DIE FURCHE · 4 22 Wissen 26. Jänner 2023 Neuralink Welche Konsequenzen haben Gehirnchips abseits der Medizin? Für die vielen kritischen Stimmen wäre es anzuraten, die eindrucksvollen Leistungen der Ingenieure und Wissenschafter von Neuralink nicht herunterzuspielen, meint Autor Klaus Stiefel. Illustration: Rainer Messerklinger Foto: iStock/ aydinozon Elon Musks Unternehmen Neuralink will auch bei Gesunden Gehirnchips implantieren. Die Aufregung darüber ist groß. Was ist wirklich dran an diesen Plänen? Eine Einschätzung. Von Manuela Tomic Eistraum MOZAIK Mir ist kalt. Ich kuschle mich in mein Lammfell, ich wickle mich in meine Kamelhaardecke, der Heizkörper glüht, aber mir ist kalt. Ich kenne niemanden, den es so friert wie mich. Als Kind jedoch hatte ich meinen Eistraum: Jeden Winter lief ich mit meiner Schwester und meinem Cousin zu einem kleinen gefrorenen Teich auf einer Lichtung. Magisch zog uns das Eis am Rande der Siedlung an. Mit meinen Kinderhänden schnürte ich mir die schwarzen Eishockeyschuhe, die einst dem Nachbarbuben gehörten. Sie waren so groß, dass ihre Verschalung gegen meine Kniescheiben drückte. Mit den überdimensionalen Schuhen drehte ich hunderte Runden auf dem winzigen Teich. Stumme, starre Pflanzen ästelten mir entgegen. Frostgräser und steife Schilfstiele durchbohrten die schwarzblaue Eisdecke. Eines Tages kam eine alte Frau mit Hund vorbei. Sie klopfte mit ihrem Stock auf das Eis und rief mir zu: „Då is amål a Madale ertrunk’n. Vielleicht is’ sie imma noch då unt’n.“ Ich drehte um, wollte Schwester und Cousin warnen, doch sie waren nicht mehr da. Plötzlich begann das Eis zu knacken. Ich stürzte nach unten und landete in eine Kamelhaardecke eingewickelt auf dem weichen Lammfell auf meinem Lesestuhl. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Möchten Sie mozaik abonnieren und das neueste Stück digital lesen? furche.at/newsletter Hype oder Durchbruch? Von Klaus Stiefel Der südafrikanisch-amerikanische Unternehmer Elon Musk hat mit seinem Kauf der Social- Media-Plattform Twitter ganze Divisionen von „Tastaturkämpfern“ gegen sich aufgebracht und mit seiner Firma Space X die private Raumfahrt erstmals als kompetitive Alternative zu staatlichen Raumfahrtbehörden etabliert. Auch ist er ein Pionier der Elektroautoherstellung und -vermarktung, und die elektrischen Priuse fahren teils auch schon ohne Fahrer. Dem Mann geht es, wie es scheint, nicht nur ums Geldverdienen (was natürlich auch nicht zu kurz kommt), sondern da rum, der technologischen Entwicklung der modernen Welt seinen Stempel aufzudrücken. Ein Zeichen, wie ambitioniert seine Unternehmungen sind, ist, dass das Musk’sche Unternehmen Neuralink, das futuristisch klingende Hirnimplantate entwickelt, erst nach Twitter, Prius und Space X die viertmeiste Aufmerksamkeit unter den Firmen des Star-Unternehmers abbekommt. Aber was wollen die Ingenieure und Hirnforscher von Neuralink erreichen, wie weit „ Das Thema Hirn-Computer-Schnittstellen beflügelt generell die Fantasie der Propheten gesellschaftlicher Paradigmenwechsel. “ sind sie dabei schon gekommen, und wie realistisch sind ihre Pläne? Neuralink entwickelt eine Technologie, die sich „Link“ nennt, bei der eine große Zahl (einige Tausend) Elektroden in ein menschliches Gehirn implantiert werden. Diese Elektroden messen dann die elektrischen Impulse der einzelnen Nervenzellen im Gehirn. Elektroden in menschliche Gehirne einzupflanzen ist nicht trivial, gelingt aber in der neurologischen klinischen Praxis regelmäßig. Diese Implantate dienen der Detektion des genauen räumlichen