DIE FURCHE · 39 2 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Leistung 26. September 2024 AUS DER REDAKTION Die Krise in Nahost droht endgültig zu eskalieren. Werden sich die israelischen Luftangriffe auf den von der Hisbollah kontrollierten Südlibanon zu einem manifesten Krieg auswachsen? In der nächsten FURCHE werden wir uns anlässlich des Jahrestags des Hamas-Massakers vom 7. Oktober dieser und weiteren Fragen widmen. Diese Woche steht die bevorstehende Nationalratswahl im Mittelpunkt, u.a in der letzten Folge unserer Serie „Welche Werte wir wählen“. Philipp Axmann hat dazu Wifo-Chef Gabriel Felbermayr zu „Leistung“ befragt – und Wolfgang Machreich besuchte für sein letztes Wahl-Feature einen ÖVP-Lokalpolitiker und Unternehmer im steirischen Murtal. Ein gutes Stück weiter, nämlich nach Rumänien, hat es Brigitte Quint verschlagen. Angesichts der Kränkung durch Österreichs Schengen-Veto wird man dort die Wahlen am Sonntag aufmerksam verfolgen. Till Schönwälder wiederum hat einen zweiten Schwerpunkt in diese Ausgabe gewuchtet – über die demnächst startende zweite Session der Weltbischofssynode in Rom. Lesen Sie dazu sein aufschlussreiches Gespräch mit Salzburgs Erzbischof Franz Lackner sowie Analysen von Regina Polak und Jan-Heiner Tück. Prall ist auch das Feuilleton – mit Essays über die „Urgewalt des Verlagswesens“, Siegfried Unseld, das komplexe Verhältnis zwischen Christine Lavant und Werner Berg – sowie das Phänomen Polarisierung. „Liebender Streit in Zeiten des Hasses“: Das bleibt wohl über den Sonntag hinaus ein (frommer) Wunsch. (dh) Das Gespräch führte Philipp Axmann Als Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung schlägt Gabriel Felbermayr die Brücke zwischen Wissenschaft und Politik. Im Interview spricht er über Teilzeitarbeit, die Mindestsicherung, den „Vollkaskostaat“ und darüber, wann Ungleichheit fair ist. DIE FURCHE: Was ist überhaupt Leistung? Gabriel Felbermayr: Der Ökonom würde sagen, Leistung ist das Erbringen einer Dienstleistung oder das Herstellen eines Produktes unter Einsatz von eigenen Mitteln, also etwa Arbeitszeit, Intelligenz oder Muskelkraft. Das Produkt kann ich dann am Markt verkaufen, verschenken oder selbst verwenden. Man produziert einen Output. Die Relation zwischen Input und Output nennen wir dann Produktivität. Unproduktiv bin ich, wenn ich Input einsetze und keinen Output erzeuge. Wenn ich also beispielsweise zehn Stunden im Büro sitze, aber keinen Mehrwert schaffe. Dann leiste ich nichts. Oder wenn ich etwas tue, das ich zwar für sinnvoll halte, das der Allgemeinheit aber nichts bringt: Das ist vielleicht Leistung, die privat sinnvoll erscheint, aber nicht für die Gesellschaft. DIE FURCHE: Und wie sieht es jenseits der Ökonomie aus? Ist denn Kindererziehung keine Leistung? Felbermayr: Doch, selbstverständlich! Und auch da kann man produktiv oder unproduktiv sein. Ich bin Vater von drei Töchtern, da setzt man sich für die Erziehung ein, damit die Kinder zu guten Erwachsenen werden, ein gesundes Leben führen, produktiv sein können und in der Allgemeinheit einen wertstiftenden Platz haben. Ist das geschafft, habe ich etwas geleistet. Was die Auffassung des Ökonomen unterscheidet, ist, dass er Leistung auch nach dem Output misst. Im allgemeinen Sprachgebrauch dagegen sagen wir oft, wir haben etwas geleistet, wenn gar nichts