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DIE FURCHE 26.09.2024

DIE

DIE FURCHE · 39 20 Literatur 26. September 2024 Von Maria Renhardt Christine Lavant fährt wie ein Blitz in das Leben des Malers Werner Berg. 1950 lernt er sie zufällig bei der St. Veiter Kulturtagung kennen und hält zunächst als Bewunderer ihrer Texte und fasziniert von ihrer Person brieflichen Kontakt mit ihr. Bald sehen sie einander erneut. Beide sind verheiratet. Mittels massiver Drohungen unternimmt Lavants Ehemann, der um 36 Jahre ältere Kunstmaler Josef Habernig, alles Erdenkliche, um diese sich rasch entspinnende Beziehung zu unterbinden. Er spricht nicht mehr mit ihr, verbietet ihr, die Post zu holen, und kontrolliert ihre Ausgänge. Sogar „Irrenhaus“ und Entmündigung stehen im Raum. Lavant tritt zeitweise in einen Hungerstreik, spricht von Selbstmord und nennt ihn in den Briefen fortan nur mehr H.H. (Herr Habernig), während sie die Briefe zu ihrer Schwester oder zu einer Freundin zustellen lässt. Treffen mit Berg finden weiter, jedoch heimlich statt. Mauki (Amalie) Berg hingegen duldet das Zusammensein der beiden zunächst, mehr noch, sie nimmt Lavant freundlich in die Familie auf, ermuntert sie zum Dichten und möchte sogar zwischen den Eheleuten vermitteln, obwohl sie weiß, „dass es echten Frieden da nie mehr geben kann“. Sie erkennt, dass Lavant ein wichtiger Motor für das künstlerische Schaffen ihres Mannes ist. Dennoch zerbricht sie später förmlich an dieser Dreieckskonstellation, sodass es auch Berg, der sich nie von ihr getrennt hätte, irgendwann einmal nach einem Selbstmordversuch nicht mehr möglich ist, diese Beziehung fortzusetzen. Offenlegung der Herzen In diesen Briefen, die Harald Scheicher, ein Enkel Werner Bergs, nun erstmals gesammelt in vollem Umfang gemeinsam mit Birgit Strasser herausgegeben hat, spiegeln sich diese schwierigen Verhältnisse mit intimsten Details über die Liebe („Wie aber aushalten den Flammensturm“), aber auch Selbstzweifel, Hoffnungen, Eifersucht, Schmerz, Scham und Schuldgefühle wider. Gewissermaßen transportieren die Briefe zudem ein Stück Sozialgeschichte der Nachkriegszeit. Lavant strickt für andere, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern, aber sie erhält auch Preisgelder und Honorare. Berg kämpft oft mit bitterer Armut, doch auf finanzielle Zuwendungen und Geschenke Lavants an seine Familie reagiert er äußerst allergisch und fühlt sich in seinem Stolz gekränkt. Die harte DIE FURCHE EMPFIEHLT Foto: privat „Verführt wird die Seele immer in das was ihr das Gefährlichste ist“ von Maria Renhardt (20.3.2024) auf furche.at. Ann Cotten erhält Christine Lavant Preis 2024 Ann Cotten, mit Wurzeln in den USA, pendelt heute zwischen ihren Lebensmittelpunkten in Wien, Berlin und Japan und hat in diesem internationalen Kontext ein ungewöhnliches und immer wieder preisgekröntes Werk geschaffen. Ihr Werk reicht von lyrischer Dichtung über Prosa bis hin zu essayistischem und wissenschaftlichem Schreiben. Sie wirkt zudem als Übersetzerin. Der mit 15.000 Euro dotierte Preis für Lyrik und Prosa würdigt Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die in ihrem literarischen Schaffen – so wie Christine Lavant – einen hohen ästhetischen Anspruch mit humaner Haltung und gesellschaftskritischem Blick vereinen. Die feierliche Preisverleihung findet am Sonntag, dem 6. Oktober 2024, um 11 Uhr im RadioKulturhaus in Wien statt: Die österreichische Theater- und Filmschauspielerin Verena Altenberger wird Lyrik und gemeinsam mit Martin Kušej aus den erst jüngst veröffentlichten Liebesbriefen von Christine Lavant und Werner Berg lesen. Zwei international ausgezeichnete Jazzmusiker – Tobias Meissl und Robert Unterköfler – werden die Matinee musikalisch umrahmen. ORF-Kulturchef Martin Traxl moderiert. Das RadioKulturhaus bietet ein Live-Streaming, ORF III überträgt zeitversetzt die gesamte Verleihung und Matinee. Weitere Informationen zur Internationalen