DIE FURCHE · 4 14 Diskurs 26. Jänner 2023 „ Wenn ihr dem religiösen Glauben der Muslime keinen Respekt zollt, dann könnt ihr von uns in Sachen NATO auch keine Unterstützung bekommen. “ ALSO SPRACH ZEITBILD Das sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vergangenen Montag in Ankara in Richtung Schweden. Bei Protestaktionen in Stockholm hatte der islamfeindliche Politiker Rasmus Paludan vor wenigen Tagen bei einer Kundgebung in Stockholm einen Koran verbrannt. Ankara blockiert seit Monaten die Aufnahme Schwedens in das Verteidigungsbündnis. Die Türkei wirft dem Land unter anderem Unterstützung von „Terrororganisationen“ wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Von Hubert Feichtlbauer Nr. 4/28. Jänner 1993 Die Wurzeln eines Traumes Vor 30 Jahren fand am Wiener Heldenplatz die größte Demonstration der Zweiten Republik statt: Das „Lichtermeer“ gegen Jörg Haiders Ausländerhetze. In der FURCHE erzählte der ehemalige Chefredakteur Hubert Feichtlbauer über die Einigkeit und den Frieden an jenem Abend. Es gab gute Gründe, dem „Lichtermeer“ auch mit einem gewissen Unbehagen entgegenzublicken. Wer dann mitging, ist seine Zweifel sehr rasch losgeworden. Die 200.000 Kerzenträger in Wien wuchsen wie die 20.000 in Salzburg, die 15.000 in Innsbruck und Linz oder die 10.000 von Dornbirn und anderswo zu einer großen Feiergemeinde zusammen. […] Nirgendwo waren Aggressionen zu spüren. Grünalternative halfen alten Bischöfen aufs Podium, Sozialdemokraten kramten in Bibelzitaten, Volksparteiler gingen auf Freidenker, Atheisten auf Kardinäle zu, Freimaurer marschierten in Einheit mit katholischen Nonnen, und über weiten Stadtteilen lag Frieden. Es war gut, daß Kardinal Franz König neuerlich klarstellte: Religiöse Glaubensüberzeugungen wollten auch in dieser Stunde nicht mit parteipolitischen Standpunkten verwechselt und vermengt werden. Es wärmte Herz und Phantasie, mit Weihbischof Florian Kuntner den Traum von einem „neuen Europa“ zu träumen, „auf das wir alle hoffen: ein friedlicheres, humaneres, toleranteres, gerechteres und solidarischeres Europa“. […] Nicht den Kerzen werden jene, für die sie brannten, auf Dauer Vertrauen schenken, sondern nur Taten, die den Lichtern folgen. Ein Maximum an Anstrengung wird notwendig sein, um die Arbeitslosigkeit vor allem für ältere Menschen, die drückende Wohnungsnot, den exorbitanten Kostenschub bei Wohnungen und unleugbare Mängel im Schulwesen so zu mildern wie Tausende Herzen im Lichtermeer. Lesen Sie hier den ganzen Text: Foto: Getty Images / Sean Gallup Deutschland liefert Panzer vom Typ Leopard Das Zögern war lang und quälend – nun liefert Deutschland doch Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine. Auch wird anderen Ländern von Berlin gestattet, solche Panzer an Kiew abzugeben. Ebenso kamen aus den USA (bei Redaktionsschluss noch nicht bestätigte) Berichte, dass Präsident Joe Biden die Lieferung von M1-Abrams-Panzern erwägt. Die deutsche Regierung plant nach Angaben des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, mindestens eine Kompanie – also 14 Waffensysteme – aus Beständen der Bundeswehr auszustatten. Wegen seines Zögerns stand der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit Wochen in der Kritik. Vor allem Polen hatte Druck gemacht und angekündigt, notfalls auch Ein Preis – und ein Vermächtnis NUSSBAUMERS WELT Heinz Nußbaumer Herausgeber Als es ans Ausräumen gegangen ist, weil Hugo Portisch nicht mehr unter uns war, da habe ich unter all den Büchern, die er geschrieben hat, einen kleinen Schatz entdeckt: Mächtige 500 Seiten stark und schon vor 60 Jahren in Deutschland erschienen: „Augenzeuge der Weltpolitik“, ein Sammelband über seine ersten Weltreisen, quer durch die Sowjetunion, durch Afrika und Südamerika. Ganz vorn steht da Portischs liebevoller Dank an seine Eltern, die ihm den Weg in den Journalismus ermöglicht hatten. Und am Ende findet sich das stolze Wort des Verlags – schon damals: „Portisch ist einer der besten Journalisten Europas. Wer informiert sein will, für den ist die Lektüre unerlässlich. Denn Portisch schreibt nicht nur informativ, sondern auch faszinierend.