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DIE FURCHE 26.09.2024

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DIE FURCHE · 39 4 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Leistung 26. September 2024 Türkise Prioritäten „Unternehmen statt unterlassen“ ist für den ÖVP- Lokalpolitiker, Wirtschaftskammerfunktionär und Unternehmer Norbert Steinwidder die zentrale Botschaft für mehr Leistungsdenken. Von Wolfgang Machreich Leistung ist im steirischen Murtal von weitem zu hören. Bis zur Kalvarienbergkirche am Tremmelberg am Wanderweg von Seckau nach Spielberg dröhnen die Motoren vom Red Bull Ring hinauf. Vor dem FURCHE-Reporter besuchte Landeshauptmann Christopher Drexler im Rahmen einer Wahlkampftour den Bezirk, lobte die Red Bull-Großveranstaltungen und den auf Innovationen ausgerichteten Wirtschaftskompass: „Hier wird die ganze Steiermark in die Auslage gestellt und das Murtal ist Transformator des steirischen Geists in die ganze Welt!“ In Seckau, dem geistig-spirituellen Zentrum der Region auf der anderen Seite des Tremmelbergs, trifft DIE FURCHE Norbert Steinwidder. Der Vizebürgermeister und Stadtparteiobmann der ÖVP Judenburg ist Obmann der Wirtschaftskammer Murau-Murtal, war lange Geschäftsführer einer Fachhandelskette und arbeitet jetzt als Unternehmer im Tierfutterbereich. Red Bull-Selbstbewusstsein Selbst ein „Leistungsträger“ im Sinn der Volkspartei und für diese wirtschaftspolitisch aktiv, schließt sich Steinwidder dem Lob des Landeshauptmanns für das Red Bull-Engagement in der Region und dabei vor allem der Bedeutung des vor zwei Jahren verstorbenen Red Bull-Gründers an: „Wir können Dietrich Mateschitz nicht dankbar genug dafür sein, was der für diesen ÖVP-STRASSENWAHLKAMPF Am mobilen Stammtisch „Pioniergeist und Leistung fördern“ lautete der Aufruf von ÖVP- Obmann Alois Mock am 20. Jänner 1983; nachzulesen auf furche.at. Juliane Bogner-Strauß dreht die Wahlkampf-Logik um. Die ehemalige ÖVP-Frauenministerin und jetzige Nationalratsabgeordnete beschreibt den Wahlkampf im Podcast „Rund ums Parlament“ weniger als Bühne denn als Ideenpool: „Ich möchte die Themen bei den Menschen abholen.“ Denn nach Wahlkampf und Wahl „macht man ein Regierungsprogramm – und dort ist wichtig, dass so viele Themen wie möglich hineinkommen, die man draußen abholt.“ Am mobilen Stammtisch in der Weststeiermark lobt sie den „sauberen“ Straßenwahlkampf gegenüber jenem in sozialen Medien: „Es ist ganz was anderes, wenn man die Menschen trifft.“ (wm) An erster Stelle im ÖVP-Wahlprogramm steht Leistung. Was bedeutet das in der Praxis – und wo war die wirtschaftspolitische Leistung der Volkspartei? Ein Steiermark-Besuch. „Nein, wir sind nicht tot“ Bezirk getan hat.“ Vor zwei, drei Jahrzehnten sei das Murtal tot gewesen, beschreibt Steinwidder die Zeit nach dem Niedergang der Schwerindustrie. Von der Wirtschaftskammer angestoßen und gefördert, so der Kammerfunktionär, habe es dann viele Schritte zur Förderung des Tourismus und innovativer High-Tech-Unternehmen gegeben. „Aber entscheidend war es auch, das Mindset zu verändern, dass wir wieder gesagt haben: Nein, wir sind nicht tot, wir können was, wir haben was.“ In vielen Bereichen fehlte es lange an Selbstbewusstsein, sagt Steinwidder: „Das haben wir hier schon durch Dietrich Mateschitz und durch die internationalen Auftritte unserer Region wiedergewonnen.