Christine Lavant Gesellschaft finden Sie auf der Website www.christine-lavant.com. (Brigitte Schwens-Harrant) Der Briefwechsel zwischen der Schriftstellerin Christine Lavant und dem Maler Werner Berg offenbart intime Einblicke in den Seelenzustand und die Liebe der beiden zueinander und zeigt die Auswirkungen ihrer innigen, aber schwierigen Beziehung auf ihr künstlerisches Schaffen. „Wie aber aushalten den Flammensturm“ „ Der briefliche Austausch ist intensiv. Was Lavant anbelangt, hat er fast Tagebuchcharakter, nicht nur wegen der Inhalte, sondern auch aufgrund der Frequenz. “ Arbeit am Rutarhof erschwert das Malen. („Meine Arbeit muß ich tun und die Sorgen bewältigen, wie eine Lokomotive den Lastenzug bergauf zieht, damit er nicht ins Unheil saust.“) Man gewinnt Einblicke in den damaligen Literaturbetrieb, aber auch in die Abhängigkeit der Frau, wenn sie sich aus der Ehe befreien möchte. Der briefliche Austausch ist intensiv. Was Lavant anbelangt, hat er fast Tagebuchcharakter, nicht nur wegen der Inhalte, sondern auch aufgrund der Frequenz. Sie reflektiert ihre Gefühle angesichts unlösbarer Beziehungsprobleme, subjektive Ansprüche, ihren Kinderwunsch, aber auch ganz gewöhnliche Alltagstätigkeiten. Vor allem zu Beginn – das Jahr 1951 umfasst mehr als ein Drittel der gesamten Korrespondenz – schreiben sie einander unentwegt, ja nahezu täglich und in jeder Lebenssituation. Selbst am Elternsprechtag, als sich Berg in die Schlange der Wartenden einreiht, greift er zur Füllfeder, um Zeilen an seine Geliebte zu richten. Dennoch zieht sich von Anfang an eine bittere Tränenspur durch diese Liebe: „Auch Verdruß wird wieder kommen auch das allergrößte Elend, Tränen, zornige Vorsätze … Anders kann und wird es nie sein. Nicht besser nicht schlechter, nur das Eine ist anders, daß wir beide (wir drei) genau wissen, daß es kein Ende gibt, daß dieses Ausweglose eben unser Weg ist.“ Das schuldlose Leiden Maukis wird Werner Berg und damit auch Christine Lavant mit der Zeit zur nicht mehr zu bewältigenden Qual. Diese Briefe, die man handlicher als zweibändige Ausgabe editieren hätte können, dienen als Ersatz für Gespräche („Ich wollte so gern mit Dir über das Dichten reden können und auch übers Malen“) und dokumentieren die Jahre 1951 bis 1955. Danach ist der Kontakt nur noch sporadisch, nach Bergs Selbstmordversuch gibt es kein aktives Wiederaufleben der Beziehung mehr, wohl aber eine tiefe, innige Verbundenheit bis zu Lavants Tod. 1972, ein Jahr vor ihrem Tod, schreibt sie ihm im letzten hier abgedruckten Brief noch zum Abschied einen Segensgruß: „Behüt Dich Gott Werner. Unter meinen Polstern ist das Schutzengelbuch auf [daß] Di[r] auch meiner noch das zutiefst Innerste zart erhalten möge.“ Für die Lavant-Berg- Forschung stellt dieser Foto: Wikipedia / Harald Scheicher (cc by-sa 3.0) Glück trotz Unglücks Von 1950 bis 1955 schrieben Christine Lavant und Werner Berg einander aberdutzende Briefe, die von einer tiefen und innigen Verbundenheit zeugen. Nach einem Selbstmordversuch Bergs brach der Kontakt weitgehend ab. Briefwechsel mit Hinweisen auf die Pu blikationssituation, auf mitgeschickte Gedichte und auf das künstlerische Schaffen zweifellos ein bedeutsames Fundament dar. Kommentierung, Personenverzeichnis und ein umfangreiches, aufschlussreiches Nachwort erleichtern zudem das Verständnis. Lavant und Berg haben die Briefe trotz Offenheit und Innigkeit des Austausches so vollständig wie möglich im Nachlass belassen, was fast erstaunen mag. Leben und Werk waren eben doch untrennbar miteinander verwoben. „Meine Seele schläft und wacht in, mit und bei der Deinen.“ Über fallenden Sternen Der Briefwechsel von Christine Lavant und Werner Berg Hg. von Harald Scheicher und Brigitte Strasser Wallstein 2024 1088 S., geb., € 47,30

