DIE FURCHE · 4 20 Film & Medien 26. Jänner 2023 FILMKOMÖDIE Ein Abendmahl Von links: Michael Pink (Stefan), Nina Katlein (Simi), Pia Hierzegger (Claudia), Alexander Sladek in „Family Dinner“. Moritz Bleibtreu spielt in der deutschen Filmfassung von „Caveman“ Autoverkäufer Bobby. Hinter visuellen Tricks versteckt Humor ist nicht nur eine Frage der Situation, sondern auch der Sympathie. Sie bestimmt auch, ob man in der Beziehungskomödie „Caveman“ über die Mammutwitze lachen kann, die der Autoverkäufer Bobby (Moritz Bleibtreu) reißt. Sein erster Auftritt als Stand-up-Comedian könnte der letzte sein: Seine Frau Claudia (Laura Tonke) hat ihn gerade hinter der Bühne verlassen, und als er das dem versammelten Publikum erzählt, hält ihn die eine Hälfte für einen Idioten, während die andere ihn hasst. Das hält ihn aber auch nicht davon ab, zu rekapitulieren, wie es dazu kam – und weil er kürzlich beim Fernschauen seinen inneren Höhlenmenschen kennengelernt hat, erklärt er nebenbei, was seine und Claudias Probleme mit den Jägern und Sammlern zu tun haben. Seit mehr als 30 Jahren tourt die Vorlage, ein Ein-Personen-Theaterstück des US-Komikers Rob Becker, durch die Welt. Die Regisseurin der deutschen Erstinszenierung, Esther Schweins, hat sogar eine Gastrolle in dieser Kinofassung, die eine Aufgabe hat: ausfleischen. Was bisher der Vorstellungskraft überlassen war, seien es andere Figuren oder abs truse Gedankengespinste, muss eine reale Form verpasst bekommen. Das ist auch das größte Pro blem von „Caveman“: Die Charaktere, die sich hier offenbaren wollen, – und die meisten Sympathien für sie – gehen verschütt unter visuellen Tricks, krampfenden Pointen und prominenten Ablenkungen. (Thomas Taborsky) Caveman D 2023. Regie: Laura Lackmann Mit Moritz Bleibtreu, Laura Tonke, Wotan Wilke Möhring. Constantin. 100 Min. Subtil, aber unerbittlich steuert die Familie von Claudia, Stefan, Alexander und dessen Cousine Simi auf das dunkle Ende der Karwoche zu: Peter Hengls Horrorthriller „Family Dinner“. Ostergrauen im Alpenvorland Von Otto Friedrich Das Genre Horrorfilm verbindet man gemeinhin nicht mit dem cineastischen Schaffen österreichischer Provenienz. Dabei ist es von den Abgründen der menschlichen (respektive: österreichischen) Seele zum filmischen Horror eigentlich gar nicht weit. Immerhin kann Veronika Franz’ und Severin Fialas „Ich seh Ich seh“ (2014) als Referenzwerk für den diesbezüglichen Brückenschlag gelten. Mittlerweile gibt es sogar im Splatter-Genre mit „Blutgletscher“ (2013) oder „,Angriff „ Je näher das Osterfest rückt, das diese Familie mit einem eigenen Ritual begehen will, umso unheimlicher werden die Zeichen und Ereignisse. “ der Lederhosenzombies“ (2016) längst alpenländische Varianten zu besichtigen. Zuletzt konnte der Cutter dieser Filme, Daniel Geronimo Prochaska, in seinem ersten Langspielfilm „Das schaurige Haus“ (2022) damit reüssieren, dass er Horror in eine familientaugliche Geschichte mit durchaus ansprechender Ironie verpackte. Voller religiöser Versatzstücke Nun folgt mit „Family Dinner“ ein weiterer Spielfilmerstling, der sich am Gruselkino versucht und dafür sorgt, dass das angstsuchende Publikum wirklich auf seine Kosten kommt. Peter Hengl, bislang etwa für Drehbücher von TV-Komödien wie „Curling for Eisenstadt“ (2019) verantwortlich, versucht sich nun an der klaustrophobischen Szenerie von „Family Dinner“: Dass er seinen Haneke gut studiert hat (Hengl war an der Wiener Filmakademie Schüler des Regie-Altmeisters), wird schnell klar, auch was den Einsatz religiöser Versatzstücke betrifft, die sich schon aus der jahreszeitlichen Verortung des Films ergeben. Ostern ist nahe, zuvor muss in der seltsamen esoterisch angehauchten Familie, die da auf einem Bauernhof in der alpenvorländischen