rausgekommen ist. Etwa wenn ich im Fitnessstudio bin, aber ganz falsch trainiere. Dann habe ich mich totgeschwitzt, baue aber keine Muskeln auf. Es war sinnlos. Auch das komplexe Thema Leistung in einem Interview greifbar zu machen, kann eine Leistung sein. Aber wenn wir scheitern, haben wir nichts geleistet. Unter „FURCHE- Wahlserie: Welche Werte wir wählen“ finden Sie auf furche.at alle Artikel dieses Fokus sowie weitere digitale Inhalte. „Leistung muss sich wieder lohnen“, plakatiert die ÖVP. Da stellt sich die Frage: Was ist überhaupt Leistung? Und wer sind die Leistungsträger im Land? Antworten liefert der Wirtschaftsforscher Gabriel Felbermayr. „Das ruiniert die Solidarität“ DIE FURCHE: Muss sich Leistung wieder mehr lohnen, wie die ÖVP plakatiert? Felbermayr: Der hier hinterlegte Leistungsbegriff ist eingeschränkt auf die Arbeitsleistung. Und das ist ja auch total okay. Wer produktiv und erfolgreich arbeitet und dadurch einen Marktwert hat, der soll von dieser Leistung leben können. Wir haben in Österreich immer weniger Köpfe, die etwas leisten können, denn wir werden immer älter. Wir haben immer mehr Menschen, die krank sind. Wenn der Gesamtwohlstand nicht schrumpfen soll, müssen die Aktiven mehr leisten. Man könnte natürlich alternativ auch sagen, wir akzeptieren, dass wir ärmer werden. Aber wenn wir unsere sozialen Sicherungssysteme und die öffentlichen Güter aufrechterhalten wollen, muss man von denen, die arbeiten können, erwarten, dass sie ihr Potenzial ausschöpfen. Im österreichischen Steuer- und Abgabensystem haben wir leider Elemente, die das hintertreiben. Man nennt das Inaktivitätsfalle: Es gibt Situationen, wo jemand beispielsweise 17 Stunden in der Woche arbeitet, und wenn er die Arbeitszeit auf 18, 20, 25 Stunden erhöht, würde er netto fast keinen Vorteil davon haben, in Einzelfällen sogar einen Nachteil, weil irgendeine Sozialleistung wegfällt. Man muss als Staat die Balance finden. „ Durch den Klimawandel drohen steigende Preise. So eine Krise der Leistbarkeit ist auch eine Krise des Wohlstands. “ Fabriksarbeit zeigt das Bild „Burmeister und Wain Eisengießerei“ von Peder Severin Krøyer (1885). Bei weitem nicht die einzige Art von Leistung. Foto: IMAGO / GRANGER Historical Picture Archive DIE FURCHE: Eine Balance zwischen welchen Faktoren? Felbermayr: Einerseits braucht ein Staat Steuereinnahmen. Andererseits muss er sich die Frage stellen, ob der Einzelne durch hohe Anstrengung einen hinreichend großen Vorteil für sich selbst hat. Das ist wichtig, weil sonst der Anreiz zu leisten verlorengeht. Wenn wir 100 Prozent Steuern zahlen müssten, dann gehe ich lieber in den Wald spazieren, statt zu arbeiten. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wir finanzieren in Österreich den Großteil unserer öffentlichen Güter mit Besteuerung von Arbeit und mit Sozialversicherungsabgaben. Wenn jemand nur 25 Stunden arbeitet, weil er hohe Anteile davon, was er durch Mehrarbeit leistet, an den Staat abgeben müsste, dann entzieht er sich der Finanzierung der öffentlichen Güter. Es kann für den Einzelnen logisch und vernünftig sein, weniger zu arbeiten. Aber wenn das viele tun, dann hat das System ein Problem. DIE FURCHE: Wieviel finanzielle Ungleichheit ist fair? Felbermayr: Sie ist fair, wenn sich zwei Menschen in ihren Präferenzen unterscheiden. Wenn beispielsweise ein