenende die gedruckteFURCHE ab Donnerstag in Ihrem Briefkasten E-Paper für unterwegs und uneingeschränkter Zugangzu allen digitalen Inhalten auf furche.at Mit dem FURCHE-Navigator Zeitgeschichte entdecken –alle Artikel seit 1945 online Tägliche oder wöchentliche FURCHE-Newsletter,jetzt neu: jeden Tag ein Thema in unseren neuenRessort-Newslettern, 7× pro WocheViel vor.Viel dahinter.Jetzt Dossiersentdecken:furche.at/dossierMehr Infosfurche.at/abo+43 1 512 52 61-52aboservice@furche.at

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