Einschicht haust, aber noch die Karwoche durchlebt, besser: durchleidet, werden. Simi, 15 Jahre alt und übergewichtig, besucht Tante Claudia, die mit Sohn Filipp und seinem Stiefvater Stefan als eine nur auf den ersten Blick traute Familie lebt. Filipp leidet an einer Störung und unter der antipathischen Strenge des Stiefvaters. Aber auch die Mutter kommt ihm nicht so nahe, wie er es bräuchte. Simi wollte eigentlich ihr Gewichtspro blem mit Hilfe von Claudia, die als Ernährungspsychologin und dementsprechende Bestsellerautorin bekannt ist, angehen – aber Claudia entpuppt sich als extrem abweisend. Erst nach und nach stimmt sie zu, Simi unter ihre Fittiche – das heißt eine rigorose Fastendiät – zu nehmen. Je näher das Osterfest rückt, das diese Familie mit einem eigenen, von Simi mit als verstörend empfundenen Ahnungen begleiteten Ritual begehen will, umso unheimlicher werden die Zeichen und Ereignisse. Unmittelbar vor dem Fest scheint sich die Bedrohung ja zu lockern, aber … Die Landschaft, in der sich all dies ereignet, wäre ausladend, aber in den vier Wänden, in denen sich dieses Kammerspiel ereignet, scheint die einschneidende Enge omnipräsent. Und das Unheimliche, das doch in die Spätwinterlandschaft entweichen könnte, bleibt im Bauernhof und bei den hier Lebenden zurück: Ausbruchsversuche gibt es, aber das Glück ist den da Suchenden nicht hold. Die vier Schauspieler(innen), die Hengl hier spielen lässt, stellen das Grauen, das zumeist, aber beileibe nicht nur im Kopf entsteht, perfekt dar. Pia Hierzegger möchte man als Claudia wirklich nicht im dunklen Wald begegnen, noch abgründiger kommt der Stefan von Michael Pink daher. Den Vogel schießen dennoch die beiden Jungen des Casts ab: Nina Katlein, die der Simi die korpulente Gestalt verleiht, ist eine Neuentdeckung, die sich mit dieser Performance für höhere Weihen empfiehlt. Und der nach Drehschluss gerade maturierende Alexander Sladek kann dem seltsam behinderten Filipp eine Präsenz verleihen, die gleichfalls erstaunlich ist. Family Dinner A 2022. Regie: Peter Hengl. Mit Pia Hierzegger, Michael Pink, Nina Katlein, Alexander Saldek Panda Lichtspiele. 97 Min. DOKUMENTARFILM Im Schweiße des Virtuosen MEDIEN IN DER KRISE Unguided missiles Neun Minuten lang dauert der Satz aus der Waldstein-Sonate, die Igor Levit aus dem Flügel haut. Eine körperliche Anstrengung sondergleichen, Schweißtropfen stieben in alle Richtungen: Regina Schilling zeigt in ihrem Film „Igor Levit – No Fear“, dass das Ungestüm, welches Beethovens Sonate innewohnt, dem Interpreten auch körperlich alles abverlangt. Das ist nur eines der Faszinosa, die die deutsche Dokumentarfilmerin ihrem Protagonisten entlockt. Zwei Jahre hat sie den deutsch-russisch-jüdischen Virtuosen begleitet. Als die Dreharbeiten beginnen, berichtet Levit von einem verplanten Jahr – jeden dritten Tag ein Konzert! Dann aber stürzt dieses Programm in sich zusammen, weil der Lockdown kommt. Man sieht den Pianisten bei Konzerten, im Studio und in seinen Versuchen, die jähe Unterbrechung durch die Pandemie künstlerisch innovativ wie produktiv zu nutzen. Ein Leben wie ein Parforceritt: Musik, wie sie in einem wie Igor Levit leibt und lebt. Es gelingt Filmemacherin Schilling, nicht nur Musik in extenso via Kino nahezubringen, sondern auch einen Menschen, der damit und dafür lebt – und der doch nicht den „Draht“ zur Welt verliert: Dass Levit in der Schlusseinstellung vom Dannenröder Forst inmitten von Klimaaktivisten Klaviervariationen zum Protestlied „El pueblo unido“ spielt, ist nur ein Ausdruck dafür. Ein Monument von einem Musikdokumentarfilm. (Otto Friedrich) Igor Levit – No Fear D 2022. Regie: Regina Schilling Filmdelights. 