Ursprungs von epileptischen Herden oder ähnlichen medizinischen Anwendungen. Das Team von Neuralink will diese Technologie verbessern und serienreif machen. Die Anzahl der Elektroden ist höher als in den meisten bisherigen Anwendungen, und die Implantation wird semi-automatisch von Roboterarmen durchgeführt. Es gibt dann auch eine Smartphone-App, die die Daten auslesen kann. Die Entwicklung der Links ist noch nicht auf dem Stadium der klinischen Versuche, aber der Ansatz ist durchaus interessant und realistisch. Es gibt über das Projekt wissenschaftliche Literatur vom Personal von Neuralink sowie reichlich Information auf deren Website und in den sozialen Medien. Etwas eigenartig ist dort nur die Ankündigung, dass man nichts von der Hirnforschung wissen muss, um an der Entwicklung von Hirnimplantaten mitzuarbeiten („No prior experience in neuroscience is necessary – we will teach you every thing you need to know“). Was Neuralink aber klarmacht, ist, dass sein Fokus klar auf medizinischen Anwendungen liegt. Nur ganz vorsichtig schreibt die Firma in ein paar Sätzen, dass es ihre Langzeitvision ist, auch die gesunde Bevölkerung mit ähnlichen Implantaten zu versorgen. Das Ziel: Die Menschen sollen auf diese Weise unabhängig von räumlichen Entfernungen miteinander sowie mit Künstlicher Intelligenz kommunizieren. Diese wenigen Sätze haben die Fantasie der Vielen angeregt. Wie „sprechen“ die Nervenzellen? Nicht wenige der wissenschaftlichen Publikationen und populärwissenschaftlichen Artikel über Neuralink stammen nicht von Hirnforschern, sondern von Philosophen und Sozialwissenschaftern. Darin spekulieren diese über die Chancen und Gefahren einer Technologie, die künftig einmal aus solchen Hirnimplantaten hervorgehen könnte. Diese Analysen malen sowohl im Positiven wie auch im Negativen ein extremes Bild der Möglichkeiten, die durch einen Gehirncomputer „Link“ zustande kommen. Ein Mensch mit so einem Implantat ver-
DIE FURCHE · 4 26. Jänner 2023 Wissen 23 wandle sich in eine „postmenschliche“ Kreatur, ein Hybrid aus einem biologischen Teil und einer (bisher noch nicht existenten) extrem fortschrittlichen Künstlichen Intelligenz mit übermenschlichen Fähigkeiten. Der freie Wille soll in Gefahr sein, denn der mit dem Implantat ausgestattete Mensch könne nicht mehr unterscheiden, ob nun der „Link“ oder seine eigene Initiative zum Ausstrecken seines Arms geführt habe. Und schließlich wird vor dem Überwachungsstaat gewarnt, der die Informationen aus dem „Link“ absauge und zu finsteren Zwecken missbrauche. Der Irrtum, der all diesen Analysen gemeinsam ist, ist eine extreme Überschätzung der zeitgenössischen Neurowissenschaft. Zwar hat die Hirnforschung enorme Fortschritte gemacht, und mittlerweile versteht man viele biologische Prozesse – vom molekularen Aufbau der Prote ine in den Nervenzellen bis zum Fluss der Information von den Augen zu den Regionen der Großhirnrinde, die unsere visuelle Wahrnehmung ermöglichen. Allerdings sind auch noch viele prinzipielle Fragen offen, und die genaue „Sprache“, mit der einzelne Nervenzellen oder deren Teile kommunizieren, ist noch nicht verstanden. Da dürften der genaue Zeitpunkt der einzelnen Nervenimpulse und auch die Konzentration von Ionen wie Kalzium auf kleinstem Raum im Inneren der Zellen eine Rolle spielen. Das ist ein faszinierendes, aber auch extrem komplexes Feld, in dem es noch wahrlich viel zu entdecken gibt. Öl im Feuer der Spekulationen Was bereits möglich ist: Mittels Elektroden lässt sich feststellen, ob eine Hirnregion, die für die Bewegungen eines Muskels zuständig