DIE FURCHE · 4 6 Politik 26. Jänner 2023 Am Sonntag wählt Niederösterreich. Spannung ist aber für ganz Österreich garantiert. Und das, obwohl die bundespolitische Aufladung sehr schnell nach dem Wahltag wieder verpufft sein wird. SPITZENREITER NÖ Vielerlei Absolute Der Landesname stapelt tief: Oft steht Niederösterreich in Österreich ganz oben. Mit 19.180 Quadratkilometern umfasst Niederösterreich fast ein Viertel des Staatsgebiets. Inklusive des größten Weinbaugebiets, das zwei Drittel des österreichischen Weins liefert. Mehr als die Hälfte der österreichischen Windräder (790 von 1374) dreht sich in Niederösterreich. Illustration: Rainer Messerklinger Von Wolfgang Machreich Mit 25.600 Euro verzeichneten 2021 die privaten Haushalte dort das höchste verfügbare Einkommen pro Kopf in Österreich. Das Land zählt die zweitmeisten Einwohner hinter Wien, aber das größte Wahlvolk (fast 1,3 Millionen). Und eine Regierungspartei ÖVP, die seit 1945 alle Landeshauptleute stellte und außer von 1993 bis 2003 mit absoluter Mehrheit regierte. (WM) Ein Land wählt, der Bund fiebert mit. „Diesmal steht alles auf dem Spiel“, gab Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die Parole für den Niederösterreich- Wahlkampf vor. Die anderen Parteien blieben da nicht zurück. Die SPÖ fordert: „Am 29. Jänner auch gleich die Bundesregierung abwählen“. Und die FPÖ kämpft kein halbes Jahr nach den Wahlen in Tirol schon wieder eine „Schicksalswahl“ samt der Hoffnung, dass mit dem Fall der „letzten schwarzen Bastion“ der Weg für Neuwahlen im Bund frei wird. Ein schwer vorstellbares Szenario. Nicht nur für Lore Hayek: „Diese Wahlen werden zwar im Vorfeld mit großer Bedeutung aufgeladen“, sagt die Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck mit den Forschungsschwerpunkten Wahlkampfkommunikation und politische Öffentlichkeitsarbeit. Bei genauerem Hinsehen zeige sich aber, „dass die tatsächlichen bundespolitischen Konsequenzen, die aus Landtagswahlen gezogen werden, relativ gering sind“. Die politischen Folgen der Tiroler Wahlen im September des Vorjahrs bestätigen dieses Fazit. Auch wenn ein „Politbeben“ samt „Erdrutschverlusten“ und andere Naturkatastrophen-Analogien für die ÖVP bemüht wurden, weder im Nationalrat noch auf der Regierungsbank hat man davon etwas gespürt. „Was hätte auch passieren sollen?“, fragt Hayek: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die Bundesregierung auflöst, weil eine Regierungspartei bei einer Landtagswahl starke Verluste einfährt. Der kausale Zusammenhang wird zwar im Vorfeld medial hergestellt und von den Parteien befeuert, aber in der Realität sehe ich den nicht.“ Anlässlich von vier Wahlgängen an einem Tag stellte sich am 21. Oktober 1954 bereits die Frage, ob man noch von „‚Nur‘ Landtagswahlen?“ sprechen kann. Nächste bundesweite Landtagswahl Schausberger: Bund ist Trumpf! Einer, der die Zusammenhänge zwischen Bundes- und Landespolitik und ihre Auswirkungen auf Wahlen aus eigener politischer Erfahrung und wissenschaftlicher Beschäftigung mit den Thema kennt, ist Franz Schausberger. „Vor allem die Bundespolitik hat auf die Landespolitik großen Einfluss“, sagt der Salzburger Altlandeshauptmann (ÖVP) und Historiker: „Umgekehrt kann ich das nicht bestätigen. Weil einmal in einem Land etwas verlorengeht, wird nicht am Bestand der Bundesregierung gerüttelt. Wenn es aber für eine Partei auf Bundesebene gut läuft, läuft es auch in den Ländern gut.