“ Zwei Jahre nach Erscheinen des Buches ist er damals mein Chef geworden. In der kommenden Woche wird eine hochkarätige Jury erstmals den „Hugo Portisch-Preis“ vergeben – für herausragende journalistische Leistungen im In- und Ausland. Viele Kolleginnen und Kollegen aus deutschsprachigen Medien haben sich beworben. Das strahlend renovierte Parlament wird der Schauplatz des Festaktes sein. „Augenzeuge der Weltpolitik“ In Erwartung dieser Feierstunde habe ich jetzt nachgelesen, welchem Anspruch sich der 2021 verstorbene Leitstern der Journalistik schon in jungen Jahren selbst ausgesetzt hat, weitab von den politischen Interessen seines großen Leserpublikums. „Augenzeuge der Weltpolitik“ hat ihn monatelang von den Kolchosen des Kommunismus über Schwarzafrika bis in die Hochländer Südamerikas geführt. Nebenschauplätze für viele, und doch schildert er den Weg und die Dramen dieser Völker so packend und kenntnisreich, dass ich mich beim Lesen beschämt gefragt habe, wie all „ Träger des ,Portisch-Preises‘ werden anders sein als der Namensgeber. Doch Hugo Portischs Auftrag bleibt: ,Aus der Geschichte lernen. Gegen Vorurteile kämpfen. Zur Toleranz erziehen!‘ “ ohne die Genehmigung Berlins handeln zu wollen, womit man einen diplomatischen Eklat riskiert hätte. Auch in der deutschen Koalition gab es bereits einigen Unmut. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte am Dienstag reserviert auf die Panzerzusage. „Viele Bemühungen, Worte, Versprechen“, sagte er in seiner Videoansprache. „Es geht nicht um fünf oder zehn oder fünfzehn Panzer. Der Bedarf ist größer.“ Zugleich hat Selenskyj den mutmaßlichen Korruptionsskandal in seiner Armee angesprochen und die Entlassung hochrangiger Regierungsvertreter als „notwendig“ verteidigt: Denn dieser Schritt helfe letztlich auch der ukrainischen Annäherung an die europäischen Institutionen. (mt/apa/dpa) das Wissen darüber später, ohne Portischs Wegweisungen, wieder verfliegen konnte. An seiner Seite habe ich aber auch gelernt, wie sehr gerade der hochentwickelte Kleinstaat das Interesse der Welt und die Verankerung am globalen Tisch braucht – für seine Sicherheit, seine mehr und mehr entgrenzte Wirtschaft, vor allem aber für die Hellhörigkeit unserer Herzen. Weil mangelndes Weltwissen immer von einem Schwund an Solidarität und globalem Humanismus begleitet ist – und auch unsere Demokratiefähigkeit schwächt. „Je kleiner ein Land, desto größer muss es denken; muss es sich unersetzlich machen“, hat Portisch gesagt – wissend, wie gerne gerade wir Österreicher die Sonne hinter den Schrebergärten unserer Selbstzufriedenheit untergehen lassen. Wo also sind die „Portischs“ von heute? Und kann es sie überhaupt geben? Da sind heute ganz andere politische Vorgaben, andere Medienhäuser, andere Erwartungen, Verlockungen und Zumutungen. Alles ist kurzatmiger, pointierter und trotz Globalisierung seltsam unüberschaubarer – ganze Kontinente sind unseren Blicken (und Interessen) entschwunden. „Portisch-Preis-Träger“ werden also ganz anders sein als er. Was aber bleibt, ist der Grundauftrag: „Aus der Geschichte lernen. Gegen Vorurteile kämpfen. Und zur Toleranz erziehen!“ Medieninhaber (Verleger): Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. 