DIE FURCHE · 39 26. September 2024 Film 21 Kate Winslet spielt in „Die Fotografin“ die Amerikanerin Lee Miller, die es als Model und Kriegsfotografin zu großem Ruhm brachte und früh gegen die männerdominierte Welt rebellierte. KURZKRITIKEN Mode und Barbarei Von Matthias Greuling Mit Herzensprojekten von Schauspielern ist das so eine Sache: Oftmals versuchen sie jahrelang, eine Rolle, eine Persönlichkeit, ein Vorbild in einem Film oder Biopic zu spielen, das am Ende die Erwartungen nicht ganz erfüllen kann, weil Herzensprojekte auch manchmal den eigenen Blick verklären, nicht scharf genug hinsehen lassen, weil die Passion zu groß ist. Mit „Die Fotografin“ ist es leider auch ein bisschen so. Kate Winslet arbeitete seit Jahren an der Umsetzung dieser Geschichte, die im Wesentlichen das Leben von Lee Miller nacherzählt. Miller war einst Model gewesen, aber mit Mitte 40 interessierte sich kein Magazin mehr für sie, man erinnerte sich noch an sie, weil sie als Muse des Fotografen Man Ray galt. Doch dann wechselte Miller die Seiten. Es sind die späten 1930er und die frühen 1940er Jahre, sie will mit der Liebe ihres Lebens, dem Kunsthändler Roland Penrose (Alexander Skarsgård), zusammen sein und zieht mit ihm in dessen Heimatstadt London, während die Nazis ein europäisches Land nach dem anderen überfallen. Bei der britischen Vogue will sie sich als Modefotografin versuchen, aber die Profession ist fest in Männerhand. Miller DRAMA will das System durchbrechen – und zwar ausgerechnet als Kriegsfotografin direkt an der Front! Ihre Chefredakteurin Audrey Withers (Andrea Riseborough) stellt für sie einen entsprechenden Antrag in Großbritannien – der aber abgewiesen wird, weil sie eine Frau ist. Nur Voller Einsatz für das Klima Nicht nur das Spiel auf der Trompete verlangt von der 18-jährigen Trine (Kornelia Melsæter) vollen Einsatz und Beharrlichkeit, sondern auch der Kampf für den Klimaschutz. Da sie sich nämlich weigert, in ein Flugzeug zu steigen, und eine Bahnfahrt doppelt so viel wie ein Flug kosten würde, beschließt sie, von ihrem Dorf auf den nordnorwegischen Lofoten in die 1500 Kilometer entfernte Hauptstadt Oslo zu trampen. Dort ist sie zu einem Vorspiel im Opernhaus eingeladen. Der in Stuttgart geborene Laurens Pérol legt mit seinem Langfilmdebüt „Üben, Üben, Üben“ ein klassisches Roadmovie vor. Er spannt den Bogen vom Beginn der Reise bis zur Ankunft in Oslo, verzichtet auf Nebengeschichten und fokussiert ganz auf die Erfahrungen seiner Protagonistin. Ausgiebig fängt Henrik Lande Andersens Kamera dabei die zwar raue, aber auch schöne norwegische Landschaft ein, während Kornelia Melsæter Trines Klimaengagement ebenso überzeugend vermittelt wie den Frust über die vielen Beschwerlichkeiten der Reise. Denn einerseits steht sie immer wieder in ihrer leuchtend gelben Jacke bei Regen oder Schneefall an der nur wenig befahrenen Straße, andererseits sind auch passende Plätze zum Üben nur schwer zu finden. So probt sie einmal im Fitnessraum eines älteren Herrn, der ihr Unterkunft gewährt, später in einem Stall zwischen Kühen oder auch auf einem verschneiten Feld. Ob sie beim Vorspiel aufgenommen wird, ist schließlich gar nicht mehr so wichtig. Zentraler scheint, dass sie ihren Prinzipien und sich selbst treu geblieben ist und die Herausforderungen, die die ungewöhnliche Reise an sie gestellt hat, gemeistert hat. (Walter Gasperi) ihr amerikanischer Pass machte es möglich, dass die Amerikaner sie engagieren können. Ein gefährliches Lebensabenteuer für Miller beginnt. Die echte Lee Miller (1907 bis 1977) wird in den USA als Ikone verehrt. Vom Model zur Muse, von der Modefotografie in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, wo sie unauslöschliche Fotodokumente gegen das Vergessen schuf, spannt der Film den Bogen; und auch Millers Unangepasstheit zu einer Zeit, in der Frauen lieber zu gehorchen hatten, anstatt große Reden zu schwingen, ist Teil der Inszenierung von der sonst als Kamerafrau arbeitenden Ellen Kuras. Winslet interpretiert die Titelrolle auch entsprechend leidenschaftlich, jedoch wird das Besondere an dieser Frauenfigur mit zu wenig Verve herausgearbeitet; alles wirkt ein Stück zu brav, zu konventionell, dabei hätte es gerade eine Frau wie Lee Miller verdient, dass man hier vonseiten der Regie neue oder zumindest ungewöhnliche Wege einschlägt. Aber man bekommt nur ein klassisches Biopic in einer etwas besseren TV-Optik. Lee Millers Leben zwischen Aufmüpfig- „ Millers Unangepasstheit zu einer Zeit, in der Frauen lieber zu gehorchen hatten, anstatt große Reden zu schwingen, ist Teil der Inszenierung von Ellen Kuras. “ An der Kriegsfront Lee Miller (Kate Winslet) und David Scherman (Andy Samberg) auf gefährlicher Mission im Zweiten Weltkrieg, dessen Schrecken sie auf Fotos bannen. keit, Künstlermuse und ihrem Kampf, als Fotografin ernst genommen zu werden, ist Kulisse für diesen Film, der lange Zeit emotional nur wenig berührt. Das ändert sich erst im letzten Drittel, in dem auch Winslet zu wahrer Hochform aufläuft. Sie zeigt Miller dann als facettenreiche Frau, die sich schließlich dadurch behaupten kann, die Gräuel des Krieges in atemloser Explizität eingefangen zu haben. Es sind Bilder, die sie auch selbst nie mehr aus dem Kopf bekommen wird. Diesen Aspekt zu vertiefen, hätte „Die Fotografin“ wohl zu einem wahrhaft großartigen Film gemacht. Die Fotografin GB 2023. Regie: Ellen Kuras. Mit Kate Winslet, Andrea Riseborough, Andy Samberg, Marion Cotillard. Constantin Film. 116 Min. Die 18-jährige Trine (Kornelia Melsæter) nimmt für den Klimaschutz ein Tramp-Abenteuer in Kauf. Üben, Üben, Üben (Å Øve) N/D 2023. Regie: Laurens Pérol. Mit: Kornelia Melsæter, Fride Snipsøyr Holøs, Trine Eilertsen. Filmladen. 79 Min. Ein Hauch von Ratlosigkeit Mit 85 wagt sich Regielegende Francis Ford Coppola („Apokalypse Now“) an ein Projekt, das zehn Jahre auf Eis lag, ehe es umgesetzt wurde. „Mega lopolis“ (Weltpremiere in Cannes) ist eine überladene, überdramatisierte und mit Sci-Fi-Elementen aufgeladene Altherrenerzählung, in der es um nicht weniger als den Niedergang der Menschheit geht, die Coppola bedeutungsschwanger in Szene setzt. New Rome steht vor dem Untergang, weil Macht und Gier alle korrumpiert haben. Der offensichtliche Verfall wird von Cäsar Catilina (Adam Driver) negiert, er fantasiert von einer Rückkehr zu alter Stärke. Ein Sammelsurium an gigantomanischen Wahnvorstellungen und eine wilde Sammlung von Aphorismen zu Allmacht und Weltherrschaft: Coppolas Effektexzess wird das Publikum fordern und hat das Zeug, von ihm verstanden und gefeiert zu werden – in 40 Jahren vielleicht. Bis dahin umweht diesen irren Höhepunkt einer Filmkarriere ein Hauch von Ratlosigkeit. (Matthias Greuling) Megalopolis USA 2024. Regie: Francis Ford Coppola Mit Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel. Constantin Film. 138 Min. Es wird der Wein gewesen sein ... Der Rioja ist der wohl bekannteste Wein spanischer Provenienz und darob wert, das Thema eines Kinodokumentarfilms zu sein. Regisseur und Kulturhistoriker José Luis López-Linares erzählt von Winzern, deren Familien seit Jahrhunderten die Weinberge der Region kultivieren, von Frauenkollektiven, die eine sozial gerechte Produktion des Weins fordern, oder von Spitzengastronomen, die ihre Speisekarte an die Anforderungen des Weins anpassen, um größtmögliche Harmonie herzustellen. „Das Land der tausend Weine“ erforscht die Seele eines Kulturguts, das die Menschen, die daran arbeiten, nachhaltig beeinflusst – egal, ob im kleinen Weinkeller oder in den riesigen Hallen der großen Weinmacher. Das alles ist vor allem für Weinkenner und -trinker ein Genuss, hat aber auch den Anspruch, eine Liebeserklärung für eine Kultur zu sein, die die Menschen seit Jahrtausenden prägt. Nicht der schlechteste Anspruch, und nach dem Kino wird sicher die eine oder andere Flasche geleert. (Matthias Greuling) Das Land der tausend Weine E 2023. Regie: José Luis López-Linares Dokumentarfilm. Filmladen. 101 Min.

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