118 Min. Medienpolitik hierzulande ist ein Synonym für „Trauerspiel“. Dabei sind funktionierende Qualitätsmedien, das heißt solche, die unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen auch überleben können, unabdingbar für die Gesellschaft. Auch die aktuelle Politik lässt aber nicht erkennen, dass irgendeinem Mächtigen bewusst ist, wie dringlich diese Aufgabe wäre. So kommt es, dass die Medien in den Bauchladen des „Ministeriums für sonst eh alles“, also ins Kanzleramtsressort der Susanne Raab gestopft wurden. Die „Aktivitäten“ – vom Killen der Wiener Zeitung bis zum immer noch zu überarbeitenden ORF-Gesetz – sprechen Bände. Leider ist es um die Medienkompetenz der Grünen, personifiziert in deren Mediensprecherin Eva Blimlinger, um keinen Deut besser bestellt. Blimlingers Wortspenden – an der Einstellung der Wiener Zeitung findet auch sie nichts, den ORF will sie schon einmal aus dem Budget finanzieren lassen (zuvor hat das die damalige Strache-FPÖ in ihrer kurzlebigen Regierungsbeteiligung propagiert) usw. – sprechen für sich. Die Medienlandschaft gehört aber zum Ökosystem der Demokratie. Man kann sich da keinen Dilettantismus leisten, sonst bricht ebendiese zusammen. Unfassbar, dass Regierungsparteien dies nicht und nicht wahrhaben wollen. (Otto Friedrich)
DIE FURCHE · 4 26. Jänner 2023 Film 21 „Close“, der neue Film des belgischen Regisseurs Lukas Dhont, erzählt von einer Bubenfreundschaft, die auf eine Katastrophe zusteuert. Epochale Tragödie Bastien Bouillon (li.) und Bouli Lanners in Dominik Molls Film „In der Nacht des 12.“. Von Matthias Greuling Wer „Close“ des belgischen Filmemachers Lukas Dhont sieht, der sieht eigentlich gleich zwei Filme. Denn wie schon bei seinem letzten Film „Girl“ über ein Transgender-Mädchen, das das Gefühl hat, im falschen Körper zu leben, ist es auch in „Close“ eine radikale Drehbuchwendung zur Mitte des Films, die das Drama in eine völlig andere, nie geahnte Richtung lenkt und den Zuschauer damit durchaus vor den Kopf stößt. Dhont ist bei „Girl“ für diesen scharfen Schwenk auch kritisiert worden, was ihn aber nicht daran hindert, den dramaturgischen Kniff erneut anzuwenden. Deplatzierte Freundschaft Im Zentrum der Geschichte von „Close“ stehen die beiden 13-jährigen Buben Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele). Sie tragen ihre innige Freundschaft so stark nach außen, dass sie dafür in ihrer Schule angefeindet werden. In der von Heterosexualität geprägten Gesellschaft wirkt diese Freundschaft für viele Beobachter seltsam deplatziert. Ihre Zuneigung zueinander ist unschuldig, aber auch ungewöhnlich intensiv. Tatsächlich kommt es bald zu einer Entgleisung dieser Freundschaft, vor allem, als die beiden Buben das Erwachsenwerden in sich spüren. Eine Reifung, mit der sie so jedenfalls nicht gerechnet „ Auch in ‚Close‘ gibt es eine radikale Wendung zur Mitte des Films, die das Drama in eine völlig andere, nie geahnte Richtung lenkt. “ haben. Rémi versteht nicht, weshalb Léo sich von ihm abgewendet hat, zugleich liegen die Gründe auf der Hand: Für ihr inniges Verhalten werden die Buben an ihrer Schule gehänselt, gemobbt. Für Rémi ist der Bruch mit seinem Freund die maximale Katastrophe: Es ist für ihn, als ob die Sonne nie mehr aufgehen wird. Léo sucht Trost und kommt Rémis Mutter Sophie (Émilie Dequenne) näher. Die Freundschaft zu Rémi kann nicht mehr hergestellt werden, dazu nimmt Regisseur und Autor Lukas Dhont bald jede Grundlage. Die ersten 45 Minuten in „Close“ sind eine sensibel beobachtete Studie juveniler Freundschaft, die zunächst sehr geradlinig, aber auch nichtsahnend auf eine Kapitulation vor der Homophobie zusteuert. Das filmt Dhont in sehr eindringlichen, intimen Bildern, die das wunderbare Zusammenspiel der jungen Hauptdarsteller Eden Dambrine und Gustav De Waele unterstreichen. Der Bruch, der dann in der Handlung erfolgt, wirft nicht nur Léo endgültig aus der Bahn, sondern serviert dem Zuschauer den zweiten Film, den Dhont hier zu erzählen beginnt. Darüber mag man empört sein, ob der dramatischen Ereignisse kann man sich aber auch forttragen lassen in eine ganz persönliche Tragödie epochalen Ausmaßes. Close B/NL/F 2022. Regie: Lukas Dhont. Mit Eden Dambrine, Gustav De Waele, Émilie Dequenne, Léa Drucker Polyfilm. 