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DIE FURCHE · 4 26. Jänner 2023 Diskurs 15 Die „Letzte Generation“ beschüttet Kunstwerke (hinter Glas) und klebt sich an Straßen fest – zuletzt etwa am Wiener Praterstern. Ist in der Klimakrise jedes Mittel recht? Ein Gastkommentar. Vom Kleben zum Überleben Vor zwei Wochen habe ich mir den Film „Avatar 2“ angesehen. Dieser Blockbuster zeigt eine im Grunde friedliche und im Gleichklang befindliche Welt, die von bösen Menschen auf der Jagd nach Ressourcen angegriffen und teilweise zerstört wird. Untermauert wird diese Inszenierung von Gut und Böse mit martialischen Kampfszenen, wo sich die scheinbar unterlegenen Geschöpfe – die Guten – auch mit kämpferischen Mitteln erfolgreich zur Wehr setzen. Ähnliches scheint sich seit einiger Zeit in Österreich und vielen anderen Ländern dieser Welt abzuspielen – wenn auch weniger filmreif und mit heftigen Debatten darüber, wer hier „die Guten“ und wer „die Bösen“ sind. Klimaaktivistinnen und -aktivisten zeigen jedenfalls mit aufsehenerregenden Mitteln auf, dass in der Klimapolitik etwas falsch läuft und dass es machtvolle Interessen gibt, die weiterhin den Planeten und seine Bewohner(innen) ausbeuten wollen. Die jungen Menschen beschmieren Glasscheiben, hinter denen wertvolle Kunstgemälde aufgehoben sind – und haben sich zuletzt auch am Wiener Praterstern festgeklebt. Ihr Argument: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es keine lebenswerte Grundlage mehr für zukünftige Generationen geben. Adres sat ihrer Forderung ist freilich nicht der Einzelne, nicht die im Stau stehende Autofahrerin oder der Museumsbesucher, sondern „das System“ und damit in erster Linie die Politik, gefolgt von Unternehmen und anderen Entscheidungstragenden, in deren Hand es liegt, endlich etwas gegen die Klimakrise zu tun. Solidarisch mit der „Letzten Generation“ Unterstützt werden sie darin von der Wissenschaft, die im Konsens den Menschen als Hauptverursacher der Klimaerhitzung identifiziert hat. Am 10. Jänner haben sich deshalb rund 40 Wissenschafter(innen) – neben vielen prominenten Namen auch der Autor dieser Zeilen – sowohl mit den Forderungen der „Letzten Generation“ solidarisch erklärt, das heißt der Einführung von strengeren Tempolimits in Österreich, als auch mit den Aktionen selbst. Unser Argument ist, dass am Ende des Tages zwar nicht jedes Mittel recht ist – PORTRÄTIERT Weißer Elefant im Kardinalspurpur Foto: Robert Sposato aber die bevorstehende Klimakatastrophe es durchaus rechtfertigt, friedlich Straßen zu blockieren oder Kunstwerke – gut geschützt hinter Glaswänden – zu beschmieren. Auf der anderen Seite stehen die Politik und auch eine Mehrheit der Bevölkerung, die diese Aktionen ablehnen, verstörend beziehungsweise sogar kontraproduktiv finden – und Klimaaktivisten, die sich selbst klar als „die Guten“ sehen, für die eigentlichen „Bösen“ halten. Für mich als Politikwissenschafter ist jede Perspektive auf diese Frage gerechtfertigt – außer jene, die gegenüber friedlich Protestierenden Gewalt anwendet, und jene, die gewaltfrei DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Patrick Scherhaufer „ Zu glauben, dass legale wie illegale gewaltfreie Proteste die Demokratie untergraben, ist ein Trugschluss. “ agierende Aktivist(inn)en öffentlich „Terroristen“ nennt. Aus wissenschaftlicher Sicht sehe ich zudem keinen Schaden durch solche Formen des zivilen Ungehorsams, außer dass es bei Einzelnen auf Unverständnis stößt – was wiederum in der Natur dieser Protestform liegt. Ziviler Ungehorsam ist schließlich per definitionem eine öffentliche, gewaltfreie und gewissenhafte Handlung, die gegen das Gesetz verstößt – in der Regel in der Absicht, eine Veränderung herbeizuführen. Offenbar braucht es diese vielfältigen Aktionen des zivilen Ungehorsams, damit das Klimathema überhaupt diskutiert und ernst genommen wird – egal ob in den Medien, in der Foto: APA / AFP / Alberto Pizzoli Politik oder in der Gesellschaft. Darüber hinaus gilt es auch, auf geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse hinzuweisen, die derartige Protestformen als zentrales Mittel für Veränderungen identifiziert haben. Sehr gut lässt sich dies an Beispielen wie der Frauenrechtsbewegung oder dem Kampf für mehr Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA aufzeigen. Nicht die Regierenden haben diese Veränderungen angestoßen, sondern sie haben sie schlussendlich nur administriert. Zu glauben, dass legale wie illegale gewaltfreie Proteste die Demokratie untergraben, ist folglich ein Trugschluss. Sie sind fundamentaler Bestandteil politischer Beteiligung. Und sie sind Ausdruck von Unzufriedenheit. Illegitim wird es nur dann, wenn Gewalt damit einhergeht. Der Hörsaal allein reicht nicht Um nun auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, welche Mittel uns in der Klimakrise recht sind: Mir als Wissenschafter und Bürger ist im Kampf gegen die Klimakrise jedes Mittel politischer Beteiligung in einer Demokratie recht. Zu diesem Spektrum gehören Formen des zivilen Ungehorsams genauso wie Wahlen, Streiks, Boykotte, das Starten einer Onlinepetition ebenso wie die Teilnahme an einer Bürgerinitiative. Durch alle diese Formate sehe ich die politische Beteiligung und damit auch die Demokratie gestärkt. Ich bin überzeugt, dass der Kampf gegen die Klimakrise alle diese Aktionen und Beteiligungsformate braucht. Die Welt um uns herum verändern wir nicht allein aus dem Hörsaal, wo ich tätig bin, oder von der Straße aus, wo andere aktiv sind. Aber wenn öffentliche Räume besetzt werden, um aufzuzeigen, dass Regierende und Entscheidungstragende bis heute zu wenig gegen die Klimakrise unternehmen, dann haben wir schon viel erreicht; nicht nur Aufmerksamkeit, sondern eben auch das Bewusstsein dafür, dass manche Dinge ge- oder verändert gehören. Der Autor ist Senior Lecturer am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Universität für Bodenkultur (BOKU) sowie Mitglied der dort angesiedelten Ethikplattform. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der am Todestag Benedikts XVI. 75 Jahre alt wurde, gilt als einer der ranghöchsten Kritiker von Papst Franziskus. Nachdem Erzbischof Georg Gänswein seine Erinnerungen mit dem demütigen Titel „Nichts als die Wahrheit“ unters katholische Volk gestreut hat, sorgt die nächste Neuerscheinung für Aufregung in den Couloirs des Vatikan: „Nach Treu und Glauben“ lautet der übersetzte Titel eines Interviewbuchs des deutschen Kurienkardinals Gerhard Ludwig Müller, der bis 2017 oberster Glaubenswächter des Papstes war und seither als weißer Elefant an der Kirchenspitze poltert. Als Müllers Amtszeit an der Spitze der Glaubenskongregation nach fünf Jahren zur Verlängerung anstand, habe ihm Papst Franziskus quasi im Vorübergehen mitgeteilt, er benötige seine Dienste nicht mehr. Seither steht Müller bereitwillig für allerlei Wortspenden zur Verfügung, die jedenfalls das konservative Kirchenlager in ihrer Meinung bestärken, dass das gegenwärtige Pontifikat ein übles sei. Auch im Interviewbuch nimmt sich Müller diesbezüglich kein Blatt vor den Mund – Franziskus habe mehrmals rechtliche Grundsätze verletzt, er habe in Missbrauchscausen Freunde beschützt und er und seine Berater seien, salopp gesagt, theologisch ahnungslos. Dass derartige Kritik einmal mehr aus jener Ecke kommt, die den absoluten Primat des Papstes behauptet, ist auffällig: Wenn der Papst nicht das tut, was diese Fraktion goutiert, dann darf man ihm schon ans Leder. Kardinal Müller, Schüler des späteren Mainzer Kardinals Karl Lehmann, war schon als Bischof von Regensburg ab 2002 für Konflikte mit allzu Liberalen bekannt. 2017 holte ihn Benedikt XVI. an die Spitze der Glaubenskongregation. Seit 2006 ist Müller auch Herausgeber der 16-bändigen Gesamtausgabe der Werke Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. Da das konservative Kirchenlager nach dem Tod des Papa emeritus eine Identifikationsfigur sucht, bietet sich Müller gewiss dafür an. Mit 75 Jahren ist er auch längst nicht zu alt für einen Papstanwärter. Erratische Wortmeldungen der letzten Jahre – er verglich die Vorschläge des Synodalen Wegs in Deutschland mit dem NS-Ermächtigungsgesetz oder unterstützte Verschwörungsmythen zur Coronakrise – lösten weithin Kopfschütteln aus. Bei den (ultra)konservativen Parteigängern in der katholischen Kirche hingegen schadet dies Müller keineswegs. Im Gegenteil. (Otto Friedrich) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Eine Pizza für 30 DM Geldangelegenheiten. Sie nerven mich. Das bringt meine Eltern auf die Palme, seit ich zählen kann. Ja. Ich bediene damit ein in Beton gegossenes Klischee. Bislang verlief mein (Erwachsenen-)Leben folgendermaßen: Ich erledigte meinen Job, bekam dafür ein Gehalt. Davon bezahlte ich, was anstand. Das klappt, weil sich meine Fixkosten und Ausgaben in Grenzen halten. Gleichzeitig hatte ich das Glück, nie in finanzielle Schieflagen geraten zu sein. Leute, die ständig darüber sprechen, wofür sie kein Geld ausgeben und wo sie wann sparen, könnte ich auf den Mond schießen. Sie sagen im Grunde, dass solche wie ich (Sparbuch statt Fonds) einen an der Waffel haben. Meistens geht dieser Menschenschlag mit Schmarotzertum einher. Wenn andere den Wein ausschenken, den sie nie selbst kaufen würden, dann lassen sie sich gerne ihr Glas bis zum Rand anfüllen. Denke ich an diese Sparfüchse, wächst in mir der Neid. Weil sie mich eines Tages auslachen werden: Wenn ich in Altersarmut abgerutscht bin, während sie von ihren fünfzig Zusatzpensionen zehren – oder sie sich eine Luxushüfte montieren lassen und ich mit dem Kassenmodell herumhinke. Die Teuerung. Ich wünschte, ich könnte sie ausblenden. Stattdessen steigere ich mich hinein. Ich rechne die Preise sogar in Deutsche Mark um. Mein Lieblingsbrot kostet mittlerweile zwölf Mark. Die Pizza vom Italiener um die Ecke 30 Mark. Mein Mann verdreht ob meiner neuen Wesensart nur noch die Augen. Er hat eine Frau geheiratet, die großzügig mit sich und der Welt agiert. Nun wird er angegiftet, wenn er zu viel Kaffee kocht. 500 Gramm kosten schließlich 15 Mark. Ich betrachte die Inflation als persönliche Beleidigung. Verdirbt Geld den Charakter? Nur wenn man darüber nachdenkt. Ich bin ein Star … … holt mich hier raus! Einmal mehr beglückt RTL sein Publikum mit hierzulande unbekannten C-Promis, die sich im – heuer wieder australischen – Dschungel an Wurmmahlzeiten und ähnlich Ungustiösem gütlich tun. Derweil zerreißen sich im nahen Luxushotel die Kommentator(inn)enschar sowie die (künftig) Angetrauten über die tagelang nicht aus derselben Unterhose herauskommenden „Stars“ den Mund. Während also die Armen in der Tropenhitze schlammige und gruppendynamische Ekligkeiten ertragen müssen, bandeln die im Hotel miteinander an, und vor allem: reden darüber, damit ordentlich Sendezeit vergeht. Ob Oliver Pocher, der uns da von der Mattscheibe entgegenglotzt, auf Instagram „getaggt“ wurde, erfahren wir Erstaunte etwa … – Gibt es da die Steigerung zu solchen „Stars“? Ja, nämlich: „Reality-Stars“. Das sind die, die der Welt beständig erzählen, was sie den lieben langen Tag tun. Etwa die aus dem Clan einer Hotelerbinnendynastie, die nun per Leihmutterschaft „Mutter“ geworden ist. Solches erfahren wir sogar auf der „Qualitätsmedienplattform“ orf.at. Unkommentiert. Mit null Problembewusstsein. Dafür mit der Information, dass sich auch Heidi Klum und Kim Kardashian mit Paris Hilton über deren Baby freuen. Otto Friedrich
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