“ Der Hofwirt in Seckau, ein traditionsreiches Gasthaus vis-à-vis der Abtei, verdankt seine Revitalisierung ebenfalls dem Mateschitz-Engagement. DIE FURCHE trifft Steinwidder aber in der Seckauer Konditorei Regner, bekannt für seine Weltmeister- Torte und die Lebkuchen mit Steirischem Landeswappen als Gütesiegel. Hinter Steinwidder an der Wand hängt ein gerahmtes Bild der Regner-Familie, geschmückt mit Goldmedaillen von Staats- und Weltmeisterschaften. Ein Leistungsträger-Betrieb ganz im Sinne der Volkspartei: „Ich kenne viele Unternehmerinnen und Unternehmer, gerade in der Jungen Wirtschaft, tolle Menschen, engagiert, die für ihre Betriebe kämpfen und sich den Arsch aufreißen“, beschreibt Steinwidder das Leistungsdenken durch die Brille eines Unternehmers und ÖVP-Kammerfunktionärs. „Aber ich kenne auch etliche, die den umgekehrten Weg gehen, die Arbeit als leidvoll betrachten, was völlig konträr zum Leistungsgedanken steht.“ Das Problem fange für ihn auch da, „beim Mindset“, an, wenn man zum Beispiel Montagfrüh auf Ö3 über den schweren Start in die Arbeitswoche rede und „ Dass ÖVP und Grüne, die gar nichts miteinander zu tun haben, trotzdem eine Periode durchregiert haben – das muss man auch einmal anerkennen. “ Foto: Wolfgang Machreich das nächste Wochenende herbeisehne: „Genau diese Botschaften werden den jungen Menschen vermittelt: dass es weh tut, wenn du arbeiten gehst, dass du eh nichts verdienst, dass sich das Hackeln eh nicht auszahlt…“ Daran anschließend zählt Steinwidder bekannte Kritikpunkte in Zusammenhang mit der angeblichen „sozialen Hängematte“ auf: zu viele Krankenstandtage, zu hohe AMS-Leistungen, zu frühe Pensionsantritte – wobei ihm eine Klarstellung wichtig ist: „Es ist nicht Nächste Woche im Fokus: das Individuum, das ich angreife. Es ist das System, das solche Sachen zulässt, das ich kritisiere.“ Die Frage, ob Österreich ein leistungsfeindliches Land sei, verneint er, „aber es ist ein überreguliertes Land geworden. Das hängt aber nicht nur mit Österreich, sondern auch mit der EU zusammen, und das macht das Unternehmertum momentan etwas herausfordernd.“ Seit 1986 ist die ÖVP in unterschiedlichen Koalitionen Teil der Regierung gewesen, stellte in diesen 38 Jahren 13 Jahre lang den Bundeskanzler, von der dominierenden Rolle der Europäischen Volkspartei in der EU nicht zu reden – und trotzdem stößt einem ÖVP-Politiker „das System, das solche Sachen zulässt“ und „ein überreguliertes Land“ auf nationaler und europäischer Ebene sauer auf. Da stellt sich doch die Frage: Was war die wirtschaftspolitische Leistung der ÖVP in dieser langen Zeit? „Ich sehe das komplett pragmatisch“, antwortet Steinwidder und zitiert einen Bundeskanzler, der meinte: „Ich kann vieles machen, ich brauche nur eins von euch: 50 Prozent und eine Stimme – aber in einer Koalitionsregierung gibt es immer einen zweiten, mit dem muss man sich arrangieren.“ Der Koalitionspartner war’s! Der auslaufenden Türkis-Grün-Regierung konzediert Steinwidder, dass „zwei Parteien, die gar nichts miteinander zu tun haben, trotzdem eine Periode durchregiert haben – das ist nicht wenig, das muss man auch einmal anerkennen, das hat es mit der FPÖ noch nicht gegeben, mit der die ÖVP viel mehr gemeinsam hätte.“ Das auch von Steinwidder vorgebrachte Argument, die Koalitionspartner seien die Blockierer, lässt Franz Schellhorn, Chef der wirtschaftsliberalen Denkfabrik „Agenda Austria“, freilich nicht gelten. Gegenüber den Salzburger Nachrichten sagte er: „Die ÖVP blinkt gerne rechts, biegt aber immer öfter links ab. Sie redet sich gerne auf den Koalitionspartner hinaus, dabei ist die ÖVP drei Mal so stark wie die Grünen.“ Leistung zu propagieren, „gleichzeitig aber die vierthöchste Besteuerung des Faktors Arbeit in Europa zu verantworten“, passe für Schellhorn nicht zusammen; die Wirtschaftspartei habe „ihren wirtschaftspolitischen Kompass verloren und verhökert ihre einstigen Prinzipien bei jeder Gelegenheit am innerkoalitionären Basar“. Dieser wird nach dem Wahlsonntag wieder eröffnet. Was gehört für einen Unternehmer unbedingt ins nächste Regierungsprogramm? Aus Murtaler Sicht sei der vom grünen Infrastrukturministerium gestoppte Lückenschluss zwischen den Schnellstraßen S36 und S37 Richtung Klagenfurt Koalitionsbedingung, sagt Steinwidder. Als leistungsfördernder Anreiz gehöre die Überstundenbesteuerung abgeschafft: „Wenn ich 100 Prozent mehr arbeite, möchte ich auch 100 Prozent mehr verdienen und nicht 70 Prozent.“ Finanzielle Anreize brauche es auch für Pensionisten, die arbeiten wollen, sagt Steinwidder, nicht ohne seinen koalitionsgeschulten Realitätssinn zu verlieren: „Wenn ich wirklich was weiterbringen will, muss ich manchmal das Kleine für das große Ganze opfern.“ Israel erlebte durch den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 den größten Massenmord an Juden seit der Schoa. Nun jährt sich das Massaker zum ersten Mal. Ein Schwerpunkt über die Folgen dieser Attacke sowie Israels Gegenangriff – und die nun drohende Eskalation in der gesamten Region.

DIE FURCHE · 39 26. September 2024 Politik/International 5 Von Brigitte Quint Am kommenden Sonntag wird man im Victoria-Palast in Bukarest den Ausgang der österreichischen Nationalratswahlen mit Interesse verfolgen. Premierminister Marcel Ciolacu, auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei (PSD), und sein Kabinett fühlen sich seit Monaten von Österreichs Regierung, allen voran der ÖVP, vorgeführt. Seit 2011 hatte Rumänien (wie Bulgarien) auf den Beschluss gewartet, endlich Teil des Schengenraums zu werden. Doch die Regierung in Österreich blockierte das Verfahren, setzte am Ende für beide Länder ein „Schengen light“ durch. Seit Ende März 2024 sind daher die Personenkontrollen an den internen Luft- und Seegrenzen aufgehoben – nicht aber jene an den Landgrenzen. Innenminister Gerhard Karner hatte diesen von ihm forcierten Kompromiss damit begründet, dass zu viele unregistrierte Migranten und Geflüchtete über die grüne Grenze gen Österreich reisen. Eine Behauptung, die Premier Ciolacu, der dieser Tage eine Gruppe deutscher und österreichischer Journalisten empfing, darunter auch die FURCHE, vehement zurückweist: „Die Argumente aus Österreich sind innenpolitisch motiviert und entbehren jeder Grundlage.“ Gleichen die Auflagen einer Schikane? Selbstredend, dass der rumänische Regierungschef den Vorwurf aus Wien nicht auf sich sitzen lässt. Zumal im Dezember auch in Rumänien Wahlen anstehen. Von „Schengen light“ erzählt man sich, dass es eine Art kollektive Kränkung im Land ausgelöst habe. Viele Rumäninnen und Rumänen fühlen sich seither zu Europäern zweiter Klasse degradiert. Vielerorts Bedeuten die Nationalratswahlen in Österreich auch eine Wende für die Regierung in Bukarest? Nicht nur Premier Ciolacu hält die Schengenblockade der Volkspartei für innenpolitisch motiviert. Ein