“ Als Beweis nennt er die Landtagswahlen in der türkisen Ära, „die wirklich aufgrund von Sebastian Kurz so ausgegangen sind, wie sie ausgegangen sind“. Ist die Situation für eine Partei auf der Bundesebene schlecht, beschreibt Schausberger das umgekehrte Szenario, „dann hat das für diese Parteien auch in den Ländern negative Auswirkungen und kann bestenfalls durch eine starke Spitzenperson noch ein bissl kaschiert werden“. „ Man kann die Wähler ja nicht zwingen, ihre Wahlentscheidung nur aufgrund von Landesthemen zu treffen. “ Dass der Einfluss der Bundespolitik auf die Landesebene kein neues Phänomen ist, zeigt Schausberger am Beispiel eines seiner Vorgänger als Salzburger Landeshauptmann: Bei den Landtagswahlen 1969 konnte „der sehr populäre Landeshauptmann Hans Lechner“ nur mit einer knappen Mehrheit von 600 Stimmen die Wahl gewinnen. Als Grund für das schwache Abschneiden nennt Schausberger die schlechten Phase der ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus. „Fünf Jahre später“, beschreibt Schausberger den Pendelschlag in die andere Richtung, „hatte die SPÖ-Regierung unter Bruno Kreisky unter den Folgen der Ölkrise zu leiden, und der gleiche Lechner gewann die Hälfte der Mandate.“ Als wichtigen strukturellen Grund, warum Landtagswahlen immer ein Stimmungstest für die Bundesebene sind, nennt Schausberger den österreichischen Föderalismus: „Der hat die Besonderheit, dass er von der Verfassung her sehr eng mit der Bundespolitik verflochten ist. Die Leute können nicht wirklich unterscheiden, was reine Landes- oder Bundessache ist.“ Die Frage, ob man sich bei Landtagswahlen aufgrund regionaler, nationaler oder internationaler Themen für eine Partei entscheidet, hat für Lore Hayek keine Relevanz: „Man kann Wählerinnen und Wähler in Niederösterreich oder Tirol oder anderswo ja nicht zwingen, ihre Wahlentscheidung nur aufgrund der jeweiligen Landesthemen zu treffen. Die Menschen treffen ihre Wahl aufgrund eines breiten Sets an Einstellungen. Da kann von grundlegender Parteiloyalität bis hin zu Einzelthemen alles Mögliche dabei sein.“ Über den Tellerrand der Landeskompetenzen hinaus schaute auch Landeshauptfrau Mikl-Leitner, als sie eine Revision des Strafrechts und Freiheitsstrafen für Klimakleber forderte. „Man nennt das Agenda-Surfing“, beschreibt Hayek die Wahlkampfstrategie: „Vergleichbar mit dem Surfen auf einer Welle versucht man, sich auf ein aktuelles Thema draufzusetzen und es für sich zu nützen.“ Für Hayek eine effektive Kommunikationstechnik: „Weil man nicht selbst ein Thema mühsam aufziehen muss, sondern eine vorhandene mediale Aufregung für sich nützen kann. Die Frau Landeshauptfrau hat erkannt, dass es schwieriger ist, niederösterreichische Regionalthemen aufzuziehen, als sich in der allgemeinen Aufregung um Klimaaktivistinnen zu positionieren.“ An die landespolitischen Folgen des bundespolitischen Aufregerthemas Pensionsreform erinnert Franz Schausberger. Vor 20 Jahren war seine Politkarriere selbst davon betroffen. Die Pensionsreform der schwarz-orangen Koalition unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel löste nicht nur „den größten Streik aus, den es jemals in Österreich gegeben hat“, sagt Schausberger – sondern hatte massive Folgen für die anschließenden Landtagswahlen: In Oberösterreich gewann die SPÖ über elf Prozent dazu, die ÖVP stagnierte, konnte aber den Landeshauptmann halten. Fünf Wochen vor den Wahlen in Salzburg im Frühjahr 2004 „wurden die ersten Pensionskürzungen sichtbar“, sagt Schausberger: „Wir haben noch die Differenz ausbezahlt, aber das hat auch nichts mehr gebracht.“ Die SPÖ gewann die Wahlen und stellte die Landeshauptfrau. 2005 ging der Dominoeffekt weiter: Die Landesspitze in der Steiermark wechselte von Schwarz auf Rot. 2006 stellte die SPÖ wieder den Bundeskanzler. „Ein Teufelskreis“, nennt Schausberger diese Abwärtsspirale: „Wenn die Bundespolitik unter heftiger Kritik steht, wirkt sich das negativ auf die Landtagswahlen aus, und die schlagen wieder auf die Bundespolitik zurück.