Mensch vor allem Tennis spielen will und ein anderer will Kunst sammeln. Dann werden wir nach einigen Jahren feststellen: Der sein Geld in Kunst steckte, ist jetzt vermögend, und der Tennisspieler hatte weniger Zeit zum Arbeiten und das Geld, das er in Tennisstunden und Platzgebühren steckte, hat sich freilich auch nicht vermehrt. Das ist fair, denn der Unterschied kommt von individuellen Abwägungen. Wir müssen aber auch über unterschiedliche Leistungsfähigkeiten reden. Unser Steuersystem hat den Anspruch, dass Leute mit hoher Leistungsfähigkeit auch mehr zur Finanzierung der öffentlichen Güter beitragen. Und zwar nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch relativ gesehen, in Prozent des Einkommens. Die zahlen dann vielleicht durchschnittlich 40 Prozent Steuern – und federn es ab, wenn jemand anderer weniger leistungsfähig ist, aus bestimmten Nachteilen, die es von Natur aus gibt, etwa wenn jemand krank ist. DIE FURCHE: Wie viel man verdient, hängt laut Studien eng mit Intelligenz und Elternhaus zusammen, beides kann man nicht beeinflussen. Wie kann das gerecht sein? Felbermayr: Mit der Progressivität des Steuersystems tun wir schon viel für diese Gerechtigkeit. Jemand der viel verdient – wegen eigener Leistung und wegen glücklicher Umstände wie dem Elternhaus – gibt einen hohen Anteil des Gehalts an die Allgemeinheit ab. Jemand in weniger glücklichen Umständen zahlt wenig oder gar keine Einkommenssteuer. Letzteres trifft auf mehr als ein Drittel der unselbständig Beschäftigten im Land zu. Wenn das aufgrund unterschiedlicher Leistungsfähigkeit zustande kommt, ist das auch richtig so. Anders wäre es, wenn jemand seine Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft. DIE FURCHE: Wie ist es dann? Felbermayr: Wenn beispielsweise jemand auf Kosten der Allgemeinheit Medizin studiert hat, und dann sagt: „Ich bin clever, ich arbeite nur zehn Stunden, damit zahle ich keine Steuern und das reicht mir finanziell“, obwohl er leistungsfähiger wäre. Das ist nicht in Ordnung, das ist eine Ausnutzung unseres Systems. Denn so jemand hat genauso Zugang zu sauberen Straßen und Sicherheit, sein Kind geht zur Schule, er wird im Krankenhaus behandelt. Es ist eine Pflicht im Sozialstaat, dass Leistungsfähige auch Leistungen erbringen. Denn die eigene Leistungsfähigkeit wird sehr häufig erst von der Gesellschaft ermöglicht: Wenn der Spediteur die Straßen verwendet, oder wenn ich gratis in die Schule gehen durfte. DIE FURCHE: Männer gehen in Österreich momentan im Durchschnitt mit 62 Jahren in Pension, Frauen mit 60. Viele Menschen könnten auch danach noch etwas am Arbeitsmarkt leisten, wenn auch vielleicht in reduziertem Ausmaß. Wie steht es hier um Leistung und Gerechtigkeit? Felbermayr: Wir haben in Österreich ein cleveres, aber viel zu unbekanntes System: die Korridorpension. Niemand wird mit 60 in