Ortstermin. Rumäniens kollektive Kränkung heißt es, Rumänien zahle den Preis dafür, dass in Ländern wie Österreich, den Niederlanden und mittlerweile auch Deutschland Rechtspopulisten den Ton angäben, der Nationalismus erstarkt sei. Haben sie recht? Sind die EU-Auflagen für die Landgrenzen eine bloße Schikane? Für die Wirtschaft des Landes bedeuten sie in jedem Fall erhebliche Nachteile. Das gilt allerdings auch für Österreichs Wirtschaft. Laut WKO haben tausende österreichische Unternehmen in Rumänien investiert und mittelfristig mit einem ungehinderten Transit auf der Straße gerechnet. Rumänien ist Österreichs 15.-wichtigster Exportmarkt und 19.-wichtigster Importpartner. Die Verzögerungen an den Grenzen gilt es für Betroffene auf der Sollseite ihrer Bilanz zu verbuchen. Ähnlich ergeht es den Pflegerinnen, die regelmäßig in Reisebussen nach Österreich pendeln und nun weiter stundenlange Wartezeiten erdulden. Was viele hierzulande vergessen: In Rumänien herrscht mittlerweile ebenfalls ein Pflegenotstand, was bald dazu führen wird, dass sie nicht mehr alle Unwägbarkeiten in Kauf nehmen, um einen Job im Ausland anzunehmen. Im Umkehrschluss würde das österreichische Pflegesystem allerdings ohne die Altenbetreuer aus Rumänien kollabieren. Ein Aspekt, der im Nationalrat vor allem seitens der Neos immer wieder angesprochen wurde. Die Volkspartei zeigte sich auf diesem Ohr angesichts ihres Schengenvetos bis jetzt taub. Vielmehr heißt es, es sei die Sicherheit, die in dieser Angelegenheit absolute Priorität habe. Übersetzt heißt das: Von einer offenen rumänischen Landgrenze geht eine Gefahr aus. Derweil hat es für die rumänische Regierung absolute Priorität, der vom Berliner Kommissionsbüro angeführten Delegation das Gegenteil zu beweisen. Wie vor wenigen Monaten Bundesinnenminister Karner wird auch den angereisten Journalisten das Bukarester Kontrollzentrum des Grenzschutzes (in Betrieb seit 2012) präsentiert. Auch diesmal ist der rumänische Innenminister Cătălin Marian Predoiu vor Ort. In der Tat beeindrucken die Räumlichkeiten in technologischer Hinsicht. An den Wänden hängen ein Dutzend Monitore, auf denen die Beamten 24 Stunden täglich und sieben Tage die Woche in Echtzeit die rund 2000 Kilometer lange EU-Außengrenze überwachen. Den Grenzschützern stehen hochmoderne Tools wie Bewegungssensoren, Kameras, Radargeräte, mobile Nachtsichtmelder, Drohnen und Hochrisikoanalyseprogramme bzw. Hochleistungsrechner zu Verfügung. Hinzu kommen eine stationäre und eine mobile Patrouille, K9-Teams und ein engmaschige Austausch (auch in Form von gemeinsamen Fortbildungen) mit Verbindungsbeamten auf der anderen Seite der Grenze. Entdecken die Mitarbeiter des Kontrollzentrums eine Auffälligkeit, Lesen Sie das Interview mit dem Kriminologen und Soziologen Reinhard Kreissl unter dem Titel: „Wie viel Sicherheit muss der Staat garantieren?“ (11.09.2024) auf furche.at. FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE „ Wir haben durch unsere hochtechnologisierten Methoden die illegale Migration nach Serbien um 75 Prozent senken können. “ Innenminister Cătălin Marian Predoiu QR-Code scannen und mehr erfahren. Die einzige Garantie für eine Regierung ohne FPÖ. Wartezeit gilt es für die Lkws an den rumänischen Außengrenzen aufgrund der engmaschigen Kontrollen nach wie vor zu erdulden. Foto: Brigitte Quint 29.09. Andi BABLER

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