“ Provinzialisierung von Politik Eine andere Form von Wechselwirkung beschreiben die Vorwürfe, die Bundespolitik richte sich nach dem Terminkalender von Landtagswahlen. Als Beispiele gelten verspätete Coronamaßnahmen aufgrund der Wahlen in Oberösterreich oder das Schengen-Veto wegen der Wahlen in Niederösterreich. „Da werden nicht Landtagswahlen mit bundespolitischer Bedeutung aufgeladen, sondern hier werden Entscheidungen nationaler und internationaler Dimension aufgrund von Landtagswahlen getroffen“, nennt das Hayek: „Das ist eine Form der Provinzialisierung von großen Politikfeldern, die ich für nicht statthaft halte.“ Prinzipiell geht Hayek davon aus, dass das Konzept von „permanenter Kampagne“ sich fortsetzen wird: „Da ist es gar nicht mehr so einfach, genau auseinanderzuhalten, wann und wo genau ein Wahlkampf anfängt und aufhört. Von der Intensität der politischen Kommunikation her sehen wir nur mehr wenig Unterschied zwischen Wahlkampfzeiten und Nichtwahlkampfzeiten.“ Heißt: Irgendwo wird immer gewählt, alle anderen fiebern mit, und jedes Mal steht alles auf dem Spiel.
DIE FURCHE · 4 26. Jänner 2023 Wirtschaft 7 Die Coronapandemie zeigte auf, wie krisenanfällig die Luftfahrtbranche ist. Nur Staatshilfen konnten die Verluste abfedern. Warum jagt nun eine Gewinnmeldung die andere? Über eine vermeintliche Paradoxie. Zum Wachstum verdammt Von Wolfgang Fasching Wie Phönix aus der Asche hat sich die Luftfahrt 2022 entwickelt. Aus Milliardenverlusten 2020 und 2021 sind 2022 plötzlich wieder Gewinne geworden. Allerdings haben sich noch nicht alle Teilnehmer des Systems Luftverkehr in gleicher Art und Weise erholt. Der Dachverband der Fluglinien IATA rechnet über die gesamte Airlinebranche für 2022 mit einem Verlust von 6,9 Milliarden US-Dollar. 2020 waren es noch 137,7 Milliarden und 2021 immerhin 42 Milliarden. Für 2023 wird ein Gewinn von 4,7 Milliarden prognostiziert. Ist 2023 die Branche somit regeneriert? Diese Frage muss zweigeteilt betrachtet werden. Der Ausblick auf die operationelle Zuverlässigkeit – Pünktlichkeit, Servicequalität – treibt den Managern bei Fluglinien, Flughäfen und Dienstleistern nach wie vor die Sorgenfalten ins Gesicht. Der schon 2022 drückende Personalmangel wird auch 2023 die größte Herausforderung bleiben, um die erneut wachsende Nachfrage bewältigen zu können. Man darf davon ausgehen, dass 2023 die Passagiermengen und die Anzahl an Flügen jenen zu Vorpandemiezeiten nahekommen und in den Sommermonaten sogar überschreiten werden. Einzig die personelle Ausstattung bei Flugbesatzungen, Sicherheitspersonal und Check-in-Mitarbeitern wird das Niveau 2019 nicht erreichen. Und die potenziellen Mitarbeiter sind wählerischer geworden bei der Jobauswahl. Hier haben die Kosteneinsparmaßnahmen der Unternehmen nachhaltig Wirkung gezeigt. Airline als nationales Selbstverständnis Die Kostennotbremsung beim Personal in der Krise ist dennoch begründbar. Die moderne Zivilluftfahrt ist ein fixkostenintensives Geschäft. Die Kostenblöcke Flugzeug, also Finanzierung, Abschreibung und Wartung des Fluggerätes, der Personalkostenanteil und die Verwaltungskosten sind im Notfall kaum reduzierbar. Von den großen Kostenbestandteilen einer Airline ist nur der Treibstoff abhängig vom Fluggeschäft, und gerade hier sind schon in normalen Zeiten die Schwankungen aufgrund der Fluktuationen am Ölmarkt groß. So manche Airline kam in Boomzeiten ins Schleudern, wenn der Kerosinpreis durch die Decke ging und keine Kurssicherung (hedging) abgeschlossen wurde. Doch zurück zu den Krisenjahren 2020 und 2021: Die Reaktion der öffentlichen Hand auf die Krise war sehr unterschiedlich. Manche Länder vor allem in Europa waren grundsätzlich bereit, der Luftfahrt mit großen Geldleistungen unter die Arme zu greifen. Da Airlines noch immer Teil des Selbstverständnisses eines Landes sind und die Pleite des Home-Carriers oftmals als nationale Schmach empfunden wird, haben viele Regierungen großzügig geholfen. Lösungen wie Kurzarbeit haben sich als gut und hilfreich erwiesen. Vergessen wurde großteils auf die Dienstleister, die die Sicherheitskontrolle, das Check-in und die Gepäck- und Flugzeugabfertigung durchführten. Sofern diese Dienstnehmer nicht bei einer Airline oder einem Flughafen beschäftigt waren, wurden sie zu Tausenden abgebaut. Und das wirkt nach. Manch einer fragt sich nun, ob alles mit rechten Dingen zugeht, wenn aus Milliardenverlusten plötzlich wieder satte Gewinne werden, wie in jüngsten Pressemitteilungen von zum Beispiel Lufthansa, Ryanair, Lufthansa Cargo oder auch jüngst des Flughafens Wien verkündet wurde. Ja! Denn es spiegelt das wirtschaftliche Wesen der Zivilluftfahrt wider. Sind die Zeiten schlecht, wie in der Vergangenheit bei den ersten Ölkrisen, während der Golfkriege, nach 9/11 oder während der Finanzkrise, dann zerbröseln die Gewinne von Airlines, und die gesamte Branche leidet. Die Pandemiezeit war hier keine Ausnahme. Einzig das Ausmaß war noch viel gewaltiger als bei den vielen Krisen davor. Die Ursachen sind identisch: Wenn die Einnahmen sehr kurzfristig wegbrechen, ist keine Airline in der Lage, auf der Kostenseite schnell im selben Ausmaß gegenzusteuern. Die Fixkosten bleiben, wie ihr Name sagt, ein fixer Mühlstein, der die Ergebnisse hinunterzieht. Erholt sich die Branche nun wieder, kann in sehr kurzer Zeit eine für Außenstehende kaum nachvollziehbare Ergebnisverbesserung das Resultat sein. Sobald es Airlines gelingt, ihre Flugzeuge in die Luft zu bekommen und die Sitze zu füllen, trägt „ Spannend ist, wie hoch der Loadfaktor, also die Auslastung, sein muss, um Geld zu verdienen. Tatsächlich ist diese Ziffer ein wohlgehütetes Geheimnis der jeweiligen Fluglinien. “ jeder Passagier positiv zum Ergebnis bei. Und wenn einmal ein gewisser Sitzladefaktor erreicht ist, sind die Ergebnisse hervorragend. Das ist der Grund, warum Airlines in Europa im dritten Quartal eines Jahres immer satte Gewinne einfahren können. Im Sommer sind die Flugzeuge ständig im Einsatz und berstend voll. Im Winter dreht sich dieses Spiel um. Was im zweiten und dritten Quartal an Gewinnen erwirtschaftet wird, muss höher sein als die Verluste der Quartale eins und vier. Dieser Zyklus ist jedem Airliner bekannt. Spannend ist allerdings, wie hoch der Loadfaktor, also die Auslastung, sein muss, um Geld zu verdienen. Tatsächlich ist diese Ziffer ein wohlgehütetes Geheimnis. Generell funktioniert KLARTEXT Lesen Sie den Gastkommentar von Wolfgang Fasching unter dem Titel „Der Kredit ist verspielt“ (10. 8.2022) auf furche.at. Arbeitskraftreserven Händeringend werden Arbeitskräfte gesucht: Wenn aus Personalmangel in Krankenanstalten Stationen geschlossen und Behandlungen verschoben werden, Industriebetriebe Aufträge nicht annehmen können, Gewerbetreibende aus Personalmangel aufgeben, Dienstleistungen nur zu reduzierten Öffnungszeiten angeboten werden können und die Qualität der persönlichen Beratung in Geschäften durch zu wenig Personal sinkt, sind Wohlstand und Lebensqualität massiv gefährdet. Und da in absehbarer Zeit immer mehr Angehörige starker Jahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen, ist fraglich, ob sich die Situation verbessern wird. Als zentrale Arbeitskraftreserve werden seit etlichen Jahren Frauen mit kleinen Kindern angesehen, denen durch eine verbesserte extrafamiliale Betreuung von Kindern unter drei Jahren ein rascher Wiedereinstieg in den Erwerb ermöglicht werden soll. Spitzenvertreter der Sozialpartnerschaft setzten unlängst ein massives Signal – die Wünsche von Eltern und das Wohl der Kinder kamen dabei nur am Rande vor. Foto: APA / AFP / Andreas Solaro Lufthansa- Anbot Nach satten Gewinnen plant die Lufthansa, bei der italienischen Fluggesellschaft ITA Airways einzusteigen. Jüngst wurde bei der Regierung in Rom ein Anbot für einen Minderheitsanteil vorgelegt. die Luftfahrt wirtschaftlich so, dass vier Dinge überlebensnotwendig sind. 1. Flugzeuge müssen möglichst oft und lange in der Luft sein. 2. Flugzeuge müssen möglichst voll gefüllt sein. 3. Airlines müssen möglichst groß sein, mit riesigen Flotten oder Flottenverbänden von verbundenen Unternehmen, um Größenvorteile zu erzielen. 