DIE FURCHE · 39 26. September 2024 Das Thema der Woche Welche Werte wir wählen: Leistung 3 „ In Österreich wächst die Bevölkerung, also die Nachfrage, gleichzeitig leisten wir weniger Arbeitsstunden. Das befeuert die Inflation. “ Unsere Analyse von wahlkabine.at zeigt: Leistung zahlt sich nicht immer aus. Während die ÖVP etwa die Senkung der Lohnnebenkosten fordert, lehnt sie in konkreten Fällen höhere Gehälter oder Arbeitsanreize ab. Zwangspension geschickt. Wer länger arbeitet, bekommt deutlich mehr Pension. Wahrscheinlich könnte man da noch an den Parametern drehen, damit sich das längere Arbeiten noch mehr lohnt. DIE FURCHE: Im Wahlkampfsommer wurde der Fall einer afghanischen Familie mit sieben Kindern heiß diskutiert, in der beide Eltern nicht arbeiten, und die in Wien insgesamt 4600 Euro an diversen Sozialtransfers erhält. Wo ist da der Leistungsanreiz? Felbermayr: Ich sehe das mit großer Sorge. Und zwar nicht, weil es für den Staat um viel Geld geht, das tut es nicht wirklich. Sondern, weil solche Fälle die Solidaritätsbereitschaft der Bevölkerung ruinieren. Wenn in einer anderen Familie mit gleich vielen Kindern beide Eltern arbeiten, wenn auch vielleicht nicht Vollzeit, und dort die Großeltern auf die Kinder schauen, und für die Familie am Ende weniger Geld rausschaut als in besagtem Fall, dann zerstört das die Bereitschaft, dieses System mitzutragen, denn das ist unfair. Wir müssen das Sozialsystem immer auf Arbeitsanreize prüfen. Da geht es nicht darum, dass unser System insgesamt zu großzügig wäre. Beispielsweise ist die Ersatzrate unserer Arbeitslosenversicherung mit 55 Prozent eher klein, das könnte man erhöhen, aber dafür soll die Quote dann mit der Zeit fallen. Arbeitswillige Arbeitslose hätten dann mehr davon, und es wäre wohl fairer. DIE FURCHE: Verhalten wir uns zum Staat wie Konsumenten? Felbermayr: Es geht in diese Richtung. Ich sage dazu Vollkaskostaat. Wir erwarten, dass der Staat uns alle Lebensrisiken abnimmt. Erstens überfordert das den Staat, und zweitens subventionieren wir damit riskantes Verhalten. In der Coronazeit fand ich es etwa falsch, die Unternehmen im Fall von Kurzarbeit der Mitarbeiter völlig von Sozialversicherungsabgaben zu befreien. Wenn Unternehmen Angestellte im Unternehmen halten, die sie sich langfristig eigentlich nicht mehr leisten können, ist das schlecht für die Allgemeinheit. Das klingt zuerst vielleicht zynisch, aber tatsächlich würde der Arbeitsmarkt diese Leute ja brauchen. Zu Coronazeiten hatten wir weitverbreitete Kurzarbeit und gleichzeitig einen massiven Personalmangel etwa im Schulbereich. Gabriel Felbermayr, geboren 1976 in Steyr, ist seit 2021 Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Foto: Alexander Müller DIE FURCHE: Wie steht es denn um Leistung in der Schule? Felbermayr: Jedes abgeschlossene Schuljahr wirkt sich finanziell positiv auf das ganze Arbeitsleben aus. Zum Teil sind aber die Anreize, sich eine gute Schulausbildung zu holen, zu klein. In Deutschland etwa wird genau deswegen der Mindestlohn kritisiert: Wenn mir der reicht, mache ich halt keine Lehre und schon gar keine Meisterprüfung. Das sagt sich mit 16 leicht. Aber wenn man mit 35 Kinder hat und nicht mehr gratis bei den Eltern wohnen kann, ist es schwierig eine Ausbildung nachzuholen. Man muss deswegen nicht völlig gegen einen Mindestlohn sein, aber Vorsicht ist angebracht. Es besteht in der Schule auch die Gefahr, aus einem progressiven Gedanken heraus das Leistungsprinzip abzuschaffen, und nur Einser zu verteilen. Das hilft am Ende niemandem, im Gegenteil. „ Es ist eine Pflicht im Sozialstaat, dass Leistungsfähige auch leisten. Die Gesellschaft ermöglicht oft erst die eigene Leistungsfähigkeit. “ DIE FURCHE: „Leistung“ steckt auch darin, sich etwas leisten zu können. Wie sieht es denn damit aus? Felbermayr: In einer reichen, demokratischen, christlich geprägten Gesellschaft wollen wir, dass sich alle ein Mindestmaß an Konsum leisten können, auch diejenigen, die selbst gar keine Leistung bringen können. Im Brot steckt die Leistung des Bäckers. Kann ich mir als Professor durch meine Leistung seine Leistung kaufen? Diese Leistbarkeit und Wertigkeit drücken wir durch das Preissystem aus. Was auch progressive Kräfte verstehen müssten: Wenn wir weniger leisten, gibt es weniger Angebot, und damit steigen die Preise. In Österreich sinken seit 2019 die geleisteten Arbeitsstunden, während wir jetzt drei Prozent mehr Menschen im Land haben. Das Angebot sinkt, die Nachfrage steigt. Das befeuert die Inflation. Und auch mit Blick auf den Klimawandel droht eine Krise der Leistbarkeit: Denn wenn etwa gewisse Stadtviertel nicht mehr bewohnbar sind, weil es dort drei Monate im Jahr zu heiß ist, und wenn es mehr und mehr Missernten gibt, dann gibt es weniger Angebot, und die Preise für beispielsweise Wohnungen und Lebensmittel werden steigen. Eine Krise der Leistbarkeit ist eine Krise des Wohlstands. Der Freihandel hat fertig von Gabriel Felbermayr und Martin Braml, Amalthea 2024 272 S., geb., € 30,– Ungleicher Fokus auf Arbeit 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0 % -20 % -40 % -60 % -80 % -100 % 1200 1000 800 600 400 200 0 Produktivität lohnt sich nicht für alle DIE FURCHE hat analysiert, welche Parteien bei wahlkabine. at auf Leistung fokussieren – und inwiefern das den Betroffenen auch Vorteile bringt (max.100 Prozent Gewichtung). -7,41 % ÖVP In diesem Wahlkampf setzt die Volkspartei mehr denn je auf das Thema Leistung (siehe unten). Doch die Frage, wie sich diese auch auszahlt, bleibt. Unsere abschließende Datenanalyse der Online-Orientierungshilfe wahlkabine.at – eine unabhängige Plattform, die mit österreichischen Medien (darunter DIE FUR- CHE) kooperiert – macht deutlich, wie stark sich die Parteien tatsächlich für mehr Leistung einsetzen. Nachdem auch negative Leistungsanreize denkbar sind, ist auch ein negativer Gesamtwert möglich. Konkret ausgewählt wurden diesmal neun Fragen: etwa jene nach einer Arbeitszeitkürzung, nach Gehältern für Pflege und Betreuung, nach einer Erbschaftssteuer und nach einem Mindestlohn für Lehrlinge. Wie hat nun die ÖVP auf wahlkabine.at geantwortet? Pluspunkte im Sinne von mehr Leistungsanreizen sammelt sie etwa bei der Ablehnung der Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich – hier positioniert sich die Wirtschaftspartei mit dem Argument sinkender Wettbewerbsfähigkeit klar dagegen. Sie fordert zudem eine Senkung der Lohnnebenkosten für Unternehmen, was sich auch finanziell positiv auf Arbeitnehmer:innen auswirken könnte. Außerdem ist die ÖVP gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen und für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab einem Jahr, der es Eltern erleichtern soll, früher in die Vollzeitarbeit zurückzukehren. (Ein Punkt, in dem sich alle Parteien mit Ausnahme der FPÖ einig sind.) Minuspunkte bei der Leistung gibt es für die ÖVP hingegen Das zuvor eher schmale Wahlprogramm der ÖVP wurde kurz vor dem Urnengang auf 270 Seiten erweitert – und ist damit mehr als doppelt so umfangreich wie die Programme der anderen Parteien. Viel Platz, um viel zu versprechen – und genau das tut die ÖVP auch. Unsere Schlagwort-Analyse hat