ist, grundsätzlich aktiv ist. Mit dieser Information kann man dann etwa einen Roboterarm steuern. Was für einen Gedanken ein Mensch aber gedacht hat, der ihn dazu gebracht hat, seinen eigenen oder den Roboterarm auszustrecken, das kann VERANSTALTUNGSTIPP „ Wer würde sich schon mittels einer Hirnoperation einen ‚Link‘ einpflanzen lassen, um zum hyperintelligenten Hybrid aus Mensch und Maschine zu werden? “ man sicher noch nicht messen. Und man versteht auch noch nicht, was man dazu genau messen können müsste. Mit großer Sicherheit werden circa 3000 Elektroden nicht ausreichen, um diese Aktivitätsmuster für etwa hundert Milliarden Nervenzellen im menschlichen Gehirn messen oder beeinflussen zu können. Der Eindruck, der nach Analyse der Arbeit und Rezeption von Neuralink verbleibt, ist folgender: Das Unternehmen erbringt durchaus eindrucksvolle technologische Leistungen und hat realistische Pläne, die dann jedoch eine komplett unrealistische, fantastische Diskussion ausgelöst haben. Ist dieser Hype die Schuld von Elon Musk – oder ein Zeichen des Zeitgeists? Die Prominenz von Musk hat sicher Öl ins Feuer der Spekulationen gegossen, und das Thema beflügelt generell die Fantasie der Propheten gesellschaftlicher Paradigmenwechsel. Aber etwas mehr Grundierung im aktuellen Stand der Naturwissenschaft würde der Diskussion guttun. Für die kritischen Stimmen wäre es anzuraten, die eindrucksvollen Leistungen der Wissenschafter und Ingenieure von Neuralink nicht herunterzuspielen, während man vor übertriebenen Spekulationen über die Konsequenzen dieser Technologien warnt. Außerdem: Selbst wenn diese Spekulationen einmal wahr werden würden, würde ich, als gelernter Neurowissenschafter, mir tatsächlich so einen „Link“ einpflanzen lassen, um zum hyperintelligenten Mensch-Maschine-Hybrid zu werden? Der heimische Volksmund umschreibt ja Dinge, die nur geringen Nutzen oder Vorteil bringen, als „Besser ois a Sta am Schädel“. Es ist zu bezweifeln, ob eine Hirnoperation (bei der der Schädel geöffnet wird) ohne absolute medizinische Notwendigkeit wirklich besser „ois a Sta am Schädel“ ist. Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. Er lebt zurzeit auf den Philippinen. Chancen und Risiken der Hirnforschung Welche Auswirkungen hat die Hirnforschung auf die Gesellschaft? Diese Frage steht im Zentrum des 12. Symposions Dürnstein. Unter dem Titel „Das Gehirn und seine Gesellschaft“ werden von 23. bis 25. März neueste Erkenntnisse erläutert. Dabei treten internationale Experten und Expertinnen in den interdisziplinären Dialog und stellen sich den Fragen des Publikums. Beleuchtet werden z. B. die soziale Prägung des menschlichen Gehirns, die Entstehung von Emotion und Kreativität, die Wirkung von Meditation sowie das Verhältnis von Neurowissenschaft und Theologie. Ebenfalls im Fokus sind die Debatten zur Künstlichen Intelligenz (KI), die derzeit mit der Sprachsoftware GPT-3 für Aufsehen sorgt. Vortragende sind u. a. Psychiaterin Adelheid Kastner, Neurobiologe Simon Hippenmeyer (ISTA), Verfassungsrichter Michael Mayrhofer (Kepler Uni Linz) oder die Kognitionsforscherin Nathalie Rieser (Uni Zürich). „Das Symposion Dürnstein ist als offener Denkraum für die drängenden Fragen unserer Zeit konzipiert“, so Barbara Schwarz, Geschäftsführerin der Forschungsförderung Niederösterreich, die als Veranstalter fungiert. „Die Neuroforschung eröffnet großes Potenzial für die Medizin, aber auch ungeahnte neue Möglichkeiten für Manipulationen. Beim Symposion möchten wir den Diskurs in dieser Bandbreite führen – und auch ethische Konsequenzen hinterfragen.“ FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger-Fleckl und FURCHE-Wissen- Ressortleiter Martin Tauss werden moderieren. Bereits am 9. März wird das Thema auch in einem FURCHE-Fokus beleuchtet (siehe Kasten). (mt/apa) „Das Gehirn und seine Gesellschaft“ Symposion Dürnstein, 23.–25. März, Stift Dürnstein Infos und Anmeldung: www.symposionduernstein.at DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Der Röntgenblick Nr. 6 • 9. Februar Für die Medizin ist die Entdeckung der X-Strahlen bis heute maßgebend. Die Anwendungsgebiete gehen mittlerweile aber weit darüber hinaus. Ein Fokus zum 100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen. Ein Jahr Krieg Nr. 8 • 23. Februar Am 24. Februar 2022 greift das russische Militär auf Befehl von Wladimir Putin die Ukraine von Norden, Osten und Süden her an. Geopolitisch wird eine „Zeitenwende“ eingeläutet. Über 365 Tage Krieg in Europa. Gehirn und Biopolitik Nr. 10 • 9. März Die neuesten Fortschritte in der Hirnforschung wecken Hoffnung in der Medizin – eröffnen aber auch ungeahnte Möglichkeiten der Manipulation. Ein Schwerpunkt anlässlich des „Symposion Dürnstein“. Aus für das Auto? Nr. 12 • 23. März Der Klimawandel ist Motor für die größten Veränderungen der Autoindustrie seit Erfindung des Automobils. Gibt es grünen Individualverkehr? Und wie kann individuelle Mobilität ohne kollektive Schäden funktionieren? Ein Ostern? Nr. 14 • 6. April Der Termin des Osterfests kann zwischen West- und Ostkirchen um mehrere Wochen differieren: nicht zuletzt für die Ökumene ein Ärgernis. Warum ist das so, und welche Chancen bestehen auf eine globale Einigung beim Ostertermin? 20 Jahre Lektorix Nr. 16 • 20. April Kinder- und Jugendliteratur hat nicht den Stellenwert, den sie verdient. Die FURCHE aber zeichnet seit 2003 monatlich Bücher für Junge und Junggebliebene aus. Wir feiern das anlässlich der Leipziger Buchmesse. *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Ich, du, wir Nr. 7 • 16. Februar Geschichten, Erinnerungen – aber auch Ängste bilden unsere Identität. Doch was ist, wenn einem die Erinnerung fehlt oder wenn Fremde unsere Geschichte schreiben? Über gespiegelte Ichs, Klischees und das gute Kollektiv. Visionen für die Unis ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR. Nr. 9 • 2. März Die österreichischen Universitäten werden nicht nur von Finanznöten geplagt. Auch die Karriereaussichten für junge Forschende sind oft schwierig. Eine Bestandsaufnahme und Visionssuche zum Semesterstart. Filmland Österreich Nr. 11 • 16. März Zum letzten Mal zeichnen Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger für die Diagonale, das österreichische Filmfest, verantwortlich. Zeit, Bilanz zu ziehen und einmal mehr aufs heimische Filmschaffen zu schauen. Das Ohr der Welt Nr. 13 • 30. März Die neuen Medien haben eine visuelle Kultur befördert. Rühren die aktuellen Probleme auch daher, dass Menschen einander immer schlechter zuhören können? Über den stillen Reiz und das verborgene Potenzial des Hörens. Wiederaufbau Nr. 15 • 13. April Damit die Zerstörung nicht das letzte Wort hat: über den Wiederaufbau – von Notre-Dame bis zur Ukraine – als politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Positionierung gegen die Macht von Katastrophe und Krieg. Pressefreiheit Nr. 17 • 27. April 2022 stürzte Österreich in den Rankings der Pressefreiheit ab. Wie stellt sich die diesbezügliche Lage ein Jahr später dar? Was tut die Politik, was machen die Medien, um die Pressefreiheit im Land zu verbessern?
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