4. Airlines müssen wachsen und das Angebot ständig ausweiten. Diese vier Prämissen prägen die Entwicklung der Luftfahrt seit den 70er Jahren. Und somit ist es auch nicht weiter überraschend, dass schon für 2022 vor allem die stärksten Airlines wieder positive Ergebnisse vermelden konnten. Im Übrigen hat diese Logik auch dazu geführt, dass Fliegen seit Jahrzehnten billiger wird. Es hat gleichsam eine Demokratisierung des Fliegens stattgefunden. Immer mehr Menschen können es sich leisten, das Flugzeug als Verkehrsmittel zu nützen. Durch die stetige Verbilligung der Tickets ist dem Konsumenten ein Wohlstandsgewinn erwachsen, der ganz im Sinne der Liberalisierung der Luftfahrt seit den 90er Jahren in Europa war. Somit ist es für die Vertreter der Europäischen Union eine Erfolgsgeschichte, dass Fliegen leistbarer wurde und das Angebot seit mehr als 35 Jahren stetig gestiegen ist. Wer heute grenzüberschreitend pendelt, etwa um seine Familie im Ausland zu besuchen, tut dies vermehrt mit dem Flugzeug, vor allem dann, wenn Flugtickets billiger als Bahntickets sind und die Kosten des Autos stetig steigen. Im Clinch mit Umweltorganisationen Genau diese wirtschaftliche Logik des Systems Luftfahrt bringt aber seit Jahren die Umweltorganisationen auf die Barrikaden. Die Notwendigkeit des Wachstums und die Steigerung des Angebotes lassen beim Blick in die Zukunft viele erschaudern. Der Ton zwischen den Befürwortern der Luftfahrt und den Gegnern ist auch immer schriller geworden. Nur die Pandemie hat eine zweijährige Streitpause bewirkt. Seit 2022 wird aber der Fehdehandschuh wieder aufgehoben, und die altbekannten Argumente pro und contra Luftfahrt werden erneut bemüht. Seitens der Umweltorganisationen kommen die Verbotsargumente wieder auf den Tisch. Verbot der Inlands- und Kurzstreckenflüge, Beschränkung von Nachtflügen, Verbot von lautem Fluggerät oder Privatflugzeugen, das Verbot von Billigtickets und schließlich die Forderung nach Besteuerung von Flugbenzin. Und die Luftfahrt kontert mit den Argumenten Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft, Standortattraktivität, dem Versprechen, CO₂ neutral zu werden oder längst zu sein – kaum ein Flughafen, der nicht jüngst seine Maßnahmen in diesem Bereich präsentiert hat –, und den vielen laufenden Forschungsprojekten. Ob es 2023 zu einer Annäherung kommen wird, ist unklar. Sicher ist, dass die Luftfahrt aus ihrer tiefsten wirtschaftlichen Krise herauskommt. Wie sich die Qualität des Fliegens für den Passagier anfühlen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Der Autor ist Unternehmensberater mit mehr als 25 Jahren Erfahrung im Luftverkehr. Von Wolfgang Mazal Warum über andere Arbeitskraftreserven nicht mit vergleichbarer Verve gesprochen wird, ist nicht klar: Die Integration tausender Frauen, die keine Kinder unter 15 Jahren betreuen, tausender Frauen und Männer, die im Vergleich zu anderen Ländern extrem frühzeitig in Pension gehen, und tausender Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt könnte viel rascher gelingen, als es Zeit braucht, bis zusätzliche Kinderbetreuungseinrichtungen gebaut und tausende elementarpädagogische Fachkräfte ausgebildet werden. Dass dies hunderte Millionen Euro kostet und die Betreuenden am bereits ohnedies ausgetrockneten Arbeitsmarkt fehlen würden, sollte ebenfalls nicht übersehen werden. Wird ein Ausbau der außerfamilialen Kinderbetreuung die Arbeitsmarktprobleme wirklich lösen? Der Autor ist Professor für Arbeitsund Sozialrecht und Leiter des Instituts für Familienforschung.
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE