Aufrufe
vor 3 Monaten

DIE FURCHE 26.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 39 24 26. September 2024 Illustration: Rainer Messerklinger Von Manuela Tomic MOZAIK Durchbeißen Mit Stressblähungen und Schwitzhänden klebte ich wieder auf dem himmelblauen Zahnarztstuhl. Meine blonde Zahnärztin und ihre fröhlichen Gefährtinnen kreisten um mein verplombtes Mäulchen. In meiner Familie haben alle ein lockeres Gebiss oder feste Prothesen. Nur Opa Ivo hatte Biss. Man munkelt, er habe seine Zähne bis zu seinem Tod ausschließlich mit Salz und warmem Wasser geputzt. Nie musste er zum Zahnarzt, wohingegen Vater seine Zinken in Jugoslawien ließ. Auf dem Zahnarztstuhl erinnerte ich mich an eine Erzählung des slowenischen Schriftstellers Drago Ja nèar. Die Hauptfigur, Mihail Ševčenko, wird beständig von Zahnschmerzen geplagt, weshalb er den Kommunismus verteufelt. Nach seiner Flucht in die USA streift er seine alte Identität ab, die schlechten Zähne nicht. Als ich die Augen öffnete, grinste mich mein eigenes Röntgenbild an. Der künstliche Zahnersatz, der meine Beißer krönt, leuchtete silbern. Fast alle Wurzeln sind gefüllt, die Brücken nigelnagelneu. Das kühle Nass des Fräsers erfrischt meine Wangen: „Ausspülen!“ Der Stuhl fährt hoch. Ich setze meine Sonnenbrille auf und grinse als Terminator in die Runde: „I’ll be back.“ FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Foto: gemeinfrei Damit Texte leichter lesbar sind, führte der Verleger Aldus Manutius Beistriche und Punkte ein. Damit gilt er als Erfinder der Interpunktion. Der Verleger Aldus Manutius gilt als Erfinder des Beistrichs. Als Verleger hinterließ er mit seinen innovativen Drucktechniken ein bleibendes Erbe. Typograf, Pionier, Humanist Von Manuela Tomic Der Tag der Interpunktion am 24. September ist sein heimlicher Gedenktag, denn ohne ihn hätte es die Satzzeichen im Buchdruck, wie wir sie heute kennen, wohl kaum gegeben: Es handelt sich um den Verleger Aldus Manutius. In einer Zeit des Umbruchs formte Manutius, 1449 geboren, den Weg des Buchdrucks. Seine Arbeiten in Venedig trugen maßgeblich zur Verbreitung antiker Werke und zur Förderung des Humanismus „ Rede von nichts als Geschäften und führe das Geschäft schnell durch. “ in Europa bei. „Rede von nichts als Geschäften und führe das Geschäft schnell durch“, so soll das Motto des umtriebigen Businessgenies gelautet haben. Nach Studien in Ferrara, Rom und Verona ließ sich Manutius in Venedig nieder, wo er im Alter von etwa 40 Jahren eine Druckerei eröffnete. Seine Wahl fiel nicht zufällig auf diese Stadt, denn die Biblioteca Marciana beherbergte eine reiche Sammlung griechischer Handschriften, die dem Kardinal Bessarion zu verdanken war. Diese Schriften bildeten die Grundlage für Manutius’ visionäre Projekte. Unterstützt von einem Kreis talentierter Typografen begann er, antike Texte zu veröffentlichen. Seine Werke, die sogenannten Aldinen, waren eine Sensation: Sie zeichneten sich durch ein handliches Format aus, das dem Oktavformat ähnelte und erschwinglich war. Dies ermöglichte es, Wissen breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Bereits 1495 gelang Manutius ein Durchbruch: Er brachte die ersten Drucke griechischer Texte heraus. Diese Pionierarbeit festigte seinen Ruf als einer der wichtigsten Verleger und Typografen seiner Zeit. Mit der Veröffentlichung griechischer und lateinischer Werke sowie Schriften humanistischer Autoren wie Pietro Bembo und Francesco Petrarca leistete er einen entscheidenden Beitrag zur Renaissance und zum aufkommenden Humanismus in Europa. Das Druckerzeichen der Aldus-Presse, ein Anker und ein Delfin, symbolisiert das Prinzip der Balance zwischen Entschleunigung und Schnelligkeit. Seit 1502 verwendet, fand dieses Motiv in vielen Emblembüchern Anklang. Das dazugehörige Motto „Festina lente“ (Eile mit Weile) wird dem römischen Kaiser Augustus zugeschrieben und ist in den Schriften von Sueton und Aulus Gellius überliefert. Aldus’ Markenzeichen, das die Präzision und ästhetische Qualität seiner Druckwerke verkörperte, wurde von zahlreichen anderen Druckern in Europa nachgeahmt. Vom Mönch Makarije, der die erste Druckerei Südosteuropas betrieb, wird angenommen, dass er in der Druckerei von Manutius gearbeitet und dort sein Wissen erworben hatte. Der deutsche Schriftgestalter Hermann Zapf entwickelte ab 1953 eine schmalere und leichtere Variante der Schrift Palatino, die er als „Aldus Buchschrift“ bezeichnete. Manutius’ Leben in Venedig war von intensiver Arbeit und bedeutenden Kooperationen geprägt. Zunächst lebte er im Stadtteil S. Agostino, später in S. Paternian, wo er 1495 eine Zusammenarbeit mit dem Drucker Andrea Torresano begann, dessen Tochter er 1505 heiratete. Gemeinsam setzten sie neue Maßstäbe im Druckwesen. In ihrem Haus lebte auch Margarete, die Witwe des Frankfurter Buchhändlers Peter Ugelheimer, die Manutius finanziell unterstützte. Dank ihrer Hilfe konnte er im Jahr 1500 die Briefe der heiligen Katharina von Siena herausgeben. Über Manutius’ Tod gibt es widersprüchliche Berichte: Einige behaupten, er sei einem Mordanschlag zum Opfer gefallen, während andere annehmen, dass er an den Folgen von Überarbeitung erkrankte und nach Monaten starb. Auch das genaue Todesdatum bleibt unklar: Es schwankt zwischen dem 5., 6. und 8. Februar 1515. Sein Testament vom 16. Jänner 1515 ist jedoch erhalten geblieben. Nach seinem Tod setzte seine Familie das Werk fort. Markos Musoros, ein enger Freund Manutius’, rief die wissenschaftliche Gemeinschaft auf, das Unternehmen zu unterstützen. Zunächst übernahm sein Schwiegervater Andrea d’Asola die Leitung der Druckerei, bevor Manutius’ Sohn Paulus Manutius 1533 die Geschäfte weiterführte. Aldus Manutius war nicht nur ein technischer Innovator, sondern auch ein intellektueller Förderer des Humanismus. In seinem Haus in Venedig versammelte er eine Gruppe bedeutender Persönlichkeiten – eine Akademie, die sich der Bearbeitung und Herausgabe antiker Texte widmete. Zu diesem Kreis gehörten namhafte Gelehrte wie Hieronymus Aleander, Pietro Bembo, Erasmus von Rotterdam und Johannes Reuchlin. Diese Gemeinschaft prägte die Renaissance und förderte die Wiederentdeckung der antiken Literatur. Ab 1495 veröffentlichte Manutius Werke von Aristoteles, Theokrit, Aristophanes, Vergil, Petrarca, Juvenal, Martial und vielen weiteren Größen der Antike. Besonders hervorzuheben ist die Veröffentlichung der „Hypnerotomachia Poliphili“ von Francesco Colonna im Jahr 1499, die durch ihre herausragenden Holzschnitte berühmt wurde. Auch die „Divina Commedia“ von Dante Alighieri brachte er 1502 heraus, ein Meilenstein der italienischen Literatur. Einführung des Punktes am Satzende Neben seinen Verdiensten um die Verbreitung antiker und humanistischer Texte revolutionierte Manutius auch die Druckkunst selbst. Er führte eine neue, elegante Schriftart ein, die sogenannte Antiqua, die die in Nordeuropa gebräuchliche gotische Schrift ersetzte. Besonders erwähnenswert ist die Einführung der Kursivschrift, die Manutius 1501 in einer Ausgabe von Vergil erstmals verwendete. Diese „italics“ wurden von seinem Schriftschneider Francesco Griffo entworfen, der später, nach einem Zerwürfnis mit Manutius, zu dessen Konkurrenten wechselte. Auch in der Interpunktion setzte Manutius neue Maßstäbe. Die Werke von Bembo und Petrarca, die er veröffentlichte, waren unter anderem wegweisend durch die Einführung des Punktes am Satzende und die regelmäßige Verwendung des Kommas zur Strukturierung von Sätzen. Manutius war eine treibende Kraft hinter der Wiederentdeckung der antiken Literatur in der Renaissance und einer der wichtigsten Akteure bei der Entwicklung des modernen Buchdrucks. Am Campo Sant’ Agostin in Venedig erinnern zwei Gedenktafeln an den Ort, an dem seine Druckerei einst stand und von dem aus er die Welt der Bücher für immer veränderte.

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023