104 Min. Intensive Zuneigung Die Darstellung der beiden 13-jährigen Buben Rémi und Léo durch Gustav De Waele (links) und Eden Dambrine ist ein wunderbares Zueinander dieser jungen Schauspieler. Dominik Molls realistischer Kriminalfilm „In der Nacht des 12.“ zeigt Gesellschaftsprobleme Frankreichs auf. Sittengemälde Von Heidi Strobel Letztes Jahr protestierte in Frankreich die „Police Judiciaire“ gegen Macrons Neuordnung des Polizeiapparates. Auch Richtern missfiel die Reform, da sie das Prinzip der Gewaltenteilung bedrohe. Dass die Probleme aber tiefer reichen, gar die gesamte Gesellschaft betreffen, das führt Dominik Molls realistischer Kriminalfilm „In der Nacht des 12.“ eindrücklich vor Augen. Er stützt sich auf einen der Berichte in Pauline Guénas Buch „18.3. Une année à la PJ“. Ein Jahr lang verfolgte sie die Arbeit der Versailler „Police Judiciaire“. Mord als Einstand für den Kommissar Ausgangspunkt der Handlung ist der 12. Oktober. In dieser Nacht wird bei der Grenobler Kriminalpolizei ein Generationswechsel gefeiert, der erlaubt, alte Gewohnheiten infrage zu stellen. In das Team, das anfangs nur aus Männern besteht, bringt der junge Vorgesetzte Yohan frischen Wind. Der zurückhaltende Kommissar verlangt von den Beamten Selbstkontrolle und Einhaltung der vorgeschriebenen Abläufe, seine sachliche Haltung bestimmt zugleich den formalen Ton des Filmes. In der Nacht seines Einstandes ereignet sich auch die Tat seines ersten Falles. In einer Kleinstadt in den Bergen wird eine junge Frau auf dem Nachhauseweg von einer vermummten Person mit Benzin in Flammen gesetzt. Präzise und tiefgründig beobachtet Moll das Geschehen auf mehreren Ebenen. So schildert er nicht nur, wie die Kriminalpolizei den Hergang ganz klassisch zu ermitteln sucht, sondern macht auch die Tücken, die persönlichen Belastungen ihrer Arbeit anschaulich. Der Beruf des Ermittlungsbeamten ist Berufung, unbezahlte Überstunden sind selbstverständlich. Dass der bedingungslose Einsatz zu Frustrationen, zu scheiternden Ehen führt, wird etwa anhand des von seiner Frau betrogenen Kollegen Marceau vorgeführt. Seine enttäuschte, eifersüchtige Liebe wird wiederum auf der Arbeit abreagiert, wenn er einem virilen Zeugen ein Geständnis abpressen will. Überdies ist Molls Film ein diskussionswürdiges Sittengemälde. Anhand der Zeugenaussagen durchleuchtet er die Beziehungen von Männern und Frauen und richtet grundsätz liche Fragen an eine von Männern geprägte Institution. Wie beeinflusst das Geschlecht den Gang der Untersuchung? Gelingt es den Beamten, sich im Dienst immer von sich selbst zu distanzieren und eine unverstellte Perspektive einzunehmen? Darüber lässt sich nach dem Kinobesuch trefflich debattieren. In der Nacht des 12. (La nuit du 12) F/B 2022. Regie: Dominik Moll. Mit Bastien Bouillon, Bouli Lanners, Anouk Grinberg, Sylvain Baumann. Filmladen. 114 Min. KREUZ UND QUER HERR MORGENSTERN UND SEINE SYNAGOGE DI 31. JÄN 22:35 Fast die gesamte jüdische Bevölkerung St. Pöltens ist der Shoah zum Opfer gefallen. Die Synagoge: dem Abriss nahe. Doch ein Mann kämpft gegen das Vergessen: Hans Morgenstern. Seine Lebensgeschichte gibt tiefe Einblicke in den Umgang mit dem jüdischen Erbe, den Überlebenden und der St. Pöltner Geschichte. religion.ORF.at Furche23_KW04.indd 1 17.01.23 12:08
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