ergeben, dass Begriffe der Leistung weitaus öfter vorkommen als Sicherheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Freiheit. Im Sinne der Leistungsgerechtigkeit sollen diejenigen mehr bekommen, die auch mehr leisten: etwa durch Vollzeitboni, steuerfreie Überstunden, Arbeiten in der Pension und Steuersenkungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die ÖVP will so eine „Leistungskultur“ etablieren – selbst in Schulen soll es wieder Leistungsgruppen geben. Zusätzlich Leistung über alles In ihrem Wahlprogramm fordert und verspricht die ÖVP vor allem Leistung. Die FURCHE-Schlagwortanalyse ergibt, dass dieser Begriff mit Abstand am häufigsten vorkommt (Angaben in Anzahl der Schlagwörter). 260 Freiheit soll überall investiert werden: in den Wirtschaftsstandort Österreich, in das Pflege- und Gesundheitssystem, in die Bildung, in die Forschung, in die Landesverteidigung und in die Verkehrsinfrastruktur. Der Frage nach der Finanzierung widmet die ÖVP nur eine Seite: Während ihr Leistungspaket rund 12 Milliarden Euro kostet, sollen Subventionsbremsen, Zuwanderungsstopp, Wirtschaftswachstum und Effizienzsteigerungen in der Verwaltung sowie bei der Verteilung von Steuergeldern rund 14 Milliarden Euro bringen. Die ÖVP hatte seit Beginn der 27. Gesetzgebungsperiode am 23. Oktober 2019 auch reichlich Möglichkeiten, ihre Ideen umzusetzen. So leitete sie gemeinsam mit den Grünen dem Parlament 365 Regierungsvorlagen zu, von denen sich mindestens 25,93 % SPÖ -29,63 % FPÖ 390 29,63 % Grüne Nachhaltigkeit 55,56 % NEOS 616 Sicherheit 18,52 % KPÖ 37,04 % 37,04 % BIER 353 Gerechtigkeit 7,41 % KEINE Petrovic durch ihr Nein zum Gehalt für die Pflege und Betreuung von Angehörigen und Kinder – dafür verspricht sie aber einen Bonus. Ebenfalls ist die Volkspartei gegen den freien Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerbende nach drei Monaten – was angesichts des Arbeitskräftemangels durchaus sinnvoll wäre. Zudem ist sie (trotz steigender Lebenserwartung) gegen ein höheres Pensionsantrittsalter und gegen eine Erbschaftssteuer ab 1,5 Millionen Euro – Maßnahmen, die nicht unbedingt die Leistung fördern. Die größte Abfuhr erteilte die ÖVP allerdings den Lehrlingen: Sie ist gegen einen Mindestlohn von 1.000 Euro für die zukünftigen Arbeitskräfte, obwohl sich diese Maßnahme ebenfalls positiv auf den Fachkräftemangel auswirkt. (Maximilian Hatzl) Mehr und mehr versprechen 1261 Leistung 37 mit Leistung befassten. Daneben stellte sie 512 der insgesamt 895 Initiativanträge, wobei sie bei 488 federführend war. Wenig überraschend wurden 469 Initiativanträge auch umgesetzt – darunter mindestens 19 Anträge, die sich mit Leistung befassten. So wurde 2020 ein Bildungsbonus für Arbeitslose eingeführt, Anfang dieses Jahres die geblockte Variante des Altersteilzeitgeldes abgeschafft – die einen frühzeitigen Ruhestand bei reduziertem Gehalt ermöglichte – und vergangenes Jahr die Bonifikation bei späterem Pensionsantritt angehoben. (Maximilian Hatzl) Mehr zur FURCHE-Datenanalyse finden Sie online unter www.furche.at/dossier/die-furchewahlserie-welche-wertewir-waehlen sowie unter dem QR-Code auf Seite 2. Eigene Auswertung; Grafik: Rainer Messerklinger (Quelle: wahlkabine.at) Eigene Auswertung; Grafik: RM (Quelle: ÖVP, Wahlprogramm Nationalratswahl 2024)
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE